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Die Waffen nieder

Gedanken zum Weltfriedenstag am 1. September

Von Ingomar Klein und Wolfgang Triebel*

Seit jeher haben Regierungen – die der Großmächte vorne weg – Friedensbeteuerungen abgegeben, gleichzeitig aber die Modernisierung ihrer Armeen und Waffen fortgesetzt, angeblich zur Friedenssicherung und -erhaltung, in Wahrheit zur Erhöhung der Dividenden von Rüstungsindustrie und Rüstungslobbyisten. Folge waren im vergangenen Jahrhundert »heiße« Kriege wie der Erste und Zweite Weltkrieg, ein Kalter Krieg sowie – zum Ausklang des Säculums – neue völkerrechtswidrige Kriege gegen Jugoslawien und zu Beginn des neuen gegen Afghanistan und Irak.

Das 20. Jahrhundert war aber auch eine Zeit des Aufschwungs zahlreicher Friedensaktivitäten der Völker. Vielgestaltige Friedensorganisationen entstanden. Sie haben wichtige Impulse zur Eliminierung des Krieges aus dem Leben der Menschen gegeben. Erinnert sei an den 10. Weltfriedenskongress 1901 und die ihm vorangegangenen Inspirationen u.a. durch Bertha von Suttners Buch »Die Waffen nieder!« 1889 und die von ihr am 9. November 1892 gegründete Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Aus dem 1949 gebildeten Weltfriedenskomitee konstituierte sich die Weltfriedensbewegung. Deren Weltfriedensrat hat 1950 mit dem »Stockholmer Appell« zum Verbot von Atomwaffen der internationalen Friedensbewegung Dynamik verliehen. Zur Mahnung an den Beginn des Zweiten Weltkrieges erklärte er den 1. September jeden Jahres zum »Weltfriedenstag«. Herausragende Repräsentanten der Weltfriedensbewegung waren u.a. der Atomphysiker Frédérik Juliot-Curie, Pablo Picasso, der für die Bewegung die »Friedenstaube« schuf, der britische Wissenschaftler John D. Bernal, der 1958 sein Buch »Welt ohne Krieg« veröffentlichte, Bertolt Brecht und sein Berliner Ensemble, der afroamerikanische Pfarrer Martin Luther King, die französische Patriotin und Streiterin gegen den Algerienkrieg Raimonde Dien, der Physiker Linus Pauling, der südafrikanische Freiheitskämpfer Nelson Mandela... In Deutschland und andernorts gab es machtvolle Demonstrationen gegen den US-Vietnamkrieg und entstand die Ostermarschbewegung.

Über politische, soziale, religiöse und nationale Schranken hinweg fanden im 20. Jahrhundert staatliche Antikriegsinitiativen Unterstützung wie Lenins »Dekret über den Frieden« von 1917, die Ächtung des Krieges 1928 im so genannten Briand-Kellogg-Pakt, die Gründung der UNO 1945 und 1975 der KSZE in Europa oder die Forderung »Weg mit dem Teufelszeug!« aus der DDR, der Vorschlag zur Schaffung einer Atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa und 1990 die »Charta von Paris für ein neues Europa« der OSZE-Staaten.

Da zur Zeit der Ost-West-Konfrontation die Weltfriedensbewegung vornehmlich von den Staaten des Ostblocks unterstützt wurde, war diese schnell mit dem Verdikt kommunistischer Unterwanderung belegt worden – was zugleich als Begründung herhalten musste, warum westliche Demokratien ihr Ignoranz entgegenbrachten. Dennoch waren nationale Friedensorganisationen und Weltfriedensrat weltweit präsent, wenn auch ihr Anteil an der Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz begrenzt blieb. Die Weltfriedensbewegung hat weder Ost noch West an der Hochrüstung hindern können. Das damalige militärpolitische »Gleichgewichts des Schreckens« hat bis 1990 Kriege in Europa abgewendet. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR und der Auflösung des Ostblocks endete auch die Existenz des Weltfriedensrates.

Heute erleben wir wieder rücksichtslosen Einsatz von militärischer Gewalt sowie zunehmende Militarisierung der Politik. Die USA stellen Weltherrschaftsansprüche, innerhalb der EU gibt es Bestrebungen, Rüstungs- und Expansionspolitik verfassungsrechtlich zu sanktionieren. Dies alles untergräbt den Weltfrieden. Es gibt heute kein von Staatenbündnissen getragenes militärpolitisches »Gleichgewicht des Schreckens«. Gegenwärtige Schreckgespenster in internationalen Beziehungen sind der »Krieg gegen Terrorismus«, ein Popanz der Rüstungslobbyisten, der Ängste schüren und die Völker kriegswillig machen soll. Historiker diverser Provenienz schreiben Bücher über die »neuen Kriege«, orakeln über gerechte und ungerechte, symmetrische und asymmetrische, terroristische und humanitäre – kaum jemand widmet sich dem notwendigen »Krieg« gegen jeden Krieg. Anlass genug zur Besinnung auf die Ideale und Ideen der Friedensbewegung von einst, die historischen Quellen und humanistischen Traditionen. Friedensforscher sollten Motive und Handeln der Protagonisten der Friedensbewegung ins öffentliche Bewusstsein der Zeitgenossen rücken, Ursachen ihrer Erfolge wie auch Niederlagen erörtern und neue Friedenskonzeptionen entwickeln. Aufzudecken sind die demagogischen Machenschaften, mit denen es bestimmten Kräften immer wieder gelingt, Menschen zu Kriegsabenteuern zu verführen und die verschiedenen Friedensgruppierungen auseinander zu dividieren. Soll eine wirksame Friedensbewegung entstehen, die den Kriegsparteien erfolgreich entgegentreten kann, ist ein friedensstrategisches und bündnispolitisches Umdenken erforderlich, das historische Erfahrungen einbezieht und von den neuen globalen Herausforderungen ausgeht, frei von jeglichen einengenden ideologischen, religiösen und parteipolitischen Vereinnahmungen.

* Die Autoren sind Mitglieder der AG Friedenspolitik beim Parteivorstand der PDS. Der Beitrag, den wir hier dokumentieren, erschien am 28. August 2004 im "Neuen Deutschland".


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