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Neue US-Atomstrategie - ein Hauptthema der diesjährigen Ostermärsche?

Ein Interview mit Felix Oekentorp, Landesgeschäftsführer der DFG-VK NRW

Das folgende Interview haben wir der jungen welt vom 23. März 2002 entnommen. Das Interview führte Martin Höxtermann.

F: Sind die jetzt bekanntgewordenen Pläne des Pentagon, Atomwaffen zur Zerstörung unterirdischer Ziele einzusetzen, überraschend?

Keineswegs. Das Pentagon arbeitet seit längerem an flexibel einsetzbaren Miniatom-Sprengköpfen, die unterirdische Bunker zerstören können, ohne überirdisch eine langjährige Verstrahlung zu verursachen. Der Atomphysiker Robert Nelson von der Princeton-University hat bereits viele Monate vor dem 11.September publiziert, daß es ein großes Interesse von US-Senatoren an solchen Waffen gibt. Nelson berichtet davon, daß die USA bereits seit 1997 mit erddurchdringenden Atomwaffen, der B61-11, experimentieren. Sie könnten auch als Vergeltung für einen Angriff mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen oder bei überraschenden militärischen Entwicklungen eingesetzt werden. Die Friedensbewegung macht seit 1998 auf diese Neuausrichtung der US-Atomwaffenpolitik aufmerksam.

F: Was ist das Besondere an den neuen Atomsprengsätzen?

Die normalen Nuklearwaffen hatten und haben vor allem eine politische Funktion: Sie dienen der Abschreckung. Sie führen zu einer ungeheuer großen Zahl von Toten, so daß ihr Einsatz undenkbar ist. Die sogenannten Mini-Nukes senken diese Hemmschwelle, sie machen das seit Hiroshima und Nagasaki Undenkbare wieder denkbar. Bislang ist noch unklar, welche Sprengkraft sie haben werden und wie sie technisch funktionieren. Sie werden im Bereich bis etwa eine Kilotonne (kT) liegen. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe lag bei 12,5 kT. Damit wächst die Gefahr eines Atomkrieges, denn die Grenze zwischen konventioneller und atomarer Kriegführung verwischt. Wir können davon ausgehen, daß die USA den nächsten Krieg, etwa gegen den Irak, als Testfeld nutzen werden, um neue Waffen auszuprobieren. Auch im Kosovo-Krieg wurde ja die Durchschlagskraft uranhaltiger Munition erprobt. Die Folgen sind absehbar. Ein neuer weltweiter Rüstungswettlauf droht, der die Gefahr von Kriegen erhöht. Wir können nur hoffen, daß viele Menschen begreifen, wie dramatisch die aktuelle US-Atomwaffenpolitik wirklich ist.

F: Die Kehrtwende der US-Militärpolitik - auch ein Thema der kommenden Ostermärsche?

Auch. Daneben der Krieg in Afghanistan, die Beteiligung der Bundeswehr an weltweiten Einsätzen und der Umbau in einer Angriffsarmee sowie die Innere Sicherheit. Bei den über 30 Ostermärschen, die in diesem Jahr stattfinden, gibt es aber auch regionale Themenschwerpunkte und Aktionen. So wird der dreitägige Rhein-Ruhr-Ostermarsch in Nordrhein-Westfalen auf der zweiten Etappe von Essen nach Bochum wieder mit dem Fahrrad bestritten. Die FriedensfreundInnen aus Köln reisen mit dem Schiff zur Kundgebung nach Düsseldorf. Was die Resonanz angeht, wage ich keine Prognose. Ich fürchte jedoch, angesichts der für mich nicht nachvollziehbaren Gewöhnung an Krieg und Militär werden wir nicht wesentlich mehr Teilnehmer erwarten können als im vergangenen Jahr.

Aus: junge welt, 23. März 2002


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