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Friedensbewegung warnt vor "deutschem Vietnam"

Bundesregierung plant Aufstockung der Bundeswehr in Afghanistan - Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag (im Wortlaut)

Die "Frankfurter Rundschau" berichtete am 21. Juni auf Seite 1 unter dem Titel "Neuer Marschbefehl für Afghanistan" über Planungen der Regierungskoalition, die Truppenstärke der Bundeswehr in Afghanistan von derzeit 3.500 auf 4.500 zu erhöhen. Die Friedensbewegung, die mitten in der Vorbereitung einer bundesweiten Demonstration am 20. September zur Beendigung des Afghanistan-Einsatzes steckt, fühlte sich dadurch herausgefordert und reagierte mit einer ersten Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag. Wir dokumentieren im Folgenden dessen Pressemitteilung.



Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Friedensbewegung warnt vor "deutschem Vietnam"

Friedensratschlag zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan
  • Bundesregierung will Truppen in Afghanistan um 30 Prozent aufstocken
  • Afghanistan-Einsatz von der Bevölkerung abgelehnt
  • Aufstockung der Bundeswehr widerspricht der "Stärkung" des zivilen Engagements
  • Sicherheit und Stabilität mit Militär und Besatzung nicht zu erreichen
  • Afghanistan wird zum "Vietnam" für NATO und Bundeswehr
  • Friedensbewegung: "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan"
Obwohl die Bundesregierung alles tat, um es geheim zu halten: Jetzt wurde doch bekannt, dass das Bundeswehrkontingent in Afghanistan um rund 1.000 Soldaten auf 4.500 aufgestockt werden soll. Derzeit sind knapp 3.500 Bundeswehrsoldaten im Norden Afghanistans stationiert. Darunter befinden sich neuerdings 250 Soldaten einer Schnellen Eingreiftruppe, die am 1. Juli eine norwegische Einheit ablösen soll. Am kommenden Mittwoch (25. Juni) wollen Außenminister Steinmeier und Verteidigungsminister Jung das Parlament über die jüngsten Pläne informieren.

Vorausgegangen war ein monatelanges Drängen der US-Regierung, des NATO-Generalsekretärs und hochrangiger deutscher Militärs, das Bundeswehrmandat auszuweiten. Vor wenigen Tagen forderte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, ultimativ, die bisherige Obergrenze "um mindestens 20 Prozent" anzuheben, und zwar "unverzüglich", "und nicht erst im Oktober". Bis zum Oktober muss der Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes entscheiden.

Der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr wird in der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. Dies haben Meinungsumfragen verschiedener Institute immer wieder bestätigt. Aus diesem Grund tut sich die Bundesregierung schwer, die gewünschte Ausweitung des Mandats zu "kommunizieren". Dies war so bei der umstrittenen Entsendung zusätzlicher Tornado-Aufklärungsflugzeuge im März 2007, dies wiederholte sich bei der Entscheidung über die zusätzliche Kampftruppe - hier war der Landtagswahltermin in Hessen und Niedersachsen abgewartet worden, um der LINKEN nicht zusätzliche Wahlkampfmunition zu liefern. Und auch die vermutlich bereits gefallene Entscheidung über die Truppenaufstockung sollte mit Rücksicht auf die nächste Landtagswahl in Bayern erst nach dem 28. September publik gemacht werden. Und schließlich gibt es Überlegungen in der Regierungskoalition, das nächste Mandat nicht wie üblich für 12 Monate, sondern für 18 Monate, auszustellen, damit die Afghanistanfrage den nächsten Bundestagswahlkampf nicht "belastet".

Wir stellen fest: Die Bundesregierung missachtet vorsätzlich und permanent den Willen der Bevölkerung.

Die Ausweitung des Militäreinsatzes in Afghanistan widerspricht aber auch den eigenen Bekundungen der Regierungskoalition. In ihrem "neuen" Afghanistankonzept vom September l.J. versprach die Regierung mehr für den zivilen Wiederaufbau des Landes tun zu wollen (Stärkung der Rgeierungsinstitutionen und von lokalen Strukturen, Aufbau des Justizsystems, Rückkehrprogramm für Flüchtlinge, Wirtschaftsförderung usw.). Stattdessen wird ausschließlich die militärische Komponente erhöht. Allein die Aufstockung der Truppe um 1.000 Soldaten wird mehr Geld kosten als die gesamte zivile Afghanistanhilfe (2008: 125 Mio. EUR). Hinzu kommen die Begehrlichkeiten der Bundeswehr. Bernhard Gertz fordert eine bessere Ausrüstung für die Truppe in Afghanistan, z.B. sollen statt bisher sechs künftig 12 geschützte Hubschrauber CH 53 eingesetzt werden, sagte er am 17. Juni der "Passauer Neuen Presse".

Wir stellen fest: Die so gepriesene "zivil-militärische Kooperation" (NATO-Jargon: cimic) verläuft immer mehr zu Lasten der zivilen und zu Gunsten der militärischen Komponente.

Die Friedensbewegung hat viele Gründe, nicht nur vor einer Ausweitung des militärischen Engagements in Afghanistan zu warnen, sondern eine Beendigung des Einsatzes zu fordern. Die meisten Experten kommen zu dem Schluss, dass Afghanistan militärisch nicht zu besiegen sei. Ein Blick auf die bisherige Entwicklung der Kämpfe in Afghanistan zeigt: Mit jeder Truppenaufstockung von Seiten der NATO nahm auch der Widerstand gegen die Besatzung zu. Sicherheit und Stabilität sind mit Militär nicht zu erreichen. Henry Kissinger prophezeite Anfang der 80er Jahre den Sowjets nach ihrem Einmarsch in Afghanistan, dort ihr "Vietnam" zu erleben. Die NATO und die Bundeswehr sind heute dabei, ihr eigenes "Vietnam" zu schaffen.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wird in einem breiten Bündnis aus Friedens- und anderen sozialen Bewegungen an einer öffentlichen Kampagne zur Beendigung des Krieges in Afghanistan beteiligen. Unter dem Motto "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan" soll im Herbst gegen die vom Bundestag zu entscheidende Mandatsverlängerung und -aufstockung mobilisiert werden.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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