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"Der Iran muss wissen, dass wir auch willens sind zu agieren"

Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident George W. Bush bei der Pressekonferenz in Stralsund

Im Folgenden dokumentieren wir die Mitschrift von der Pressekonferenz von Angela Merkel und George W. Bush am 13. Juli in Stralsund *



BK’IN DR. MERKEL: Ich freue mich, den amerikanischen Präsidenten heute hier in Stralsund noch einmal herzlich willkommen zu heißen! Wir haben eben im Amtszimmer des Oberbürgermeisters ausführlich über die internationale Politik gesprochen. Wir haben uns in diesem Rathaus wohl gefühlt. Wir werden heute auch noch gemeinsam einige andere (Orte) der Region besuchen. Ich freue mich, dem amerikanischen Präsidenten einfach zeigen zu können, wie sich die Dinge hier entwickelt haben, welches die Probleme sind und welche Erfolge wir erreicht haben. Dass sich die Hansestadt Stralsund bei so einem guten Wetter präsentiert, gehört auch zu den erfreulichen Dingen des Tages.

Wir haben in der Unterredung, die wir eben hatten, ausführlich über die internationalen Probleme gesprochen, von denen es leider eine Vielzahl gibt und für deren Lösung wir uns verantwortlich fühlen. Vorneweg ist das natürlich das Thema Iran. Die Staatengemeinschaft hat dem Iran ein sehr fundamentales Angebot gemacht, und zwar ausgehend davon, dass wir der festen Überzeugung sind, dass der Iran keine Atomwaffe besitzen darf, auf der anderen Seite aber die Menschen im Iran die Möglichkeit einer guten Entwicklung haben sollten.

Wir haben bislang leider keine Reaktion des Iran bekommen, die in irgendeiner Weise zeigt, wie man sich zu diesem Angebot verhält. Deshalb war es folgerichtig, dass gestern die Außenminister noch einmal beschlossen haben, mit einer Resolution im UN-Sicherheitsrat auch deutlich zu machen, dass wir, wenn der Iran auf dieses Angebot nicht eingeht, leider andere Wege einschlagen müssen. Die Tür für Verhandlungen ist nicht zu, aber der Iran muss auch wissen, dass diejenigen, die die Offerte unterbreitet haben, willens sind, auch gemeinsam ‑ und das ist auch der Erfolg des gestrigen Tages ‑ zu agieren, also Russland, China, die E3 und die Vereinigten Staaten von Amerika, und das auch durch die Resolution im UN-Sicherheitsrat deutlich zu machen.

Wir haben natürlich über die bedrückende Situation im Nahen Osten gesprochen. Wir sind der Auffassung, dass hier alles unternommen werden muss, um wieder zu friedlichen Aktionen zurückzukehren. Es muss noch einmal daran erinnert werden, wie die Eskalation des Konfliktes begonnen hat, nämlich durch die Entführung eines Soldaten und auch durch den Beschuss von Israel durch Raketen. Wir können nur alle auffordern ‑ ich tue das jedenfalls ‑, diese Gewalt einzustellen, endlich die Soldaten frei zu lassen und den Raketenbeschuss auf Israel einzustellen.

Wir werden alles daran setzen, vor allen Dingen auf die Mächte in der Region einzuwirken, dass hier wieder eine Deeskalation stattfindet und dass vor allen Dingen die Ursachen dieses Konflikts beseitigt werden. Denn nur dann kann überhaupt wieder ein Verhandlungsprozess in Gang kommen. Wir haben natürlich ein großes Interesse daran, dass die libanesische Regierung gestärkt wird und ihre Arbeit vernünftig durchführen kann.

Wir haben über die Fragen des Welthandels gesprochen. Hier geht es darum, dass wir aus deutscher Sicht gemeinsam ein starkes Interesse daran haben, dass eine solche Welthandelsrunde zu einem Erfolg geführt werden kann. Das heißt aber, dass sich alle bewegen müssen. Wir warten auf eine vernünftige Offerte der G20, denn an dieser Stelle ist Bewegung notwendig. Sowohl Europa als auch andere haben weit gehende Angebote unterbreitet. Wir wollen die Chancen dieser Verhandlungen ausschöpfen, aber das erfordert Bewegung von allen Seiten. Da sehe ich vor allen Dingen auch die G20 in einer Bringschuld.

Wir haben uns natürlich über die Themen unterhalten, die auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg eine Rolle spielen werden. Hier ist vor allen Dingen die Frage der Energiepolitik von besonderer Bedeutung. Wir haben uns über die Themen unterhalte, die Afrika betreffen, nämlich Darfur und Kongo. Wir sind als Deutsche im Augenblick im Kongo engagiert. Wir sehen aber auch die bedrohliche Situation im Sudan und in Darfur.

Ich möchte von meiner Seite sagen, dass wir ein hohes Maß an Übereinstimmung gefunden haben, was die gemeinsame Verantwortung anbelangt, die wir in der Welt haben. Ich bin der Meinung, dass diese Verantwortung so, wie es im Falle des Iran ist, auch zunehmend von mehr Staaten getragen werden sollte. Das umfasst Russland, das umfasst China. Nur gemeinsame Aktionen können die Tyrannen, die Diktatoren und diejenigen, die dem Terrorismus in dieser Welt eine Chance geben, in Schranken halten. Deutschland möchte dazu seinen Beitrag leisten.

P BUSH: Frau Bundeskanzlerin, ich danke dir sehr herzlich für die Einladung. Diese Region ist wunderschön, und es ist für Laura und mich eine sehr große Ehre, dich in deinem Wahlkreis zu besuchen und einige der sehr freundlichen Menschen, die hier leben, kennen zu lernen. Du warst bei uns im Weißen Haus und hast mir gesagt „Wenn du nach Deutschland kommst, dann musst du mich in dieser Region besuchen“. Jetzt verstehe ich das auch. Ich freue mich auch auf das Abendessen heute Abend. Man hat mir zu verstehen gegeben, dass ich eventuell auch die Ehre haben werde, das Wildschwein anzuschneiden.

Wir haben eine sehr interessante strategische Diskussion geführt. Wir haben sehr viele Themen behandelt. Über den Nahen Osten und den Iran haben wir gesprochen. Ich habe der Bundeskanzlerin über unsere Sicht in Bezug auf Nordkorea berichtet. Es ist natürlich wichtig, dass man dort insgesamt versteht, dass wir Probleme zusammen lösen werden; darum geht es im Grunde genommen. Ich habe Hochachtung vor dem Urteilsvermögen der Bundeskanzlerin. Wenn einem immer wieder gesagt wird „Dein Problem ist unlösbar“ und zwei Menschen kommen zusammen und denken darüber nach, wie sie ein Problem konkret lösen können, ist das erstaunlich.

Das tun wir auch, was den Iran betrifft. Bei unserem letzten Treffen haben wir mit dieser Frage sehr viel Zeit verbracht. Dabei wurde die Frage gestellt: Werden sich die Vereinigten Staaten jemals zum Verhandlungstisch begeben? Die Bundeskanzlerin hat mich auch dazu aufgefordert, darüber nachzudenken. Ich habe dann Folgendes gesagt: Wenn die Iraner nachweislich mit der Urananreicherung aufhören, dann werden wir zum Verhandlungstisch zurückkehren. Es ist überhaupt keine Frage, dass diese Frage zusammen mit Deutschland diplomatisch gelöst werden kann. Wir denken jetzt strategisch-taktisch darüber nach, wie wir das Problem lösen können. Ich schätze die Meinung der Bundeskanzlerin sehr. Es ist natürlich auch sehr wichtig, mit einer Stimme zu sprechen. Es ist auch wichtig, dass wir mit Wladimir Putin zusammenzuarbeiten. Das werden wir beim G8-Gipfeltreffen auch tun. Wir sollten ihn dazu auffordern, Klartext zu reden. Die Weltgemeinschaft besteht darauf, dass es im Iran kein Kernwaffenprogramm gibt.

Wir haben ferner die Situation Israels und Palästinas hinsichtlich der Hisbollah besprochen, und wir arbeiten hierbei zusammen, sodass Frieden in diese krisengeschüttelte Region einkehren kann. Ich habe zu dieser Sache folgende Ansicht: Die Hisbollah möchte, dass es hier keinen Frieden gibt, und diejenigen, die friedliebend sind, müssen sich zusammentun, um die Akteure zu unterstützen, die sich für den Frieden einsetzen, z. B. Premierminister Abbas. Sie müssen Folgendes verstehen: Wenn der Frieden voranschreitet, ist es im Interesse der Terroristen, dem Frieden Einhalt zu gebieten, und das möchten sie dann auch tun. Die Terroristen haben noch mehr gemacht: Sie haben einen Soldaten als Geisel genommen und Raketen auf Israel abgefeuert. Die Hisbollah möchte nicht, dass es Frieden gibt. Der militante Flügel der Hamas-Bewegung möchte auch keinen Frieden. Diejenigen von uns, die Frieden möchten, werden dabei weiterhin zusammenarbeiten.

Was Nordkorea betrifft, habe ich der Frau Bundeskanzlerin gegenüber festgestellt, dass wir uns weiterhin mit Engagement für die Sechser-Gespräche einsetzen und Nordkorea weiterhin dazu auffordern werden, zum Verhandlungstisch zurückzufinden. Wir hoffen, dass es hierbei Fortschritte geben wird.

Wir haben auch die Welthandelsrunde, die Doha-Runde, besprochen. Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema. Es gibt unterschiedliche Interessen. Aber wir haben das gemeinsame Interesse, Märkte zu öffnen. Deutschland ist ein großes Exportland. Es liegt im Interesse Deutschlands, dass die Zolltarife weltweit reduziert werden, genauso, wie es auch in unserem Interesse liegt, dem Interesse der Vereinigten Staaten. Ich habe im September letzten Jahres auch gesagt, dass wir die Agrarsubventionen abbauen werden. Wir möchten nur, dass man beim Zugang zu den Märkten fair vorgeht. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass wir Fortschritte bei der Doha-Runde erreichen können. Harte Arbeit wird erforderlich sein. Man wird diesen Dialog jedoch ausgezeichnet im Rahmen des G8-Gipfeltreffens fortsetzen können.

Wir haben außerdem sehr viele weitere Themen behandelt. ‑ Ich möchte mich erneut ganz herzlich für die Einladung bedanken. Ich freue mich auf das Wildschwein heute Abend. Jetzt haben wir etwas Zeit für Fragen.

FRAGE SCHARLACK: Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen davon, dass man nun andere Wege im Iran-Konflikt einschlagen müsse. Welche Wege werden das sein? Sie sprachen ja das Ergebnis des Außenministertreffens an, dass man die Sache wieder vor den UN-Sicherheitsrat bringen wolle. Wie soll konkret reagiert werden? Wird es noch einmal eine Resolution geben, die nur fordert, oder wird es eine Resolution sein, die schon Sanktionen ausspricht? ‑ Diese Frage richtet sich auch an den Herrn Präsidenten.

BK’IN DR. MERKEL: Der Weg ist ja in diesem Sinne nicht anders, sondern es ist eine neue Stufe. Wir haben jetzt viele Wochen sehr geduldig gewartet, ob der Iran das Angebot prüft und in welcher Weise er darauf reagiert. Wir haben bis jetzt keine belastbare Reaktion erkennen können.

Für uns war immer klar: Die Voraussetzung für Gespräche ist die Suspendierung der Anreicherung (von Uran); dann agieren wir nicht in Richtung von Sanktionen. Jetzt machen wir, weil die Antwort auf sich warten lässt, durch diese gemeinsame Aktion deutlich ‑ also mit einer Resolution, die jetzt eingebracht, diskutiert und dann zu einem bestimmten Zeitpunkt beschlossen wird ‑, was die nächsten Schritte sein werden, wenn der Iran weiterhin keine Antwort auf dieses Verhandlungsangebot geben sollte. Die Wichtigkeit liegt also darin, dass wir noch einmal dokumentieren, dass die Staatengemeinschaft geschlossen diesen Weg weiter geht, und zwar in jede Richtung.

Der Iran hat eine Offerte. Er hat aus meiner Sicht ein sehr gutes Angebot für die Entwicklung seines Landes im Sinne seiner Interessen. Aber wenn der Iran auf dieses Angebot nicht reagiert, wenn er hofft, die Staatengemeinschaft ließe sich zersplittern oder aufteilen, dann wird sich der Iran an der Stelle getäuscht haben. Das dokumentiert diese Resolution noch einmal. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Verhandlung der Außenminister gestern so abgeschlossen werden konnte.

P BUSH: Ich stimme zu, was die Vorstellung betrifft, dass wir nicht das abwarten können, worauf die Iraner ihre Hoffnungen setzen, nämlich die Weltgemeinschaft zu teilen. Aus diesem Grunde sollten wir zu den Vereinten Nationen gehen und mit einer Stimme sprechen. Die Frage lautet, wie schnell dieser Prozess voranschreitet. Meine Antwort dazu wäre: So schnell wie möglich, sodass die Effektivität gegeben ist. Damit habe ich die Frage zugegebenermaßen nicht direkt beantwortet, aber genau genommen braucht man für die Diplomatie natürlich sehr viel Zeit. Es gibt unterschiedliche Interessen, die berücksichtigt werden. Wir haben jedoch das gemeinsame Ziel: Kein Kernwaffenprogramm und keine Atomwaffe!

Übrigens muss ich auch sagen, dass wir schon Sanktionen eingeführt haben, was den Iran betrifft. Aus diesem Grunde ist unsere Position eine andere. Es ist natürlich für mich sehr einfach, mich für Sanktionen auszusprechen. Das ist schon eine Tatsache, die für die Vereinigten Staaten gilt. Aber Diplomatie braucht Zeit, und ich habe der Bundeskanzlerin versichert, dass die Vereinigten Staaten weiterhin daran arbeiten werden zu gewährleisten, dass der Prozess gleichmäßig voranschreitet. Das gemeinsame Ziel ist natürlich: Kein Kernwaffenprogramm, keine Atomwaffe! Meiner Meinung nach möchte (der Iran die Situation) verzögern und gewährleisten, dass überwiegend unterschiedliche Interessen berücksichtigt werden. Meiner Meinung nach wird er enttäuscht sein. Die Koalition ist sehr viel mehr einer Meinung, als er es denkt. Es gäbe durchaus eine Gefahr, wenn der Iran eine Atomwaffe hätte. Ich schätze die Position der Bundeskanzlerin sehr, was diese Frage betrifft.

FRAGE: Was das G8-Gipfeltreffen in St. Petersburg betrifft, möchte ich folgende Fragen stellen: Achtet Russland die Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten, und verhält sich Russland verantwortlich, was die Energiesicherheit betrifft?
Herr Präsident, waren Sie von der Reaktion Putins bei den Aktivitäten des Vizepräsidenten überrascht, nämlich davon, dass der Jagdschuss nicht erfolgreich war?


P BUSH: Das war meiner Meinung nach recht witzig. ‑ Möchtest du die Frage zuerst beantworten?

Wir haben die Aufgabe, Russland daran zu erinnern, dass für gute Beziehungen die Achtung gemeinsamer Werte notwendig ist. Die Pressefreiheit ist ein Wert, den wir miteinander teilen. Ich habe Präsident Putin in der Slowakei daran erinnert und habe auch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ich mir Sorgen über die Pressefreiheit in Russland mache. Es ist wichtig, dass man zum Marktplatz gehen und die Meinung frei äußern kann. Andersdenkende müssen toleriert werden. Es muss auch eine richtige politische Opposition geben. Ich werde diese Botschaft weiterhin vortragen.

Ich habe jedoch auch folgende Ansicht, was Präsident Putin betrifft: Keiner hört gerne ständig Vorträgen zu. Wenn man etwas erreichen möchte, sollte man nicht ständig in der Öffentlichkeit Kritik üben. Man kann natürlich immer daran erinnern, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt. Das sollte man konstruktiv tun, und dann gibt es auch einen positiven Dialog. Ich werde meine Überzeugung hinsichtlich der Bedeutung demokratischer Institutionen und der Notwendigkeit nichtstaatlicher Organisationen betonen sowie, dass es keine Einschüchterung geben soll. Aber ich werde natürlich auch diesen Staatschef mit Respekt behandeln. Ich werde natürlich nicht darüber berichten, was wir im privaten Rahmen besprechen, und das erwarte ich auch von ihm. Aber wir haben natürlich auch gemeinsame Interessen und Probleme, die wir lösen möchten, und ich hoffe, dass er weiterhin versteht, dass es im Interesse seines Landes ist, die gemeinsamen Werte weiter zu verfolgen.

BK’IN DR. MERKEL: Erstens, was die Frage der Energiesicherheit anbelangt: Ich kann mit Blick auf Deutschland sagen, dass Russland in den letzten Jahrzehnten immer ein zuverlässiger Lieferant von Energie war und sich an die Verträge gehalten hat. Wir würden uns allerdings wünschen ‑ das habe ich dem russischen Präsidenten auch gesagt ‑, dass er die Energiecharta wirklich zum Abschluss bringt, d. h. dass er sich zu dieser Energiecharta bekennt. Dann hätten wir eine größere Sicherheit, dass wir ein gemeinsames Verständnis von gegenseitigen Verpflichtungen haben.

Es gibt eine strategische Verbindung zwischen Russland und Europa ‑ das ist überhaupt gar keine Frage ‑, (und zwar) der gesamten Europäischen Union, was auch die Energiezulieferungen anbelangt. Insofern werden wir weiter dafür werben, dass diese Energiecharta von Russland akzeptiert wird und wir damit eine vertraglich legitimierte Sicherheit bekommen. Was die praktische Erfahrung anbelangt, so war Russland immer ein zuverlässiger Lieferant.

Was jetzt die Frage nach Demokratie und Menschenrechten anbelangt, so habe ich bei meinem Besuch in Russland eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen getroffen. Ich habe mich mit ihnen auch darüber unterhalten, was vielleicht in der Entwicklung Russlands wünschbar ist und was auch immer wieder vorgebracht werden muss. Ich spreche mit dem Präsidenten über genau diese Probleme. Ich glaube auch, dass wir einen offenen internen Dialog haben sollten. (Damit ist allerdings nicht gemeint), jetzt sozusagen jeden Tag alles auf dem Marktplatz auszutragen. Dass wir an verschiedenen Stellen unterschiedliche Vorstellungen über die Frage haben, wie eine demokratische, vielfältige, plurale Gesellschaft mit einer gut ausgeprägten Opposition aussieht, das gehört zu den Lebenswirklichkeiten zwischen Russland und Westeuropa.

Wir wünschen uns, dass Russland einen Weg einschlägt, der zu möglichst vielen Rechten für alle Menschen führt, auch zu einer lebendigen politischen Landschaft. Wir haben in Russland längst nicht so eine vielfältige Parteienlandschaft. Das liegt aber an vielen Gründen, auch an historischen Gründen. Ich glaube, dass die Erfahrung von Demokratien ist ‑ und dafür werbe ich im Gespräch mit dem russischen Präsidenten ‑, dass die vielfältige, plurale Meinungsäußerung letztendlich die Stabilität eines Landes fördert. Diese Erfahrung ist eine ganz starke Kraft, die wir auch im Prozess der deutschen Einigung erlebt haben. Es ist manchmal kompliziert, in einer Demokratie Entscheidungen zustande zu bringen, aber sie sind dann in einem hohen Maße legitimiert. Mit dieser Erfahrung gehen wir auch in die Gespräche.

FRAGE GELLINEK: Ich habe eine Frage an Sie beide. Sie haben über den Nahen Osten gesprochen. Wie beurteilen Sie denn die Militäraktion Israels im Libanon? Der französische Außenminister hat sie bereits als unverhältnismäßig kritisiert. Gibt es für Sie ‑ für Europa oder Amerika ‑ Anlass, sich dort einzumischen?
Dann noch eine Frage an den Präsidenten: Abgesehen vom Schwein, welche Einsichten haben Sie schon über Ostdeutschland gewinnen können?


P BUSH: Das Schwein habe ich noch nicht gesehen.

BK’IN DR. MERKEL: Ich auch noch nicht. Ich habe nur gehört: Es war wohl eine Fernsehanstalt dabei, als es geschossen wurde. Insofern können wir uns darauf verlassen, dass es schon erlegt ist. Ich glaube, es müsste jetzt auch schon langsam auf dem Spieß sein, damit es heute Abend noch etwas wird.

Was die Auseinandersetzung im Nahen Osten anbelangt, jetzt insbesondere im Zusammenhang mit dem Libanon, muss man, wie ich finde, immer darauf achten, dass man Ursache und Wirkung nicht durcheinander bringt. Der Ausgangspunkt ist die Entführung von Soldaten, und der Ausgangspunkt ist auch das Wirken der Hisbollah. Deswegen ist es jetzt ganz wichtig, dass im Libanon die Regierung, die auf einem guten Weg ist, gestärkt wird und auf der anderen Seite auch gezeigt wird, dass diese Übergriffe ‑ siehe die Soldatenentführungen ‑ nicht akzeptabel sind. Wir können die beteiligten Seiten nur auffordern, Augenmaß zu wahren.

Aber ich bin nicht dabei, wenn es darum geht, Ursache und Wirkung durcheinander zu bringen. Der Ausgangspunkt ist einer, der wieder gut gemacht werden muss. Es muss agiert werden, und zwar nicht von der israelischen Seite, sondern von der Seite derer, die dort die Angriffe gestartet haben.

P BUSH: Wir arbeiten aktiv daran, sodass Ruhe einkehrt. Unsere Diplomaten sind natürlich in der Region. Außenministerin Rice, die auch hier anwesend ist, telefoniert mit ihren Kollegen. Ich werde auch Anrufe durchführen. Ich habe Ihnen schon meinen ersten Eindruck geschildert: Es ist eine traurige Situation, wenn es durchaus Möglichkeiten für die Zwei-Staaten-Lösung gäbe und Menschen dann unschuldige Menschen ums Leben bringen, um diesen Prozess zu stoppen. Das ist sehr bedauerlich. Israel hat natürlich auch das Recht auf Selbstverteidigung. Jede Nation muss sich gegen terroristische Angriffe und das Töten unschuldigen Lebens verteidigen können. Das gehört zum Leben im 21. Jahrhundert.

Zweitens. Die Maßnahmen Israels sollten die neue Regierung im Libanon nicht schwächen. Wir machen uns Sorgen über die Zerbrechlichkeit der Demokratie im Libanon. Wir arbeiten mit den Vereinten Nationen und internationalen Partnern zusammen, um die Demokratie im Libanon zu stärken. Die Menschen im Libanon haben Hoffnung auf Demokratie, und diese Hoffnung wird durch die Hisbollah untergraben.

Drittens muss für Syrien eine Rechenschaftspflicht gelten. Wenn wir tatsächlich möchten, dass Ruhe einkehrt, muss der Soldat, der als Geisel genommen worden ist, zurückgegeben werden, und Präsident Assad muss rechenschaftspflichtig sein, was den Frieden betrifft.

FRAGE: Um bei diesem Thema nachzuhaken: Machen Sie sich Sorgen darüber, dass der Flughafen in Beirut bombardiert worden ist? Gibt es das Risiko, dass es zu zusätzlichem Kriegsgeschehen kommt?
Was den Iran betrifft: Haben Sie jetzt mehr Zeit? Ist die Frist verlängert worden?

P BUSH: Ich dachte, es würde um das Schwein gehen. Aber ich werde morgen sagen, wie mir das Schwein schmeckt, nachdem ich davon gekostet haben werde.

Die Iran-Frage wird natürlich an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weitergeleitet werden. Wir haben den Iranern Folgendes mitgeteilt: Sie haben jetzt die Chance, Fortschritte zu erzielen, und wir erwarten, dass es eine Antwort innerhalb eines angebrachten Zeitrahmens gibt. Wir müssen natürlich auch klar darstellen, dass wir tatsächlich meinen, was wir sagen. Wir haben gesagt, dass eine angebrachte Frist von Wochen, nicht von Monaten gesetzt wird. Das hatten wir den Iraner gesagt, und das haben sie uns anscheinend nicht geglaubt. Jetzt werden wir beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorstellig. Hierüber herrscht bei uns Einigkeit. Die Frist ist abgelaufen, und deswegen gibt es diesen Verweis an den Sicherheitsrat. Der Sicherheitsrat hat sehr viel Zeit. Das ist natürlich die Entscheidung der Iraner.

Wir haben unsere Entscheidung getroffen. Wie Angela schon erwähnt hat, ist ein ordentliches Angebot unterbreitet worden, sodass (die Iraner) eine Entscheidung über den Weg nach vorne treffen konnten. Wir haben Folgendes gesagt: Wir möchten natürlich, dass es Beziehungen gibt, aber sie dürfen nicht über eine Atomwaffe verfügen. Es wäre natürlich sehr gefährlich, wenn der Iran in fünf Jahren eine Atomwaffe hätte und uns dann alle sagen würden: Ihr habt nicht aufgepasst. Wo wart ihr damals, als das geschehen ist? – Wir haben „Wochen“, nicht „Monate“ gesagt, und jetzt werden wir beim Sicherheitsrat vorstellig. Wir möchten damit natürlich nicht sagen, dass es keine weiteren Verhandlungen geben wird, aber (die Iraner) müssen eindeutig nachweisen, dass sie die Anreicherung aussetzen, wenn wir an den Verhandlungen teilnehmen sollen. Das hatten wir vor allem betont, und das muss nachweisbar sein.

Wie lautete der vierte Teil der Frage?

ZUSATZFRAGE: Es ging um den Angriff auf den Flughafen in Beirut. Wird es zu einer Eskalation der Situation im Nahen Osten kommen?

P BUSH: Ich habe folgendes Anliegen: Die ergriffenen Maßnahmen dürfen die libanesische Regierung nicht schwächen. Die Demokratie im Libanon ist ein wichtiger Bestandteil der Grundlage für den Frieden in dieser Region. Wir haben hart daran gearbeitet, zu gewährleisten, dass Syrien nicht mehr im Libanon anwesend ist. Das ist der Sicherheitsratsbeschluss 1559. Das war ein deutliches Wort der internationalen Staatengemeinschaft zum Abzug Syriens aus dem Libanon. Wir waren immer der Meinung, dass dieser Schritt wichtig für die Menschen im Libanon und auch für die Region insgesamt ist.

Wir haben folgendes Anliegen: Die eingeleiteten Schritte sollten die libanesische Regierung nicht schwächen. Dabei muss man berücksichtigen, dass man sich selbst verteidigen können muss. Es gibt Menschen, die Bomben in die Luft gehen lassen, um strategische Ziele zu erreichen. Das ist eine erstaunliche Aussage: Man ist bereit zu töten, um den Frieden zu stoppen. Wir haben die Möglichkeiten, zwei Demokratien zu haben ‑ die Zwei-Staaten-Lösung ‑, Seite an Seite in Frieden. Es gibt einen Weg nach vorne, nämlich die „Roadmap“. Die terroristischen Angriffe und Aktivitäten (sollen) das Erreichen dieses Ziels verhindern. ‑ Herzlichen Dank.



* Quelle: Website der Bundesregierung; www.bundesregierung.de


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