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"Wir bauen auf dem Balkan auf, was wir selbst zertrümmert haben"

Rede von Oberstleutnant a.D. Helmut Prieß* beim Ostermarsch 2001 in Wedel

* Helmuth Prieß gehört dem "AK Darmstädter Signal" an, einem Arbeitskreis friedensorientierter kritischer Soldaten. Die Ostermarschveranstaltung in Wedel fand schon am 7. April statt.
Die Internetadresse: http://www.darmstaedter-signal.de


Im Namen der 150 Offiziere und Unteroffiziere des AK Darmstädter Signal grüße ich Sie herrlich und friedlich!

Wir haben uns im September 1983 in Darmstadt zusammengeschlossen, um gegen die damals geplante irrsinnige Stationierung von Mittelstreckenraketen in Ost und West zu protestieren. Auch um deutlich zu machen, dass Frieden auf unserer Welt nicht mit Waffen erzwungen oder dauerhaft erhalten werden kann, sondern. nur mit friedlichen, nichtmilitärischen Schritten zur Konfliktlösung und mit einer Politik., die soziale Gerechtigkeit weltweit fördern. Wir haben uns zusammengeschlossen, um deutlich zu machen, dass auch innerhalb der Bundeswehr Zeit- und Berufssoldaten Dienst tun, die - wenn auch nur als Minderheit - kritische, abrüstungsfördernde Meinungen haben und diese auch, öffentlich vertreten.

Das wurde von der militärischen Führung und den Verteidigungsministern, bis heute, nicht begrüßt - Dennoch, wir "Signaler" werden auch in Zukunft unser Bürgerrecht auf freie Meinungsäußerung engagiert wahrnehmen.

Mit der Beendigung des Ost-West-Konfliktes vor rund 15 Jahren war aller Anlass gegeben, die Militärblöcke aufzulösen und übergreifende Systeme der Sicherheit und Zusammenarbeit auszubauen. Dies ist nicht geschehen. Statt UNO und OSZE zu stärken, baute die NATO durch die noch fortschreitende Ostentwicklung ihre Machtstellung in Europa aus.

Deutschland unterstützt diesen Prozess. Mit den rechtswidrigen Einsätzen in Kambodscha, in der Adria, in Somalia, der militärischen Unterstützung des Golfkrieges und mit AWACS-Spionage-Maschinen zog die Kohl-Regierung deutsche Soldaten immer tiefer in weltweite militärische Operationen. Im Juni 1994 verkündete das Bundesverfassungsgericht eine neue Auslegung - eine schlechtere Auslegung - unserer guten Verfassung. Seitdem ist Deutschland überall weltweit an vorderster Front.

Viele von uns hoffen, dass mit einer rot-grünen Regierung vieles besser werden würde - sie haben geirrt. Unter dieser Regierung nahmen deutsche Soldaten erstmals an einem Krieg., dem Luftkrieg der NATO gegen Jugoslawien teil; ohne UNO-Mandat.

Diese Beteiligung deutscher Soldaten, unserer Luftwaffe, an der Bombardierung Jugoslawiens war verfassungswidrig. Vor dem Hintergrund unserer rechtswidrigen, katastrophalen Militärgeschichte wiegt dieser Verfassungsbruch besonders schwer! Aber, wo kein Kläger ist, da ist kein Richter! Es sollte darüber wenigstens ein Untersuchtungsauschuss eingerichtet werden, wie es der Bundeswehrgeneral Loquai zu Recht fordert.

Übrigens, auch die Bombardierung ziviler Ziele in Jugoslawien, wie z.B. der Tabakfabrik in Nis, war sozusagen zusätzlich rechtswidrig. Wer bestraft die Täter? Niemand! Als Deutscher kann man sich da nur schämen!

Vor zwei Monaten sendete das WDR-Fernsehen einen Film über die Hintergründe dieses Krieges. Der Titel des Films: "Es begann mit einer Lüge". Richtig hätte der Titel lauten müssen: "Es begann mit vielen Lügen", denn
  1. statt Milosevic zum alleinigen Kriegstreiber zu erklären, hätten wir auf die Kriegstreiber aller ethnischer und religiöser Gruppen einwirken müssen. Die Führer der UCK, die der Westen unterstützt hat, sind ebenso schlimme Nationalisten wie die der Milosevic-Regierung. Auch der angeblich gemäßigte Führer der Kosovaren Rugova ist kein Friedensengel. Seit Jahren betreibt er die Ablösung des Kosovo von Jugoslawien - er ist ein Nationalist im Schafspelz!
  2. Wir wurden belogen mit dem verkündeten Luftkriegsziel, eine menschliche Katastrophe im Kosovo verhindern zu müssen. Tatsächlich hatte der Einsatz von rund 2.000 OSZE-Beobachtern die Spannungen weitgehend abgebaut Durch den Abzug der Beobachter und durch die Luftangriffe der NATO vom 24. März 1999 (78 Tage lang) wurden die Türen und Tore zur Flüchtlingskatastrophe erst weit geöffnet.
  3. Entgegen öffentlicher Verlautbarungen wurde in Rambouillet auch nicht verhandelt. Unter Führung der US-Außenministerin Madeleine Albright und mit geradezu liebevoller Zuwendung von Joschka Fischer wurde Jugoslawien ein Diktat diktiert, das Jugoslawien nicht unterschreiben konnte.
  4. Mehrere Massaker im Kosovo, die man den Serben in die Schuhe schob, sind völlig ungeklärt. Minister Scharping hat uns auch wider besseres wissen - diese Geschichten aufgetischt. Mit tränenunterdrückter Stimme hat er uns vom fürchterlichen KZ in Pristina berichtet und nicht die Wahrheit gesagt. Und Außenminister Fischer setzte dem mit seinem Auschwitz-Vergleich die Krone auf. Waren wir denn von allen guten Geistern verlassen?!

Und jetzt reisen diese Herren auf den Balkan und rühmen die Aufbauprogramme. Wir bauen auf dem Balkan auf, was wir selbst zertrümmert haben. Die Bombentoten bleiben tot! Die neue jugoslawische Regierung hat am 24. März 2001 um sie getrauert! Und wir?

Der Luftkrieg gegen Jugoslawien hat mehr Probleme geschaffen als gelöst. Frieden mit Waffen erzwingen zu wollen - das lehrt dieser Krieg erneut - ist eine gefährliche Illusion! An solchen militärischen Einsätzen darf sich Deutschland nie wieder beteiligen.

Wir sind von Freunden umgeben. Deshalb können und sollten wir den Umfang der Bundeswehr statt auf 280.000 Soldaten/Soldatinnen in einem 10-Jahres-Plan auf 120.000 verringern. Der derzeitige Personalabbau von 320.000 auf 282.000 ist zugleich eine Verdreifachung der für weltweite Einsätze verfügbaren Soldaten! Alle Konzepte besagen Deutschland schafft 150.000 Mann Eingreiftruppen, um an zwei verschiedenen Kriegsplätzen - und ein paar kleineren - mit je 7.500 Mann über mehrere Jahre eingesetzt werden zu können.

Wer hat das festgelegt? Was soll das? Sind wir auf dem Weg zum Größenwahn?

Wir befinden uns mitten in einer dramatischen Veränderung der deutschen Außenpolitik! Dies muss endlich öffentlich diskutiert werden! Wir erwarten dass der Bundestag über den radikalen Handel öffentlich diskutiert! Ich hoffe, dass auch die Medien endlich aufwachen und den Auftragswandel der Bundeswehr hinterfragen! Es geht doch nicht vorrangig um Standort-Schließungen, sondern um weltweite Kampfeinsätze der Bundeswehr !

Für meine Kameraden im AK DS sage ich:
  • Interventionsarmee: NEIN!
  • Verteidigung auf hinlänglich niedrigen Niveau: JA.
  • Für Blauhelmeinsätze - als Linien- oder Schiedsrichter kann Deutschland im Einzelfall Soldaten zur Verfügung stellen. An Kampfeinsätzen, gleich ob mit oder ohne UNO-Mandat, sollten deutsche Soldaten nie mehr teilnehmen!

Deutschland muss seine gewachsene Verantwortung nicht militärisch, sondern anders wahrnehmen, z.B.
  • indem wir Bundeswehrkorps abbauen und ein Friedenskorps aufbauen (mit Medizinern, Umweltfachleuten und Spezialisten aller Sparten ) zur vorbeugenden friedlichen Konfliktregelung,
  • indem wir gerechtere Bedingungen der Weltwirtschaft fördern!
  • indem wir auf Rüstungsexporte außerhalb der NATO und in die Türkei verzichten!
  • indem wir für den Abzug der verbliebenen Atomwaffen in Büchel und Ramstein sorgen und für die weltweite Ächtung aller A-Waffen eintreten!
  • indem wir die amtierenden US-Präsidenten Bush auffordern, Luftangriffe gegen den Irak zu unterlassen und den russischen Präsidenten Putin drängen, die Unterdrückung des tschetschenischen Volkes sofort zu beenden!

Mehr Verantwortung übernehmen heißt:
  • Wir fördern, dass sich Milosevic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu verantworten hat und ebenso die nationalistischen Fahrer der Albaner und Kosovaren! (Auch die Jagdbomber-Piloten, die im Golfkrieg völkerrechtswidrig Einsätze flogen, gehören vor das Gericht.)
  • Wir fördern die unter Rot-Grün wieder angelaufene staatliche Friedensforschung noch mehr als zur Zeit!
  • Wir vervielfachen die Mittel, mit denen zivile Friedensorganisationen (NGO`s) unterstützt werden, die echte Friedensarbeit leisten?

Und wir verdeutlichen unseren amerikanischen Freunden, besonders Präsident Bush,
  • dass die geplante Weltraum-Raketen-Abwehr das Wettrüsten anheizt und den Frieden stört,
  • dass die USA und Europa nicht gegen den Rest der Welt NMD-Raketen-Rüstung betreiben dürfen, sondern als Teile der Völkergemeinschaft für den Abbau von Raketen und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungsmitteln eintreten sollten!
Und wir sagen unseren amerikanischen Freunden offen und ehrlich,
  • dass die wirtschaftliche Unterdrückung und Ausbeutung anderer Länder Konfliktursachen schafft und
  • dass es das Vertrauen der Völker zueinander nicht fördert, wenn man Spionageflugzeuge an anderer Länder Grenzen lang fliegen lässt!
  • Wir müssen unseren amerikanischen Freunden auch deutlicher sagen, dass der Frieden am Himmel - mit Raketen und Ozonlöchern die andere Seite der Medaille des Friedens auf der Erde ist!

Und wenn von "Schurkenländern" auf der Welt die Rede ist, dann sollten wir einmal - ruhig, sachlich und ehrlich - darüber nachdenken, wer denn die mehr oder weniger großen Schurken sind.

Natürlich müssen wir stolzen Deutschen auch den Dreck im eigenen Nest beseitigen - das betrifft ganz besonders den Rechtsextremismus in diesem unseren Lande und in der Bundeswehr! Von 1998 bis zum Jahr 2000 haben rechtsextremistische Vorfälle in der Bundeswehr bzw. unter den Soldaten um fast 50 % zugenommen. Würde eine politische Bildung aller Dienstgrade tatsächlich ernstgenommen, d.h. demokratisch-partnerschaftlich in kleinen Lerngruppen und mit Unterstützung ziviler Lehrkräfte durchgeführt, dann, - ja dann gab`s Chancen, dem rechtsextremistischen Ungeist in der Truppe erfolgreich entgegenzuwirken!! Durch die Flure und Räume der Kasernen muss ein solcher demokratischer Sturm blasen, dass sich brauner Mief gar nicht erst entfalten kann!

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