Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Eugen Drewermann: "Danke, dass sie heute gekommen sind, um Nein zu sagen"

Eine bewegende Rede, eine gelungene Demonstration und ein unerwartet großes Medienecho - Berichte vom bundesweiten Protest der Friedensbewegung in Berlin

So bescheiden die Zahlen der Teilnehmer/innen an dem bundesweiten Protest der Friedensbewegung gegen den Afghanistankrieg anmuten: Die Resonanz konnte sich sehen lassen. Sowohl die Kundgebung (mit einer bewegenden Rede von Eugen Drewermann) als auch die Demonstration (mit einer eindrucksvollen Die-In-Aktion der IPPNW am Brandenburger Tor) als auch der gelungene Schlusspunkt (die demonstrative Ablage von über 100 Ortsschildern durch Delegationen aus dem ganzen Land) setzten neue Akzente des Protestes, die die augenblickliche Mobilisierungsschwäche der Friedensbewegung vergessen machten. Die 2.500 bis 3.000 Demonstrantinnen und Demonstranten haben keinen Grund, diese Aktion klein reden zu lassen. Im Gegenteil: Es war das richtige Signal der Friedensbewegung an die Regierenden und an den Bundestag, die Kritik am Afghanistan-Krieg und den Mehrheitswillen der Bevölkerung endlich ernst zu nehmen. Die "Berliner Umschau" brachte es schon am Tag vor der Demo auf den Punkt:

"Es mag sein, daß sich die gesellschaftliche Mehrheit, die es gegen den Krieg in Afghanistan gibt, noch nicht in Zahlen ausdrückt. Für die meisten Bundesbürger ist Afghanistan eben nur ein weit entfernt liegendes Ärgernis, aber es ist wichtig, daran zu erinnern, daß diese Mehrheit da ist. Die Mehrheiten im Bundestag sind nicht die Mehrheiten unter den Menschen. Das sollen die Damen und Herren im Bundestag ruhig wissen – und die Menschen in Deutschland und der Welt auch!"

Freundlich und positiv auch der Tenor der Berichterstattung in den Rundfunk- und Fernsehanstalten, so z.B. in der Tagesschau (mit einer gut bebilderten Zweieinhalb-Minuten-Meldung) und in den Tagesthemen am Samstagabend (in diesen Bericht wurde die Nachricht eingebaut, dass die niederländische Regierung an diesem Tag an der Frage des weiteren Afghanistaneinsatzes zerbrochen sei). Die Abendschau von rbb mäkelte an der "Linkslastigkeit" der Demo herum (als wäre eine rechtslastige Friedensdemo überhaupt denkbar). Die gedruckte Presse, von der wir im Folgenden ein paar Kostproben geben, hielt sich einerseits an die Berichte der großen Nachrichtenagenturen - die offenbar alle da waren -, einige überregionale Blätter, darunter auch die Frankfurter Rundschau, hatten eigene Korrespondenten vor Ort.

Es folgt eine Auswahl von Medienberichten:

Friedlicher Protest gegen Afghanistan-Einsatz

Zwischen 1500 und 2000 Menschen haben in Berlin friedlich gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr demonstriert. Die Demonstranten befürchten eine Eskalation des Konflikts durch eine Aufstockung des Truppenkontingents der Bundeswehr. Bundesaußenminister Guido Westerwelle richtete eine Botschaft an die Demonstranten.

Mit einer Demonstration in Berlin hat die Friedensbewegung am Samstag gegen den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan protestiert. An der Kundgebung nahmen nach Veranstalterangaben 2000 Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet teil, die Polizei sprach von bis zu 1500 Demonstranten. „Alles verlief ruhig und friedlich“, sagte eine Polizeisprecherin. Aufgerufen hatten die beiden Organisationen „Kooperation für den Frieden“ und „Bundesausschuss Friedensratschlag“. Einer der Redner war der Kirchenkritiker Eugen Drewermann.

Die Protestkundgebung richtete sich gegen das Vorhaben der Bundesregierung, „noch mehr Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan in den Krieg zu schicken“, wie es in dem Aufruf zur Demonstration hieß. Dies bedeute „in erster Linie eine Eskalation des Kriegs“. Die Friedensorganisationen verwiesen auf Umfragen, wonach die Mehrheit der Bundesbürger einen schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordere.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte in Berlin: „Meine Botschaft an die Demonstrantinnen und Demonstranten ist: Es ist gut, dass man eine gesunde Skepsis hat, wenn es um Militäreinsätze im Ausland geht. Aber man darf nicht naiv sein.“ Nach seinen Worten würde „kein einziger Brunnen gebohrt, es würde kein Krankenhaus gebaut und es würde kein Mädchen zur Schule gehen können, wenn wir jetzt einfach kopflos abziehen und Afghanistan sich selbst überlassen würden“. Zudem wäre dies laut Westerwelle ein erhebliches Risiko für die Sicherheit auch in Europa.

focus (online), 20. Februar 2010


Demo gegen Bundeswehr in Afghanistan

Gegen den Militär-Einsatz in Afghanistan haben heute Hunderte Menschen protestiert.

Mehrere Hundert Menschen haben am Sonnabend in Berlin gegen die geplante Aufstockung des Bundeswehrkontingents in Afghanistan demonstriert. Die Polizei sprach von 800 Teilnehmern, die Veranstalter von bis zu 3000 Demonstranten. Die Generalsekretärin der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, Christine Hoffmann, sagte auf einer Kundgebung, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehne den militärischen Einsatz am Hindukusch ab.

„Mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, bedeutet keine Exit-Strategie, sondern faktisch mehr Kämpfe“, sagte sie. Jeder weitere tote Zivilist provoziere die Ablehnung der afghanischen Bevölkerung und spiele somit den Taliban in die Hände.

Die Demonstranten hatten Plakate mit Sprüchen wie „Kein Soldat mehr“ oder „Frieden für Afghanistan – Bundeswehr raus“ bei sich. Auch Fahnen der Globalisierungsgegner Attac und der Partei Die Linke waren zu sehen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) würdigte die „gesunde Skepsis“ der Demonstranten gegenüber Militäreinsätzen im Ausland. Man dürfe aber auch nicht naiv sein. Westerwelle sagte: „Es würde kein einziger Brunnen gebohrt, es würde kein Krankenhaus gebaut und es würde kein Mädchen zur Schule gehen können, wenn wir jetzt einfach kopflos abziehen und Afghanistan sich selbst überlassen würden. Abgesehen davon wäre es auch ein erhebliches Risiko für unsere eigene Sicherheit hier in Europa.“

Das neue Bundestagsmandat, das kommende Woche beschlossen werden soll, sieht eine Erhöhung des Bundeswehrkontingents um 850 auf bis zu 5350 Soldaten in Afghanistan vor.

BZ Berlin (online), 20. Februar 2010


Gekommen, um nein zu sagen

Die Friedensbewegung demonstriert in Berlin gegen den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Doch der Frust bei den Menschen sitzt tief. Die Botschaft von Außenminister Westerwelle macht es nicht besser.

Von Sebastian Gehrmann

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht los, um dagegen zu demonstrieren. "Da muss man sich doch wundern", sagt einer am Samstag und wundert sich über "ein paar Pazifisten" auf dem Berliner Bebelplatz, es sind rund 1500. "Sieben von zehn Deutschen", rechnet er vor, "fordern 'Raus aus Afghanistan'", doch wenn es darum ginge, "Flagge zu zeigen", wehten immer die selben Fahnen im Wind. "Das ist doch absurd. Das muss mir erstmal einer erklären."

Peter Strutynski steht neben der Bühne, auch er hat dort oben geredet, geschimpft und gewütet. "Was wirklich blüht in Afghanistan", hat Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag den Menschen gesagt, "sind der Mohn, Korruption und die Prostitution." Die Politiker, die könnten ihm vieles erzählen, doch ihre Lügen wolle er nun nicht mehr hören. Krieg und nicht anderes als Krieg würden die Deutschen am Hindukusch führen und damit müsse jetzt Schluss sein, besser heute als morgen.

Es gab auch für Peter Strutynski vereinzelt Applaus, "man sieht und hört das", sagt er, "die Friedensbewegung ist müde. Wir sind nicht mehr so mobilisierungsfähig, wie wir es einmal waren", einigen fehle die Kraft und andere hätten andere Probleme. "Der Krieg ist weit weg" und "hier ist die Krise. Man muss direkt betroffen sein, um auf die Straße zu gehen." Ein Mann kommt vorbei, er trägt ein Plakat, es erinnert an die großen Demonstrationen, Vietnam zum Beispiel, oder Irak. Es muss doch Gründe geben, warum der Protest von der Straße verschwindet? "Ich weiß", sagt Strutynski, "aber ich stochere da im Nebel".

Was er erkennen kann, oder besser auch nicht, ist die mangelnde Unterstützung. Von den fünf Parteien im deutschen Bundestag, hätten nur die Linken dazu aufgerufen, sich an der Demonstration zu beteiligen. "Gerade die Grünen haben sich komplett aus der Friedensbewegung zurückgezogen", klagt Strutynski. Das ist vor allem als Schelte gegen die Parteispitze gemeint, "da gibt es keinen Impuls mehr von oben".

Und wo er gerade dabei ist, stellt Strutynski auch den Sozialdemokraten "ein Armutszeugnis" aus. Für ihn sei die SPD "der Umfaller der Woche". Erst habe Sigmar Gabriel vollmundig verkündet, man werde keine weiteren Soldaten nach Afghanistan schicken, dann habe Frank-Walter Steinmeier angekündigt, eben jene Pläne zu unterstützen. Auch mit Stimmen der Opposition wird das Parlament wohl die Truppenaufstockung beschließen. "Da fehlt mir jedes Verständnis."

Der Frust sitzt tief bei all jenen, die in diesem Jahr schon in München oder Dresden ein Ende des Krieges forderten. "Man geht auf die Straße und will etwas bewegen, aber man fühlt sich so hilflos", sagt einer, der schon lange dabei ist, "seit fast 40 Jahren". Er habe sie alle erlebt, "die Hochs und die Tiefs der Bewegung", doch diese Ignoranz, "die die Politik heute an den Tag legt, die ist schon frappierend". Wie zum Beweis wird der Außenminister dem Demonstrationszug, der vor dem Reichstag endet, eine Botschaft übermitteln. Guido Westerwelle: "Es ist gut, dass man eine gesunde Skepsis hat, wenn es um Militäreinsätze im Ausland geht. Aber man darf nicht naiv sein."

Und so wird vor allem der Auftritt Eugen Drewermanns in Erinnerung bleiben. Der bekannte Kirchenkritiker sprach, nein, er predigte nahezu, und die Menschen lauschten fast andächtig. Es war irgendwann so still, Drewermann hätte kein Mikrofon gebraucht, als er sagte: "Danke, dass sie heute gekommen sind, um Nein zu sagen."

Aus: Frankfurter Rundschau, 22. Februar 2010


Protest gegen den Krieg

Kundgebung und Demonstration »Kein Soldat mehr« in Berlin

Von Peter Nowak

Aktion gegen den Krieg in Afghanistan. Lediglich 2000 Friedensbewegte demonstrierten in Berlin, obwohl die Ablehnung des Bundeswehreinsatzes in der Bevölkerung weiter verbreitet ist.

Rund 2000 Menschen demonstrierten am Sonnabend in Berlin für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. »Kein Soldat mehr. Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan« hieß das Motto der Aktion, zu der bundesweit aufgerufen worden war.

Unter den Teilnehmern befanden sich auch Bundes- und Landtagsabgeordnete der Linkspartei und einige Gewerkschafter, die mit der Fahne der IG Bauen Agrar Umwelt Flagge zeigten. »Krieg wird niemals Frieden, wie auch eine Katze niemals ein Hund wird«, widersprach der Theologe Eugen Drewermann unter Applaus den Beteuerungen der Bundesregierung, der Einsatz der Bundeswehr diene dem Frieden in Afghanistan. Drewermann schloss seinen Beitrag mit einem literarischen Klassiker der deutschen Friedensbewegung ab, indem er das Gedicht »Sag nein«, von Wolfgang Borchert rezitierte.

Einen anderen politischen Akzent setze eine Gruppe jüngerer Kriegsgegner mit einem Transparent, auf dem die Parole stand: »Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen Schaden anrichten«. »Wir wollen deutlich machen, dass es sehr unterschiedliche Formen des Antimilitarismus gibt. So haben in verschiedenen Ländern Antimilitaristen Kriegsgerät zerstört, bevor es zum Einsatz kommt«, betonte eine Frau hinter dem Transparent gegenüber ND. In Berlin sind im Dezember 2009 drei Männer, denen versuchte Brandstiftung an Militärfahrzeugen vorgeworfen wurde, zu Haftstrafen verurteilt worden.

An die Kundgebung schloss sich eine Demonstration zum Reichstagsgebäude an. Mit einem symbolischen »Die-In« (engl. Sterben) wollten Mitglieder der Internationalen Ärzteorganisation für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) auf die alltäglichen Opfer des Afghanistankrieges aufmerksam machen. »In unseren Medien werden Zivilisten, die in Afghanistan durch NATO-Bomben sterben, nur am Rande erwähnt«, beklagte eine IPPNW-Aktivistin.

Zum Abschluss der Demonstration wurden Schilder mit den Namen von 100 Städten, in denen Kriegsgegner aktiv sind, in der Nähe des Reichstags platziert. Darunter waren Berlin, Bremen und Hamburg, das sachsen-anhaltische Halle an der Saale und das osthessische Fulda, die bisher nicht als politische Hochburgen bekannt waren.

Seit einigen Monaten ruft der DGB-Kreisverband Fulda mit einem Appell zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und zur Schaffung ziviler Arbeitsplätze auf. Auch in Berlin wurden Unterschriften für den Fuldaer Appell gesammelt.

»Anlass war der Tod eines jungen Mannes aus Fulda, der an den Folgen seiner Verletzungen, die er sich als Soldat in Afghanistan zugezogen hatte, im letzten Jahr starb. Bei der Beerdigung wurde viel vom Tod für das Vaterland gesprochen. Dass sich der Mann zur Bundeswehr gemeldet hatte, weil er arbeitslos war, wurde nicht erwähnt.« Das sei der Anlass für die Gewerkschafter gewesen, friedenspolitische Position zu beziehen, berichtet Karin Masche vom Fuldaer DGB-Kreisvorstand.

Wie die Städteschilder deutlich machten, ist das Beispiel aus Osthessen keine Ausnahme. An der Basis laufen mehr Aktivitäten gegen die Bundeswehr in Afghanistan, als die relativ bescheidene Zahl der Demonstrationsteilnehmer am Sonnabend vermutet lässt. »Obwohl Umfragen zufolge die Mehrzahl der Bundesbürger den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnt, lassen sich nur wenige Menschen dafür mobilisieren«, diese Einschätzung von Ute Finckh vom Bund für Soziale Verteidigung (BSV) hat sich wieder einmal bestätigt.

Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2010


Protest-Demo gegen Afghanistan-Politik in Berlin

Rund 1.500 Menschen haben in Berlin gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr protestiert. Zur Demonstration unter dem Motto "Kein Soldat mehr" hatten bundesweit Friedensinitiativen, Gewerkschaften und Parteien aufgerufen.

Drewermann: "Raus aus Afghanistan"

Der Theologe Eugen Drewermann sagte bei der Kundgebung, die Bundeswehr müsse "lieber heute als morgen raus aus Afghanistan". Auch müssten die deutschen Soldaten den Befehl zum Töten verweigern. Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, kritisierte die Missstände am Hindukusch. Was dort wirklich blühe, seien Mohn, Korruption und Prostitution. Die Veranstalter hatten nach eigenen Angaben mit ihrem Protest zeigen wollen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung eine Erhöhung der Truppenstärke strikt ablehnt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte die Demonstranten in einer schriftlichen Mitteilung davor, "naiv zu sein", wenn es um Militäreinsätz gehe.

Nur die SPD übelegt noch

Der Bundestag entscheidet am kommenden Freitag darüber, ob mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden. Bisher sind dort 4.500 Bundeswehrsoldaten stationiert. 5.350 soll das neue Mandat erlauben. Wegen der schwarz-gelben Mehrheit ist die Zustimmung des Parlaments bereits gesichert. Die SPD hat sich noch nicht endgültig festgelegt. Die Linke lehnt den Einsatz ab.

Die meisten Bundestagsabgeordneten der Grünen wollen sich enthalten. Das kündigte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Frithjof Schmidt am Sonnabend in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa an. Es gebe im Plan der Regierung "eine ganze Reihe von unklaren Punkten und Widersprüchen", sagte er zur Begründung. Grundsätzlich sei ein "Stabilisierungseinsatz" für Afghanistan aber auch aus Sicht der Grünen weiterhin sinnvoll.

Im Vorfeld der Bundestags-Entscheidung

Mehr als 100.000 Soldaten aus zehn Nationen in Europa und Nordamerika sind derzeit in Afghanistan. Nach dem Plan der USA, die Truppen zu verstärken, wird der Einsatz noch einmal um 40.000 Kräfte aufgestockt. Hintergrund ist die Annahme, dass nur mit einer größeren Militärmacht der Boden für einen schnelleren Abzug bereitet werden kann.

mdr, 20. Februar 2010


Demo gegen Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan

Etwa 1500 Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet haben am Samstag in Berlin gegen den Einsatz der Bundeswehr und anderer Armeen in Afghanistan protestiert. Bei einer Kundgebung auf dem Bebelplatz forderte Kirchenkritiker Eugen Drewermann ein sofortiges Ende des Militäreinsatzes.

Afghanistan habe in 3000 Jahren seiner Geschichte kein einziges anderes Land angegriffen, sagte Drewermann.

Nach der Kundgebung soll ein Protestzug zum Reichstag und Brandenburger Tor ziehen. Die Berliner Polizei sprach von 800 Teilnehmern, die Veranstalter von bis zu 3000 Demonstranten. Die Generalsekretärin der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, Christine Hoffmann, sagte auf der Kundgebung, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehne den militärischen Einsatz am Hindukusch ab.

"Mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, bedeutet keine Exit-Strategie, sondern faktisch mehr Kämpfe", sagte sie. Jeder weitere tote Zivilist provoziere die Ablehnung der afghanischen Bevölkerung und spiele somit den Taliban in die Hände.

Die Demonstranten hatten Plakate mit Sprüchen wie "Kein Soldat mehr" oder "Frieden für Afghanistan - Bundeswehr raus" bei sich. Auch Fahnen der Globalisierungsgegner Attac und der Partei Die Linke waren zu sehen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) würdigte die "gesunde Skepsis" der Demonstranten gegenüber Militäreinsätzen im Ausland. Man dürfe aber auch nicht naiv sein. Westerwelle sagte: "Es würde kein einziger Brunnen gebohrt, es würde kein Krankenhaus gebaut und es würde kein Mädchen zur Schule gehen können, wenn wir jetzt einfach kopflos abziehen und Afghanistan sich selbst überlassen würden. Abgesehen davon wäre es auch ein erhebliches Risiko für unsere eigene Sicherheit hier in Europa."

Das neue Bundestagsmandat, das kommende Woche beschlossen werden soll, sieht eine Erhöhung des Bundeswehrkontingents um 850 auf bis zu 5350 Soldaten in Afghanistan vor. (dpa/ddp)

Der Tagesspiegel (online), 20. Februar 2010


Schwacher Protest

Nur 2 000 Menschen demonstrieren in Berlin gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan

Von Christian Siepmann


BERLIN. Für einen Moment ist es, als wäre der große Heinrich Böll auferstanden. Eine schwarze Baskenmütze auf dem Kopf, bellt ein eigentlich Sanftmütiger erboste Worte über den Berliner Bebelplatz: "Wir fordern unsere Soldaten auf, den Befehl zum Töten zu verweigern und zu desertieren." Und, gemünzt auf die Abgeordneten des Bundestags: "Wir sollten uns fragen, ob sie nicht einen Sprung in der Schüssel haben und nicht auf Parlamentsbänke gehören, sondern ganz woanders hin", Auch das Anliegen ist dasselbe wie Bölls vor fast dreißig Jahren: Frieden.

Zwei Friedenstauben

Doch der Mann, der auf der Pritsche eines roten Lastwagens ins Mikrofon spricht, heißt nicht Böll, sondern Eugen Drewermann, Theologe und Schriftsteller aus Paderborn. Böll und Drewermann unterscheidet vor allem eines: das Publikum. Während Böll zu Hunderttausenden für Frieden und gegen Atomwaffen sprach, hören am Sonnabend höchstens 2 000 Menschen Drewermanns Aufruf gegen mehr Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und für einen sofortigen Waffenstillstand. Zu Böll kamen die Alten und die Jungen, die Schüler und Studenten, die Rentner, die Gewerkschafter, die SPDler, die Familien. Zu Drewermann kamen nur die ohnehin Erwarteten.

Auf dem kaum zu einem Viertel gefüllten Platz tragen Menschen DKP- und KPD-Fahnen, welche von der Linkspartei sind da und zwei weiße Friedenstauben flattern auf blauem Grund. Wenige Attac-Banner, zahlreich die Friedensfahnen in den Farben des Regenbogens. Am Rand des Platzes haben die Trotzkisten von der "Sozialistischen Alternative" ihren Stand aufgebaut, direkt daneben die Konkurrenz von der "Partei für Soziale Gleichheit". Gesine Lötzsch, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, plauscht mit Parteigenossen. Die 48-Jährige darf sich hier zu den Jüngeren zählen.

Nur drei Gewerkschaftsfahnen verteilen sich über den Platz: GEW, IG Bau und DGB Fulda. Eine einzige der Jusos. Vor Drewermann haben Sevim Dagdelen von der Linkspartei, Christine Hoffmann von Pax Christi, die Studentenaktivistin Julia Hillebrand und Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag vom roten Laster gesprochen. Kein Gewerkschafter, kein dissidenter SPD-Abgeordneter.

Auf dem Weg, des Demonstrationszuges Richtung Reichstag suchen die Friedenskämpfer nach Erklärungen: "Man sieht das stärker aus der Sicht des Regierens oder Nicht-Regierens als wirklich als gesellschaftliche Kontroverse mit denen, die vom Krieg profitieren. Da wirkt sich die Regierungsbeteiligung der letzten elf Jahre aus", analysiert der junge Hamburger mit der einsamen Juso-Fahne seine Partei. "Die Unterstützung in den Gewerkschaften ist an der Basis sehr stark", berichtet Karin Masche, eine Mittfünfzigerin, die das Plakat des DGB-Fulda trägt. Der örtliche DGB initiierte die Fuldaer Erklärung, die den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert. Über 4 000 Unterschriften der Basis seien beisammen, "wenn das in höheren Etagen mal bemerkt wird, fände ich das gut", sagt Masche diplomatisch.

Als der Zug den massiven Bau der US-Botschaft passiert, funktionieren die alten Slogans in Abwandlung. "Amis raus aus Afghanistan, Bundeswehr hinterher", skandiert es von dort, wo eine rote KPD-Fahne mit gelben Fransen aus dem Zug ragt. Familien finden sich kaum noch im Zug, Jüngere vorwiegend an der Spitze in einer Sambaband, die den Marsch schlägt.

Vor dem Reichstag sollte der Protest ein Bild bekommen. Unter der gläsernen Kuppel werden die Abgeordneten in sechs Tagen genau das beschließen, was die Menschen hier nicht wollen: mehr Bundeswehrsoldaten für Afghanistan. Das Zeichen der Verweigerung sollten über hundert hundert Ortsschilder aus ganz Deutschland sein, niedergelegt von den Angereisten, so der Plan der Veranstalter. Als der Zug sich wenig später zerstreut, lehnen nicht mehr als fünfzig an den kahlen Bäumen vor dem Reichstag.

Nein, zufrieden sei man damit nicht, räumt Mitveranstalter Lühr Henken ein. Das Wetter und die Anti-Nazi-Demonstration in Dresden am letzten Wochenende hätten es schwer gemacht zu mobilisieren. "Außerdem erweckt die Regierung den Eindruck, sie sei bereit, den Krieg zu beenden", sagt er, und dass das ein Trugschluss sei. In Wahrheit werde der Krieg ausgeweitet.

Wer auf dem Heimweg das Brandenburger Tor passiert, sieht Bölls Zeiten in einer Szene, die für Touristen gegeben wird. Sie drängen sich, um mit Geschminkten zu posieren, die Uniform und den spitzen Helm der untergegangenen NVA angelegt haben. Der Krieg ist heute weit entfernt von Deutschland. Und das macht es Bölls Erben schwer.

Aus: Berliner Zeitung, 22. Februar 2010

Weitere Protestaktionen

In einigen Städten (z. B. Mannheim) gabe es parallel zur Berliner Kundgebung eigenständige Protestaktionen. In Bremervörde bereits zwei Tage zuvor. Darüber handelt der folgende kurze Bericht.

Protest vor Fallschirmjägerkaserne

Friedensaktivisten demonstrierten in Seedorf gegen Entsendung weiterer Truppen nach Afghanistan

Von André Lenthe


In Seedorf bei Bremervörde haben Mitglieder der Friedensbewegung am Donnerstag (18. Feb.) gegen einen Verabschiedungsappell für 1100 Soldaten nach Afghanistan protestiert. Etwa zwei Dutzend Aktive standen mit Pace-Fahnen und Transparent vor dem Kasernentor und ließen die Militärfahrzeuge an sich vorbeiziehen. Knapp 400 der Fallschirmjäger aus Seedorf sollen bereits im März in das Kriegsgebiet nach Kundus und Masar-i-Scharif verlegt werden. »Es ist schon ein denkwürdiges Schauspiel, das hier stattfindet«, wertete der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens (Die Linke) die Zeremonie. Obwohl die Regierung wisse, wie unsicher die Lage im Kriegsgebiet sei, solle das Bundeswehrmandat in der kommenden Woche nicht nur verlängert, sondern noch ausgeweitet werden. »Geht nicht hin, verweigert den Einsatz«, rief er den Soldaten zu.

Kaum jemand weiß, daß die Fallschirmjäger in Seedorf zu Spezialisten im Kampf gegen sogenannte irreguläre Kräfte ausgebildet werden. Sie sind dadurch für Kriegseinsätze wie in Afghanistan prädestiniert. Die Soldaten aus Seedorf sind seit 2002 im Dauerkriegseinsatz und waren in der Vergangenheit auch in der Eingreiftruppe Quick Reaction Force eingesetzt.

Für verwundete und gefallene Fallschirmjäger errichtete die Bundeswehr kürzlich einen Ehrenstein auf dem Kasernengelände. Als Demonstranten dort am Donnerstag einen Kranz mit der Aufschrift: »In Gedenken den Kriegsopfern in Deutschland und Afghanistan. Für Macht und Geld kein Leben zählt« ablegen wollten, wurden sie von Feldjägern und der Polizei gestoppt.

Quelle: junge Welt, 20. Februar 2010




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