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Gegen den Krieg

Bunte Protestsplitter

Von Francesca Falk, Berkeley *

Mehrere Tausend DemonstrantInnen protestierten vergangenes Wochenende (15. September) in den USA gegen den Irakkrieg. Ein Streifzug durch die Friedensbewegung um Berkeley, den Ursprungsort der Vietnamkriegsproteste.

Nur ein Türflügel zum Rektorat der Universität in Berkeley hat einen Griff. Der Griff am anderen Flügel wurde vor rund vierzig Jahren abgeschraubt, nachdem protestierende StudentInnen der Free-Speech-Bewegung die Türe mit Ketten verschlossen hatten. Sie erstritten sich damals das Recht auf Redefreiheit auf dem Campus, um anschliessend gleich ein neues Ziel anzugehen: den Protest gegen den Krieg in Vietnam. Berkeley wurde zum weltweiten Symbol für studentische Proteste.

Heute sitzen sechs StudentInnen in einem Raum voll leerer Stühle. Sie gehören zur Friedensorganisation Students united for Peace (StudentInnen vereint für den Frieden), die Peter Woods mit Chris Deckinga vor zwei Wochen gegründet hat. «Die grösste Studentengruppe auf dem Campus sind heutzutage die College-Republikaner», sagt Woods. Er sieht die Bewegung wieder ganz am Anfang. «Wir müssen erst den Aktivistengeist fördern.» Auch Snehal Shingavi, lokaler Koordinator eines landesweiten Uni-Netzes gegen den Krieg, sagt: «Zu Beginn der Kriege in Afghanistan und im Irak haben viele Studenten protestiert. Mit den ersten militärischen Erfolgen wurden die Proteste deutlich schwächer.»

Einer, der in den sechziger Jahren dabei war, ist John Searle. Er sprach sich als erster Professor für die Free-­Speech-Bewegung aus und unterrichtet immer noch Philosophie an der Universität in Berkeley. Von der jetzigen Friedensbewegung hält er nicht viel. «Sie ist äusserst schwach, und viele ihrer Aktionen sind albern.» Er nennt zwei Gründe für das mangelnde Interesse der StudentInnen: Einerseits gebe es heute keine allgemeine Mobilmachung für den Krieg; die StudentInnen haben nichts zu befürchten. Andererseits hätten vor vierzig Jahren viele StudentInnen die nordvietnamesische Regierung moralisch höher eingestuft als die US-amerikanische. Das sei beim Irak nicht der Fall.

Searle hält eine stärkere Friedensbewegung jedoch auch nicht für nötig. «Dieser Krieg ist so unpopulär, dass ihn das politische Establishment rasch beenden möchte. Da braucht es keine Basisbewegung.»

Die FriedensaktivistInnen teilen diese Einschätzung nicht. Eine zentrale Forderung der Bewegung ist ein Amtsenthebungsverfahren gegen George Bush. «Wir wollen ihn nächstes Jahr nicht einfach abwählen, wir wollen ihn absetzen. Er hat uns belogen und die Verfassung und internationales Recht so oft verletzt», sagt Scotty Miller, der in den vergangenen Wochen seinen Partybus neu in den Farben der Nationalflagge gestrichen hat. Darüber setzte er den Spruch: «Sie haben uns in den Krieg gelogen.» Und dazu gross die Forderung: «Absetzung!» Mit dem Bus fuhr er gemeinsam mit zwei Vietnam- und zwei Antikriegsveteranen nach Washington zur Friedensdemonstration am 15. September. «Die Reaktionen quer durchs ganze Land sind unglaublich positiv. Tausende haben uns zugehupt.» Die negativen Reaktionen hat er mitgezählt: «Genau 91 haben uns den Mittelfinger gezeigt», sagt Scotty Miller.

Die Mitfahrer im Bus widerspiegeln die US-amerikanische Friedensbewegung, die vor allem aus Kriegs- und FriedensveteranInnen besteht. Ein Farbtupfer in der ergrauten Bewegung ist Code Pink, eine von Frauen gegründete Gruppe, deren Name eine Persiflage auf die farbkodierten Alarmstufen der Bush-Regierung ist. Vor einem Jahr blockierten die pink gekleideten Frauen die Golden-Gate-Brücke von San Francisco, vergangene Woche störten sie die Präsentation des Irakberichts von General David Petraeus, und am 15. September waren sie auch in Washington dabei. Medea Benjamin, eine der Gründerinnen von Code Pink, glaubt, dass die Friedensbewegung wieder jünger wird - und radikaler. «In Washington waren viele Junge dabei, voller Energie und wütend.» Judith Butler, Rhetorikprofessorin in Berkeley (siehe WOZ Nr. 06/03), stellt ebenfalls eine Radikalisierung der Jugend fest. Die heutige StudentInnengeneration sei solidarischer eingestellt als in den neunziger Jahren und vor allem viel weniger zynisch. «Viele junge Menschen ekeln sich vor dem amerikanischen Egoismus.»

Dreizehn Stunden sass Cindy Sheehan, besser bekannt als Peace Mom, in Haft. Das Gefängnis ist für die «Friedensmutter» nichts Ungewöhnliches. «Ich wurde schon zehn Mal verhaftet», sagt die Ikone der Friedensbewegung. Diesmal, weil sie protestierte, als Polizisten den Wortführer einer Hip-Hop-Friedensgruppe gewaltsam daran hinderten, der Präsentation des Irakberichts von General Petreaus beizuwohnen.

Als 2004 der Sohn von Cindy Sheehan im Irak umkam, campierte sie wochenlang vor der Ranch von Bush. Heute hält sie die Friedensbewegung für schwach und zersplittert. «Nur durch koordinierten zivilen Ungehorsam können wir etwas erreichen», sagt Sheehan. So sehr die Friedensaktivistin für Zusammenarbeit plädiert - sie verkörpert auch die stärkste Bruchlinie der Bewegung. Die zentrale Frage lautet: Kann man der Demokratischen Partei trauen?

Die wilden Frauen von Code Pink wollen die DemokratInnen antreiben. In einem Internettrickfilm reiten die Frauen die lahmen demokratischen Abgeordneten und peitschen sie über eine Ziellinie, die das Ende des Krieges markiert. Sheehan geht einen anderen Weg: Zuerst verlangte sie von Nancy Pelosi, der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush. Als Pelosi nicht reagierte, beschloss Sheehan, bei den Kongresswahlen 2008 gegen sie anzutreten. In der Friedensbewegung ist ihre Entscheidung umstritten. Für Sheehan jedoch ist klar: Ob die DemokratInnen oder die Republikaner­Innen die nächsten Wahlen gewinnen, macht keinen Unterschied.

Dass nur der Protest auf der Strasse zu Frieden führt, ist auch die Meinung von Barbara Lee, der einzigen Abgeordneten, die sich nach dem 11. September 2001 im Kongress gegen den Krieg aussprach. Der Auftritt der Demokratin am Samstag im People's Park in Berkeley war kurz, aber energisch. Die USA müssten so schnell wie möglich aus dem Irak raus und dürften nicht in den Iran rein. «Peace is patriotic» - Frieden ist patriotisch, so ihre Botschaft an das Publikum. Viele der Anwesenden waren bereits bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg dabei.

Auf der Bühne im People's Park wechselten die RednerInnen im Fünfminutentakt. So bunt und engagiert, aber auch so zersplittert ist die Friedensbewegung in den USA. Die beiden grossen Dachverbände Answer Coali­tion (Antwortkoalition) und United for Peace and Justice (Vereinigt für Frieden und Gerechtigkeit) misstrauen sich gegenseitig. Zurzeit lassen sich für Demonstrationen gegen den Krieg nur einige Zehntausend Menschen mobilisieren, was verglichen mit den Millionendemonstrationen zu Beginn des Irakkriegs oder für die Rechte von ImmigrantInnen bescheiden ist. Vielleicht aber bekommen die AktivistInnen nun Hilfe von ganz oben. Bisher hatte Bush alle Vergleiche zwischen dem Vietnam- und dem Irakkrieg vehement abgelehnt. Mit der Forderung nach Beendigung des Irakkriegs konfrontiert, sagte er nun, der Fehler in Vietnam sei gewesen, sich zu früh zurückzuziehen - eine explosive Analogie.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 20. September 2007


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