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Zivile Pläne für Afghanistan

Friedens- und Entwicklungsorganisationen wollen künftig stärker zusammenarbeiten

Von Marek Voigt, Hannover *

Die Kräfte, die für eine zivile Politik in Afghanistan eintreten, nähern sich an: Friedens- und Entwicklungsorganisationen haben zum Teil unterschiedliche Einschätzungen, betonten nach einer gemeinsamen Konferenz am Wochenende aber die Gemeinsamkeiten.

Gruppen aus der Friedensbewegung und entwicklungspolitische Organisationen haben am Wochenende in Hannover zum ersten Mal gemeinsam über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Positionierung zum Krieg in Afghanistan diskutiert. Auf die selbst gestellte Frage, ob man sich vielleicht zu früh oder im Gegensatz gar neun Jahre zu spät getroffen habe, sagte ein Sprecher, es sei »gerade noch zur rechten Zeit« gewesen.

Dass Bedarf für gemeinsames Handeln besteht, zeigte sich in vielen Redebeiträgen, die ein katastrophales Bild von der Lage in Afghanistan zeichneten. Afghanistan sei das zweitärmste Land der Welt, die Menschenrechte, insbesondere die Rechte der Frauen, würden nicht gewährt, die staatlichen Strukturen seien die korruptesten der Welt und die Polizei eher ein Sicherheitsproblem als Teil irgendeiner Lösung. Thomas Gebauer von der Entwicklungshilfeorganisation medico international betonte, eine klare Position der deutschen Zivilgesellschaft sei auch deshalb gefordert, weil die Bundesrepublik derzeit die Afghanistan-Beratungen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen koordiniert.

Es mag verwundern, dass der Austausch erst jetzt passiert. Aber die Herangehensweisen an den Afghanistankrieg sind verschieden. Das zeigte sich auch auf der Tagung. So warfen Teilnehmer aus der Friedensbewegung den entwicklungspolitischen Organisationen vor, ihre humanitäre Arbeit sei – wenn auch ungewollt – Bestandteil zivilmilitärischer Strategien der Bundesregierung. Umgekehrt musste sich die Friedensbewegung sagen lassen, sie sei nicht genug an den Bedürfnissen der Menschen in Afghanistan interessiert.

Die Ziele für das Treffen waren deshalb im Vorfeld zurückhaltend gesetzt worden. Es ging darum, überhaupt erstmal miteinander ins Gespräch zu kommen. Ob man sich auf Positionen oder Aktionen verständigen können würde, darüber bestand Skepsis. Bodo von Borries, in der Geschäftsstelle des entwicklungspolitischen Dachverbandes VENRO zuständig für Afghanistan, zeigte sich in seinem Resümee erfreut darüber, dass die Konferenz gemessen an seinen Erwartungen sehr viel erreicht habe. Manche Differenzen blieben zwar bestehen. So fürchten einige entwicklungspolitische Organisationen, dass ein sofortiger Abzug der westlichen Truppen die in den Projekten erreichten Fortschritte bei den Menschenrechten gefährden könnte. Geteilt wurde dagegen die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand in Afghanistan und nach Förderung der afghanischen Zivilgesellschaft, weil die Afghanen selbst über ihre Zukunft bestimmen sollen. Einigkeit bestand darüber hinaus darin, dass ein Abzug nicht das Ende des Interesses für die Probleme Afghanistans bedeuten dürfe.

Die Konferenz brachte auch eine konkrete Verabredung. So ist ein gemeinsames Alternativprogramm zur internationalen Afghanistankonferenz im Herbst dieses Jahres in Bonn geplant.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2011


Vernetzt für Frieden und Zivilgesellschaft

Antikriegsaktivisten und entwicklungspolitische NGOs diskutierten Lage in Afghanistan

Von Reiner Braun **


Erstmals haben der Dachverband der Entwicklungspolitischen deutschen Nichtregierungsorganisationen (VENRO), die beiden großen Netzwerke der Friedensbewegung (Kooperation für den Frieden und Bundesausschuß Friedensratschlag) sowie die Plattform für Zivile Konfliktbearbeitung einen gemeinsame Konferenz zur Lage in Afghanistan durchgeführt. Mit mehr als 160 Teilnehmern war die Arbeitstagung am Wochenende in Hannover ausgesprochen gut besucht.

Im Mittelpunkt stand die Analyse der aktuellen Situation in der Region. Dabei wurde deutlich, daß die Aussage der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann: »Nichts ist gut in Afghanistan« nichts an Realitätsbezug verloren hat. Krieg ist Zerstörung und Unterdrückung sowie Gewalt gerade auch gegen Frauen. Von Demokratie und Menschenrechten ist das Land weit entfernt. Der Krieg stabilisiert verkommene und korrupte Machtstrukturen. Das unermüdliche Wirken entwicklungspolitischer Gruppierungen schafft Linderung und Hilfe in Einzelfällen, löst aber keine strukturellen Probleme.

Für die Friedensbewegung bleibt die Forderung nach Abzug der Besatzungstruppen zentral. Dies steht nicht im Gegensatz zu einer Fortsetzung ziviler Hilfe entsprechend den Wünschen einer künftigen demokratisch legitimierten afghanischen Regierung.

Friedensbewegung und entwicklungspolitische Gruppierungen lehnen gleichermaßen die »Unterordnung des Zivilen unter das Militärische« ab. Kritik gab es an der »Einseitigkeit« der Abzugsforderung der Antikriegsaktivisten wie auch an der tatsächlichen oder vermeintlichen Einbindung von NGOs in ein »kriegerisches System«. Mehr gegenseitiges Verständnis für das Wirken der anderen ist sicher auch für die Zukunft notwendig.

Die Veranstaltung war aber deutlich mehr als ein Problemaufriß – die Perspektive gemeinsamen Wirkens für Gerechtigkeit, besonders auch für die Realisierung von Frauenrechten und einer ökonomisch eigenständigen Entwicklung prägten die Diskussion in den Arbeitsgruppen. Betont wurde die Notwendigkeit der Stärkung der Zivilgesellschaft, der Reform- und Oppositionskräfte in Afghanistan.

Die Zusammenarbeit soll auf der Basis eines gemeinsam erarbeiteten Diskussionspapiers fortgesetzt werden. Zentrale Forderungen sind ein sofortiger Waffenstillstand und die Stärkung der Zivilgesellschaft in Afghanistan. Im Schlußplenum wurde u.a. eine Kooperation von VENRO und Friedensbewegung im Umfeld des für November geplanten Treffens zum zehnjährigen Jubiläum der Petersberger Afghanistan-Konferenz in Bonn vereinbart.

* Der Autor war für die Kooperation für den Frieden an der Vorbereitung der Konferenz beteiligt.

Aus: junge Welt, 21. Februar 2011



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