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Ostermarsch 2000 in Berlin

Rede von Angelika Claußen (IPPNW-Vorsitzende)

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
Ich freue mich sehr, dass Sie alle heute zum Ostermarsch gekommen sind. gerade heute und noch mehr zukünftig braucht es Menschen, wie Sie es sind, die sich für eine Welt in Frieden einsetzen, die deutlich machen, dass Krieg keinen Frieden schafft.

Die Konsequenzen aus dem Völkerrechtsbruch und der Verletzung der UNO-Charta durch die NATO-Staaten im Krieg gegen Jugoslawien vor gut einem Jahr bedeutet eine klare Ermutigung für andere Staaten, Gleiches zu tun. So findet Russland mit seinem brutalen Krieg gegen Tschetschenien nur schwachen, manchmal nur symbolischen Widerstand in der internationalen Gemeinschaft.

Inzwischen ist überdeutlich, dass im Kosovo eine ethnische Säuberung durch eine andere ersetzt wurde. Und auch Russland mach wie die NATO Kriegspropaganda mit einer ethnisch gefärbten Brille.

Nach übereinstimmender Einschätzung führender Friedensforschungsinstitute ist der Frieden in der Region heute weiter entfernt als vor Rambouillet. Was hat also der Krieg gebracht?

In den 80iger Jahren hat die Friedensbewegung gesagt "Frieden schaffen ohne Waffen". Mittlerweile hat die Friedensbewegung, ihre Organisatioen und Institute zahlreiche Mittel entwickelt, wie Frieden geschaffen und gehalten werden kann: Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung, Versöhnungsarbeit und Mediation, um die zivile Gesellschaft zu stärken.

Trotz dieser neuen Instrumente setzten die Regierungen, auch unsere Bundesregierung, weiter Milliarden für Waffen und Militär ein, während sich die Ausgaben für den zivilen Aufbau im Rahmen des Stabilitätspaktes mal gerade in Millionenhöhe bewegen.

Der Krieg der NATO wurde mit unverantwortbaren Waffen geführt, denken wir an die Streubomben und die Bomben aus abgereichertem Uran, deren gesundheitsschädliche Wirkung bereits nach dem Golfkrieg festgestellt wurde. Woran liegt es, dass der Kosovo-Beauftragte der Bundesregierung, Tom Königs, die NATO auffordern muss, die Gebiete, in den Bomben mit abgereichertem Uran abgeworfen wurden, endlich zu kennzeichnen? Warum hat er keinen Zugang zu solchen Informationen?

Heute beginnt an der UNO in New York die erste große Überprüfungskonferenz über den Atomwaffensperrvertrag seit seiner unbefristeten Verlängerung im Jahr 1995 statt. In den 55 Jahren, seitdem die ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen, haben wir verdrängt, wie unsinnig es ist, Atomwaffen besitzen und systematische Einsatzpläne zu erstellen, die in ihrer Konsequenz eine Auslöschung der Menschen auf ganzen Kontinenten bedeutet, ja auf der ganzen Welt bedeutet. Die meisten Menschen auf dieser Erde haben sich an diese Logik des Wahnsinns gewöhnt, weil sie sich absolut ohnmächtig fühlen. Die machtvolle Friedensbewegung in den 80iger Jahren hat die Zahl der in Europa befindlichen Atomwaffen zwar drastisch verringern können, aber trotzdem werden in den USA und in Russland immer noch ca. 5000 Atomwaffen in höchster Bereitschaft gehalten.

Was sind die eigentlichen Ursachen dafür, dass der mächtigste Staat auf dieser Welt - die USA - nicht bereit ist, auch nur kleine Schritte in Richtung Abrüstung eigener Atomwaffen zu gehen? Warum streben immer neue Staaten nach dem Besitz von Atomwaffen, warum mussten Indien und Pakistan sich 1998 mit Atomwaffentests beweisen?

Welche inneren, psychosozialen Gründe halten die Macher und die Mitmacher eigentlich davon ab, wirklich abzurüsten? Meine These dazu ist: Über Atomwaffen zu verfügen bedeutet nicht nur über Macht, sondern über Allmacht, über totale Macht zu verfügen. Dieses Allmachtsgefühl erzeugt bei den Akteuren den Schein, in einem Jahrhundert von Krieg und Destruktivität die eigene Todesangst zu besiegen, denn wer über totale Macht verfügt, der braucht den Tod nicht zu fürchten.

Wenn wir den Militärs oder Mächtigen der USA oder Russland und ebenso der anderen Atomwaffenstaaten bei ihren Rechtfertigungsreden zuhören, warum es unbedingt einen militärischen Ersteinsatz von nuklearen Waffen geben soll, wie sie die militärische Rolle beim Einsatz von nuklearen Waffen stärken wollen, so spürt man als aufmerksamer Zuhörerin eine merkwürdige Fühllosigkeit. Die von einem solchen Einsatz betroffenen Menschen, ihr Leid, ihre Not, existieren quasi nicht.
Die Gefahr der Atomrüstung steigt in dem Masse, wie diese verdrängt wird.

Die NATO, allen voran die USA und auch Russland, versuchen z.Zt., die Funktion nuklearer Waffen in ihren Militärstrategien deutlich zu erweitern. Nuklearwaffen sollen künftig nicht länger nur der Abschreckung und Bekämpfung nuklear bewaffneter Gegner dienen. sie sollen auch gegen die Besitzer und Anwender biologischer und chemischer Waffen gerichtet werden. Auch Russland befürwortet jetzt, wie die USA schon lange, ganz offiziell die Notwendigkeit des Ersteinsatzes von nuklearen Waffen. Natürlich wird der Beschluss des russischen Parlaments, den internationalen Atomteststoppvertrag und den Start-II-Abrüstungsvertrag zu ratifizieren, Druck auf die USA ausüben.

Atomwaffen sind keine Antwort auf unsere Sicherheitsprobleme, sondern selbst Teil des Problems. Sie sind als militärisches Mittel gegen missliebige Regierungschefs ungeeignet. Atomwaffen sind völkerrechtswidrig, wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag 1996 erklärte. Deshalb müssen Atomwaffen geächtet und voll ständig abgeschafft werden!

Die Atomenergie entstand als Zwilling der Atomwaffen, wie sie wissen. Doch sie hat uns nicht den Frieden gebracht, wie Präs. Truman schon 18 Std. nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima meinte, als er dem Kongreß empfahl, die Produktion und Nutzung der Atomkraft innerhalb der USA einzuleiten. Nach dem Supergau in Tschernobyl hat sich eine stabile 2/3 Mehrheit in der Bevölkerung gebildet, die den Ausstieg aus der Atomenergie als Hochrisikotechnologie fordert.

Mit jedem Tag des Weiterbetriebs der Atomanlagen in Deutschland werden wir alle aber ein Gesundheitsrisiko ausgesetzt, das nicht verantwortbar ist. Wir fordern daher von der Bundesregierung, dass sie unserem grundgesetzlich verbrieften Recht auf Leben und Gesundheit Art. 2,Absatz 2, Satz 1 GG) Vorrang verschafft vor den heute dominierenden wirtschaftlichen Interessen.

Aber auch wirtschaftlich wäre die Stromerzeugung durch Atomenergie am Ende, wenn die Bundesregierung die völlig ungerechtfertigten Privilegien der Atomwirtschaft endlich abbauen würde:
  • Wir verlangen eine angemessene Haftpflichtversicherung für Atomjraftwerke! Es geht nicht an, dass jeder Autobesitzer sein Auto voll versichern muss, und die Atomindustrie ihre Kraftwerke völlig unterversichert lässt.
  • Wir verlangen von der Bundesregierung, die Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke nach dem Stand der Wissenschaft und Technik gesetzlich durchzusetzen. Was für den ICE gilt, muss erst recht für Atomkraftwerke gelten!
  • Wir verlangen ein Verbot der Wiederaufarbeitung von Atommüll und eine harte Überprüfung der Entsorgungsnachweises nach Recht und Gesetz.
Dies sind gangbare Wege, den Atomausstieg kurzfristig einzuleiten und zu vollziehen. Der Atomaustieg ist machbar, jeder, wir alle können schon heute persönlich unseren Atomausstieg vollziehen, indem wir Strom aus ökologisch und für die Gesundheit der Menschen unbedenklichen Energieträgern beziehen.

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