Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Doppelte Solidarität: Mit Israel und mit Palästina!

Reinhard Frankl (GEW) auf dem Osetrmarsch 2002 in Aschaffenburg

Wer in unseren Breiten Kritik an der Politik Israels äußert, muss damit rechnen, umgehend in die antisemitische Ecke gestellt zu werden. Daher jetzt mein Präventivschlag:
Nichts liegt mir ferner als Antisemitismus, wer mich kennt, weiß das, zumal ein Teil meiner Familie väterlicherseits selbst in Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurde. Ich habe über zwei Jahre für ein israelisch-amerikanisches IT-Unternehmen gearbeitet und war mehrmals zu mehrwöchigen Trainingsaufenthalten in Haifa. Ich habe Land und Leute schätzen gelernt und kann nachfühlen, warum so viele Völker so gerne in diesem herrlichen Land leben. Die ewige Keule des Holocaust als Instrument gegen Kritiker der zionistischen Aggression in Palästina kann mich nicht treffen.

Ich differenziere aber sehr wohl zwischen
  1. dem Judentum. Es ist für mich in erster Linie eine Religionsgemeinschaft, die als solche zu respektieren ist und die außerdem eine tragende Säule unserer Kultur darstellt.
  2. dem israelischen Volk. Es ist wie ich meine, durch das ständige Schaffen von Fakten der dritten von mir zu nennenden Größe, in diesem Raum in dieser Zahl entstanden und hat Rechte wie jedes andere Volk, nicht weniger aber auch nicht mehr.
  3. dem Zionismus. Die Völkergemeinschaft hat schon mehrmals versucht ihn offiziell als Spielart von Rassismus einzuordnen: auf der UNO-Generalversammlung am 11. November 1975 und erst wieder im letzten Jahr auf der Rassismus-Konferenz in Südafrika. Alle Versuche sind letztlich an der zionistischen Lobby der Vereinigten Staaten gescheitert.
Für mich bleibt Zionismus Rassismus. An ihm setzt meine Kritik an. Was wir von ihm zu erwarten haben, zeigt folgendes Zitat:
"Wenn man ein Land kolonisieren will, in dem bereits Menschen leben, muss man eine Garnison für dieses Land beschaffen oder einen Wohltäter finden, der an seiner Stelle die Garnison stellt ... Der Zionismus ist ein Siedler-Abenteuer, und daher steht und fällt er mit der Frage von Waffengewalt". (Zeev Jabotinsky, Führer der "Revisionisten", Vater der Cheruth-Partei, Lehrer Menachem Begins)
Dieses Zitat stammt so aus einem Referat "Palästina im Brennpunkt des Nahost-Konflikts", das ich 1991 auf einer Mitgliederversammlung der GEW gehalten habe. Es war mir zufällig in den letzten Sommerferien in die Hände gefallen und ich habe es auf ein neues Datenformat gebracht. Ich stellte dabei fest, dass sich in den vergangenen 10 Jahre viel ereignet hatte an Initiativen, Konferenzen, Beschlüssen, Verträgen, Plänen usw. Geändert an der Lage des palästinensischen Volkes hatte sich nichts. Doch, Scharon war an die Macht gekommen. Der Schlächter von Sabra und Schatila. Ein Kämpfer aus der Tradition der alten zionistischen Terrorgruppen Irgun und "Stern Gruppe". Ich weiß, dass es natürlich langweilt, diese alte gewundene Geschichte der zionistischen Landnahme durchzuhecheln. Nur so viel: An der elenden Lage des palästinensischen Volkes hat sich prinzipiell bis heute nicht viel geändert. Es gibt viele palästinensische Menschen, die über 50 Jahre alt sind und nichts anders kennen gelernt haben als Deportation, Flucht, Lager und tägliche Demütigung durch die nackte Gewalt einer Armee, die sich überheblich für die Armee des auserwählten Volkes Gottes hält.

Was mich an der ganzen Geschichte so ärgert, ist die Einseitigkeit. Wer vom Existenzrecht Israels spricht, muss auch den Palästinensern das selbe einräumen. Wer die Sicherheit der Israelis bedroht sieht, muss sich fragen lassen, wie es um die Sicherheit der palästinensischen Bevölkerung steht. Wer sich für das Rückkehrrecht z.B. russischer Juden in ihr verheißenes Land einsetzt, muss auch den vertriebenen PalästinenserInnen die Rückkehr nach 50-jähriger Vertreibung ermöglichen ... und so könnte man diese Gegenüberstellung fortführen.

Keiner von uns kann und will den tatsächlichen palästinensischen Terrorismus, der in erster Linie von den islamisch-fundamentalistischen Gruppen Dschihad und Hamas ausgeht, beschönigen. Ganz im Gegenteil! Wir sollten aber daran denken, dass es die zionistischen Geheimdienste Shin Beit und Mossad waren, die diesen fundamentalistischen und gewalttätigen Gruppen in den 80er Jahren halfen, im Westjordanland einzusickern, zu einer Zeit, als kein Palästinenser auch nur mit einem Taschenmesser bewaffnet die Grenze hätte überschreiten können. Man wollte Arafat und seine PLO weiter schwächen, die damals vor der ersten Intifada als "gemäßigte Kraft" allerdings einen schweren Stand hatte. Das Ergebnis hat man nun.

Als noch am 11. September US-Präsidents Bush seinen neuen Krieg "gegen den Terrorismus" ausrief, sah sich Scharon in seiner Politik der eisernen Faust ermuntert. Während der Rest der Welt noch im Schockzustand war, nutze Scharon die Lage schamlos und eiskalt aus. Krieg gegen Terrorismus, war das nicht schon immer seine Propaganda? - Die Ketten seiner Panzer rasselten in Gaza und Dschenin und mich schauerte es bei dem Gedanken an mein altes Referat. Die weitere Eskalation nahm ihren Lauf. Die diplomatischen Bemühungen kamen nur zögerlich nach:
Am 12. März 2002 hat der UN-Sicherheitsrat eine Resolution verabschiedet, die zum ersten Mal nach über 50 Jahren die "Vision" von zwei Staaten, einem israelischen und einem palästinensischen Staat, erwähnt. Zusammen mit den nach wie vor gültigen Sicherheitsratsresolutionen 242 (1967) und 338 (1973), in denen vor allem der Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten gefordert wird, könnte der neueste Vorschlag des saudischen Kronprinzen Abdullah Grundlage für ernsthafte Verhandlungen sein.

Von unserer Regierung erwarten wir mehr diplomatischen Druck auf Israel, eine friedensorientierte Politik einzuschlagen. Gerade als deutsche Friedensbewegung, die sich ihrer besonderen Verantwortung in diesem Konflikt bewusst ist - war es nicht der Holocaust, der erst der zionistischen Landnahme das entsprechende Momentum gab? - gerade als deutsche Friedensbewegung stehen wir in der Pflicht einer doppelten Solidarität:
Wir akzeptieren das Existenzrecht Israels und setzen uns für die Lebens- und Menschenrechte und die staatliche Unabhängigkeit der Palästinenser ein. Wer Hass unter den Palästinensern besiegen will, muss den Menschen geben, was ihnen zusteht: Land und Frieden.

Die Friedensbewegung darf nicht schweigen, wenn das Menschenrecht auf Leben von israelischem Militär und von palästinensischen Attentätern zerstört wird.

Schluss mit dem Zustand "weder Krieg noch Frieden", der im Nahen Osten schon seit Jahrzehnten aufrecht erhalten wird und nur der politischen Einflussnahme großer Mächte in diesen ressourcenreichen Raum dient.
Friede zwischen Israel und Palästina bedeutet auch Friede für uns!


Zurück zur Seite "Ostermarsch 2002"

Zurück zur Homepage