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Prozesse gegen Pazifisten

Wenn Staatsanwälte kein Wort über die Verfassung verlieren
Zwischenbilanz einer Prozesswelle gegen Kosovo-Kriegsgegner am Berliner Amtsgericht Tiergarten
Von Roland Roth

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat in Berlin eine Prozesswelle begonnen, in der es um den Kosovo-Krieg geht. Angeklagt sind deutsche Pazifisten, die mit Flugblättern und einer Anzeige die am Jugoslawien-Krieg beteiligten deutschen Soldaten aufgefordert hatten, ihre weitere Beteiligung zu verweigern. Wir dokumentieren eine Zwischenbilanz von Roland Roth, die Grundlage seiner Verteidigungsrede am 1. Februar war. Roth ist Professor für Politikwissenschaft der Fachhochschule Magdeburg und einer der Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Köln. (Mit wenigen Kürzungen aus: Frankfurter Rundschau, 08.02.2000)

Am 4. November 1999 begann eine Prozesswelle gegen Gegner des Nato-Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, die wenige Tage nach Kriegsbeginn auf den grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Charakter der Bombardierungen aufmerksam machten und allen beteiligten Soldaten nahe legten, ihre Einsatzbefehle zu verweigern und sich von der Truppe zu entfernen. Der Aufruf war vor Kasernen und der Hardthöhe verteilt worden und erschien am 21. April 1999 als Anzeige in der tageszeitung. Gegen fast alle etwa 60 UnterzeichnerInnen des Aufrufs wurden von der Staatsanwaltschaft Tiergarten Strafbefehle und Anklagen wegen der Aufforderung zu einer Straftat (§ 111 Strafgesetzbuch) erhoben (angestrebtes Strafmaß: 30-90 Tagessätze, also Strafgelder zwischen 2.000 und 7.500 DM).

Fast alle Beshuldigten sehen sich mit zwei bis drei Anklagen konfrontiert, weil jede erneute Verwendung des Flugblatts als weitere Straftat der Unterzeuichner gewertet wurde. Insgesamt sind also weit mehr als 100 Anklagen in Berlin anhängig. Nach mehr als einem dutzend Verfahren ist eine Zwischenbilanz möglich. Die Urteile der ersten Instanz sind überwiegend zu Gunsten der Angeklagten ausgefallen: 17 Freisprüche bei drei Verurteilungen. ... Die Richterinnen und Richter begründeten ihre Freisprüche mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, das gerade in außergewöhnlichen Konfliktsituationen zugespitzte Meinungsäußerungen und begründete Handlungsaufforderungen garantiere. Die AmtsrichterInnen vermieden dabei eine völkerrechtliche Bewertung des Krieges, machten aber deutlich, dass die Auffassung der Beklagten nicht als "völlig abwegig" eingestuft werden könne. (...)

Systematisch verzerrte Kommunikation

Alle Angeklagten bemühen sich intensiv um den Nachweis, und dies war auch der argumentative Kern des inkriminierten Aufrufs, dass der so genannte Kosovo-Krieg des Jahres 1999 sowohl in seiner Begründung wie in seiner Durchführung völkerrechtswidrig und die deutsche Beteiligung zudem verfassungswidrig war. Es geht ihnen also nicht nur darum, für die radikal pazifistische Ächtung des Krieges überhaupt zu werben, sondern um den Nachweis, dass dieser besondere Krieg, der erste, an dem bundesdeutsche Truppen nach dem 2. Weltkrieg kämpfend beteiligt waren, nicht nur moralisch verwerflich, sondern schlicht kriminelles Unrecht war. Dieser Bezug auf Völkerrecht und Grundgesetz ist deshalb so zentral, weil - wie die Staatsanwaltschaft immer wieder betont - nicht die pazifistische Gesinnung vor Gericht stehe, sondern die Zuspitzung des Antikriegsprotests in einem grund- und menschenrechtlich begründeten Aufruf, sich gegen diesen Krieg aufzulehnen.

Und hier setzt eine Kommunikationsstörung mit der Staatsanwaltschaft ein, die die bisherigen Prozesse wie ein roter Faden durchzieht:

(a) Die Staatsanwaltschaft ignoriert schlicht den für die Beklagten zwingenden Zusammenhang zwischen der völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bewertung des Kosovo-Krieges und den Konsequenzen, die sich daraus nach Ansicht der UnterzeichnerInnen für die beteiligten Soldaten ergeben. So heißt es im hervorgehobenen Teil des Aufrufs: "Eine Beteiligung an diesem Krieg ist nicht zu rechtfertigen. Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle. Entfernen Sie sich von der Truppe! Lehnen Sie sich auf gegen diesen Krieg!" Indem die Staatsanwaltschaft diesen Zusammenhang "übersieht", betreibt sie eine schlichte Verkehrung der Intentionen des Aufrufs. Den Unterzeichnern ging es darum, die Soldaten darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen und damit auch strafrechtlich für ihr Tun belangt werden können. ... Die Anklagen der Staatsanwaltschaft drehen den Spieß schlicht um. Die Unterzeichner des Aufrufs sind es nun, die zu einer Straftat aufgefordert haben, indem sie die an diesem Krieg beteiligten Soldaten zur Fahnenflucht und zur Gehorsamsverweigerung aufgerufen hätten. Für die Angeklagten muss dies wie Hohn klingen. Aus der Aufforderung, keine Straftaten zu begehen, wird eine Aufforderung zum Rechtsbruch gezimmert.

(b) Wie betreibt die Staatsanwaltschaft am Amtsgericht Tiergarten diese Umkehrung? Die erste Voraussetzung liegt in der beharrlichen Weigerung, die völker- und verfassungsrechtliche Ebene überhaupt zu betreten. Es gab bisher in keiner Verhandlung und keinem Schriftsatz einen ernsthaften Versuch der Staatsanwaltschaft, die rechtliche Legitimation dieses Krieges darzulegen und zudem den Nachweis zu führen, dass die Beklagten von der unzweifelhaften Rechtmäßigkeit des Krieges immer schon hätten wissen können, also auch keinen Verbotsirrtum für ihren Aufruf in Anspruch nehmen können. Diese Weigerung ist ... verständlich, denn dieser Nachweis einer unbedenklichen rechtlichen Legitimation dieses Krieges kann nicht gelingen. Zwar gab es unmd gibt es im öffentlichen Raum genügend Stimmen - auch von Juristen -, die den jüngsten NATO-Krieg rechtfertigen. Aber es dominieren dabei vor allem moralisch-menschenrechtliche Begründungen, die mit der Formel "humanitäre Intervention" früh von den Verantwortlichen in Umlauf gebracht wurden. ... Prominente Philosophen und Sozialwissenschaftler sind sogar so weit gegangen, im Kosovo-Krieg den exemplarischen Schritt auf eine neue Stufe universeller Menschenrechtspolitik zu erblicken (die NATO erschien gar als "bewaffneter Arm" von amnesty international).

Gleichwohl ist unstrittig, dass zu Beginn der "Luftschläge" nicht nur unter Völkerrechtlern die Meinung vorherrschte, dass dieser Krieg nach den geschriebenen Regeln der UN-Charta rechtswidrig sei und zudem wesentliche Elemente der Kriegsführung (Bombardierungen aus großer Höhe, die eingesetzte Munition, zivile Ziele) gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen. "Bei Kriegshandlungen ist stets darauf zu achten, dass die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte verschont bleiben", heißt es unmissverständlich in der Genfer Konvention (Artikel 57 des ersten Zusatzprotoolls). Dass der Ausgang des Krieges selbst einen Paradigmenwechsel im Völkerrecht - im Sinne eines neuen Gewohnheitsrechts auf "humanitäre Intervention" - ausgelöst habe, darf nicht zuletzt mit Blick auf den aktuellen Krieg in Tschetschenien füglich bezweifelt werden. Immer wieder wurden von den Verteidigern in den Prozessen erfolglos Beweisanträge gestellt, die Gutachten von Völkerrechtlern einfordern, um diese Rechtslage zu belegen. Wiederholte Aufforderungen an die Staatsanwaltschaft, sie möge doch ihre - vermutlich andere - Sicht der Dinge juristisch begründet und nachvollziehbar darlegen, blieben ohne Ergebnis.

"Unter keinen Umständen Fahnenflucht legal"

Die einzige Ebene, auf der die Staatsanwaltschaft juristisch argumentierte, ist die des Wehrstrafgesetzes (WStG). Sind in den Anklageschriften noch § 16 (Fahnenflucht) und § 20 (Gehorsamsverweigerung) genannt, so reduzierte sich die Klage in den Prozessen bislang zumeist auf den Tatbestand der Aufforderung zur Fahnenflucht. So sei es durchaus möglich und legitim, Soldaten aufzufordern, rechtswidrige und darum unverbindliche Befehle zu verweigern. (Dies sieht § 22 des WStG ja ausdrücklich vor: Bei Ungehorsam und Gehorsamsverweigerung [§§ 19-21] "handelt der Untergebene nicht rechtswidrig, wenn der Befehl nicht verbindlich ist, insbesondere wenn er nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt ist oder die Menschenwürde verletzt oder wenn durch das Befolgen eine Straftat begangen würde". Ähnliche Einschränkungen befinden sich in § 11 [2] des Soldatengesetzes: "Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde.") Hätten die UnterzeichnerInnen des Flugblatts ausschließlich zur Verweigerung von erchtswidrigen Einsatzbefehlen aufgerufen, dann wäre die Staatsanwaltschaft - nach eigenen Aussagen - nicht tätig geworden.

Grundsätzlich anders verhielte es sich jedoch mit jenen Passagen des Aufrufs, die als Aufforderung zur Fahnenflucht bzw. Meuterei verstanden werden müssten. Denn hier sehe das WStG keine rechtfertigenden Ausnahmen vor. "Man weiß, dass Soldaten nicht einfach weggehen klönnen." "Unter keinen Umständen ist Fahnenflucht legal." "Nichts rechtfertigt das Verlassen der Truppe." Auf solch shlichte, rechtlich nicht haltbare Überzeugungen, die von den StaatsanwätInnen zum Besten gegeben wurden, gründet sich die Klageflut am Berliner Amtsgericht Tiergarten. ...

Indem der Aufruf einzig an den Bestimmungen des Wehrstrafgesetzes gemessen wird, verkürzt die Staatsanwaltschaft die für die VerfasserInnen des Aufrufs zentrale Frage nach der Rechtmäßigkeit des NATO-Angriffs mit Beteiligung der Bundeswehr auf die Sorge um die Funktionsfähigkeit der Truppe, denn einzig diesem Ziel sind die einschlägigen Bestimmungen des Wehrstrafgesetzes (§ 16 Fahnenflucht; § 27 Meuterei) gewidmet. Über Fragen der rechtlichen Legitimation militärischer Einsätze schweigt sich das WStG als einfaches Gesetz - genauer als Spezialbereich des allgemeinen Strafrechts - aus. Aber genau darum müsste es eben in den Prozessen um den veröffentlichten Aufruf gehen.

Juristisch dürftig, rechtspolitisch skandalös

Die Auffassung der Staatsanwaltschaft ... ist juristisch allzu schlicht, um zu überzeugen oder gar Bestand zu haben. Sie ist rechtspolitisch abenteuerlich und für die politische Kultur der "Berliner Republik" geradezu verheerend. Diese Bewertung lässt sich begründen: Der Versuch, Gegner dieses Krieges auf der Grundlage des Wehrstrafgesetzes zu verurteilen, ist juristisch skandalös. Es handelte sich ja nicht um Formen der Gehorsamsverweigerung oder "Entfernung von der Truppe", wie sie im Bundeswehralltag immer wieder vorkommen, sondern um eine bislang einmalige und zugespitzte Situation. Immerhin war es der erste Krieg mit deutscher Beteiligung seit dem 2. Weltkrieg. Ein Krieg zudem, der wegen des fehlenden UN-Mandats völkerrechtlich nicht legitimiert und damit - nach Meinung vieler - verfassungswidrig war und gleichzeitig gegen das Verbot des Angriffskriegs im Grundgesetz (Artikel 26) verstieß.

Es ist juristiusch nicht plausibel, wieso solch grundlegende rechtliche Bedenken gegen diesen Krieg nicht geprüft werden, wenn es darum geht, Leute zu verurteilen, die mit solchen Bedenken ihr Handeln, in diesem Falle ihren Aufruf legitimieren. Glaubt die Staatsanwaltschaft allen Ernstes, dass ein grundgesetz- und völkerrechtswidriger Krieg keinen Einfluss auf die Bewertung von Desertion und Befehlsverweigerung hat? Nicht nur die Auseinandersetzung um die Anerkennung der Deserteure im Nazikrieg, sondern auch die Mauerschützenprozesse haben andere Maßstäbe gesetzt. In beiden Fällen ist nicht die Funktionsfähigkeit einer Armee Ultima Ratio, sondern der Charakter des Krieges bzw. des Grenzregimes entscheidend für die Bewertung.

Das Befolgen einfacher Gesetze genügt nicht, um dem einzelnen Soldaten Straffreiheit zu verbürgen. In der Rechtssystematik ist schon mit Blick auf die jeweilige Strafandrohung völlig klar, welche Gewichtung zu treffen ist. Auf Fahnenflucht steht eine Strafandrohung von maximal 5 Jahren, die Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges wird dagegen mit mindestens 10 Jahren bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht (§ 80 des Strafgesetzbuches. Die Notwendigkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit ergibt sich schon aus dem Vorrang der Verfassung gegenüber einfachen Gesetzen. Dies unterscheidet einen Rechtsstaat von einem demokratischen Rechtsstaat. Und dies gilt nicht nur für die Meinungsfreiheit, sondern auch für den Friedensauftrag des Grundgesetzes, wie er an prominenter Stelle bereits in Artuikel 1 (Menschenwürde), Artikel 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und ausführlich als Verpflichtung zur Friedenstaatlichkeit in Artikel 26 festgelegt ist. Damit wurde der rechtliche Rahmen legitimer militärischer Gealtanwendung vom Verfassungsgeber bewusst sehr eng abgesteckt. Die Begrenzung legaler militärischer Aktionen auf den Verteidigungsfall un damit verknüpfte Bündnisverpflichtungen einerseits und das explizite Verbot des Angriffskriegs andererseits waren ja für die Verfassungsväter und die wenigen -mütter wichtige Konsequenzen aus den von Deutschland maßgeblich betriebenen Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Mit Blick auf das Grundgesetz ist Krieg eben kein Normalfall, sondern eine besonders legitimationsbedürftige Ausnahme...

... Schon aus diesem politischen Erbe ergibt sich ein besonderer Legitimationsbedarf für jede deutsche Kriegsaktion. Daher kann es nicht verwundern, dass die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg erhebliche Unruhe in der Bevölkerung auslöste. Große Minderheiten im Westen (mehr als 40 %) und deutliche Mehrheiten im Osten (mehr als 60 %) sprachen sich laut demoskopischen Umfragen gegen diesen Krieg aus, obwohl der alltägliche Kriegspropaganda-Aufwand enorm war. ... Nur juristische Hungerkünstler können glauben, die pazifistische Opposition gegen diesen Krieg strafrechtlich verfolgen zu können, ohne auch nur ein Wort über Völkerrecht und Verfassung verlieren zu müssen. Es ist eine Rechtsverkürzung, die in die Nähe der Rechtsbeugung führt.

Noch ist die deutsche Kriegsbeteiligung nicht zu einer solch selbstverstädnlichen "Normalität" geworden, das die pazifistische Opposition einfach nach dem Wehrstrafgesetz abgefertigt werden kann, auch wenn die Staatsanwaltschaft dies zu glauben scheint. Werden verfassungs- und völkerrechtliche Argumente gegen den Kosovo-Krieg nicht dadurch hinfällig, dass sich breite parlamentarische Mehrheiten fanden, die dem Einsatz zustimmten? In einem Verfahren kleidete eine Richterin dies zunächst in die Aussage, die Regierung werde die Rechtsfragen einer Kriegsbeteiligung schon geprüft haben, um dann am Ende des Prozesses einzuschränken, dass sie dies zumindest hoffe. Sowohl zeitgeschichtliche Erfahrungen wie die Basisnorm der Gewaltenteilung mahnen zur Wachsamkeit. Es ist unbestreitbar, dass auch liberal demokratisch legitimierte Regierungen ungerechte, menschenverachtende und völkerrechtswidrige Kriege führen. Davon zeugen nicht nur die zahlreichen Kolonialkriege nach dem 2. Weltkrie, sondern nicht zuletzt zahlreiche Kriege der USA, die ja als zentrale Führungsmacht der NATO auch für dieKiegführung auf dem Balkan maßgeblich war.

... Der gegenwärtige US-Präsident hat sich in seiner Amtszeit für insgesamt drei "schmutzige" Kriege der USA entschuldigen müssen: die Beteiligung am Coup gegen die rechtmäßige Regierung in Chile, die Unterstützung der Contras in Nicaragua und den Vietnam-Krieg. Aber was haben die Opfer dieser kriege von solchen Entschuldigungen? Wir haben also allen Grund wachsam zu sein, wenn es um Kriegsbeteiligung geht....

Politische Justiz: ein juristischer Slalom den Herrschaftsgipfel hinauf

Der rechtspolitische Skandal im Umgang mit diesem Krie besteht darin, dass die Justiz weder dem Anspruch der Unabhängigkeit noch dem der Gleichbehandlung genüge getan ha, sondern sich ls Putzerfisch der Machthabenden andint. Schon früh nach Kriegsbeginn hat der Generalbundesanwalt unmissverständlich signalisiert, dass er keine der zahlreichen Klagen wegen dieses Krieges gegen die Regierung annehmen werde. Uns ist nichts von Ermittlungen oder Anklagen bekannt, die sich gegen die Verantwortlichen der Bundesregierung richten, obwohl z.B. Herr Scharping nachweislich die Öffentlichkeit mehrfach grob getäuscht und belogen hatte (Aussagen über KZs) und einige seiner Feindbild produzierenden Äußerungen den Tatbestand der Volksverhetzung und des Aufstachelns zum Angriffskrieg (§ 80a StGB) erfüllten (etwa mit Äußerungen über Serben, die mit abgeschnittenen Köpfen Fußball spielten), wie ja generell "vergessen" wurde, dass auch in der Bundesrepublik mehrere hunderttausend Jugoslawen, Serben und Kosovo-Albaner leben. Uns ist nichts von Ermittlungen und Anklagen gegen Soldaten und ihre Vorgesetzten bekannt, die sich in diesem Krieg offensichtlicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben (Bombardierung von Eisenbahnzügen, Bussen, Rundfunksendern und anderen zivilen Objekten). Nicht von ungefähr ist "Kollateralschaden" zum Unwort des Jahres 1999 gekürt worden, weil es die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verschleiern soll, die "beiläufig" anfallen und durch die Art der Kriegführung billigend in Kauf genommen wurden.

... Dass Regierung und Armee rechtlich ungeschoren bleiben, bestärkt nicht gerade das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz. Entgegen der Beteuerungen der Staatsanwaltschaft fällt es deshalb schwer, in dieser Klageflut gegen oppositionelle BürgerInnen einen Beitrag zum Rechtsfrieden zu sehen, der ja wohl durch den Auftrag von Amtsträgern und den Gehorsam von Befehlsempfängern zur Tötung von Zivilisten "out of area" in ganz anderer Weise gefährdet wurde.

Die Unbefangenheit der Blockwartenkel

Als verheerend für die politische Kultur des Landes möchte ich das politische Signal werten, das von der Staatsanwaltschaft ausgeht. Ihre Grundauffassung, die sie gerne als unpolitisch, rein rechtlich beschreibt, ist politischer Ausdruck eines banalen Militarismus. Seine schlichte Logik lautet, gleichgültig ob ein Krieg völkerrechtswidrig ist bzw. völkerrechtswidrig geführt wird, die Funktionsfähigkeit der Armee hat oberste Priorität. Auch wenn Pazifisten begründete Zweifel an der rechtlichen Legitimation eines Militäreinsatzes haben, dürfen sie nicht zu Handlungen aufrufen, die den militärischen Betrieb stören könnten. Damit versucht die Staatsanwaltschaft, Militär und Krieg über die Verfassung zu stellen und mit Hilfe des Wehrstrafgesetzes eindeutige Verfassungsbestimmungen beiseite zu schieben.

Ohne Zweifel wünschen sich nicht wenige Militärs eine solch vordemokratische Generalprävention, die ihnen einen gesellschaftlichen Sonderstatus und einen Freibrief für militärische Abenteuer aller Art erteilt. Die Wiederkehr dieses nDenkens in Deutschland ist politisch fatal, sind doch die zentralen Katastrophen des 20. Jahhrunderts einem vordemokratischen, obrigkeitsstaatlichen Militarismus geschuldet, von dem die deutsche Gesellschaft einmal bis in die letzte Pore durchdrungen war (erinnert sei nur an die populären Matrosenanzüge für die Allerkleinsten und das gesellschaftliche Leitbild des Reservoffiziers). Dazu passte eine erbarmungslose, gelegentlich skurrile Pazifistenhatz, die ind en Beiträgen von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky in der Weltbühne ein literarisches Denkmal bekommen haben. Dass auch nach dem 2. Weltkrig diese Tradition nicht einfach verschwunden ist, zeigte sich in vielen Details. Kasernennamen, die Kriegsverbrecher verehrten, passten wenig zu dem neuen Leitbild des "Bürgers in Uniform".

Die Bundesrepublik ist reich an militärstrafrechtlich bgründeten Skandalurteilen gegen Deserteure der Hitler-Armee. Dass auch viele Miliärs die Entnazifizierung unbeschadet überstanden und sich als "neue" Führungsriege etablierten, sei nur am Rande erwähnt. Über die Fortsetzung des Militarismus - mit anderen Vorzeichen - in der DDR ist kein Zweifel möglich. Immerhin konnte bis vor kurzem die Hoffnung keimen, in einer überwiegend zivilen Gesellschaft zu leben, in der das Militär keine Sonderrechte und schon gar keinen extrakonstitutionellen Status beanspruchen kann; in einer Gesellschaft, in der militärische Mittel nur unter ganz eingeschränkten Bedingungen und mit höchstem Legitimationsbedarf eingesetzt werden dürfen.

Gegen dieses zivilgesellschaftliche Leitbild hat nicht nur die rotgrüne Regierung mit ihrer rechtlich nicht zu legitimierenden Kriegsbeteiligung verstoßen. Die neue NATO-Doktrin der "Selbstmandatierung" out of area stellt diesen Rückschritt auf Dauer. Die Berliner Staatsanwaltschaft betreibt juristische Nach- und Vorsorge, wenn sie versucht, die rechtlichen Legitimationsansprüche an Militär und kriegerisches Tun zu deren Gunsten abzusenken.

Bestürzend ist, dass diese Variante der "Normalisierung" nicht von greisen Ewiggestrigen mit schnarrenden Stimmen und militärischem Habit, sondern von jungen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten betrieben wird, die sich so präsentieren, als hätten sie die "Last der deutschen Vergangenheit" und die sich daraus ergebende Verpflichtung zum Frieden nie verspürt. Es ist eine Angst einflößende Unbefangenheit, die ein Autor der Wochenzeitung Die Zeit kürzlich auf den bösen Begriff "Blockwartenkel" brachte. Ihnen fehlt jede Empathie für die Opfer. Die Gräuel des Krieges sind für sie unendlich weit weg. Die Art der Kriegführung im NATO-Krieg scheint sie darin zu bestütigen, obwohl sie nur einen Moment den Gedanken an die Situation in den Luftschutzkellern der Bombennächte in Belgrad und anderswo zulassen müssten. Ich habe jedenfalls selten solch "coole" Reaktionen auf die Konfrontation mit Kriegsfolgen erlebt, wie auf der Bank der Staatsanwaltschaft in diesem Gericht. ...

Stellungnahme zu den Gerichtsverfahren

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