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"Ich konnte meine eigene Hilflosigkeit nicht mehr ertragen"

Von Angelika Claußen, IPPNW

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Angelika Claußen, IPPNW, auf der Auftaktkundgebung am Alexanderplatz.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
sehr geehrte Damen und Herren.

Wir alle sind heute hierher gekommen, um gemeinsam gegen den angekündigten und zutiefst menschenverachtenden Angriffskrieg der Regierungen Bush und Blair zu protestieren.

Erlauben Sie mir, mit Ihnen zunächst die Erfahrungen meiner Irakreise im Januar dieses Jahres zu teilen. Ich bin als Ärztin in den Irak gefahren, weil ich meine eigene Hilflosigkeit angesichts der laufenden Kriegsvorbereitungen nicht mehr ertragen konnte. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie es den Menschen in diesem Land geht. Mir war klar, dass es eine bedrückende Reise wird, denn die Folgen der nun schon seit 12 Jahren bestehenden Sanktionen waren mir bekannt:

Tatsache ist:
  • dass der Irak zu den fünf armsten Ländern der Welt gehört
  • dass durchscnittlich jeden Tag 250 Menschen an den Folgen der Sanktionen sterben
  • dass jedes 8. Kind im Irak stirbt bevor es sein fünftes Lebensjahr erreicht. Die Ursachen: Durchfallerkrankungen, Atemwegserkrankungen und keine Medikamente, die zur Behandlung nötig sind.
  • dass 32 % aller Kinder unterernährt sind
  • dass 2/3 der irakischen Bevölkerung als einzige Einnahmequelle nur den Lebensmittelkorb aus dem Nahrungsmittel-für -Öl-Programm besitzen. Das heißt, 2/3 der Bevölkerung dieses Landes ist bettelarm und das seit 12 Jahren.
  • dass der Irak eine der höchsten Kinderleukämieraten der Welt hat.
Irakische Ärzte machen dafür das die 300 Tonnen Urangeschosse, die im Golfkrieg 1991 eingesetzt worden sind, verantwortlich. Die Kinderleukämierate ist um 250 % gegenüber 1991 angestiegen. In Basra einer Stadt im Süden Landes, wo besonders viel Urangeschosse abgeworfen wurden, kommen 3 % der Kinder schwerst missgebildet auf die Welt, Es sind bizarre Missbildungen, die wir Mediziner normalerweise in unseren Lehrbüchern nicht finden. Sie erinnern an die Missbildungen, die wir nach Tschernobyl sahen.

Das Elend der Menschen, ihre Hoffnungslosigkeit zu sehen und mitzuerleben, ist für einen mitfühlenden Menschen kaum zu ertragen. Immer wieder müssen die Ärzte in den Krankenhäusern ihren Patienten sagen: wir können nicht helfen, denn das Antibiotikum oder das Mittel gegen den Krebs ist nicht vorhanden. Eine unmenschliche Triage!

Eine Kollegin aus Österreich, die seit 10 Monaten versucht, die Geräte für eine Blutbank nach Basra Zu bringen, bekommt bisher nur abschlägige Antworten von dem Sanktionskomitee. Der amerikanische Vertreter im Sanktionskomitee antwortete auf ihre Bitten, dem Transport der notwendigen Geraäte nun endlich zuzustimmen: "Ich rede mit Ihnen nicht über leukämiekranke Kinder, ich rede mit Ihnen nur über das Regime von Saddam Hussein".

Ich denke, dieser Satz macht die ganze Menschenverachtung der Kriegsplaner in den USA deutlich: Es geht hier nicht um Massenvernichtungswaffen und es geht nicht um die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen, die der irakische Herrscher Saddam Hussein zu verantworten hat.

Das zeigen auch die neuesten Verlautbarungen über die Kriegsstrategie der Militärplaner. "Schock und Furcht" - nennen sie ihr Programm. Der US-amerikanische Militärstratege Harlan Ullmann spricht von 400 Cruise Missile-Bomben, die täglich über dem Irak abgeworfen werden sollen. Er schwärmt davon, dass es so sein wird wie in Hiroshima, nur dass es nicht Wochen und Monate, sondern nur wenige Minuten dauere. Die Hundertausende von Menschen, die sterben werden, die Millionen von Flüchtlingen erwähnt er nicht.

Was können die KriegsgegnerInnen, die Friedensbewegung tun? Sind wir nicht gefangen zwischen zwei großen Übeln: Auf der einen Seite die Bush-Regierung, die imperiale Herrschaftsinteressen, hier im Nahen Osten die Kontrolle über die Ölströme u.U. mit allen Mitteln einer Großmacht, eben auch Krieg und Terror durchzusetzen bereit ist und auf der anderen Seite ein brutaler Diktator, der sein eigenes Volk als Geisel benutzt, Giftgas gegen seine eigenen Bürger einsetzt?

Ich denke, dass wir, die Friedensbewegung zuallererst einen langen Atem, Geduld und Zuversicht in unsere eigene Stärke benötigen.

Aus der Erfahrung der letzten zwei Weltkriege und vieler anderer wissen wir: Krieg ist keine Löung für die anstehenden Probleme. Der Krieg ist wie eine Wunde in der Seele des Menschen, und der Schmerz in ihr ruft nach immer grausameren Taten. So wird ein

Krieg gegen den Irak die Bildung von neuen Terror-Gruppen immer weiter steigern, ein Vielfaches an terroristischen Anschlägen auf der ganzen Welt ist die Folge.

Die Friedensbewegung hat eine Vielzahl von Alternativen zum Krieg:

a) zum Irak - Krieg:
  • Zuallererst die Fortsetzung der Waffeninspektionen, denn diese sind bisher höchst erfolgreich
  • Möglichst viele Staaten in der EU, Russland und die Türkei sollen die Präventivkriegsstrategie der USA verurteilen und eine Vermittlungsinitiative anbieten.Die darauf folgenden einzelnen Schritte sind bekannt: Rücknahme der Stationierungs- bzw. Überflugrechte, Rücknahme der Spürpanzer für die Bundesrepublik, keine AWACS-Aufklärer in die Türkei.
  • Die EU sollte einen Dialog-Prozess im Nahen Osten initiieren ähnlich dem KSZE- Prozess während des Ost-West-Konflikts. Thema: Abrüstung von Massen- vernichtunswaffen im gesamten Nahen Osten einschließlich Israel und Iran), Lösung des Isreal/Palästina-Konflikts
b) Unabhängig vom drohenden Irak-Krieg:
  • Die EU muss in den Katalog der Grundwerte der Europäischen Union auch friedenspolitische Ziele aufnehmen. Sie muß den Einsatz militärischer Gewalt als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen. Sie muss sich zum Vorrang ziviler Konfliktschlichtung bekennen.
Auch wenn diese Vorstellungen im Augenblick angesichts der aus den USA herüberschwappenden Verunglimpfungen utopisch klingen mögen: Wir wissen, dass viele amerikanische Bürgerinnen und Bürger unsere Ziele teilen. Amerikanische Bischöfe, ja ganze Städte in den USA haben sich gegen den Krieg ausgesprochen und begreifen jedes mutige Wort eines europäischen Regierungschefs und insbesondere auch die Äußerungen unserer Regierung als Unterstützung für das andere Amerika, für das Amerika des Friedens und der Demokratie. Unsere Regierung muß sich wesentlich mutiger und entschlossener für den Frieden einsetzen.

Frieden ist Menschenrecht. Hier und überall auf der Welt.


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