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"Es bewegt sich nur das, was wir gemeinsam bewegen!"

Ostermarschreden von Andreas Buro in Frankfurt und von Ewald Ziegler in Nürnberg

In der Reihe unserer Ostermarsch-Berichterstattung und -dokumentation veröffentlichen wir an dieser Stelle zwei weitere Reden, die von Prof. Dr. Andreas Buro - er widmete sich vor allem der Geschichte des Ostermarsches - und von Ewald Ziegler, Sprecher des Nürnberger Friedensforums, der auf aktuelle friedenspolitische Fragen antwortete.


"In Deutschland des Jahres 1960 Ostermärsche zu veranstalten, das war alles andere als Zucker schlecken"

Rede auf der Abschlusskundgebung des Ostermarsches 2010 auf dem Frankfurter Römerberg, 5. April 2010 (Kurzfassung)

Von Andreas Buro


Liebe Freundinnen und Freunde,

Hätte mir vor einem halben Jahrhundert, als wir den ersten Ostermarsch in Norddeutschland vorbereiteten, jemand gesagt, dass daraus die westdeutsche außerparlamentarische Opposition hervorgehen würde, ich hätte wahrscheinlich nicht recht begriffen oder es für Spott gehalten. Der erste 'Ostermarsch gegen Atomwaffen in Ost und West' war alles andere als eine Massenbewegung.

Der deutsche Quäker Konrad Tempel hatte in England den London-Aldermaston-Marsch der Campaign for Nuclear Disarmament (CND) miterlebt und brachte die Idee nach Deutschland.

Zentral war die Aussage: "Gegen Atomwaffen in West und Ost." Für uns gab es keine Friedensbombe! Die Märsche standen unter dem runenartigen Zeichen des sterbenden römischen Kriegers oder wie andere das Zeichen deuteten als über einander kopiertes N und D aus der Flaggensignalsprache. ND steht für Nuclear Disarmament. Dieses Zeichen hat sich in der ganzen Welt verbreitet und fast einen Kult-Status als Oppositionszeichen der Zivilgesellschaft erreicht.

In Deutschland des Jahres 1960 Ostermärsche zu veranstalten, das war alles andere als Zucker schlecken. Es herrschte die hohe Zeit des Kalten Krieges, die auf beiden Seiten verbunden war mit der drohenden Aussage: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Da wollte es bei solcher West-Ost-Feindschaft schon etwas heißen, wenn normale Menschen es wagten, gegen Atomwaffen auf beiden Seiten zu protestieren. Zwar hatte es in der zweiten Hälfte der 50 er Jahre bereits die Aktion "Kampf dem Atomtod" gegeben. Die Großorganisationen, SPD und Gewerkschaften, hatten dabei politisch, finanziell und organisatorisch das Sagen. Doch 1959 machte die SPD eine Kehrtwendung.

An dieses verlassene Erbe knüpfte der erste Oster-Sternmarsch von 3 bis 4 Tagen nach Bergen-Hohne 1960 an. Mit einer gewissen Berechtigung kann man sagen, die außerparlamentarische Opposition als unabhängige Friedensbewegung wurde auch durch die SPD bewirkt.

Kriegsdienstverweigerung und Pazifismus waren zu dieser Zeit in der deutschen Gesellschaft marginal. So wurde der erste Ostermarsch von Ost und West mit Häme und Spott überschüttet. Naive Sektierer und idealistische Spinner waren noch die freundlichsten Bezeichnungen. Heute würde man darüber nur lachen - auch ein deutliches Zeichen für den Wandel gesellschaftlichen Bewusstseins nicht zuletzt durch die bald aufblühenden sozialen Bewegungen.

1961 fanden bereits in allen Regionen Westdeutschlands Ostermärsche statt. Viele politische und religiöse Gruppen entdeckten den Ostermarsch als eine Möglichkeit, mit vielen auch unterschiedlich Gesinnten gegen Atomwaffen zu protestieren. So konnten damals eigentlich randständige Gruppen von Pazifisten zu einem Fokus werden für die erste von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und anderen Großorganisationen unabhängige außerparlamentarische Opposition. Sie breitete sich nicht nur in Windeseile über die ganze Bundesrepublik aus, arbeitete während des ganzen Jahres und nicht nur zu Ostern, erweiterte ihre Thematik, so dass sie sich später über viele soziale Lernprozesse in die "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" verwandelte, eine Art Urmutter der "neuen sozialen Bewegungen".

Die Ostermarsch-Kampagne wurde zu einem breiten Bündnis aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus und politischen Lagern.

Seit Mitte der 1960er Jahre spielte das Thema Vietnam bei den Aktivitäten der Ostermarsch-Kampagne eine zunehmende Rolle. Die Bedeutung des Vietnam-Krieges für die Politisierung der Friedensbewegung kann gar nicht überschätzt werden, wurde doch durch ihn bei vielen das für Demokratie und Menschenrechte stehende Vorbild der USA zutiefst in Frage gestellt. Die Außen- und Militärpolitik der USA und darüber hinaus des "Westens" wurde unter dem Gesichtspunkt imperialistischer Machtausübung kritisiert und die Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus auf die Tagesordnung gesetzt.

1968 marschierten Ostblock-Staaten in die CSSR ein, was die Zusammenarbeit der heterogenen Teile der Kampagne außerordentlich belastete. Der Mordanschlag auf Rudi Dutschke 1968 verwies auf starke rechte Tendenzen in der Gesellschaft. Themen wie die Notstandsgesetzgebung traten in den Vordergrund. Ende der 1960er Jahre war die Kampagne derart politisiert - auch die StudentInnenbewegung hatte durch ihre Verselbständigung dazu beigetragen - dass sie sich zugunsten vieler Reformprojekte in fast allen gesellschaftlichen Bereichen de facto auflöste.

Die Ostermärsche der späteren Zeit hatten und haben einen anderen Charakter. Sie sind eine der vielen Aktionsformen der Friedensbewegung, die sich im Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss in den 80er Jahren wieder voll entfaltete.

In der schwierigen politischen Landschaft des Kalten Krieges der 60er Jahre hat die Kampagne große Teile der Bundesrepublik erfassen und eine breite öffentliche Diskussion entfalten können. Viele Menschen wurden ermutigt, öffentlich für ihre friedenspolitische Haltung einzustehen. Die Diskussion über Gewalt und Gewaltfreiheit in der Politik erhielt in den 70er Jahren neue Impulse aus der Auseinandersetzung mit den Gewaltstrategien der RAF. Sie erstreckt sich bis in die Gegenwart, wo insbesondere die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung als Kontrapunkt zum militärischen Konfliktaustrag im Vordergrund stehen.

Viel gelernt wurde im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Kompetenz über militärisches Denken und Strategien, aber auch dass man sich wehren kann und dass es möglich ist, viele Menschen in der Gesellschaft zu erreichen. Es war trotz unterschiedlicher Meinungen in einzelnen Fragen möglich, sich in zentralen Punkten zu einigen und gemeinsam koordiniert zu handeln. Die "Kampagne` erweiterte auch den Boden für die gesellschaftliche Akzeptanz der Kriegsdienst-verweigerung.

Die Ostermarsch-Bewegung hat vielfältige, lebens-bejahende, fröhliche Formen der Demonstration und der Kommunikation entwickelt. Kulturell-politische Veranstaltungen und Lieder spielten eine große Rolle. Sie hat internationale Arbeit intensiv betrieben: Demonstrationen und Redneraustausch über Grenzen hinweg.

In diesem halben Jahrhundert hat die Friedensbewegung sehr unterschiedliche Arbeitsphasen und ein Auf und Ab der Motivation und Beteiligung durchlaufen. Unabhängig davon ist das gesellschaftliche Bewusstsein weit verbreitet, dass die militärischen weltweiten Interventionen eine Politik zum Schaden unseren eigenen Gesellschaft sind. Die Ablehnung der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan zeigt dies nur allzu deutlich, obwohl vielen BürgerInnen die soziale Frage viel dichter auf den Nägeln brennt..

Inzwischen sind die Märsche zu Ostern ein fester Bestandteil der Protestkultur der Zivilgesellschaft in Deutschland. In zahllosen Kundgebungen und Veranstaltungen um Ostern wie auch während des Jahres werden die jeweils aktuellen Probleme von Krieg und Frieden aufgearbeitet. Das soll auch weiterhin so bleiben.

Ich schließe deshalb mit den Forderungen:

Kooperation statt Aufrüstung
soziale Gerechtigkeit statt Rüstungsexport
Friedenspolitik statt Kriegspolitik

Die Friedensbewegung wird noch weitere 50 Jahre gebraucht werden!


Spart endlich an der Rüstung!

Rede beim Ostermarsch am 5. April 2010 in Nürnberg vor der Lorenzkirche

Von Ewald Ziegler


Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, sehr geehrte Damen und Herren!

Scheibchenweise wird in unserem Land Kriegsbeteiligung wieder politischer Alltag. Es begann mit Brunnenbohren durch die dafür wohl bestens geeignete Bundeswehr, ging über humanitäre Hilfe, Bomben für die Menschenrechte wie in Jugoslawien und kriegsähnlich bis zum jetzigen Endpunkt: Gestern sprach Minister Guttenberg davon, dass man die `Vorgänge in Afghanistan`als Krieg bezeichnen könne. Diese Einsicht setzte Guttenberg bei der Ankunft der drei getöteten Bundeswehrsoldaten in die Welt. Hier sei deutlich und klar gesagt:

Wir fühlen mit allen Opfern des Afghanistankrieges. Deshalb auch mit den Angehörigen der drei getöteten Bundeswehrsoldaten. Aber auch mit den afghanischen Opfern. Die fünf von der Bundeswehr getöteten Afghanen haben genauso Angehörige, die trauern. Das kommt leider kaum in den Medien vor. Wir vergessen dabei aber nicht wer mit fremden Truppen das Land besetzt hat und dort gemeinsam mit Warlords, Drogenbaronen, Wahlfälschern und ähnlichen ehrbaren Personen vorgibt Demokratie, Menschenrechte und gesellschaftliche Entwicklung voranzubringen. Welch ein Desaster ist es für die ausländischen Truppen und ihre afghanischen Verbündeten, wenn sich immer mehr Menschen in Afghanistan den Taliban zuwenden. Das allein müsste doch schon reichen, um die bisherige Politik in Frage zu stellen. Doch was passiert? Die bisher fehlgeschlagene Strategie wird intensiviert - die Zahl der Soldaten wird erhöht und der Krieg ausgedehnt. Um der ablehnenden Haltung in der Bevölkerung bei uns scheinbar entgegenzukommen wird das verkauft mit dem Werbespot "Mehr Soldaten um abziehen zu können". Und die Mehrheit im Bundestag regt sich nicht darüber auf, sondern über hochgehaltene Plakate im Hohen Haus mit den Namen afghanischer Kriegsopfer. Beileibe keine Sternstunde des Hohen Hauses.

Ein Beschluss des Hohen Hauses freut uns! Der Bundestag hat sich für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt ausgesprochen. Eine solche Forderung war in den 50er und 60er Jahren nahe am Landesverrat und nicht selten Anlass für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Die Verunglimpfung als Spinner war da noch verhältnismäßig harmlos.

Die hier anwesenden Ostermarschierer von damals erinnern sich gewiss. Bis zum Ende der Ost-West-Konfrontation durch Wegfall des einen Teils galt eine solche Forderung als kommunistisch gesteuert. Daran erinnere auch ich mich noch gut!

Es würde vielen im Bundestag gut zu Gesicht stehen, wenn sie diesen Beschluss zum Anlass nehmen würden, um sich bei Menschen zu entschuldigen, die wegen der Forderung nach einer atomwaffenfreien Welt diffamiert und benachteiligt wurden.

Und wir werden gerne mithelfen, dem Beschluss Taten folgen zu lassen. Abzug der Atombomben aus der Eifel muss schnellstens umgesetzt werden und dürfte nach der Beschlusslage kein Problem sein. Der nächste Schritt wäre Aufkündigung der entsprechenden Nato-Doktrin. Auch das dürfte gemeinsam mit dem Friedensnobelpreisträger Obama schnell zu verwirklichen sein.

Oder sollte es doch in der Ablage verschwinden?

Es bewegt sich nur das, was wir gemeinsam bewegen!

Deshalb: Bleiben wir dran an der Forderung nach einer atomwaffenfreien Welt! Gerne stärken wir bei einer entsprechenden Politik dem Bundestag dabei den Rücken. Und wenn nicht? Dann bleiben wir ein Stachel, der unermüdlich durch Aufklärung sticht und versucht Druck zu entwickeln bis das Dreckszeug von Atombomben nur noch in Geschichtsbüchern vorkommt.

Es geht aufwärts in Deutschland - zumindest mit dem Waffenexport. Verdoppelung innerhalb von fünf Jahren. Es spricht Bände, dass die größten Waffenexporteure gleichzeitig die eifrigsten Befürworter und Akteure von militärischen Interventionen zur Durchsetzung von Frieden und Menschenrechten sind. Und unser Land zusehends vorne dabei. Welch ein Hohn, wenn immer mehr Geld für Waffen ausgegeben wird und gleichzeitig im Sozial- und Bildungsbereich gespart wird. Auch bei uns! Sagen wir noch deutlicher und noch lauter den Menschen, wo Geld für Kindergärten, Ganztagsschulen, Krankenhäuser und und und zu holen ist: Bei der Rüstung! Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe, dieses Thema spätestens vor den Haushaltsberatungen im Herbst stärker in die Öffentlichkeit und damit in die Stadträte bis hin zum Bundestag zu tragen?

Eins noch dazu: Arbeitsplätze! Wir nehmen die Sorgen der in Rüstungsfirmen Beschäftigten ernst, besonders jetzt in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. Skandalös dabei ist nicht, dass manche und mancher Beschäftigte den Versprechungen glaubt, Rüstung sichere den Arbeitsplatz. Skandalös ist, dass mit solchen Versprechungen bis hin zu Erpressungen die Akzeptanz von Rüstung erhöht werden soll.

Wir wissen, dass nicht die Beschäftigten in den Rüstungsbetrieben über die Produktpalette entscheiden, sondern letzten Endes die Eigentümer. Vielleicht sollten wir das Problem auch mit Hilfe des Grundgesetzes angehen. "Eigentum verpflichtet.

Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen", heißt es im Artikel 14 des Grundgesetzes. Wer mit seinem Eigentum für den Tod produziert verstößt nach unserer Meinung gegen diesen Artikel. Wir bleiben dabei: Spart endlich an der Rüstung!

Am 8. Mai begehen wir den 65. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg!

Mischen wir uns in die Debatte ein. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Ist eine Einheit. Treten wir allen Versuchen entgegen, die Geschichte für die Rechfertigung heutiger Kriege umzudeuten!

Na schön und gut, denken jetzt vielleicht viele von Ihnen. Nur wer soll das durchsetzen?

Hier sind wir bei einem Punkt, der über die Friedensfrage hinausgeht. Wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung beim Afghanistankrieg oder in zentralen Punkten der Sozialpolitik über längere Zeit nicht in den Entscheidungen des Bundestages wiederfindet, dann führt das aktuell zu Lethargie und politischem Rückzug. Das mag für die Regierenden angenehm sein. Doch welche Auswirkungen hat das für die demokratische Entwicklung in unserem Land? Ich fürchte keine gute!

Somit treten wir mit Aktionen wie heute nicht nur für Frieden und Abrüstung ein. Indem wir Z.B. den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordern, versuchen wir auch entmutigten Menschen ihren Mut und ihre Hoffnung wieder zu geben.

Und es kämpft sich ja nicht schlecht für Frieden, Abrüstung und Recht!

Werbeblock zum Abschluss: In diesem Sinne zum 1. Mai mit unserem Vorschlag Rüstung kürzen - Soziales erhöhen!


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