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Stoppt den Krieg in Afghanistan – Perspektiven für Frieden & Entwicklung

Dokumentiert: Das Positionspapier der Arbeitskonferenz vom 19./20. Februar 2011 in Hannover


Am 19. und 20. Februar 2011 fand in Hannover in der Rotation (Verdi-Höfe) eine Arbeitskonferenz statt. "Stoppt den Krieg in Afghanistan-Perspektiven für Frieden und Entwicklung", so lautete das Motto einer eher ungewöhnlichen Konferenz zur deutschen Afghanistanpolitik. Personen und Organisationen aus der Friedensbewegung und dem entwicklungspolitischen Zusammenschluss VENRO haben den Dialog der beiden unterschiedlichen Perspektiven gestartet. Das Unbehagen an der Lage in Afghanistan und das Bestreben mit den je eigenen Kompetenzen zu einer Verbesserung beizutragen, motivierte diese Gruppen zur Zusammenarbeit. Dem unkoordinierten Nebeneinander der offiziellen Politik stellten sie Dialog und konkrete Schritte der Zusammenarbeit entgegen. Auf der Konferenz in Hannover haben sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten für eine friedliche Lösung in Afghanistan kontrovers diskutiert. Danach sind Kooperationen und gemeinsame Aktionen auf der Basis der Gemeinsamkeiten geplant.

Veranstalter der Konferenz waren der "Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V."-VENRO, die fünfzig in der "Kooperation für den Frieden" zusammengeschlossenen Gruppen und Initiativen sowie der "Bundesausschuss Friedensratschlag", der vor allem Basisinitiativen der Friedensbewegung vertritt.

In einem Diskussionspapier zur Konferenz wurde "Vorrang für zivil" und als ersten Schritt das Ende aller Kampfhandlungen gefordert, um einen Dialog über eine umfassende Friedenslösung einzuleiten, die den Abzug der internationalen Truppen beinhaltet. Zivile selbstbestimmte Strukturen in Afghanistan sollen demnach unterstützt werden. Eine militärisch zivile Zusammenarbeit wird abgelehnt und eine nachhaltige Friedenspolitik wird angemahnt. Die Ursachen von Hunger, Armut, Gewalt und Unterentwicklung müssten beseitigt werden, um die existenziellen Bedürfnisse der Menschen zu sichern. Entwicklung gelingt nicht durch das Überstülpen fremder westlicher Lebens- Kultur- und Wirtschaftsweisen auf andere Länder.

Im Folgenden dokumentieren wir das "Positionspapier".


Perspektiven für Frieden und Entwicklung in Afghanistan

Diskussionspapier, vereinbart im März 2010

Wir, Organisationen aus der Entwicklungspolitik, der Friedensbewegung, den Kirchen und den Gewerkschaften, haben mit Blick auf den Krieg in Afghanistan einen intensiven Dialog begonnen. Dabei wurde deutlich, dass uns vieles eint. Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ab. Politische Probleme verlangen nach politischen Antworten. Unter dem Motto: „Vorrang für zivil“ fordern wir ein Ende des Krieges in Afghanistan und ein deutliches Zeichen für eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung. „Vorrang für zivil“ bedeutet einen strukturellen, personellen und finanziellen Vorrang ziviler Instrumente und Akteure. Ein neues Mandat der Vereinten Nationen ist notwendig, das gleichermaßen zur Reduzierung von Gewalt, Ungerechtigkeit und Not beiträgt und dadurch die universellen Menschenrechte zu sichern vermag. Die Vereinten Nationen müssen, wie in der UN-Charta vorgesehen, die Verantwortung für den Frieden und die internationale Sicherheit in der Region übernehmen.
  • Der erste Schritt ist das sofortige Ende aller Kampfhandlungen und somit eine Gewaltreduktion in Afghanistan, als Basis um einen Dialog über eine umfassende Friedenslösung, die den Abzug der internationalen Truppen beinhaltet, einzuleiten. Auch ein einseitiger Waffenstillstand, der lokal und regional beginnt, kann Raum für eine nachhaltige Konfliktbearbeitung schaffen. Bei einem so im Land eingeleiteten Friedensprozess kann auch z.B. der Jirga eine wichtige Rolle zukommen, wenn dafür Sorge getragen wird, dass alle Bevölkerungsgruppen dort vertreten sind und Mitspracherecht erhalten.
  • Wir unterstützen zivile selbstbestimmte Strukturen in Afghanistan. Eine maßgebliche Partizipation der gesamten Bevölkerung ist eine wichtige Voraussetzung für einen friedlichen Entwicklungsweg. Hierbei müssen auch Frauengruppen aktiv einbezogen und gezielt unterstützt werden.
  • Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind keine Instrumente der militärischen Aufstandsbekämpfung. Deswegen lehnen wir eine militärisch-zivile Zusammenarbeit ab, die die Unterordnung des zivilen Sektors unter das Militär bedeutet. Hilfsorganisationen sind unabhängige Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe und dürfen durch militärisch- zivile Kooperationen weder in Kriegshandlungen hineingezogen werden noch durch die Konditionierung von staatlichen Hilfsgeldern im Gegenzug für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt oder gefährdet werden.
  • Wir wenden uns gegen den politischen Missbrauch von Begriffen wie Frauenrechte / Menschenrechte, menschliche Sicherheit, Responsibility to Protect für die ideologische Absicherung von militärischen Interventionen und Kriegen. Unsere Zusammenarbeit soll daher auch zur Wiederaneignung der humanitären und politischen Begriffe (z.B. Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit) beitragen.
  • Friedenspolitik verlangt Nachhaltigkeit. Wir untersteichen die Zielsetzung, dass die Ursachen von Hunger, Armut, Gewalt und Unterentwicklung beseitigt werden müssen, um die existentiellen Bedürfnisse der Menschen zu sichern. Entwicklung gelingt nicht durch das Überstülpen fremder westlicher Lebens-, Kultur- und Wirtschaftsweisen auf andere Länder. Ein nachhaltiger Friedensprozess muss im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte stattfinden, da diese universell, unveräußerlich und unteilbar sind. Nur selber und gemeinsam können afghanische Frauen und Männer diesen Prozess tragen und gestalten.
  • Frieden in Afghanistan erfordert ein regionales Friedens- und Sicherheitskonzept, das die Nachbarn des leidgeprüften Landes in einen dem KSZE-Prozess vergleichbaren politischen Prozess einbezieht.
  • Wir sehen uns in einer besonderen Verantwortung für die Menschen, die aus dem Krieg in Afghanistan geflohen sind. Deshalb fordern wir den Stopp der unsäglichen Abschiebepraxis und ein menschenwürdiges Aufenthaltsrecht.
Dieses Diskussionspapier bedarf einer weiteren Reflexion in den Zusammenhängen der Friedensbewegung und der entwicklungspolitischen Gruppen sowie einer gemeinsamen Weiterentwicklung in geeigneten Foren.


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