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Zeitungsanzeige in der Frankfurter Rundschau: "Ich bekenne"

"Ich habe mich gewehrt, habe protestiert und demonstriert"

Am 7. Februar 2001 erschien in der Frankfurter Rundschau eine von Jürgen Harrer (papyrossa Verlag) initiierte Anzeige, mit der die stark verkürzte öffentliche Diskussion über die "68er" ein wenig zurecht gerückt wird. Die Studentenbewegung Ende der 60er Jahre und die davon ausgehenden Demokratisierungsversuche von Ökonomie, Staat und Gesellschaft, insbesondere von Schule und Hochschule, waren mehr als die mediengerechte Präsentation einiger Events aus dem so genannten Häuser- und Straßenkampf jener Jahre.
Wir dokumentieren den Aufruf - für den wir an dieser Stelle auch schon geworben hatten - im Wortlaut, allerdings ohne die ca. 200 Unterzeichner/innen, unter denen sich so mancher bekannte Name aus der linken "Szene" findet. Eine wirklich angenehme Gesellschaft.




Ich bekenne

Ich habe mich gewehrt, habe protestiert und demonstriert ...

Nach der Erschießung von Benno Ohnesorg bin ich gegen Polizeigewalt auf die Straße gegangen. Als in Vietnam Menschen verbrannten, als die Notstandsgesetze durchgepeitscht wurden, als Nazis wieder in Landtage und Gemeindeparlamente einzogen, als die Pogromhetze der Springerpresse gegen die aufbegehrenden Studenten im Mordanschlag auf Rudi Dutschke gipfelte, habe ich mich auch von Polizeiknüppeln, Hunden und Wasserwerfern nicht davon abhalten lassen, mein Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Ich habe die Enteignung Springers gefordert und die Auslieferung der Bild-Zeitung behindert. Über Beate Klarsfelds Ohrfeige habe ich klammheimliche Freude empfunden und mich über den Marinerichter und furchtbaren Juristen, den baden württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger empört. Ich habe mich öffentlich gegen die Berufsverbote ausgesprochen, bin eingetreten für die Freiheit von Angela Davis und Nelson Mandela, habe mich gegen die Franco-Diktatur in Spanien, gegen die Militärjunta in Griechenland und den Faschistenputsch in Chile gewandt und mich mit ihren Opfern solidarisiert. Als im "deutschen Herbst" elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, habe ich die Drohung mit dem Polizeistaat nicht schweigend hingenommen.

Heute versuche ich, mich den Neonazis in den Weg zu stellen, während ihre Aufmärsche von Polizei durchgesetzt werden. Ich lasse mir nicht den Mund verbieten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, auch wenn sie von Staats wegen gefördert werden. Ich habe mich gegen den Angriffskrieg auf Jugoslawien engagiert, auch wenn Ex-Spontis ihn mitzuverantworten haben. Ich habe mich entschieden dagegen gewandt, daß sich führende Politiker der Bundesrepublik Deutschland an diesem Bruch von Völkerrecht und Grundgesetz beteiligten. Hiermit fordere ich alle Mitglieder der gegenwärtigen Bundesregierung sowie alle im Bundestag vertretenen Parteien auf, sich klar und eindeutig von derartiger Gewaltanwendung zu distanzieren und für die Zukunft allen nach nationalem und internationalem Recht illegalen Gewaltaktionen zu entsagen.




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