Berichterstattung über die Ostermärsche 2003
Friedensbewegung in den Medien
Zu den diesjährigen Ostermärschen gibt es zahllose Pressemeldungen in überregionalen und lokalen Zeitungen. Wir können hier nur eine kleine Auswahl davon dokumentieren.
Beginnen wollen wir mit einer Übersicht über die Aktivitäten, die sich relativ eng an den Angaben der Organisatoren orientiert, aus der "jungen Welt":
In 105 deutschen Städten und einigen im benachbarten Ausland
haben über die Feiertage die traditionellen Ostermärsche
stattgefunden, die dieses Jahr ganz im Zeichen des Irak-Krieges
standen. Während einige Medien und Nachrichtenagenturen die
Teilnehmerzahl kleinrechneten und an den vorhergegangenen
Friedensdemonstrationen maßen, zeigte man sich im zentralen
Ostermarsch Büro in Frankfurt am Main zufrieden. Etwa doppelt so
viele Menschen wie im Vorjahr seien zu den Märschen gekommen,
deren Anzahl zudem größer gewesen sei, hieß es auf Nachfragen der
jW. Beim Netzwerk Friedenskooperative hieß es: "Niemand in den
Friedensorganisationen hatte erwartet, daß man zu Ostern an die
riesige Beteiligung zu Kriegsbeginn anknüpfen könne. Die
Osteraktionen haben eine verjüngte und selbstbewußte Bewegung
gezeigt."
Zu den Aufrufern hatten neben den alten Friedensorganisationen
auch zahlreiche neue örtliche Bündnisse, das globalisierungskritische
Netzwerk ATTAC sowie verschiedene Gewerkschaftsgliederungen
gehört. Von Mülheim bis Saßnitz, von Aalen bis Zwickau
demonstrierten mehrere zehntausend Menschen. Weitere
Ostermärsche gab es in den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz
und Österreich. An den größten Märschen nahmen jeweils über 5000
Menschen teil, so in Frankfurt/ Main, im nordbrandenburgischen
Fretzdorf und in Hamburg. Dort mahnte der Schauspieler und
Gewerkschafter Rolf Becker die Teilnehmer, auch gegen den "Krieg
im Inneren", die schlimmsten sozialen Einschnitte in der Geschichte
der Bundesrepublik, zu kämpfen. Ein Thema, das auch andernorts
aufgegriffen wurde. Im schleswig-holsteinischen Kiel machten Redner
zum Beispiel auf die wachsende Unterdrückung im Inneren
aufmerksam, die mit der Militarisierung der Außenpolitik einher gehe.
In Berlin gingen etwa 2000 Menschen auf die Straße.
Im Mittelpunkt der meisten Reden stand allerdings die scharfe Kritik
am Irak-Krieg, der aus wirtschaftlichen und geostrategischen
Interessen geführt worden sei. Vielfach waren Forderungen nach
dem Rückzug der Besatzer zu vernehmen. Insbesondere wurde die
Bundesregierung angegriffen, da sie der Allianz nicht die
Überflugrechte verweigert und "praktische Unterstützung" geleistet
habe.
Auch die Aufrüstung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee
und der Aufbau einer EU-Militärmacht wurden von einigen Rednern
angegriffen. Wiederholt wurde auf die neuen Verteidigungspolitischen
Richtlinien hingewiesen, die im Mai vorgelegt werden sollen und
vermutlich das Konzept eines vorbeugenden Krieges beinhalten
werden.
Vielfach wurde in Kundgebungsreden und auf Transparenten die
Stärkung der Vereinten Nationen gefordert und den USA Bruch des
Völkerrechts vorgeworfen. Weit verbreitet war die Forderung, die
UN-Vollversammlung solle das Vorgehen der Angreifer verurteilen.
Einige Redner merkten allerdings kritisch an, daß die UNO das
Sanktionsregime gegen den Irak durchgesetzt habe.
In einigen Orten drängten sich Vertreter der Regierungsparteien der
Friedensbewegung auf. In Fretzdorf sprach auf dem dortigen "11.
Osterspaziergang" vor über 6000 Menschen der
Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Hans-Christian
Ströbele. Für den geplanten Bombenabwurfplatz, das sogenannte
Bombodrom, gebe es "keine militärische Notwendigkeit". Die
Übungseinsätze der Luftwaffe seien insgesamt um ein Drittel
zurückgegangen. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder weiterhin
"Friedenskanzler" sein wolle, müsse er das "Bombodrom"
verhindern.
In Frankfurt am Main nutzte der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar
Lafontaine die Gelegenheit, scharfe Kritik an den Kahlschlagsplänen
der Bundesregierung zu üben. "Eine Rückfahrt ins 19. Jahrhundert
ohne Kündigungsschutz und Arbeitnehmerrechte brauchen wir nicht",
erklärte der 1999 von allen politischen Ämtern zurückgetretene
Exbundesfinanzminister vor über 7 000 Menschen.
Im baden-württembergischen Heidelberg richtete sich die
Friedensdemonstration gleichzeitig gegen einen Aufmarsch von
knapp hundert Neonazis, die die Kritik an den USA für sich ausnutzen
wollten. Rund 2000 Ostermarschierer verhinderten den
Neonazi-Aufzug. Daß diese "Morgenluft wittern", sei kein Wunder,
meinte Michael Csaszkóczy von der Antifaschistischen Initiative
Heidelberg. "Maßgebliche Politiker diskutieren offen darüber, ob es
nicht an der Zeit sei, Folter wieder offiziell zu legalisieren. Und all das
wird begleitet von einer Rhetorik, die verkündet, (...) daß wir
international einen ›deutschen Weg‹ beschreiten müßten und daß
Deutschland wieder selbstbewußter in der Weltpolitik aufzutreten
habe." Daher müsse die Friedensbewegung unbedingt klarstellen,
daß es nicht darum gehen kann, ein deutsches oder europäisches
Gegengewicht zu den USA aufzubauen.
junge Welt
***
Auch in Fürth fand wieder ein Osternmarsch statt. Er endete später in Nürnberg.
(...) Vergangenes Jahr erst hatte der Ostermarsch nach zwölfjähriger Pause in Fürth
seine Wiedergeburt erlebt. Gut 100 Menschen werden es heuer gewesen sein -
mehr als doppelt so viele wie jene, die 2002 für den Frieden auf die Straße gingen.
Vom Schüler bis zum Rentner einte sie der Wunsch nach einer Welt ohne Krieg und
Hass. Mobilisiert hatte sie vor allem der Krieg im Irak.
Mehrere Gruppen ziehen in Fürth an einem Strang. Gemeinsamer Treffpunkt ist der
Weltladen in der Königstraße. Jost Gruber von der Deutschen Friedensgesellschaft
lobt die gute organisatorische Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Gestern war es
ein Megafon aus dem Gewerkschaftshaus, mit dem den Ostermarschierern aus der
Patsche geholfen wurde. Vor der Illusion, der Krieg sei vorbei, warnte
Attac-Sprecher Jürgen Baran mit Blick auf die vielen Krisenherde und sagte: "Das
geht immer weiter, so lange einer seine wirtschaftlichen Interessen auf Kosten
anderer durchsetzt." Im Windschatten der Weltmächte seien auch deutsche
Großkonzerne daran beteiligt, andere Länder auszuplündern.
Für ein friedliches Zusammenleben machte sich Heinrich Häberlein als Leiter des
internationalen Schülerprojekts "Vertrauen überwindet Grenzen" stark. Weil die
Grenzen in den Köpfen noch lange nicht weg seien, müsse schon in jungen Jahren
Vertrauen geschaffen werden. (...)
Fürther Nachrichten, 22.04.2003
***
In den Nürnberger Nachrichten (Bericht: SABINE STOLL UND PETER MILLIAN) heißt es über den regionalen Ostermarsch u.a.:
(...) "Ich bin jetzt seit 50 Jahren bei
Ostermärschen dabei - erst gegen die Wiederbewaffnung,
später gegen den Kalten Krieg und jetzt gegen den
Irak-Krieg." Die 80-jährige Lia Heinrich aus Fürth steht,
ausgestattet mit Gehwägelchen und Friedensfahne, in der
ersten Reihe der Demonstranten vor der Nürnberger
Lorenzkirche. Ihr 76-jähriger Lebensgefährte Hermann
Kraus begleitet sie seit langem. "Ich war bereits mit 16
Luftwaffenhelfer und danach in der Rüstungsindustrie -
ich hab' die Schnauze voll vom Krieg", begründet er sein
Engagement.
Viele Demonstranten sind zum fünften, zum zehnten, zum
zwanzigsten Mal dabei - der harte Kern der Friedensbewegung, für den es längst
zum Ritual geworden ist, an Ostern auf die Straße zu gehen. "Wir sind die, die
früher lächelnd als Spinner bezeichnet wurden", sagt der Nürnberger Karl Kolleth
(70), Ostermarschierer seit 1984. Doch das Bild ist in diesem Jahr ein anderes.
Unter die Altvorderen mischen sich mit regenbogenfarbenen Pace-Fahnen
beflaggte Demonstranten, die ihre freien Tage sonst lieber auf der Couch
verbringen. "Der Irak-Krieg war der Auslöser. Wenn der nicht wäre, wären wir zu
Hause geblieben", geben Rainer (33) und Alexandra Prinz (32) aus Waischenfeld
(Kreis Bayreuth) zu, während sie ihr eineinhalb Jahre altes Töchterchen im
Kinderwagen vor sich herschieben.
(...) Das Nürnberger "Schülerbündnis gegen den Krieg" unterstützt
den Protest. Junge Leute laufen vom Kopernikusplatz mit Plakaten, auf denen
Anti-Bush-Parolen stehen, zur Kundgebung an der Lorenzkirche. Es sind
diejenigen, die schon bei den Schulstreiks und den Freitagsdemos dabei waren.
Diejenigen, die der Friedensbewegung eine Frischzellenkur verpassen. Diejenigen,
die Pace-Flaggen auch mal als dekoratives Halstuch verwenden. "Da wird die
Lebenslust in die Kritik eingebaut. Das unterscheidet uns von ihnen", sagt
Hans-Joachim Patzelt.
"Uns" - das ist das Nürnberger Friedensforum, das unter dem Motto
"Angriffskrieg ist ein Verbrechen" zum 22. Nürnberger Ostermarsch aufgerufen
hat. Rund 2500 Menschen folgen dem (...)
Ob die Friedensbewegung dauerhaft von der aktuellen Empörung gegen den
Irak-Krieg profitiert? "Das, was an Abneigung da ist, wird sich bei einigen
verfestigen", ist Patzelt sicher. "Das geht den Menschen nicht verloren, auch
wenn sie nicht gleich wieder auf die Straße gehen, wenn wir rufen." (...)
"Wir sind Sozialisten und Gewerkschafter und gegen diesen Krieg, weil er keine
Probleme lösen hilft, sondern nur neue schafft", sagt Dogan Ünal vom Türkischen
Freundschafts- und Solidaritätsverein in Nürnberg. Er und 50 seiner Landsleute
haben sich mit einem riesigen Transparent eingereiht, "weil wir Solidarität im
Kampf gegen den Krieg zeigen wollen".
(...) Weniger Elan für musikalische Späße zeigte die 30-köpfige Radlergruppe, die den
Demo-Tag bereits in den frühen Morgenstunden vor den Toren des
Truppenübungsplatzes in Grafenwöhr begonnen hatte. Der Oberpfälzer Rainer
Knoll vom Bündnis umweltbewusster Bürger und der Arzt Helmut Sörgel von der
Nürnberger Sektion der "Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW) waren
danach bis zum Nürnberger Flughafen geradelt, um dort vor einer "weiteren
Militarisierung der Region und des Flughafens" zu warnen.
Dort wie auch vor der Lorenzkirche wandte sich Sörgels Kollegin Elisabeth
Wentzlaff gegen eine Politik, "die erst zerstört, um dann heilen zu wollen". Aber:
"So haben wir uns unsere Arbeit nicht vorgestellt." (...)
Riesiger Beifall schließlich für Tatjana Sambale, die Sprecherin des Nürnberger
Schülerbündnisses gegen den Irak-Krieg. Erstmals sei auch ihnen, den Jungen,
klar geworden, dass die USA für sich das "Recht auf jederzeitige Kriegsführung"
in Anspruch nähmen - und dafür durchsichtige Bedrohungsszenarien erfänden.
Massenvernichtungswaffen im Irak? "Mal sehen, was der Osterhase in Gestalt
von Präsident Bush den Irakern ins Nest gelegt hat", orakelt die Schülerin listig
unter lautem Applaus. "Wir werden weitermachen", sagt sie, "und ihr solltet es
uns nachmachen."
Nürnberger Nachrichten, 22.04.2003
***
In Ulm wurde der Ostermarsch nach langjähriger Pause wiederbelebt. (Den Webmaster freut das besonders, weil er einen seiner ersten Ostermärsche selbst in Ulm mitmachte: 1968!). Ein Bericht aus der Augsburger Allgemeinen (von Saskia Stüven-Kazi):
(...) Zum ersten Ostermarsch nach zwölf Jahren in Ulm hatte das
Friedensnetzwerk aufgerufen - und mehr als 500 Demonstranten für
den Frieden waren gekommen. Viele von ihnen hatten sich die
regenbogenbunten Pace-Fahnen um die Schultern geschlungen oder
trugen blaue Luftballons mit der weißen Friedenstaube. "Die
Friedensbewegung ist ja kein organisierter Verein mit
Mitgliederversammlungen", sagte Markus Kienle, Mitorganisator und
Fraktionssprecher der Grünen im Ulmer Gemeinderat, über die lange
Pause. Aber jetzt würden die Leute spüren, dass man etwas tun
müsse.
(...) Auf ihrem Demonstrationszug durch die Stadt wandten sich die
Teilnehmer auch gegen die Diffamierung und Verfolgung von
Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern. In seiner Rede wies
Markus Kiefer vom Friedensnetzwerk auf das Ulmer
Deserteursdenkmal hin, das von der Ulmer Künstlerin Hanna
Stütz-Menzel gestaltet und 1989 vor dem Roxy eingeweiht wurde.
Auf Beschluss des Gemeinderats musste das Denkmal jedoch wieder
abgebaut werden. "Es ist eine Schande, dass es in Ulm, der
Heimatstadt von Sophie und Hans Scholl, zwar Raum für viele
kriegsverherrlichende Denkmäler gibt, dass aber ein
Deserteursdenkmal anscheinend unerwünscht ist", empörte sich
Kiefer. (...)
Weitere Stationen auf dem Ostermarsch waren die Kriegerdenkmale
Ecke Olgastraße/Frauenstraße und Karlstraße/Stuttgarter Straße,
bevor bei der Abschlusskundgebung vor der Wilhelmsburg
Friedensluftballons gestartet wurden. Auch der 12-jährige Julian aus
Blaustein marschierte, zusammen mit seiner Mutter, tapfer mit. "Wir
haben in der Schule viel über den Irak-Krieg geredet, das hier ist
meine erste Demonstration", sagt der Schüler.
Auch Christiane Schumacher möchte mit ihrer Teilnahme am
Ostermarsch ein Zeichen setzen. Die 50-Jährige hat selbst für vier
Jahre in Amerika gelebt und ist 1990 nach Deutschland
zurückgekehrt. "Ich fühle mich sehr gespalten, da wir sehr gerne in
Amerika gelebt haben, aber wie sich die Gesellschaft unter Bush
verändert, ist sehr bedenklich", findet Christiane Schumacher, Mutter
von zwei Söhnen. Und der Frieden sei immer ein Grund, zu
demonstrieren. "Wenn in Ulm in der letzten Zeit was los war, sind wir
immer mit dabei gewesen." Toll finde sie vor allem, dass sich so viele
Schüler engagiert hätten. "Früher waren mir die Ostermärsche zu
radikal", erzählt sie und lacht, "heute sehe ich das anders". Als eine
"Mordssauerei" empfindet die 24-jährige Daniela aus Ulm den
Irak-Krieg. Deshalb sei sie auch zum ersten Mal beim Ostermarsch
dabei. "Man muss schließlich auch persönlich was für den Frieden
tun", meint ihre Freundin Sonja.
Augsburger Allgemeine, 22.04.2003
***
In der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt kamen mehrere Tausend zusammen. Ein Bericht der Stuttgarter Nachrichten (Auszüge):
(...) Ein Bandwurm aus
tausenden Kriegsgegnern setzt sich in Bewegung. Die
regenbogenbunten Pace-Fahnen stehen hoch im Kurs, die
Friedenstaube flattert im frischen Wind. Auf Transparenten
wird der "imperialistische Krieg" gegeißelt, aber auch Kritik an
den Reformplänen der Bundesregierung und an
Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird geübt: "Den
Sozialstaat hier verteidigen - nicht am Hindukusch."
"Wir hier gehören zu den Gewinnern - die Friedensbewegung
ist gewachsen und weltweit vernetzt", freut sich Dieter
Lachenmayer, Sprecher des Friedensnetzes
Baden-Württemberg. Einerseits hat er Recht - im bunten Zug
der Demonstranten sind wieder mehr Normalbürger zu sehen,
die nicht für eine Organisation, sondern nur für ihre
Überzeugung auf die Straße gehen. Andererseits ist die
größte Welle der Empörung schon wieder abgeebbt. Nach
Polizeiangaben sind 2500 Menschen unterwegs. Kaum mehr
wie in den Vorjahren (...)
(...) "Ein schneller Sieg macht
aus einem falschen Krieg keinen richtigen", betonte der
DGB-Landesvorsitzende Rainer Bliesener. "Er war und bleibt
ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg." Bliesener kritisierte
die USA scharf und warf ihnen Kolonialismus vor: "An die
Stelle des Rechts haben sie die Macht des Stärkeren gesetzt."
Die Frage sei: "Wer wird der Nächste sein im Kampf gegen
das von Bush beschworene Böse?" Die Bundesregierung
forderte er auf, keine Zahlungen zum Wiederaufbau zu
leisten. (...) Jürgen Grässlin, Bundessprecher der
deutschen Friedensgesellschaft, kritisierte deutsche
Waffenlieferungen und forderte ein Eintreten für weltweite
Abrüstung: "Wir lassen uns unsere Hoffnung auf Frieden
nicht nehmen."
Stuttgarter Nachrichten, 22.04.2003
***
Ein Novum: In Konstanz stand die Osterkundgebung unter der Schirmherrschaft der Stadt Das St. Galler Tagblatt aus der Schweiz berichtete vom grenzüberschreitenden Bodensee-Ostermarsch u.a.:
(...) Der Ostermarsch hatte getrennt in Konstanz und
Kreuzlingen begonnen. An der Grenze schlossen sich die
rund 200 Demonstranten aus der Schweiz den 800 aus
Deutschland und Österreich an. Angeführt von
Samba-Trommlern marschierten die Protestierenden
gemeinsam durch die Konstanzer Innenstadt. Viele der
Ostermarschierer trugen die als Protestzeichen gegen den
IrakKrieg bekannt gewordene regenbogenfarbene
italienische Friedens-Fahne mit sich. Auf Plakaten der
Ostermarschierer hiess es: "Stoppt den
Kriegsmaterialexport", "Wir wollen uns nicht an Krieg
gewöhnen" oder "Geldgier zerstört unsere Welt". In den
Zug der Demonstranten hatten sich auch viele Familien mit
Kindern eingereiht.
(...) Bei der Schlusskundgebung im
Konstanzer Stadtgarten sprachen sich verschiedene Redner
scharf gegen Krieg als Mittel der Politik aus. Sie verurteilten
das militärische Vorgehen der USA im Irak und forderten ein
Ende des Ausbeutungskriegs der reichen gegen die armen
Staaten. Zum Auftakt der Kundgebung wurde eine
Grussbotschaft von Oberbürgermeister Horst Frank verlesen,
Schirmherr der Demonstration. Sabine Mandak,
Nationalratsabgeordnete der Grünen in Österreich, nannte
die amerikanische Idee vom Präventivkrieg - zuschlagen,
bevor es möglicherweise ein anderer tut - einen
"Wahnsinn", der die Spirale der Gewalt weiter
hochschrauben werde. (...)
"Wer Krieg sät, wird nicht Frieden ernten", warnte Beat
Dietschy von der Ökumenischen Arbeitsstelle in St. Gallen.
Auch er kritisierte die Amerikaner, die sich das Recht auf
einen Präventivschlag herausnähmen. Dietschy forderte
unter anderem ein Verbot, Waffen an Krieg führende Länder
auszuführen. Der Politikwissenschaftler Tobias Pflüger
kritisierte das Verhalten der Deutschen Regierung, die
diplomatisch den Krieg gegen den Irak abgelehnt, ihn aber
dennoch durch Einräumen von Transportmöglichkeiten über
die Bundesrepublik begünstigt habe. Der Mitarbeiter der
"Informationsstelle Militarisierung" in Tübingen warnte vor
neuen Bundeswehrkonzepten, die ebenfalls auf der Idee
vom Präventivkrieg beruhten. Die Kundgebung mündete in
ein Open-Air-Konzert mit verschiedenen Gruppen.
St. Galler Tagblatt, 22.04.2003
Und als Dreingabe teilte die Zeitung noch folgendes unter dem Stichwort "Ostermarsch" mit:
Zum Ostermarsch aufgerufen hatten 50 Organisationen der
Friedensbewegung, von Gewerkschaften, Parteien und der
Kirche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die
Kundgebung stand unter der Schirmherrschaft der Stadt
Konstanz. Statt der angekündigten mindestens 1000
Teilnehmer aus der Ostschweiz waren es lediglich 200. (red.)
***
Vom "Schwäbischen Meer" an die Wasserkante im Norden der Republik. In Hamburg sollen es nur 2.000 gewesen sein, sagt das Hamburger Abendblatt. Die Veranstalter sprachen von 8.000! Aber hier soll nur die Presse zitiert werden:
Rund 2000 Menschen haben gestern in Hamburg beim
traditionellen Ostermarsch für Frieden und gegen den Krieg
im Irak demonstriert. Die Teilnehmer zogen mit Fahnen in
Regenbogenfarben und der Aufschrift Pace (Frieden) sowie
Spruchbändern gegen den Irak-Krieg durch die Innenstadt.
Kundgebungsredner verurteilten den Angriff der USA auf den
Irak als völkerrechtswidrig. Organisator des Ostermarsches
war das "Hamburger Forum für Völkerverständigung und
weltweite Abrüstung".
Hamburger Abendblatt, 22.04.2003
***
Vom Norden wieder in den äußersten Südosten, den Chiemgau:
Traunstein. Die Konsequenzen aus dem
Irak-Krieg standen im Fokus des Traunsteiner
Ostermarsches, zu dem am Karsamstag trotz
Regens rund 180 Menschen zusammenkamen.
Sie bewegte vor allem die Sorge, dass sich als
Antwort auf die aggressive US-Außenpolitik ein
weltweites Wettrüsten anbahnen könnte.
Ein ungewöhnlich breites Bündnis unterstützte
heuer den Aufruf der Friedensinitative:
DGB-Kreisverband und Einzelgewerkschaften,
die Grünen, die Jusos, die PDS,
Eine-Welt-Läden, die Evangelische Kirche, die
Berchtesgadener Initiative für Frieden und
Menschenrechte, die Verfolgten des
Naziregimes (VVN) sowie die neuen
Regionalgruppen von Greenpeace und
attac.Der Krieg im Irak habe viele zivile Opfer
gefordert und sei ein "schwerer Rückschlag für
das Völkerrecht", so Will Geistanger von den
Grünen. Auch der Kriegsverlauf rechtfertige
den Militärschlag im Nachhinein nicht. "Es wäre
außerdem falsch und verhängnisvoll, daraus
eine Legitimation für eine Drohkulisse gegen
Syrien oder andere Länder abzuleiten." Die
weltweit friedvollen Proteste seien eine
Aufforderung, eine friedliche Weltordnung unter
dem Dach der Vereinten Nationen zu gestalten
Über 15 Millionen Menschen, davon viele
hunderttausende allein in Deutschland, waren
vor und während des Krieges für Frieden auf
die Straße gegangen, erinnerte Dennis Holl von
attac. Diese Menschen würden ein
wachsendes Gegengewicht bilden zum Diktat
der wirtschaftlich und militärisch Mächtigen.
"Sie haben damit unmißverständlich eine
gemeinsame Haltung zum Ausdruck gebracht:
Kein Mann, keine Frau, keinen Cent für den
Krieg! Die Welt ist keine Ware! Eine andere Welt
ist möglich!" Voraussetzung für weltweiten
Frieden sei jedoch, dass dem neoliberalen
Handel Einhalt geboten würde, der im Zuge der
Globalisierung die Kluft zwischen Armen und
Reichen immer tiefer grabe.Wer für Frieden
eintrete, der müsse vor allem auch gegen einen
neuen "WettrüstungsWahnsinn" protestieren.
Das betonten mehrere Redner. "Wir dürfen nicht
die Augen davor verschließen, dass sich eine
weltweite Aufrüstung anzubahnen droht", so
Juso-Kreisvorsitzender Stefan Jagel. Alle
friedensbewegten Kräfte müßten dagegen
entschieden eintreten. Auch Philipp Schilcher
von der Berchtesgadener Initiative für Frieden
sah mit Besorgnis, dass die EU versuche, durch
massive Aufrüstungsprogramme und
Auslandseinsätze mit den USA zu konkurrieren.
Europa dürfe aus dem "rücksichtslosen
Vorgehen" der USA im Irakkrieg nicht die
Konsequenz ziehen, noch mehr Mittel für
Militarisierung auszugeben, um international an
Einfluss zu gewinnen, meinte auch Gerhard
Lechner, der für die Friedensinitiative und für
attac sprach. Denn dies wäre nur ein weiterer
wirtschaftlicher Erfolg für die
US-Rüstungsindustrie. Ein Wettrüsten Europas
mit den USA sei aussichtslos und nur dazu
angetan, unsere Volkswirtschaft zu ruinieren
und den Sozialabbau zu beschleunigen.Bis
2015 habe die Bundesregierung mehr als 100
Milliarden Euro für Kampf- und
Transportflugzeuge, Hubschrauber und
Kriegsschiffe eingeplant. "Es darf nicht sein,
dass jeder Euro zum Beispiel für Kindergärten
und Schulen fünfmal umgedreht wird, im
Gegenzug für Rüstungsprojekte aber großzügig
Milliardenbeträge bereit gestellt werden." Den
Sozialabbau in Deutschland nahm auch
DGB-Kreisvorsitzenden Helmut Haigermoser ins
Visier. Als Reform getarnt, stelle er eine ernste
Bedrohung für den sozialen Frieden im Land
dar.
(...) Das ökumenische Friedensgebet erteilte
allen Kriegen eine Absage. Karsamstag sei der
Tag der Erwartung von Gottes Frieden, führte
der evangelische Pfarrer Wuck Linhardt vor
Augen. Das bedeute aber nicht, passiv zu sein:
"Es bedeutet beten und bitten um Frieden, und
sich solidarisieren mit allen, die für den Frieden
eintreten". Pfarrer Sebastian Heindl und Barbara
Pache-Markus verlasen die Seligpreisungen
aus der Bergpredigt. In ihnen stellt sich Jesus
eindeutig auf die Seite der Opfer von Gewalt
und Krieg und verheißt denjenigen das
Himmelreich, die nach Gerechtigkeit hungert und
die Frieden stiften. "Wohlgemerkt: Er verheißt
das Himmelreich, den Frieden, der hier auf
Erden stattfinden soll, nicht irgendwo im
Jenseits", so Stadtpfarrer Heindl. (...)
Trostberger Tagblatt/Traunreuter Anzeiger, 22.04.2003
***
Und auch von kleineren Aktionen soll die Rede sein. In Springe gab es erstmals einen Ostermarsch - und einen sehr einfühlsamen Artikel:
Mit knapp 75 Teilnehmern ist der Springer Ostermarsch hinter den
Erwartungen der Veranstalter zurückgeblieben. Am Ostersonnabend
marschierte die Friedensinitiative zusammen mit den angeschlossenen
Aktionsgruppen nach einer Kundgebung auf dem Marktplatz zur
St.-Petrus-Gemeinde am Kurzen Ging.
Im Namen des "Bündnisses für Frieden und Bewahrung der Umwelt" erinnerte
Ulla Mügge einleitend an die Freitagsdemonstrationen, zu denen die Gruppe in
den vergangenen neun Wochen eingeladen habe. Daraufhin habe man sich
entschlossen, einen eigenen Springer Ostermarsch zu veranstalten. Pastor
Klaus Fröhlich hob die Ohnmacht gegenüber den Mächtigen in den Mittelpunkt
seiner Ansprache. Während für die Weltgeschichte ein Ostermarsch wie der in
Springe "nur ein Flüsterton" sei, habe er für andere Menschen einen spürbar
höheren Wert. "Wir pendeln im Augenblick zwischen der Ohnmacht und unserer
Entschlossenheit, etwas zu sagen", charakterisierte Fröhlich die Stimmungslage
der Ostermarschierer. Fröhlich weiter: Die österliche Botschaft zeige, dass es
allein die Kraft der Liebe sei, die uns überwältigen könne. Auch wenn nach dem
11. September offensichtlich Krieg und Hass "wieder salonfähig" geworden
seien. Der stellvertretende Regionsvorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Ralf
Oberheide, wandte sich scharf gegen den Irak-Krieg. "Dieser Krieg wendet sich
gegen alles, was Zivilisation ausmacht", so Oberheide. Es könne "nicht
angehen", dass Krieg die Sache eines Präsidenten sei, der einen persönlichen
Rachefeldzug inszeniere. Aus Sicht der Arbeiterbewegung müsse vor allem nach
den Ursachen des Krieges gefragt werden. Oberheide sprach sich für die
weltweite Durchsetzung der Menschenrechte und den globalen Kampf gegen
Elend und Armut aus. Dabei müsse die Rolle der UN gestärkt werden -
keinesfalls dürfe, wie im Irak-Krieg, das Recht des Stärkeren oder gar
internationales Faustrecht gelten. (...) "Unser Misserfolg macht uns nicht
zu Narren und veranlasst uns auch nicht zu Resignation", erklärte Ratsfrau
Rosemarie Vollers. Das Volk im Irak habe für seine Befreiung einen Preis
bezahlen müssen, den ihm die Befreier aufgezwungen hätten. "Denken wir an
die toten Kinder", so Vollers, "deren einziger Fehler es war, dort zu sein, wo der
Krieg war." Unter der großen Regenbogenfahne mit dem Schriftzug "Pace"
("Frieden"), den roten ver.di-Bannern und einer überdimensionalen Friedenstaube
auf blauem Grund setzte sich dann der Zug der Springer Ostermarschierer in
Gang. Friedensdemonstrationen müssen nicht spektakulär sein. Auf die
Haltung kommt es eben an.
Neue Deister-Zeitung, 22.04.2003
***
Der Ostermarsch in der "Freien Heide" hat immer eine ganz besondere Bedeutung. Ein Bericht aus dem Neuen Deutschland:
(...) Die Fretzdorfer haben Erfahrungen mit
Massenveranstaltungen. Am Ortseingang dirigieren Schilder
die auswärtigen Pkw auf die richtige Wiese. Tausende
Luftballons können im kleinen Gemeindeamt abgeholt werden,
und am Zaun vor der Fachwerkkirche warten
Protest-Transparente auf ihren jährlichen Einsatz.
Tausende kamen schon in den vergangenen Jahren in den
kleinen Flecken im nördlichen Brandenburger Landkreis
Ostprignitz-Ruppin, um gegen den dort geplanten "Luft-Boden-Übungsplatz" der Bundeswehr zu
protestieren. In diesem Jahr ist der Zug vom Dorfplatz zum Schieß-Gelände noch länger als sonst.
Christen, Antimilitaristen, Pazifisten, Guevaristen und Anwohner, Besorgte, Erzürnte,
Verschrobene - die Vielseitigkeit ist ihre Stärke. Grund für das besondere Interesse am
11.Fretzdofer Ostermarsch gegen das "Bombodrom" in der Kyritz-Ruppiner Heide ist nicht nur der
Angriff auf Irak, der aller Welt gerade einen modernen Luft-Boden-Krieg praktisch vorführte. Furore
machte auch die Ankündigung des Verteidigungsministeriums, ab kommendem Sommer auf dem
ehemaligen Übungsgelände der Roten Armee tatsächlich mit Bomben, Luft-Boden-Raketen und
Bordgeschützen von Jagdflugzeugen zu trainieren.
Seit über einem Jahrzehnt wehrt sich die Bürgerinitiative "Freie Heide" gegen die Bomber.
Rechtlich ist der Widerstand inzwischen allerdings am Ende. Nach einigem hin und her
entschieden die Verwaltungsrichter: Die Bundeswehr darf das Gelände militärisch nutzen - obwohl
sich ein von der Brandenburgischen Landesregierung durchgeführtes Anhörungsverfahren klar
gegen Tornados und Eurofighter aussprach. Es kommt jetzt also auf den politischen Willen an.
Dass die Auseinandersetzung um die weitere Nutzung des Geländes in eine entscheidende Phase
tritt, hatten auch die wenigen Befürworter des Truppenübungsplatzes in der Region erkannt. Sie
wollten den Ostermarsch in diesem Jahr mit ihren Argumenten eindecken - passender Weise
gleich aus der Luft. Doch das Abwerfen von Flugblättern aus einem Kleinflugzeug wurde der
Wittstocker Initiative "Pro Bundeswehr" von den zuständigen Behörden untersagt. Und in die
Nahdistanz trauen sich die Luft-Boden-Freunde dann doch nicht.
So bleiben die Friedensdemonstranten unter sich an diesem
frühlingshaften Ostersonntag. Sie versammeln sich auf einem
sonnigen Stück Heide an der Schießplatzgrenze. Von einer
kleinen Bühne werden sie beschallt - mit den
Brandenburgischen Konzerten, mit Bob Dylan und Pink Floyd.
Vom "Heidepostamt" aus schreiben sie ans
Bundeskanzleramt und den Verteidigungsminister. Jetzt
steigen die Luftballons auf. Viertausend gefaltete Kraniche
tragen sie in den Brandenburger Himmel - ein japanisches
Friedenssymbol. Andere Marschierer machen schon mal
Ernst mit der friedlichen Nutzung. Sie lassen sich nieder,
genießen die Sonne und lassen die Kinder laufen.
Sieht so eine "Bewegung" aus? Ost-Ikone Wolfgang Ullmann beschwört eine "internationale
Bewegung für die UN-Charta und das internationale Recht". Es drohe ein neuer "Imperialismus".
(...) Ströbele spricht nur noch im "Wir". Erneut nennt er den Irak-Krieg
völkerrechtswidrig und verlangt nach Konsequenzen. Den Übungsplatz brauche die Bundeswehr gar
nicht, meint er. Es sei denn, man wolle auch anderen NATO-Staaten das übungsweise
Bombardieren der Kyritz-Ruppiner Heide gestatten.
Als PDS-Vertreter tritt Wolfgang Methling auf. Der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern
fordert "Frieden statt Besatzung" in Irak. Er warnt davor, auf die Alleingangs-Politik der USA mit
dem Aufbau einer "alternativen" Militärmacht Europa antworten zu wollen. Der Übungsplatz sei
aber auch wirtschaftlich "giftig" für den Nordosten der Republik. Methling sorgt sich um die in
seinem Land gelegene Tourismusregion Müritz, die in der künftigen Anflugschneise liegt.
(...) Vor Ort scheint die bedrohliche Lage indessen kaum auf die Stimmung zu schlagen. "Wir haben
einen langen Atem", sagt Benedikt Schirge von der Bürgerinitiative. Am 1. Mai ist eine
Bootskundgebung im mecklenburgischen Mirow geplant. Es geht also weiter. Und so lange der
Humor nicht verloren geht, bleibt die "Bewegung" zumindest in und um Fretzdorf lebendig: "Volker
hörte die Signale, Rudi ging Baden, und über Peter reden wir später!", hat einer auf ein Stück
Leinwand gepinselt.
ND, 22.04.2003
***
Wir bleiben in Ostdeutschland. Nächste Station ist Weimar:
"Danke, dass Sie
aufgestanden sind gegen den späten
und fremden Spuk", sagte OB
Volkhardt Germer gegen zwölf vor
einigen hundert Zuhörern beim
Friedensfest im Weimarhallenpark.
Claudia Scheibe (Bürger gegen Rechts)
ergänzte wenig später: "Das
gescheiterte NPD-Verbot ist ein Fiasko,
wir stehen erst am Anfang eines
zivilisatorischen Prozesses."
Ein buntes Treiben mit bis zu 500
Weimarern im Park: Stände von Parteien und Friedensgruppen, ein Flohmarkt,
Hüpfburg, Musik - auch eine gut besuchte Ausstellung "Jüdische Wohn- und
Geschäftshäuser früher und heute". Spektakulär eine nordrhein-westfälische
Aktion: Blaue Farbe aus zehn kleinen Eimern klebte im Lauf des Nachmittags an
unzähligen Händen, für OB Germer "ein Symbol für die Andersartigkeit".
Ostern sei halt ein wichtiges Familienfest, "wir hätten uns schon mehr Leute
gewünscht", sagte gestern ein etwas enttäuschter Fritz Burschel,
Versammlungsleiter der "Bürger gegen Rechts". Bereits während des Festes
hatte er seinem Ärger gegen das Ordnungsamt Luft gemacht, das verfügt habe:
Die Aktionen Blaue Hand und Soundsystem ohne Leute durch die Stadt!
Erschüttert sei er, wie wenige Teilnehmer das angekündigte Ostermarsch-Finale
hatte. "Wo sich doch der Rauch im Irak nicht mal verzogen hat."
Immerhin freute sich Burschel über die schöne Stimmung, "die Leute waren
gelassen, ruhig und entspannt". Und doch sei es möglicherweise ein Fehler
gewesen, sich im Park zu isolieren. Bei einem nächsten Mal müsse man
mindestens auf dem Goetheplatz und damit zu sehen sein. Er sei dankbar für die
spontane Demonstration der Jenaer auf der Fuldaer Straße, mit der die "eigene
Isolation aufgebrochen" worden sei. Landesspiegel
Thüringer Landeszeitung, 22.04.2003
***
Und in der Hauptstadt Berlin ging es - wenn man der taz (Bericht: Lucia Jay) glauben darf - ungefähr so zu:
"Mutig" findet die etwa fünfzigjährige Friedensmarschiererin die
Entscheidung der Organisatoren, vom Platz der Vereinten Nationen
aus zu starten. Mit ihrem Regenbogen-Fahrrad liegt sie voll im
Trend. "Hier werden wohl kaum Anwohner dazustossen."
Bekümmert blickt sie in die Platten-Landschaft, die sie umgibt und
rollt ihre Pace-Fahne aus. Und richtig voll will es auch nicht werden
auf dem Platz, der eigentlich keiner ist, sondern vielmehr eine
Kreuzung mit ein bisschen Wiese an den Seiten der beiden
sechsspurigen Straßen.
Der Startpunkt des Berliner Ostermarsches birgt jedoch hohen
symbolischen Wert. Er soll, so die Veranstalter der
Friedenskoordination Berlin, die Bedeutung der Vereinten Nationen
festigen. Der Theologe Wilibald Jacob schlägt in seiner Rede vor,
dem früheren Leninplatz besser seinen alten Namen
zurückzugeben: "Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus
ist immer noch höchst aktuell." Dass der Platz bedeutungsträchtig
ist, zeigt auch eine Aktion der Globalisierungskritiker von "Attac".
Sie überkleben ein Straßenschild und nennen den Platz kurzerhand
von "Vereinte Nationen" in "Verarschte Nationen" um.
(...) Ungefähr 2.000 Teilnehmer zählt die Polizei später. "Wenn es sehr
gut wird, dann werden wir 5.000, aber ich glaube es nicht", meint
Jürgen Horn, als der Zug die Jannowitzbrücke überquert. (...)
(...) Die Schüler sind leicht ausfindig zu machen in dem Zug. Viele sind
es nicht. Vielleicht weil Ferien sind. "Mich macht es schon sauer,
aber es war ja zu erwarten, dass kaum noch Leute auf die Straße
gehen." Jule Arndt vom Herder-Gymnasium gibt aber nicht auf,
sondern will sich mit der Gruppe der Herausforderung stellen: "Wir
müssen eben die Leute darauf stoßen, dass es weitergeht. Man
kann ja nicht bei jedem Krieg von vorne anfangen."
taz Berlin lokal, 22.04.2003
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Stephan Loichinger berichtete in der Frankfurter Rundschau (Hessen/Frankfurter Teil) über eine der größten Ostermarsch-Kundgebungen dieses Jahres:
8000 Menschen haben am Montag nach Angaben der
Veranstalter beim traditionellen Ostermarsch vor dem Römer
für Frieden demonstriert. Das Ostermarschbüro freute sich
über die Resonanz, nachdem zuletzt die Zahl der Teilnehmer
Jahr für Jahr stetig abgenommen hatte. (...)
Junge wie Alte, Schüler wie Alt-Linke
sammelten sich unter strahlender Sonne
und wehenden "Pace"-Fahnen in
Regenbogenfarben. Auf Plakaten standen
die gleichen Parolen wie schon bei den
Demonstrationen gegen den Irak-Krieg:
"Krieg ist keine Lösung", "Kein Blut für Öl",
"U$A = Weltfeind". (...)
Anne Rieger vom gewerkschaftlichen
Netzwerk gegen den Krieg nannte den
Irak-Krieg die "Hinrichtung eines
arabischen Landes". Sie warf der
US-Regierung von Präsident George W.
Bush vor, zum Vorteil der heimischen
Energie-Industrie Irak angegriffen zu
haben und zu besetzen - ohne Rücksicht
auf Menschenleben: "Der Weg zum Öl war
gepflastert von Schrapnellscherben, die
sich irakischen Kindern ins Fleisch gruben."
Rieger plädierte für den Kampf für "eine Welt, in der der Mensch vor
Profit geht".
Ähnlich äußerte sich Oskar Lafontaine, dessen halbstündige Rede die
Menge mit reichlich Beifall quittierte. Er sagte: "Es wird immer wieder
Rückschläge geben, aber wir dürfen nicht aufgeben, weiter für
Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen." Der frühere SPD-Vorsitzende
und Finanzminister nannte "soziale Gerechtigkeit" die entscheidende
Bedingung für Frieden. Es sei "der Irrtum aller Konservativen",
Frieden durch Machtdemonstration erreichen zu wollen.
Für alle müsse das gleiche Recht gelten, "alle müssen mit der
gleichen Elle gemessen werden", sagte Lafontaine. Die
Bush-Administration handle nach dem Recht des Stärkeren und "setzt
damit die ganze Welt in Brand". (...)
Dass die Bundesregierung sich gegen den Irak-Krieg stellte, lobte
Lafontaine, auch wenn sie Überflugsrechte nicht hätte gewähren
dürfen. (...) Die Polizei sprach von 2500 Demonstranten. Etwa die Hälfte waren in
einem Sternmarsch aus vier Richtungen zum Römer gezogen. Willi
van Ooyen vom Ostermarschbüro freute sich: "So bunt und voll war
der Römerberg lange nicht mehr."
Frankfurter Rundschau, 22.04.2003
***
Von Südhessen nach Nordhessen: Zufriedene Mienen gab es auch in Kassel, wo einer der größten Ostermärsche seit den 80er Jahren stattfand. Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine berichtete und gab dabei eine etwas abstruse Erklärung für die Vorliebe der Friedensbewegung für die italienische "Pace"-Regenbogenfahnen.
So viele Ostermarschierer waren in Kassel seit mehr als 20 Jahren nicht
mehr unterwegs. 2000 Menschen beteiligten sich gestern am traditionellen
Ostermarsch, zu dem das Kasseler Friedensforum aufgerufen hatte. Im
vergangenen Jahr waren es nur halb so viele. "Die Zeit scheint vorbei zu
sein, in der man jeden Teilnehmer mit Handschlag begrüßen konnte",
stellte Dr. Peter Strutynski, Leiter des Friedensforums, fest. Mit gemischten
Gefühlen, wie er bekannte.
Denn für den enormen Zulauf hat der Irak-Krieg
gesorgt. Er war auch das beherrschende Thema der
Veranstaltung. (...) Viele schwenkten die
regenbogenbunten Fahnen mit der Aufschrift "Pace" (Frieden). Das
englische Peace ist in diesem Jahr verpönt.
(...) Mit dabei waren Gewerkschaften, politische Parteien, christliche und andere
Initiativen, Globalisierungsgegner - und viele junge Leute. Hannah Eberle
und Lina Honens zum Beispiel, die auch an der großen Schülerdemo gegen den
Krieg teilgenommen hatten und sich nun im Anti-Kriegskomitee engagieren.
Seit dem Kriegsausbruch im Irak ist Politik für die 15-jährigen
Reformschülerinnen ein wichtiges Thema. "Man merkt, dass man
Widerstand leisten muss", sagt Lina. Ob sich die Mächtigen dieser Welt
davon beeindrucken lassen? Von Großdemonstrationen schon, meint sie."Und außerdem: Es ist wichtig, dass man zeigt, wo man steht. (...)
Olmi Klapper ist zwar nur zwei Jahre älter als die beiden, aber beim Ostermarsch
schon ein alter Hase. "Meine Eltern haben mich schon mit dem
Kinderwagen zum Ostermarsch geschoben", sagt er. (...)
Diesmal scheint alles anders. Nicht nur in Kassel. Noch nie hätten weltweit so viele
Menschen gegen einen Krieg protestiert, sagt Rolf Wekeck, Mitorganisator des
Ostermarsches in seiner Rede beim Zwischenstopp am Mahnmal für die Opfer
des Faschismus am Weinberg. Wekeck ging auf die Situation der Kinder ein.
Deren Leiden habe schon lange vor dem Krieg begonnen. Das
Wirtschaftsembargo, das vor zwölf Jahren gegen den Irak verhängt wurde, habe
zu einer humanitären Katastrophe geführt. Seit 1991 seien laut Unicef mehr als
550 000 Kinder an den Folgen von Mangelernährung und schlechter
medizinischer Versorgung gestorben.
Bei der Abschlusskundgebung vor dem Rathaus forderte die junge Lotta
Auerswald aus Kaufungen die Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen
weltweit. Sabine Leidig aus Frankfurt, Bundesgeschäftsführerin der
Globalisierungsgegner-Organisation Attac, mahnte: "Es ist noch nicht
Vorbei." Leidig verurteilte den Irak-Krieg als eine völkerrechtswidrige
Aktion, ein Verbrechen. Sie hoffe, dass sich Bush und Blair sowie Generäle eines
Tages vor dem internationalen Gerichtshof zu verantworten hätten. (...)
HNA, 22.04.2003
***
Und zum Schluss noch ein Blick ins Ruhrgebiet:
Der Ostermarsch Rhein/Ruhr
stand in diesem Jahr unter dem Motto "Völkerrecht statt Bomben - Kein Blut für Öl!"
"Bei den letzten Ostermärschen waren 800 bis 1000 Friedensfreunde unterwegs.
Wir schätzen, dass wir bei der diesjährigen Abschlussveranstaltung die doppelte
Teilnehmerzahl erreichen", so Helmut Manz vom Dortmunder Friedensforum. Zum
ersten Mal war das Depot an der Immermannstraße Endpunkt des Marsches.
Die Große Halle des Depots bot eine ansprechende Kulisse für die Musiker,
Tänzer und Redner der Abschlussparty. Kunterbunt und multikulturell
präsentierten sich die Kriegsgegner. Willi Hoffmeister, Mitorganisator und
-marschierer, freute sich über die große Resonanz und die tolle Stimmung im Zug:
"Die Friedensbewegung lebt." Aber er warnte auch: "Der Irak-Krieg ist längst nicht
das Ende. Während des Marsches war die Angst der Menschen vor Folgekriegen
spürbar." (...)
Westdeutsche Allgemeine WAZ, 22.04.2003
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