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50 Jahre für den Frieden

Ostermärsche in rund 70 Städten geplant. Hauptforderungen sind die Abschaffung der Atomwaffen und der Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan

Von Reimar Paul *

Der erste Ostermarsch in der Bundesrepublik Deutschland dauerte vier Tage. Von Braunschweig, Hannover und anderen niedersächsischen Städten machten sich Ostern 1960 mehrere hundert Demonstranten zum Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide auf, wo die US-Armee damals neue Trägerraketen für Atomwaffen testete. Außer gegen Regen und Schlamm mußten die Ostermarschierer damals auch gegen Propaganda von oben ankämpfen: SPD-Chef Erich Ollenhauer wähnte die Demonstranten unter der »Einwirkung sowjetzonaler Propaganda«. DGB-Bundesvorstand Willi Richter sprach von »politisch undurchsichtigen Kräften und Hintermännern«.

Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer stieg von mehreren hundert im Jahr 1960 auf 300000 im Jahr 1968 an. Unter den Organisatoren und Unterstützern befanden sich insbesondere Theologen, Pädagogen, Gewerkschafter, Vertreter von Jugend- und Studentenorganisationen sowie Hochschullehrer und Künstler. Die Tradition, zu Ostern gegen Kriege und Atomwaffen zu protestieren, ist auch 50 Jahre später ungebrochen. Der Charakter der Kundgebungen hat sich allerdings geändert: Statt tagelanger, anstrengender Märsche organisieren die Friedensgruppen heutzutage eher Osterwanderungen, Fahrradstaffetten oder Mahnwachen. Ausnahmen sind die mehrtägigen Ostermärsche an Rhein und Ruhr.

Für dieses Osterwochenende wurden bundesweit rund 70 Aktionen angekündigt. Hauptthemen sind die Abschaffung der Atomwaffen und die Beendigung des Afghanistan-Krieges. Die Friedensgruppen fordern den Abzug der Bundeswehr und die Umwidmung der Gelder für zivile Projekte nach den Bedürfnissen derafghanischen Bevölkerung. Der mehr als achtjährige Militäreinsatz und selbst die deutsche Aufbauhilfe für Polizeieinheiten seien gescheitert, Hilfsprojekte würden durch die Truppen eher gefährdet als geschützt, bilanziert das in Bonn ansässige »Netzwerk Friedenskooperative«. Der Abzug der Bundeswehr solle so schnell wie möglich erfolgen, »bevor noch ein weiteres Massaker wie Anfang September angerichtet wird«.

Auch gegen die unrühmliche Rolle der Bundesrepublik als drittgrößter Rüstungsexporteur und gegen die zunehmenden Werbeoffensiven der Bundeswehr in deutschen Schulen wird bei den diesjährigen Ostermärschen protestiert. Die traditionelle Forderung »Spart endlich an der Rüstung« gewinne angesichts der aktuellen Finanznot eine besondere Bedeutung, meint der Sprecher der Informationsstelle Ostermarsch 2010, Willi van Ooyen. In der Bevölkerung wachse die Ablehnung, für die Krisenverursacher in Banken und Regierung zu zahlen.

Für den Nahostkonflikt dringen die Friedensinitiativen auf deutlich mehr Engagement von der Bundesregierung. Auch wenn jetzt hauptsächlich vom US-Präsidenten Barack Obama Eindeutigkeit gegenüber der israelischen Regierung gefordert sei: »Die eigentlich guten Möglichkeiten der Bundesrepublik werden nicht genutzt. Insbesondere Außenminister Westerwelle hat sich da bisher nicht mit Ruhm bekleckert«, heißt es bei der Friedenskooperative.

In Erfurt starten die Ostermarschaktivitäten bereits am heutigen Donnerstag mit einer Kundgebung, am Freitag folgen Mahngänge und Ostermärsche in Biberach, Bruchköbel und Dortmund, eine antimilitaristische Radrundfahrt in Heidelberg und eine Friedensvernissage in Hamburg.Zahlreiche Kundgebungen, Friedensgebete und Ostermärsche finden am Karsamstag statt. Der dreitägige Ostermarsch Ruhr startet in Duisburg, das Rheinland trifft sich zur Demo in Düsseldorf, in Gelsenkirchen wird bei einem Festival »laut gegen Krieg« gerockt. Der Ostermarsch Thüringen beginnt in Ohrdruf, die Saarländer demonstrieren in Saarbrücken, Baden-Württemberger in Stuttgart. Weitere Märsche sind in Ansbach, Augsburg, gegen den Truppenübungsplatz Senne bei Augustdorf, in Bremen und Bremerhaven, Ellwangen, Erbach, Erlangen, Frankenberg, Fulda, Kiel, Ramstein, in Leipzig zum US-Generalkonsulat, in München, Oldenburg, Traunstein, Wedel und Wiesbaden organisiert.

In Büchel (Eifel), wo die US-Atombomben in der Bundesrepublik lagern, startet die Demonstration am Ostersonntag »um fünf vor zwölf«. Der in den letzten Jahren größte Ostermarsch, gegen das »Bombodrom« in der Kyritz-Ruppiner-Heide, soll nach dem Aus für die Bundeswehrpläne in diesem Jahr mit der Forderung nach ziviler Nutzung des Areals als Osterwanderung direkt in das Gelände führen. In Gronau rufen Atomkraftgegner zu einem Ostermarsch zur Urananreicherungsanlage auf. Abschlußkundgebungen finden am Ostermontag unter anderem in Berlin, Dortmund, Chemnitz, Frankfurt, Kassel, Gardelegen, Münster und Nürnberg statt.

* Aus: junge Welt, 1. April 2010


Rüstungslobby im Visier

Berliner Ostermarsch kritisiert enge Verflechtungen von Waffenkonzernen und Bundestag

Von Martin Kröger **


Der Berliner Ostermarsch hat Probleme. Viel zu spät etwa erklärte die Polizei den Organisatoren, dass zeitgleich am Ostermontag eine Skater-Demo auf der Strecke durch Mitte stattfinden soll – der Beginn des traditionellen Anti-Kriegsmarsches am Potsdamer Platz muss daher auf 11 Uhr vorgezogen werden. Die Flyer waren aber bereits gedruckt, für Plakate gibt es hingegen seit Jahren kein Geld mehr. Dazu kommt, dass das Netzwerk Friedenskoordination (FRIKO), das den Zug seit 1982 in (West-)Berlin organisiert, ein Nachwuchsproblem hat. Zwar engagieren sich inzwischen auch Studierende und Schüler gegen Militär an Unis und Schulen, aber bei der gestrigen Pressekonferenz zur Vorstellung des diesjährigen Ostermarsches waren sie nicht anwesend.

Für die Organisatorin Laura von Wimmersperg ist der Ostermarsch dennoch »hochaktuell«. Dafür stünden insbesondere die Themen »Bundeswehreinsatz in Afghanistan« und der daraus resultierenden Folgen: All jener Schäden also, die einer Gesellschaft im Krieg entstehen würden. Und nicht zuletzt die horrenden Kosten, die die Auslandseinsätze der Bundeswehr verschlingen. »Die Truppen müssen raus aus Afghanistan«, fordert Wimmersperg. Ein weiterer Schwerpunkt der Friedensmanifestation ist die generelle Ächtung von Atomwaffen.

Es gibt jedoch auch lokale Problematiken, die der Berliner Ostermarsch thematisieren möchte: So die immer enger werdende Verflechtung zwischen Rüstungskonzernen und Bundestag. Die Bundesrepublik ist weltweit der drittgrößte Waffenexporteur, wie eine Untersuchung des Friedensforschungsinstitutes SIPRI jüngst darlegte. Innerhalb der letzten fünf Jahre wurde die Ausfuhr von Rüstungsgütern gar verdoppelt.

Doch wer mit Waffen dealt, braucht die Gunst des Parlaments. Die enge Verzahnung des Militärisch-Industriellen Komplexes in der Hauptstadt wollen die Organisatoren deshalb aufzeigen. »An der Strecke liegen neun Dependancen von Rüstungskonzernen in unmittelbarer Nähe zm Bundestag«, erzählt Klaus-Dieter Heiser von der LINKEN, der sich seit den 1960er Jahren an der Friedensbewegung beteiligt. In kurzen Redebeiträgen soll über die Machenschaften der Waffenlobby aufgeklärt werden. Die Abschlusskundgebung findet dann Unter den Linden 1 statt: Dort hat sich die Bertelsmann-Stiftung niedergelassen – ein »Think Tank«, in dem die neuesten Kriegsstrategien ausgeheckt werden.

** Aus: Neues Deutschland, 31. März 2010


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