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Zwangspause für EZB-Banker

Kreativer Widerstand in Frankfurt angekündigt

Von Hans-Gerd Öfinger *

Heute (31. Mai) beginnen in Frankfurt am Main die Blockupy-Aktionstage, zu denen 20 000 Demonstranten erwartet werden. Wie im Vorjahr behinderte die Polizei einige Aktivisten bereits bei der Anreise.

Versuche von Blockaden am frühen Morgen, mittägliche Proteste in der Innenstadt, Diskussionsveranstaltungen am Nachmittag und abendliche Kulturveranstaltungen bilden am Freitag einen ersten Höhepunkt der diesjährigen Frankfurter Blockupy-Aktionstage in der Bankenmetropole Frankfurt. Bevor es soweit ist, wurde die Anreise einiger Demonstranten am Donnerstag durch Polizei behindert. Die Beatmen stoppten nach Angaben des Blockupy-Bündnis auf der Autobahn insgesamt fünf Busse und führten dabei Personen- und Gepäckkontrollen durch.

Über 400 Menschen aus dem Bundesgebiet und mehreren europäischen Ländern verbrachten bereits die Nacht zum Donnerstag im Blockupy-Zeltlager am Frankfurter Rebstockgelände, wo sie sich am Tage auf die kommenden Aktionen vorbereiteten.

Mit ihren »ungehorsamen Aktionen« vor dem Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Bankenviertel wollen die Akteure erreichen, dass «kein wesentlicher Arbeitsbetrieb mehr stattfindet«. Später ist die Fußgängerzone in der Frankfurter Zeil, die als eine der umsatzstärksten Einkaufsmeilen Europas gilt, Schauplatz des »kreativen Widerstands«. Der Protest richte sich »nicht gegen Beschäftigte oder Konsumenten, sondern gegen die globalen Produktionsverhältnisse«, heißt es in einem Aufruf. Mit den Aktionen sollen Missstände wie Landgrabbing und Militarismus, soziale Verdrängung, Mietspekulation, Zwangsräumungen und Abschiebungen von Asylsuchenden angeprangert werden.

Dabei wissen auch die Blockupy-Akteure, dass der Finanzkapitalismus als Folge der Aktionen an diesem Freitag kaum ins Stocken kommen dürfte. Viele Bankmanager haben flexibel reagiert und lassen ihre Angestellten am Freitag vom häuslichen Computer aus arbeiten oder einen Tag Urlaub genießen. Viele Transaktionen werden am Freitag auch von andere Standorten wie Eschborn oder Stuttgart getätigt. Insofern komme der Blockadeprotest »ein paar Jahre zu spät«, bringt es ein Bank-Betriebsrat gegenüber »nd« auf den Punkt.

Manches deutet darauf hin, dass die Konfrontation mit der Staatsgewalt bei den diesjährigen Blockupy-Protesten nicht so harsch ausfallen wird wie im Mai 2012. Damals hatten die Behörden alle Veranstaltungen bis auf die internationale Großdemonstration am Samstag verboten, und viele tausend Bereitschaftspolizisten aus dem ganzen Bundesgebiet nach Frankfurt abbestellt. Bereits anreisende Demonstranten wurden an Bahnhöfen und Autobahnraststätten festgenommen oder erkennungsdienstlich überprüft. Polizeisperren in der City erinnerten an einen Belagerungszustand. Doch Tausende Menschen ließen sich das Versammlungsrecht nicht nehmen. In diesem Jahr sollen deutlich weniger Polizeikräfte in Frankfurt sein.

2012 gab sich Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) als »Hardliner« und verteidigte die massiven Polizeieinsätze. Der neue Frankfurter SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann hingegen ist um einen lockeren Umgang mit den Demonstranten bemüht. Frankfurt sei »für gewaltfreie und friedliche Diskussionen der richtige Ort«, sagte der Sozialdemokrat. Während manche Blockupy-Sympathisanten argwöhnisch hinter solchen Tönen schon eine »Umarmungsstrategie« vermuten, reichte Feldmanns Macht indes nicht aus, um die schwarz-grüne lokale Magistratsmehrheit von Reflexen wie im Vorjahr abzuhalten. Ordnungsdezernent Markus Franks (CDU) harte Auflagen für die Blockupy-Demonstration am Samstag hatten allerdings vor Gericht keinen Bestand. Das örtliche Verwaltungsgericht stoppte auch die Anordnung, dass die Demo auf keinen Falle nahe an der Europäischen Zentralbank (EZB) vorbeiführen dürfe. Am Mittwoch erlaubte darüber hinaus der Hessische Verwaltungsgerichtshof auch eine für Freitag geplante Demonstration in Terminal 1 des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens gegen die bundesdeutsche Abschiebepraxis. »2:0 für das Blockupy-Bündnis«, kommentierte die hessische Linksfraktion. Mit der »Beschreibung abstruser Gewaltszenarien« wollten Frank und Rhein »von Protesten gegen Ausbeutung und Verelendung hier und in vielen Teilen der Welt ablenken«, so Fraktionschef Willi van Ooyen. »Wir werden hoch motiviert, gut gelaunt, friedlich, aber bestimmt protestieren«, sagt eine Frankfurter Aktivistin des Studierendenverbands SDS.

Ob es wie im Vorjahr 30 000 werden, die am Samstag trotz prognostiziertem Regenwetter durch die City marschieren, wird sich zeigen. Die Organisatoren rechnen mit 20 000 Demonstranten. 2012 hatten sich manche Demonstranten kurzfristig zur Fahrt nach Frankfurt entschlossen, um ein Zeichen gegen die Verbote und Schikanen zu setzen. Unabhängig von der Teilnehmerzahl am Samstag zeigten die Aktionstage, dass »Blockupy zu einer festen Einrichtung und einem Kristallisationspunkt gegen den Krisenkorporatismus wird«, ist sich eine junge ver.di-Aktivistin sicher.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 31. Mai 2013


Poröse Polizeiketten

»Blockupy« ruft dazu auf, am heutigen Freitag die Europäische Zentralbank in Frankfurt lahmzulegen. Am Samstag Großdemonstration

Von Gitta Düperthal **


Jens Friedrich vom Camp Anticapitalista in Frankfurt am Main fordert auf: »Kommt massenhaft die Banken am Freitag blockieren. Das ist Abenteuer und macht Spaß.« Hunderte Aktivistinnen und Aktivisten haben bereits ihre Zelte bezogen, in den frühen Morgenstunden soll es losgehen. Um gegen die Verarmungspolitik der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und der EU-Kommission zu demonstrieren, wollen die Kapitalismuskritiker den Geschäftsbetrieb der EZB am Willy-Brandt-Platz symbolisch stören. Um 5.30 Uhr soll es im Camp losgehen, Unterstützer aus der Stadt schließen sich jeweils um 6.30 Uhr vom Paulsplatz und vom Hauptbahnhof aus an. In allen Stadtvierteln hängen Plakate, wer jetzt noch nicht Bescheid weiß, muß blind sein.

Tanzblockade

Der Plan: Mehrere tausend Menschen aus verschiedenen linken Protestbewegungen machen sich auf den Weg ins Bankenviertel. Dabei sind ATTAC-Mitglieder, Unterstützer von Flüchtlings- und Erwerbsloseninitiativen, Leute von der Interventionistischen Linken, vom linksradikalen Ums-Ganze-Bündnis, dem No-Troika-Bündnis, von der Antifa, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Aktive der Occupy-Bewegung und von »Stuttgart 21« sowie Mitglieder der Partei Die Linke. Europäische Aktivistinnen und Aktivisten, vor allem aus Spanien, Italien und Portugal, sind angereist. Gemeinsames Ziel: die EZB so gut wie möglich zu blockieren. »Jeder macht das auf seine Weise«, so Jens Friedrich. Vielleicht werde es Polizisten irritieren, wenn beispielsweise eine feministische Tanzblockade auf sie zukomme, schmunzelt er. Auch das »Durchfließen« von Polizeiketten sei eine Taktik, die Aktivisten anwenden würden. Wahrscheinlich werden dabei Mitarbeiter der Banken »mitfließen«: die waren im vergangenen Jahr bei Blockupy-Aktionen angehalten worden, in Freizeitkleidung zu erscheinen, um nicht aufzufallen.

Nach der Blockade der EZB soll es am Freitagmittag zu vielfältigen Aktionen kommen.

Erstens: Ab 13 Uhr soll auf dem Flughafen Frankfurt, Terminal 1, gegen die inhumane Abschiebepolitik demonstriert werden. Zweitens: Parallel dazu soll um 12.30 Uhr gegen prekäre Arbeitsbedingungen der Textilindustrie auf der Einkaufsmeile Zeil protestiert werden. Drei der dort ansässigen europäischen Handelsketten, Primark (Irland), Mango (Spanien) und Benetton (Italien), haben in der eingestürzten Fabrik in Bangladesch produzieren lassen. Wegen mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen waren dabei über 1100 Beschäftigte umgekommen. Drittens: Aufgerufen wird zu Protesten gegen die »Geschäfte mit dem Hunger« der Deutschen Bank, die Spekulation mit Nahrungsmitteln betreibt. Aktivisten wollen vor deren Hauptsitz mit leeren Töpfen scheppern. Viertens: Angesichts einer Wohnungspolitik, die Vertreibungen von ärmeren Menschen aus der Frankfurter Innenstadt nach sich ziehe, müssen Immobilienfirmen mit unangekündigtem Besuch rechnen.

Juristischer Sieg

Am Samstag wird ab elf Uhr am Basler Platz eine Großdemonstration stattfinden. die Die Stadtregierung aus CDU und Grünen hat zur Mobilisierung vermutlich eher ungewollt, dafür aber nicht unwesentlich, mit ihrer plumpen Verbotspolitik beigetragen. Zwar startete sie diesmal nicht den Versuch, wie im Mai 2012 ein generelles Verbot für die Blockupy-Aktionstage durchboxen zu wollen. Die Androhungen rigider Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit am Samstag führten aber zu Schlagzeilen in den Medien. Das juristische Kräftemessen zwischen der Bewegung und der Stadt habe am Mittwoch jedoch »für das Blockupy-Bündnis 2:0« geendet, freut sich Ulrich Wilken, Landesvorsitzender der Partei Die Linke. Die Aktivisten dürfen demnach am Samstag direkt vor die EZB ziehen und am Freitag im Inneren des Flughafengebäudes demonstrieren. Allerdings begrenzte das Gericht die Teilnehmerzahl dort auf 200 Leute, weshalb der juristische Streit in dieser Sache noch nicht ausgefochten ist, sondern in die nächste Instanz geht. Im Camp gibt man sich davon unbeeindruckt. »Wir lassen uns sowieso nichts verbieten, sondern entscheiden selber, was und wie wir es machen«, bekräftigen Aktivisten dort gegenüber junge Welt. Wie wunderbar das funktionieren kann, hatten am Dienstag 600 Studentinnen und Studenten an der Goethe-Universität bei einer Mobilisierungsveranstaltung mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht bewiesen: Ob von der Unileitung genehmigt oder nicht, das Publikum kam gern und in großer Zahl zu einer verbotenen Veranstaltung.

** Aus: junge Welt, Freitag, 31. Mai 2013


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