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Polizeistaatsmanöver

Illegale Stadtverbote und Hunderte Festnahmen: Ermittlungsausschuß Frankfurt erhebt schwere Vorwürfe gegen Behörden wegen Vorgehen bei Blockupy-Protesten

Von Gitta Düperthal *

Die Polizei hat während der antikapitalistischen Blockupy-Aktionstage in Frankfurt am Main vom 16. bis 19. Mai immer wieder rechtswidrig gehandelt. Zu diesem Schluß kam Markus Künzel vom Ermittlungsausschuß Frankfurt bei einem Pressegespräch am Freitag. So seien beispielsweise rund 400 Aufenthaltsverbote in der Stadt nach einer polizeilichen Ermessensvorschrift verteilt worden, die einzig für Gewalt bei Fußball oder häuslicher Gewalt gelte – jedoch ausdrücklich eine Ausnahmeklausel für das Versammlungsrecht enthalte. Obwohl das Verwaltungsgericht diese Stadtverbote nach Eilanträgen für rechtswidrig erklärt hatte, habe die Polizei dennoch viele hundert weitere gegen Demonstranten verhängt, stets mit der Drohung einer Ingewahrsamnahme versehen. Dabei handle es sich bei der Teilnahme an einer Demonstration einzig um eine Ordnungswidrigkeit, vergleichbar mit dem Halten im Parkverbot oder dem Überqueren der Straße bei einer roten Ampel. Auf diese Weise habe die Polizei agiert, um die Stadt von Demonstranten leerzuhalten, so Künzel. Mit den Verboten, sich für die Dauer der vier Aktionstage nicht im Zentrum der Mainmetropole aufhalten zu dürfen, habe die Polizeiführung Menschen nicht nur rechtswidrig daran gehindert, an den Bankenprotesten teilzunehmen, sondern auch zu ihrer Arbeit zu gehen oder zu ihren Kindern nach Hause zu kommen.

Auch die Begründung für die Stadtverbote sei rechtswidrig gewesen, konstatierte Künzel. Betroffen seien Personen gewesen, die bei einer vorausgegangenen Demonstration am 31. März in eine Personalausweiskontrolle gekommen waren, aber keineswegs straffällig geworden seien. Die schwarz-grüne Stadtregierung, insbesondere Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), hätten im Einklang mit der Polizeiführung und dem hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) alles getan, um die europäischen Aktionstage bis zum Schluß mit allen Mitteln zu bekämpfen oder sie nur unter schikanösen Bedingungen stattfinden zu lassen. Mehr als 1400 Menschen hat die Polizei während der viertägigen Proteste in Gewahrsam genommen. Insbesondere Jugendliche und ausländische Teilnehmer seien stark verunsichert worden: »Die wußten gar nicht, wie ihnen geschah.« Nebeneffekt dieser Zwangsmaßnahmen sei, daß sie allesamt polizeilich gespeichert sind. Der Ermittlungsausschuß müsse jetzt zahlreiche Anträge von Betroffenen einreichen, um diese Daten löschen zu lassen.

Künzel sowie die Rechtsanwältin Natalie Krieger, die im Auftrag des Bündnisses Blockupy die zahlreichen Demonstrations- und Aktionsverbote angefochten hatte, schilderten weiter, Stadtregierung und Polizei Hand in Hand hätten alles getan, um die Gerichte zu beeinflussen. »Sie haben Gewalt- und Horrorszenarien in den Wochen zuvor mit Hilfe der Medien an die Wand gemalt«, die wahrscheinlich »bis zu den Richtern nach Karlsruhe vorgedrungen« seien. Vor laufenden Kameras habe sich der Ordnungsdezernent vor eine verbotene Versammlung gestellt und wissentlich die Unwahrheit behauptet, hinter ihm seien Straftäter bzw. schwere Straftäter zu sehen. Bereits am 16. Mai, als es um die vom Blockupy-Bündnis beantragte Aufhebung der Versammlungsverbote gegangen sei, habe ein Justitiar der Polizeiführung den Richtern des Frankfurter Verwaltungsgerichts gedroht: »Wir machen Sie persönlich verantwortlich, falls Schäden entstehen.«

Stephan Kranich von der Anti-Nazi-Koordination, zog das Fazit, mit der Wirtschaftskrise löse sich offenbar auch der Rechtsstaat auf: »Wenn wir keine Gerichte mehr haben, die sich der Polizei entgegenstellen, haben wir polizeistaatliche Methoden zu erwarten.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Mai 2012


»Ich kann mir das gar nicht vorstellen«

Frankfurter Polizei will von Gewalt gegen Schülerinnen nichts wissen und wartet auf Anzeigen. Empörung über Belagerung des Gewerkschaftshauses

Von Gitta Düperthal **


Der Polizei in Frankfurt am Main muß während der antikapitalistischen Aktionstage der Blockupy-Bewegung offenbar vieles außer Kontrolle geraten sein. Dieser Eindruck entsteht, wenn man die Auskünfte des Leiters der Polizeipressestelle Alexander Kießling zur Gewalt gegen Lisa Förster* hört, die der Jugendvorstand ver.di NRW-Süd in dieser Woche publik gemacht hatte: »Wir haben recherchiert, und uns ist nichts aufgefallen«, erklärte Kießling auf jW-Nachfrage zu den Schilderungen der Geschehnisse am 18. Mai während der verbotenen Blockade an der Europäischen Zentralbank. Die 17jährige war von vier Polizisten brutal verprügelt worden, wie sie im Interview mit jW am Mittwoch schilderte. Mindestens vier Beamte, schwarz gekleidet und behelmt, mit der Bezeichnung SEK, hätten mit jeweils zwei Knüppeln auf sie eingeschlagen und -getreten, selbst als sie schon am Boden lag. Der Röntgenbericht liegt junge Welt vor: Bescheinigt sind dort unter anderem eine ausgekugelte Schulter, verschobene Halswirbel und zahlreiche Prellungen.

»Ich kann mir das alles auch gar nicht vorstellen, so heftig, wie das klingt«, erklärte Polizeisprecher Kießling dazu. Es sei auch nicht davon auszugehen, daß »sich jemand melde, wenn danach gefragt werde, wer dabei gewesen sei. Anzeige gegen die Polizisten habe die 17jährige nicht erstattet – nur dann aber könne die Staatsanwaltschaft ermitteln. So sei nun einmal das Prozedere.

Auf Grundlage der bisherigen Erfahrungen im Umgang der Polizei mit Anzeigen wegen Polizeigewalt, die in solchen Fällen immer gleich zu Gegenanzeigen überginge, habe man bislang darauf verzichtet, meint hingegen Simon Ernst vom Bezirksjugendvorstand von ver.di NRW-Süd. Er erinnert an den Fall eines 20jährigen Auszubildenden in Frankfurt am Main, auf den Ordnungskräfte einen Polizeihund gehetzt hatten, so daß er Bißwunden am Oberkörper erlitten habe. Nach einer Anzeige habe man prompt das Opfer der Polizeigewalt des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bezichtigt.

Polizeisprecher Kießling meint auf jW-Nachfrage: »Die ver.di-Jugend braucht keine Gegenanzeige zu befürchten.« Bisher sei keinerlei Beschwerde von Polizisten eingegangen, insofern würde es ein komisches Licht auf Beamte werfen, wenn sie im nachhinein etwas behaupten würden.

»Wir freuen uns über die warmen Worte der Polizei, wollen aber Taten sehen«, konstatiert dagegen Ernst. Polizisten müßten sich von gesetzwidrigem Verhalten in den eigenen Reihen distanzieren und gründlich recherchieren. »Wir werden nach gründlicher anwaltlicher Prüfung weiter Öffentlichkeitsarbeit betreiben und uns vorbehalten, eventuell juristische Schritte einzuleiten«, so Ernst.

Zum Fall einer weiteren 17jährigen, der Polizisten während der Räumung einer Blockade ebenfalls am Freitag an der EZB »unter die Klamotten gegriffen und sie an den Brüsten herausgezogen« hätten, nahm Kießling wie folgt Stellung: »So ein Verhalten wird kein Polizist freiwillig einräumen. Die 17jährige ist gut beraten, wenn sie Zeuginnen hat.« Augenzeugin ist nach bisherigen Recherchen des ver.di-Jugendvorstands eine andere Schülerin gewesen.

Auch DGB- und ver.di-Beschäftigte erheben mittlerweile schwere Vorwürfe: Durch Polizeiabsperrungen am 17. und 18. Mai seien sie mehrfach am Betreten des Frankfurter Gewerkschaftshauses gehindert worden, wo man Veranstaltungen, Volksküche und freien Aufenthalt für Demonstranten geboten habe. Claudia Stich, Sekretärin des ver.di-Landesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie, beschwert sich beispielsweise, Donnerstag abend gegen 20.30 Uhr von Polizisten gehindert worden zu sein, ihren Arbeitsplatz im DGB-Gebäude aufzusuchen. Es sei das erste Mal seit 1933 gewesen, daß die Polizei das Privatgelände des DGB betreten habe, so Stich. Die Beschäftigten hätten deshalb ab Freitag 13 Uhr die Tore nach beiden Seiten des Gebäudes für drei Stunden lang schließen und überwachen müssen, so Doren Lindner, bei der Ratgeber-GmbH, einer Tochter von ver.di Bildung und Beratung, beschäftigt.

»In diesen Tagen in Frankfurt wurde auf die Rechte auf Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung, auf künstlerische Freiheit mit Polizeistiefeln getreten. Wir Gewerkschafter fühlten uns an schlimme Zeiten erinnert, in denen uns schon einmal der Zugang zu unseren Gewerkschaftshäusern versagt wurde. Wehret den Anfängen!« heißt es in einer Presseerklärung des DGB-Ortsverbands Mörfelden-Walldorf.

Nach Kießling ist all das nur ein Versehen: »Wir hatten nie eine Intention, in das Gewerkschaftshaus hineinzugehen.« Allerdings sei über den Internetkurznachrichtendienst Twitter verbreitet worden, daß dort Aufzüge von Demonstranten gebildet worden seien – »insofern kann ich nicht für jede Einsatzkraft meine Hand ins Feuer legen, daß sie das Gelände nicht betreten hat«. Claudia Stich konstatiert, einer der Polizisten habe ihr gegenüber behauptet, der Hausherr habe die Polizei informiert, weil Autonome auf dem Gelände seien – dies entspreche aber nicht der Wahrheit. »Ich teile die Empörung der Kolleginnen darüber, daß die Polizei mit behelmten Mannschaften aufs Gewerkschaftsgelände kommt, um die Aktivistinnen und Aktivisten zu provozieren und unter Druck zu setzen«, so ver.di-Gewerkschaftssekretär Michael Urbschat.

** Aus: junge Welt, Samstag, 26. Mai 2012

Reaktionen: »Blockupy« sauer auf Hessens Grüne

Das »Blockupy«-Bündnis will weiter auf die Straße gehen. Proteste gegen soziale und demokratische Fehlentwicklungen ließen sich nicht einfach verbieten, sagte der rechtspolitische Sprecher der hessischen Linken-Fraktion, Ulrich Wilken, am Donnerstag in Wiesbaden. Roland Süß vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC kündigte an, daß die Aktionen weitergehen werden. Wie diese aussehen könnten, werde in den nächsten Wochen beraten.

Gleichzeitig kritisierte »Blockupy« einen Antrag, den die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen in den hessischen Landtag einbringen will. In diesem bedauern die Grünen, »daß den Veranstaltern der ›Blockupy‹-Demonstration und der Ordnungsbehörde der Stadt Frankfurt keine einvernehmliche Lösung zur Genehmigung von Demonstrationen am vergangenen Wochenende gelungen ist«. Hierzu erklärte Martin Behrsing von »Blockupy«: »Die hessische Grünen-Fraktion scheint überhaupt nicht begriffen zu haben, daß das Totalverbot fast aller Veranstaltungen einem Kritikverbot an der europaweit herrschenden Politik der Entdemokratisierung und Verarmung unter dem maßgeblichen Einfluß der Bundesregierung durch EZB, IWF und EU gleichkommt.«

»Blockupy«-Sprecher Christoph Kleine sagte: »Der Antrag der Grünen-Fraktion versucht allen Ernstes, dem ›Blockupy‹-Bündnis eine Mitverantwortung an dem Frankfurter Polizeistaatsmanöver zuzuschieben. Er bedankt sich gar bei den Einsatzkräften, die so viele Menschen drangsaliert, geschlagen und ihrer Freiheit beraubt haben, ohne auch nur ein einziges Mal selbst angegriffen worden zu sein. Auf erbärmliche Art und Weise zeigt sich hierin, daß der Landtagsfraktion die Bewegung nichts und die Machtbeteiligung alles bedeutet und wie sehr diese Grünen Teil all dessen geworden sind, wogegen die 30000 Menschen am 19. Mai protestiert haben.«

(jW, 26. Mai 2012)




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