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Es droht eine Spirale aus "präventiven Kriegsschlägen und Terrorgegenschlägen"

Von Conrad Schuhler

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Conrad Schuhler, München, auf der Auftaktkundgebung am Alexanderplatz.

Meine Damen und Herren, liebe Kriegsgegnerinnen und -gegner,

gestern war in New York, wie es hieß, der Tag der Wahrheit. Und die Wahrheit ist: das Beweismaterial, das vor dem UN-Sicherheitsrat gegen den Irak ausgebreitet wurde, ist dürftig, so dürftig, dass es ein Verbrechen wäre, deshalb einen Krieg zu führen, der Hunderttausende das Leben kosten und die Welt in einen Dritten Weltkrieg stürzen würde, bei dem präventive Kriegsschläge und Terrorgegenschläge sich in einer Spirale aufwärts drehen würden, bis jede Aussicht auf menschenwürdiges Leben, auf die Ausprägung ziviler Gesellschaften vernichtet wäre. Die Rede war gestern davon, dass der Irak Raketen besitzt, die weiter reichen als die erlaubten 150 Kilometer. Selbst wenn es so ist, dass der Irak solche Waffen besitzt, dass er auch nicht abgelassen hat von seinem Streben nach weiteren Waffen, dann muss doch jedem einleuchten, dass diese Gefahr am ehesten zu bannen ist durch ein ausgedehntes Inspektions- und Kontrollsystem, das schon heute den Irak zu der am besten kontrollierten Nation macht, die eben deshalb auch keine Gefahr für seine Nachbarn darstellen kann. Der kriegerische Überfall wäre nicht nur Massenmord an Bürgern des Iraks und Soldaten auf beiden Seiten, er könnte die ganze Region zur Explosion bringen, und er würde mit Sicherheit eine globale Welle des Terrors in Gang setzen, die wiederum Anlaß wäre für weitere präventive Kriege und sofort und sofort.

Diese entsetzliche Entwicklung wäre gewiss, und dennoch will die US-Regierung von ihrem Krieg gegen den Irak nicht lassen. Der Grund: Es geht ihr keineswegs um die Vernichtung gefährlicher Massenvernichtungswaffen oder um einen Schlag gegen den Terrorismus. Worum es wirklich geht, haben die starken Männer der Regierung Bush schon vor über fünf Jahren erklärt, lange vor dem 11.9. und völlig unabhängig vom aktuellen Verhalten des Saddam-Regimes. Damals hatten sie sich zusammengeschlossen zu einer Vereinigung namens "Project for the New American Century" - Projekt für das Neue Amerikanische Jahrhundert. In einem Brief an den damaligen Präsidenten Clinton vom 26. Januar 1998 hat diese Vereinigung die "Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein" gefordert. In Briefen an die Führer des Kongresses verlangten sie: " Wir sollten eine starke militärische Präsenz der USA in dieser Region einrichten und aufrechterhalten, und wenn nötig, Saddam entmachten." Offen erklärten sie, das Ziel sei die permanente koloniale Besetzung des Irak und die amerikanische Herrschaft über die ganze Region und ihres Öls.

Unterzeichner dieses Manifests: Dick Cheney, heute Vizepräsident; I. Lewis Libby, heute Stabschef des Vizepräsidenten; Paul Wolfowitz, heute Stellvertreter von Verteidigungsminister Rumsfeld; Richard Armitage, heute Stellvertreter von Außenminister Powell; Richard Perle, heute Vorsitzender des Verteidigungspolitischen Beirats der Regierung und zahlreiche weitere führende Mitarbeiter der Bush-Regierung, die heute diese Konzept für ein neues Jahrhundert amerikanischer Weltherrschaft durchsetzen will. Wie wenig die aktuelle Lage und irgendwelche Fakten im Irak mit dem Kriegswillen der USA zu tun haben, beweist auch die Direktive, die Verteidigungsminister Rumsfeld schon am 11.9.01, am Tag der Anschläge von New York und Washington, an die Geheimdienste ausgab: " Werten Sie danach, ob das Material gut genug ist, gleichzeitig den Schlag gegen Saddam Hussein zu führen. Nicht nur Osama bin Laden. Kehren Sie alles nach oben. Dinge, die damit zusammenhängen, und solche, die nicht."

Manche wollen nicht glauben, dass die USA so ungeheure menschliche Opfer und materielle Kosten verursachen, "nur" um sich des Öls im Irak zu versichern. Man muss sich aber vor Augen halten, dass die Besetzung des Irak und die dadurch stabilisierte Kontrolle der gesamten Region vom Persischen Golf bis zum Kaspischen Meer den USA auch die Kontrolle verschafft über den größten Teil der Weltölförderung, den Preis des Öls und vor allem auch über die Währung, in der zukünftig Öl gehandelt wird, nämlich dann auf lange Zeit in Dollars. Würden die USA dies nicht durchsetzen, wären sie mit ihrem jetzigen Wirtschaftssystem in spätestens zehn Jahren am Ende. Die USA verbuchen einen Anteil von über 25% des jährlichen Weltölverbrauchs, das meiste davon müssen sie heute schon importieren. In zehn Jahren sind die eigenen Quellen versiegt, dann müssen sie das gesamte Öl einführen. Müssten sie dies in einer Fremdwährung tun, so müssten sie den sofortigen Konkurs anmelden, denn sie haben heute schon ein jährliches Leistungsbilanzdefizit von 500 Milliarden Dollar, das sind 5% ihres Bruttosozialprodukts. Bringen sie das Öl weltweit unter ihre Kontrolle, zahlen sie in Dollar, und damit zu den Papier- und Druckkosten ihrer Währung, die sie nach eigenem Gusto vermehren können. Die USA verfolgen mit dem Irak-Krieg das klare Ziel, die wichtigste Ressource der Welt unter ihre Kontrolle zu bringen und sich für die nächsten Jahrzehnte auch damit als nicht anfechtbare Weltmacht in den Sattel zu schwingen.

Als eine Weltmacht, die in ihrer im September 2002 verkündeten "Nationalen Sicherheitsstrategie" ihre Maxime so formuliert hat: " Die USA erfreuen sich einer Position unvergleichlicher militärischer Stärke und großen ökonomischen und politischen Einflusses. Diesen Moment der Gelegenheit wollen die USA nutzen, um die Vorteile der Freiheit über den Globus auszubreiten. Wir werden aktiv daran arbeiten, die Hoffnung von Demokratie, Entwicklung, freiem Markt und freiem Handel in jeden Winkel der Erde zu bringen."

Freiheit und Democracy ŕ la Bush, und das global - wir müssen versuchen, die Realisierung dieser fürchterlichen Vision zu verhindern. Die Friedensbewegung der USA hat an uns in Europa zum heutigen Aktionstag für den Frieden einen Brief gerichtet, worin sie uns zuruft: " Wir glauben, dass die schreckliche Vision einer zukünftigen permanenten Kriegsspirale nicht eintreten muss. Wie der frühere US-Präsident Dwight Eisenhower sagte:` Ich glaube, dass langfristig die Völker mehr tun werden, um den Frieden herzustellen, als die Regierungen. In der Tat, ich glaube, dass die Völker den Frieden so sehr wünschen, dass eines Tages unsere Regierungen besser aus dem Weg gehen, und die Völker den Frieden haben lassen.` Lasst dies den Moment sein, da das Volk der Welt zum ersten Mal wirklich zusammenkommt und unsere Regierungen zwingt, uns den Frieden zu geben."


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