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Fahndungseifer gegen Linke

Beschuldigte verweigern DNA-Abgabe

Von Niels Seibert *

Axel ist Antifaschist. Seine Meinung trägt der 32-jährige Berliner auch auf die Straße, beispielsweise wenn er mit seinen Genossinnen und Genossen in Berlin und anderen Städten demonstrieren geht. Er beteiligte sich unter anderem an den Blockaden des Naziaufmarsches in Dresden. Die Demonstrationen, die er selbst angemeldet hat, kann er schon gar nicht mehr zählen. Um die 50 könnten es sein, schätzt er. Auch deshalb ist Axel vielen Linken bekannt.

Zwangsläufig kennt ihn auch die Polizei. Und die hat den umtriebigen Aktivisten auf dem Kieker. Sechsmal saß er in den vergangenen sechs Jahren auf der Anklagebank, zum Beispiel wegen angeblichen Landfriedensbruchs während einer Demonstration anlässlich des G 8-Gipfels 2007 in Heiligendamm. Kein einziges Mal wurde er verurteilt, weil sich die Vorwürfe gegen ihn nie bewahrheiteten.

Seit Ende 2012 weiß Axel vom nächsten Kriminalisierungsversuch; dieses Mal unter der Federführung Sachsens. Er wird beschuldigt, an einer Brandstiftung gegen 42 Bundeswehrfahrzeuge in Dresden im Jahr 2009 beteiligt gewesen zu sein. Die sächsische Polizei ermittelt, so vermutet Axels Rechtsanwalt Martin Henselmann, wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 129, der die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt.

In einem Schreiben vom November 2012 lud das Landeskriminalamt Sachsen Axel zur Abgabe einer Speichelprobe zwecks Feststellung der DNA ein. Wenn er bis Monatsende nicht freiwillig vorbeikomme, werde man eine richterliche Anordnung zur DNA-Entnahme einholen, drohte das LKA. Dabei machte es keine Angaben, welche Taten dem Berliner konkret vorgeworfen werden. »Ich nahm die Einladung nicht an, und seitdem ist Funkstille«, erzählt Axel. Ganz offensichtlich fehlen Beweise, um einen Richter davon zu überzeugen, dass eine Genanalyse gerechtfertigt ist. Viel mehr wissen Axel und sein Rechtsanwalt nicht. Die Staatsanwaltschaft verweigert ihnen die Akteneinsicht.

Die Dresdner Strafverfolgungsbehörden möchten natürlich wissen, wer die Urheber des Brandanschlags auf den Bundeswehrfuhrpark sind, die dort angeblich eine Genspur hinterlassen haben. Händeringend ermitteln sie, mit allen verdeckten Methoden, um etwas Verwertbares zu erhalten. Überwachung der Telekommunikation, Erstellung von Bewegungsprofilen und Observationen gehören dazu. Auch eine verstärkte Aktivität des Verfassungsschutzes stellte die »Kampagne Hundertneunundzwanzig e.V.« fest, ein Zusammenschluss unterschiedlicher Gruppen, der Solidarität organisiert und sich gegen solche politisch motivierte Repression wendet. Bislang scheinen die Ermittler völlig im Dunkeln zu tappen.

Ermittelt wird wegen des Brandanschlags auf Bundeswehrfahrzeuge gegen mindestens vier weitere Personen aus Sachsen und Brandenburg. Das wurde aus einem zweiten Paragraf-129-Verfahren bekannt, das die sächsische Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Anti-Nazi-Blockaden in Dresden seit 2010 führt. Es lief zwischenzeitlich gegen über 45 Personen, darunter der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König sowie Antifaschisten aus Dresden, Berlin und Stuttgart. Der größte Teil von ihnen musste auf richterlichen Beschluss eine DNA-Probe abgeben. Dann, im Juli 2012, wurde das Verfahren gegen 21 Betroffene mangels Beweisen eingestellt, die Ermittlungen gegen die übrigen gehen jedoch bis heute weiter.

Der »Solikreis Dresden« vermutet, dass das LKA Sachsen den unaufgeklärten Anschlag als Vorwand nutzt, um weiter ermitteln und noch mehr linke Strukturen ausforschen zu können. Das ist rechtlich zweifelhaft, wie ein Fall aus jüngster Vergangenheit zeigt. Die mehrjährigen Überwachungsmaßnahmen des Bundeskriminalamts gegen drei radikale Linke aus Berlin wegen des Verdachts auf Gründung der militanten gruppe (mg) hatte der Bundesgerichtshof 2010 nachträglich für rechtswidrig erklärt.

Aus Paragraf-129-Verfahren ist bekannt, dass jegliches Verhalten der Überwachten auf negative Art und Weise interpretiert wird: Aus losen Beziehungen werden feste Gruppenzusammenhänge, aus Freundschaften werden Kommandostrukturen. Allein ein Besuch in der Wohnung eines Beschuldigten kann zur Ausweitung des Verfahrens auf den Gast führen. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Linker wie Axel mit seinem bis nach Dresden reichenden Bekanntenkreis auch in das Visier der Ermittler geriet.

Am 22. Mai kam es in Berlin, Magdeburg und Stuttgart erneut zu Hausdurchsuchungen wegen eines weiteren, erstmals bekannt gewordenen 129-Verfahrens der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Neun Personen waren von den Razzien betroffen, eine von ihnen sitzt seitdem in der JVA Berlin-Tegel. Sie werden beschuldigt, Mitglieder der Revolutionären Aktionszellen (RAZ) zu sein – laut Bundesanwaltschaft eine Nachfolgeorganisation der militanten gruppe. Nachdem auch sie zur DNA-Abgabe aufgefordert wurden, erklärten die Beschuldigten dieser Tage, dies nicht freiwillig zu tun. Manchmal reicht das aus, um der Sammelwut der Ermittler zu entgehen. In anderen Fällen, zuletzt Ende Juni, wurden Betroffene von der Polizei überraschend aufgesucht und in Handschellen zur zwangsweisen Blutentnahme in ein Krankenhaus gebracht.

Anlässlich der Durchsuchungen im Mai ging natürlich auch Axel wieder zu Solidaritätsdemonstrationen auf die Straße und vor die JVA Tegel. Für ihn eine Selbstverständlichkeit: »Getroffen hat es wenige, gemeint sind wir alle.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013


"Vermummt und bewaffnet standen sie vor meinem Bett"

Gespräch über das aktuelle Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Aktionszellen **

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen neun Personen aus Berlin, Magdeburg und Stuttgart wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Aktionszellen (RAZ). Diese Gruppe zeichnete für fünf Brandanschläge auf Berliner Institutionen zwischen 2009 und 2011 verantwortlich (mehr: www.dasnd.de/827483). Niels Seibert sprach mit Anja (Name geändert), einer Beschuldigten, bei der am 22. Mai eine Hausdurchsuchung stattfand. Die Auszubildende engagiert sich im Themenfeld Antirepression sowie in Stadtteil- und Arbeitskämpfen.


Wenn ein Verfahren nach Paragraf 129 StGB eingeleitet wird, werden die Betroffenen nicht sofort darüber informiert. Wie haben Sie erfahren, dass gegen Sie ermittelt wird?

Es war vor knapp zwei Monaten, um 6 Uhr morgens. Ich wachte durch einen lauten Knall und Schreie auf. Ehe ich mich versah, schauten mich drei oder vier maskierte Männer an. Vermummt, bewaffnet und in Kampfmontur standen sie vor meinem Bett und befahlen mir die Hände zu zeigen. Dann wurde ich in Handschellen gelegt.

Was dachten Sie in diesem Moment?

»Hier stimmt doch was nicht!« und »Was ist los?« Im Anschluss an dieses Spektakel verlas ein BKA-Beamter den Vorwurf: »Sie sind Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129 und hier ist der Durchsuchungsbeschluss.«

Was wird Ihnen konkret vorgeworfen?

Es geht um die angebliche Mitgliedschaft und Unterstützung der Revolutionären Aktionszellen. Die RAZ haben in den vergangenen Jahren Sprengstoff- und Brandanschläge gegen verschiedene Behörden und Einrichtungen verübt. In ihren Erklärungen kritisieren die RAZ soziale Ungleichheit. Sie machen dafür die Regierung verantwortlich, die nicht die Interessen der Menschen, sondern die des Kapitals vertrete und umsetze.

Sind diese Vorwürfe gegen Sie begründet?

Es ist nichts Neues, dass fortschrittliche Linke und Revolutionäre verfolgt werden, die sich das Ziel gesetzt haben, eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, in der alle Menschen in Selbstbestimmung und Würde leben können. Damit wird versucht, Gruppen oder Bewegungen, die Widerstand gegen Unterdrückung leisten, als kriminell und gewalttätig darzustellen. Der Paragraf 129 passt dabei wie die Faust aufs Auge. Es bedarf nur einiger Indizien, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Hat dieses einmal begonnen, ist die Palette der Ermittlungsmethoden sehr reichhaltig. So wird die totale Überwachung von Personen gerechtfertigt. Deshalb ist der Paragraf 129 als Schnüffelparagraf bekannt.

Was haben Sie empfunden, als Sie erfahren haben, dass Sie seit etwa drei Jahren überwacht werden?

Jede politische Aktivistin muss mit solchen Maßnahmen rechnen. Solche Repressalien gegen Linke haben eine lange Tradition. Wir wissen, dass Genossinnen und Genossen weltweit und zu anderen Zeiten schon mit ganz anderer Repression fertig geworden sind. Das macht einem Mut.

Sie bezeichnen den Paragrafen 129 als Schnüffelparagrafen. Meinen Sie, dass es in Ihrem Fall nur darum geht, Sie auszuforschen?

Repression zielt immer auf mehr. Die Herrschenden müssen ihre Macht erhalten. Dies versuchen sie mit Lügen, Vereinzelung und Einschüchterung. Das trägt bei uns Betroffenen jedoch keine Früchte. Es gibt keinen Grund, dass wir uns dadurch abschrecken lassen.

Ihre Antworten klingen sehr abgeklärt.

In unserer jahrelangen politischen Arbeit in verschiedenen Teilen der linken Bewegung und im Antirepressionsbereich haben wir uns anhand der Berichte von Betroffenen mit verschiedenen Methoden der Repression auseinandergesetzt. Da wir nun selbst betroffen sind, kann es nur heißen: Jetzt erst recht! Das Vorgehen der staatlichen Stellen werden wir nicht einfach hinnehmen, sondern einen kollektiven, offensiven Umgang damit finden, der uns und die Fortführung unseres politischen Kampfes stärkt.

Erfahren Sie Unterstützung?

Viele politische Gruppen haben uns Unterstützungserklärungen geschickt. In Berlin hat sich ein kleiner Kreis von Leuten zusammengefunden, die Solidarität organisieren. Das gleiche auch in Stuttgart und Magdeburg, wo es ebenfalls Durchsuchungen gab. Im vergangenen Monat gab es Demonstrationen und Kundgebungen, auch vor der JVA Tegel, wo Olli sitzt. Er ist einer der neun Beschuldigten dieses Ermittlungsverfahrens. Da er sich wegen einer früheren Haftstrafe wegen angeblicher Mitgliedschaft in der militanten gruppe und der Brandstiftung an Bundeswehr-Lkw noch im offenen Vollzug befand, wurde er direkt in den geschlossenen Vollzug verlegt, auch seine Zelle wurde durchsucht.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013


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