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"Pazifistisch und antimilitaristisch"

Die Deutsche Friedensgesellschaft hat ein neues Programm und einen erweiterten Sprecherkreis

Von Frank Brendle *

Das eigene Selbstverständnis und die Breite ihres Bündnisses bestimmten die Diskussionen des Bundeskongresses der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Am vergangenen Wochenende fand es in Dortmund statt. Die etwa 80 Delegierten bestätigten mit großer Mehrheit den Politischen Geschäftsführer Monty Schädel im Amt. Er hatte in seinem Rechenschaftsbericht über anhaltenden Mitgliederschwund geklagt und mehr Unterstützung aus dem Verband gefordert. Als Schritt in diese Richtung werteten viele Delegierte die Wahlen zum Bundessprecherkreis. Für ihn gab es während des Kongresses eine Vielzahl von Kandidaturen. Jetzt gehören dem Kreis neun Sprecher an, darunter nach wie vor der Buchautor Jürgen Grässlin (Freiburg) und mit Cornelia Mannewitz (Rostock) auch erstmals seit Jahren wieder eine Frau. Das Gremium bilde jetzt die politische Breite des Verbandes ab, der mit über 3000 Mitgliedern immer noch die größte Friedensorganisation in Deutschland sei, hieß es.

Über genau diese Breite hatte es zuvor heftige Debatten gegeben. Anlaß dafür war der Entwurf zu einem neuen Grundsatzprogramm. Der Vorschlag von meist jüngeren, sich als Antimilitaristen bezeichnenden Aktivisten zielte darauf, das bestehende Programm zu aktualisieren, es erheblich zu kürzen und sprachlich zu überholen. Damit sollte sich die DFG-VK für politische Spektren öffnen, die sich selbst als antimilitaristisch definieren. Das stieß allerdings auf Widerstand älterer Mitglieder, die auch in der Wortwahl des Programms den pazifistischen Charakter gewahrt sehen wollten. Hinter dem Streit stehen unterschiedliche Bewertungen bestimmter Aktionsformen, zum Beispiel des Zerstörens von Kriegsgerät.

Im Ergebnis definiert sich die DFG-VK nun als »pazifistische Organisation«, in der sich Menschen »aus pazifistischer und antimilitaristischer Motivation« engagieren. Das zuletzt 1992 überarbeitete Programm benennt jetzt erstmals als wichtige Aufgabe den entschiedenen Widerstand gegen die von Deutschland im Rahmen von EU und NATO betriebene militärische Interventionspolitik. »Wir sehen es als unsere Aufgabe, Kriegführung zu behindern, kommende Kriege zu verhindern und uns jeglicher Kriegspropaganda entgegenzustellen«, heißt es darin. Auch der Protest gegen Rekrutierungsaktivitäten der Bundeswehr in der Öffentlichkeit wie an Schulen, ist jetzt im Programm verankert. Es bezeichnet zudem ausdrücklich die »auf Ausbeutung beruhende kapitalistische Weltwirtschaftsordnung« als Ursache von Kriegen.

In einem Initiativantrag solidarisierten sich die Delegierten auch mit Geschäftsführer Monty Schädel. Er sieht sich aktuell gleich zwei politisch motivierten Ermittlungsverfahren ausgesetzt (vgl. jW vom 28. September). Die Kongreßteilnehmer forderten die Einstellung der Verfahren. An die christlichen Kirchen in Deutschland erging die Aufforderung, die Militärseelsorge in der Bundeswehr einzustellen, weil diese ein Baustein in der Kriegspolitik sei.

Die Notwendigkeit, in der DFG-VK Geld zu sparen, schlägt sich im Beschluß nieder, die derzeitige Geschäftsstelle von Frankfurt am Main zugunsten einer Bürogemeinschaft mit dem Landesverband Baden-Württemberg in Stuttgart anzusiedeln. Eine Option für Berlin als neuen Standort wurde hingegen mit knapper Mehrheit abgelehnt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. Oktober 2013


Der Erste Weltkrieg und die Schuldfrage

Neue geschichtspolitische Debatten um Gründe für den Kriegsausbruch

Von Marcus Meier **


Knapp hundert Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges steht die Kriegsschuldfrage wieder auf der Tagesordnung. Aus Sicht des Militärhistorikers Wolfram Wette eine »hochgefährliche« Debatte.

Der Historiker Professor Wolfram Wette befürchtet eine geschichtspolitische Wende in 2014, dem Jahr, in dem sich der Beginn des ersten Weltkrieges zum einhundertsten mal jähren wird. Was die deutsche Hauptschuld an der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« betreffe, sollen »die Köpfe erneut vernebelt werden«. Ähnlich wie in den Jahren zwischen den Weltkriegen, als die »Verteidigungslüge«, der zu folge das deutsche Reich sich lediglich gegen eine zaristische Mobilmachung zur Wehr setzte, ein reaktionäres Klima in Deutschland mitbeförderte.

Das sei hochgefährlich, warnte Wette auf der Fachtagung »Die Waffen nieder: 100 Jahre Erster Weltkrieg - Nichts gelernt?«, die im Rahmen des Bundeskongresses der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) am Wochenende in Dortmund stattfand. Wette bezog sich dabei insbesondere auf den Erfolg des Buches »The Sleepwalkers« des Historikers Christopher Clark, das vor zwei Wochen auf Deutsch unter dem Titel »Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog« erschien und auch hier auf dem Weg zum großen Verkaufserfolg ist (Platz eins der »Spiegel«-Bestseller-Liste).

Ein »fulminantes Buch«, lobte der »Spiegel«, der Clarks Thesen in mehreren Interviews und Artikeln verbreitete. »Die Deutschen« trügen zwar Schuld am Ersten Weltkrieg, »aber nicht mehr als andere«, wird der Cambrigde-Professor im Hamburger Magazin zitiert - ein direkter Angriff auf den Historiker Fritz Fischer (»Der Griff zur Weltmacht«) und dessen Nachfolger.

Gegen den erbitterten Widerstand des national-konservativen Mainstreams in der Geschichtswissenschaft belegte Fischer in den 1960er-Jahren die deutsche Hauptschuld am Ersten Weltkrieg. Per Hegemonie in Europa zur Weltmacht: Frankreich schwächen, Russland abdrängen, Länder wie Belgien, Italien, Schweden zu deutschen Vasallenstaaten degradieren, so lauteten die zentralen Ziele im »Septemberprogramm« von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, für Fischer das zentrale Dokument deutscher Kriegszielpolitik. Ob die Fischer-Schule sich mit ihrem Ansatz durchgesetzt habe, werde sich 2014 erweisen, betonte Wolfram Wette in seinem Dortmunder Vortrag. Der deutsche »Wille zum Krieg« basierte in Wettes Sicht auf Militarismus und Nationalismus. Politische wie militärische Eliten des deutschen Kaiserreichs hätten »den Weg in den Krieg« systematisch gesucht, obwohl sie die schrecklichen Gefahren eines industrialisierten Kriegs kannten, betonte Wette.

Der 72-Jährige ließ auch den »Militarismus des kleinen Mannes« nicht unerwähnt. »Viele Proletarier glaubten an Bebel und an Bismarck«, resümierte der in Freiburg Lehrende. Der Internationalismus der Arbeiterbewegung, ein scheinbares Bollwerk gegen Kriege, sei »schlicht überschätzt« worden.

Die DFG/VK hat zusammen mit Partnerorganisationen ein »Netzwerk 2014« etabliert. »Das Thema erster Weltkrieg muss auch von uns aufgegriffen werden, dabei ist der Gegenwartsbezug wichtig«, appellierte Christine Hoffmann, Generalsekretärin der katholischen Friedensorganisation »Pax Christi« in einer Videobotschaft an die Teilnehmer der Dortmunder Tagung. Ansonsten drohe ein »Freudentaumel für die Europäische Union« nach dem Motto »Sieben Jahrzehnte Frieden in Europa«. Doch die Rüstungsspirale drehe sich weiter, von Deutschland gehe wieder Krieg aus und wie 1914 drohen sich militärisches Denken durchzusetzen.

Das »Netzwerk 2014« will reaktionäre Kriegerdenkmäler kreativ umgestalten und organisiert an Pfingsten einen internationalen Friedenskongress mit - in Sarajevo, einer in mehrfacher Hinsicht geschichtsträchtigen Stadt.

** Aus: neues deutschland, Montag, 30. September 2013


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