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"Bush geht buchstäblich über Leichen"

Friedensforscher Peter Strutynski über Protest-Gründe gegen Bush

Die Politik des US-Präsidenten stößt bei Friedensaktivisten auf scharfe Kritik. Egal, wo George Bush erscheint, kommt es meist zu lautstarken Protesten. Für den Politikwissenschaftler Peter Strutynski liegen die Gründe für die Proteste auf der Hand. Eine Politik, "die über Leichen geht", gefällt den Menschen eben nicht, sagt er im Gespräch mit heute.de. Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag glaubt auch die meisten Stralsunder Bürger auf der Seite der Protestierer.
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview von zdf-heute. Die Fragen stellte Kai Budde.



heute.de: Sie sind doch ein ständiger "Reisebegleiter" von George W. Bush, wenn dieser in Deutschland weilt?

Peter Strutynski: Das ist richtig. Zwar befinde ich mich nicht unbedingt im offiziellen Tross des Präsidenten, aber ich habe an allen bisherigen Präsidentenheimsuchungen in Deutschland teilgenommen. Das war im Mai 2002 in Berlin der Fall, das war so im Februar 2005 in Mainz. Und ich werde es mir nicht nehmen lassen, am 13. Juli in Stralsund dabei zu sein. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich stets als Demonstrant aufgetreten bin.

heute.de: Was stört sie am US-Präsidenten?

Peter Strutynski: Da gäbe es vieles aufzuzählen. Eines muss aber klargestellt werden: An der Person Bush stört mich wenig, da ich ihn persönlich gar nicht kenne. Mich stört vielmehr seine Politik, die von einem missionarischen Sendungsbewusstsein ausgeht, das die Interessen der USA (oder das, was Bush dafür hält) als einzigen Maßstab der US-Außenpolitik gelten lässt.

heute.de: Was meinen sie genau?

Peter Strutynski: Bush geht buchstäblich über Leichen: In Afghanistan, im Irakkrieg und möglicherweise in einem nächsten Krieg, der sich gegen den Iran wendet. Zudem stört mich die Verlogenheit der US-Politik, die für ihre banalen Kriegszüge fadenscheinige Vorwände erfindet. Beim Krieg gegen Afghanistan war das der Terrorangriff des 11. September 2001, beim Irakkrieg waren das angebliche Massenvernichtungswaffen, über die Saddam Hussein verfügt haben soll, und beim Iran ist es ein heimliches Atomprogramm, mit dessen Hilfe der Iran nach Atomwaffen strebt.

heute.de: Meinen Sie, er bekommt etwas davon mit, was Sie lautstark einfordern?

Peter Strutynski: Das glaube ich schon. Die Abschirmung, hinter der sich Bush - angeblich aus Sicherheitsinteressen - verbirgt, ist doch durchlässig für Nachrichten. Nachrichten, die über die Ablehnung seiner Politik hier in Deutschland Auskunft geben, etwa die große Mehrheit der Bevölkerung, die sich entschieden gegen ein militärisches Eingreifen gegen den Iran ausgesprochen hat.

Bush wird auch in den USA mitgekriegt haben, dass sich seine Popularität längst verflüchtigt hat und einer Mehrheitsstimmung gegen ihn gewichen ist. Wären heute Wahlen in den USA, könnte er gerade noch auf 30 bis 35 Prozent der Stimmen rechnen. Die Frage ist nur, inwieweit ihn solche Nachrichten beeindrucken. Solange ihm Regierungen wie die Merkels in fester Bündnistreue die Stange halten, wird er wenig Anlass haben, seine aggressive Kriegspolitik zu ändern.

heute.de: Welches Ziel verfolgen Sie?

Peter Strutynski: Ziel der Proteste ist es, den Druck auf die Regierenden zu verstärken, damit die ihre Absichten nicht verwirklichen können. Als der damalige Bundeskanzler Schröder im Sommer 2002 auf einen Anti-Irakkriegs-Kurs umschwenkte, war das den eindeutigen Ergebnissen von Meinungsumfragen geschuldet, die in der Bevölkerung eine klare Antikriegshaltung festgestellt hatten. Um auch nur den Hauch einer Chance zu haben, die anstehende Bundestagswahl zu gewinnen, musste Rot-Grün den Kriegskurs der USA kritisieren.

heute.de: Zählt also allein die Medienaufmerksamkeit, die Sie durch die Demonstration in Stralsund erzielen?

Peter Strutynski: Die Medien sind wichtig, aber sie sind nicht alles. Wichtig ist auch, dass die Friedensbewegung neben dem Eventschauplatz Stralsund auch in vielen Städten des Landes mit Aktionen wie "Bush-Trommeln" die Öffentlichkeit direkt erreicht.

heute.de: Ist die Demo in Stralsund eine Art Probelauf für den G8-Gipfel im kommenden Jahr im benachbarten Heiligendamm?

Peter Strutynski: Das mag man so sehen, zumal der Präsident auch diesmal schon in Heilgendamm Station macht. Sicher gibt es auch einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Stralsund und Heiligendamm - zumal sich Bush diesmal ja auch schon auf dem Weg zu einem G8-Gipfel befindet, nämlich dem in St. Petersburg. Die globalisierungskritische Bewegung kritisiert an Bush dessen neoliberale Weltwirtschafts- und Freihandelspolitik, die Friedensbewegung konzentriert sich mehr auf die kriegerischen Folgen dieser Politik. Beides gehört unmittelbar zusammen.

heute.de: Sie haben die "Festung Mainz" vergangenes Jahr beim Bush-Besuch miterlebt. Meinen Sie, auch Stralsund wird in eine Art Geisterstadt verwandelt?

Peter Strutynski: Die Stadt hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie kein zweites Mainz sein möchte. Das ist löblich. Uns scheint allerdings, dass die Sicherheitsansprüche des Präsidenten doch auch wieder hier voll durchschlagen und zum Beispiel zu einer totalen Sperrung des historischen Altstadtkerns führen. Unser Protest darf sich nur außerhalb dieser weiträumigen Sicherheitszone abspielen. Er muss daher noch lauter und vielfältiger und bunter ausfallen, damit der Kontrast zur "Geisterstadt" und zu den Politgespenstern innerhalb der Sicherheitszone umso deutlicher ausfällt.

heute.de: Was halten sie davon?

Peter Strutynski: Gar nichts! Es symbolisiert die riesige Distanz zwischen dem US-Präsidenten, der sich offenbar nur noch in einem "Hochsicherheitstrakt" sicher fühlt, und der Bevölkerung.

heute.de: Wie ist denn das Echo seitens der Bevölkerung auf ihren Protest?

Peter Strutynski: Soweit ich die Meldungen aus Stralsund und der Region richtig lese, stößt der Staatsbesuch doch überwiegend auf Skepsis bis Ablehnung. In dieser wirtschaftlich schwach strukturierten Region mit hoher Arbeitslosigkeit werden auch die immensen Kosten für den Staatsbesuch von vermutlich rund 20 Millionen Euro kritisch hinterfragt. Für die Arbeitslosen, die Hartz-IV-Empfänger, die Schüler und Studierenden bringt der Besuch des US-Präsidenten nichts.

heute.de: Nun könnte jemand kommen und sagen, Bush schwenkt auf einen anderen Kurs hinsichtlich Europa ein. Was kontern sie?

Peter Strutynski: Meine Befürchtung ist, dass die beschwichtigenden Signale in Sachen Iran-Politik die Öffentlichkeit in Sicherheit wiegen sollen: Wir wollen ja verhandeln. Es wird also nicht zum Krieg kommen. Auf der anderen Seite besteht der Westen (einschließlich Berlin) auf Vorbedingungen, die für den Iran augenscheinlich unannehmbar sind. Irgendwann wird also der Tag kommen, wo Bush und Merkel, Blair und Chirac sagen werden: Wir haben alles versucht, aber der Iran ist unnachgiebig. Nach allen Regeln der "präventiven" Kriegspolitik der USA und der NATO würde dann ein Mechanismus in Gang gesetzt, der in einem Krieg enden könnte. Eben darüber müssen wir informieren, um die Bevölkerung gegen einen Krieg zu immunisieren.

heute.de: Und was sollte Merkel ihrem Besucher mit auf den Weg geben?

Peter Strutynski: Sie sollte ihm mit auf den Weg geben, dass Deutschland für einen weiteren Krieg nicht zu haben ist, dass Deutschland den Krieg ablehnt und aus diesem Grund den USA die Nutzung der Militärstützpunkte für die Kriegsführung verweigert. Das würde die USA empfindlich treffen.

heute.de. Die Bundeskanzlerin findet diese Worte?

Peter Strutynski: Ich wage die Prognose, dass Frau Merkel nichts von alledem tun wird. Erinnern wir uns: Frau Merkel hatte als CDU-Parteivorsitzende vor dem Irakkrieg die USA besucht und dem Präsidenten die volle Unterstützung der CDU/CSU für den Kriegskurs zugesagt. Und Frau Merkel hat in scharfmacherischer Manier auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2006 davon gesprochen, dass der Iran "die rote Line überschritten" hätte. Das ist sprachliche Kriegsvorbereitung.

heute.de: Sollte man Bush wieder einladen nach Deutschland?

Peter Strutynski: Darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Besuche des US-Präsidenten solange auf Kritik und Protest stoßen, solange die USA nicht Abschied genommen haben von ihrer arroganten Machtpolitik. Das Problem der USA ist nicht der internationale Terrorismus, sondern sind die USA selbst. Dieses große, wirtschaftlich starke Land mit einer so beeindruckenden Geschichte und Kultur hat besseres verdient als einen Präsidenten, der nur Öl, Rohstoffe und die Renditen der US-Konzerne im Kopf hat.

Interview: Kai Budde - Stralsund, 12.07.2006

Das Interview wurde am 12. Juli 2006 auf der Website von ZDFheute.de veröffentlicht; www.zdf.de


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