Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gewehr bei Fuß

Wie die Medien uns in den Krieg ziehen

Von Eckart Spoo

Vortrag auf dem Friedenspolitischen Kongress in Hannover, 1. September 2002

Geradezu erleichtert titelte der Berliner Kurier aus dem Bertelsmann-Konzern im Oktober 2001 nach Beginn der Bombardements gegen Afghanistan in fettesten Buchstaben: »Amerika schlägt zurück« – als hätte ausgerechnet Afghanistan, eins der ärmsten Länder der Welt, die USA angegriffen. Die andere Seite ist allemal die böse Seite, und jedes Mittel, das wir gegen sie anwenden, ist ein gutes Mittel. Damit daran kein Zweifel aufkommt, muß sie mit Greuelgeschichten und hetzerischem Vokabular verteufelt werden.

Wir erinnern uns: Irakische Truppen besetzten im August 1990 das Scheichtum Kuwait, das die einstige britische Kolonialmacht vom Irak abgetrennt hatte. Saddam Hussein hatte nach Gesprächen mit der US-Botschafterin in Bagdad Anlaß zu der Annahme, daß seine alten Freunde und Förderer in Washington, in deren Interesse er den Nachbarn Iran bekriegt hatte, ihn gewähren lassen würden. Doch Präsident Bush Sen. sah die Gelegenheit, nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Pakts mit einem Krieg gegen den Irak die »Neue Weltordnung« herzustellen. Der Krieg wurde u.a. dadurch vorbereitet, daß die USA dem UN-Sicherheitsrat frei erfundene Geschichten über irakische Greueltaten präsentierten. Angeblich hatten irakische Soldaten in kuwaitischen Krankenhäusern Babies aus den Brutkästen gerissen. Die Lüge wurde aufgedeckt, nachdem sie ihre Wirkung getan hatte.

Am 25.2.1991, dem Tag nach Beginn der US-amerikanischen Bodenoffensive gegen den Irak, hieß es in einem Korrespondentenbericht der Deutschen Presseagentur: »Die Propagandamaschine Saddam Husseins feuerte aus allen Rohren. Mit blutroten Schlagzeilen peitschte die Tagespresse zum Widerstand gegen die Allianz auf, die am Sonntag zum entscheidenden Schlag zur Befreiung Kuwaits ausgeholt hatte.« Ein solcher Text beeindruckt. Aber welche Informationen enthält er? Eine einzige: daß die Schlagzeilen der irakischen Presse in roter Farbe gedruckt wurden. Das kennen wir freilich auch von der Bild-Zeitung, die schon im August 1990 mit folgenden Überschriften Kriegsstimmung gegen Saddam Hussein erzeugt hatte: »Was macht der Irre jetzt?« (9.8.90), »Der Irre ist umzingelt« (14.8.90), »Jetzt quält der Irre auch Deutsche« (20.8.90).

Um das US-Militär angriffsfähig zu stimmen, um die Tötungshemmungen zu überwinden und um Widerstände in der Öffentlichkeit auszuschalten, titulierte der US-Oberkommandierende, General Norman Schwarzkopf, die Iraker als »tollwütige Hunde«, und jeder verstand, daß tollwütige Hunde abgeschossen gehören. Schwarzkopf wußte auch mitzuteilen: »Sie kämpfen ohne Gewissen und sind zu den schlimmsten, von Haß diktierten Taten fähig.« US-Präsident Bush sen. hatte schon am 6. August 1990 konstatiert: »Saddam Hussein ist der Hitler von Bagdad.« Tausende Kommentatoren in aller Welt machten sich diese Gleichsetzung zu eigen. Sie diente dazu, den Krieg gegen den Irak als moralische Notwendigkeit hinzustellen, also moralischen Widerstand zu brechen. Pazifisten mußten sich vorwerfen lassen, nicht aus der Geschichte gelernt zu haben. Jede Kritik an der US-amerikanischen Politik sah sich als Parteinahme für einen neuen Faschismus verdächtigt: Gerade die Deutschen, die den nordamerikanischen Streitkräften die Befreiung vom Naziregime zu verdanken hätten, müßten sich jetzt vorbehaltlos an deren Seite stellen, hieß es in Politikerreden und Leitartikeln. Diejenigen, die so argumentierten, waren oft dieselben, die den 8. Mai 1945 als Tag der Niederlage bezeichnen.

Der 2+4-Vertrag, in dem 1990 die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges der Wiedervereinigung zustimmten und Deutschland sich verpflichtete, seine Streitkräfte nur zu Verteidigungszwecken einzusetzen (wie es ja auch im Grundgesetz steht), war erst einige Monate alt, da beklagte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bei den Deutschen sei »die Angst vor dem Krieg offenbar stärker als die Liebe zur Freiheit«. Kaum anders trug es die Bild-Zeitung aus dem Springer-Konzern in die Massen. Da wurde dem damaligen Bundeskanzler Kohl vorgehalten, er lasse zum Golfkrieg »nur laue Luft« ab; ähnlich griff das Blatt Bundespräsident von Weizsäcker an: »Sie können doch sonst so schön reden.« Und auch viele andere Blätter forderten, wir Deutsche müßten »Verantwortung übernehmen«. Diese Parole wurde uns dann auch in den folgenden Jahren von Politikern und Publizisten immer wieder um die Ohren gehauen: Deutschland müsse »endlich wieder Verantwortung übernehmen«, sich seiner durch die Wiedervereinigung »gewachsenen Verantwortung« bewußt werden, müsse »endlich politisch erwachsen werden«, Deutschland müsse »endlich normal werden«. Gemeint war immer nur dies eine: Deutschland müsse endlich wieder Krieg führen.

Über die Interessen, denen der Krieg gegen den Irak diente, las man – vielen Zeitungslesern verborgen – auf den Wirtschaftsseiten. Springers Die Welt jubelte am Tag nach dem Kriegsbeginn: »Deutsche Aktien schießen in die Höhe wie noch nie zuvor.« Das Handelsblatt konstatierte »Bombenstimmung« an den Börsen und titelte: »Angriff auf den Irak beendet Lethargie der Anleger«. Die FAZ: »An den Börsen wird der drückende Pessimismus beiseite gefegt.« Schon vor Kriegsbeginn hatte der Effektenspiegel/ Das Journal für den Aktionär die Devise ausgegeben: »Die Golfkrise bietet günstige Einstiegskurse mit kurzfristig dicken Gewinnchancen.«

Was zählten gegenüber solchen Interessen die Informations- und die Meinungsfreiheit der Kriegsgegner? Da durfte zum Beispiel im Programm der BBC und mehrerer britischer Kommerzsender John Lennons Song »Give Peace a Chance« von Kriegsbeginn an nicht gesendet werden – »mit Rücksicht auf die kämpfende Truppe am Golf«; das galt auch für 68 andere Popsongs. Nur in England? Radio Schleswig-Holstein verbot Nenas »99 Luftballons«, weil man das »naive Friedenslied«, wie der Programmdirektor erklärte, angesichts »der ernsthaften Bedrohung am Golf« nicht senden könne. Beim Sender Freies Berlin wurde eine Satiresendung von Martin Buchholz wegzensiert. Die Autorin einer evangelischen Morgenandacht im Norddeutschen Rundfunk mußte sich heftige Vorhaltungen im Rundfunkrat gefallen lassen, weil sie mit ihrer Klage über den Krieg die Grenzen zum politischen Kommentar überschritten habe.

Und wie wurden wir über den Krieg informiert? Im Ersten Weltkrieg hatte der damalige britische Premierminister Lloyd George einmal im Gespräch mit dem Manchester Guardian bemerkt: »Wenn die Leute wirklich Bescheid wüßten, wäre der Krieg morgen zu Ende.« Damit wir nicht wirklich Bescheid wußten, führten im Golfkrieg alle Kriegsparteien sofort bei Kriegsbeginn, teilweise schon vorher, die Zensur ein. In Israel z.B. überwachten 150 Reservisten der militärischen Zensurbehörde die Telefonate, mit denen Journalisten ins Ausland berichteten. Nach Angaben der israelischen Zeitung Ma’ariv wurden beim Versuch, nicht genehmigte Informationen weiterzugeben, 593 Gespräche unterbrochen. In der Türkei zwang politische Polizei deutsche Fernsehjournalisten, alle in Diyarbakir – wo Bundeswehreinheiten stationiert waren – aufgenommenen Interviews vom Band zu löschen. Freies Reisen in Kurdengebieten war Reportern untersagt.

Die USA als hauptkriegsführende Macht hatten die Kriegsberichterstattung folgendermaßen organisiert: Die Journalisten durften sich in der saudiarabischen Hauptstadt Riad versammeln, wo ein großes Hotel bereit stand, sie aufzunehmen. Rund 1000 folgten der Einladung. Man hätte erwarten können, daß 1000 Journalisten verschiedene Einzelheiten wahrnehmen und einander ergänzende oder auch widersprechende Berichte liefern würden. Doch die Berichte der professionellen Kriegsbeobachter klangen alle gleich, denn die Beobachter hatten wenig zu beobachten; sie blieben unter sich an der Hotelbar und im Hotelschwimmbad. Bei der täglichen Pressekonferenz, jeweils um 15 Uhr im großen Ballsaal des Hotels, bekamen sie alle dasselbe zu hören, und was sie dann ihren Redaktionen übermittelten, war nichts als das dort Gehörte. Kleine ausgewählte Gruppen von Journalisten (»Pools«) wurden gelegentlich in Militärbegleitung in die Nähe des Kriegsschauplatzes transportiert. Was sie daraufhin zu Papier brachten, wurde dann auch noch zensiert. Die anderen Journalisten übernahmen Inhalte der zensierten Pool-Berichte. Ein Reporter des kommerziellen US-Fernsehsenders CNN klagte: »Wir verbreiten reinste Propaganda (...), denn aus psychologischen Gründen will Washington den Eindruck erwecken, als wäre der Krieg kaum mehr als Sachbeschädigung.« Von Opfern war möglichst nicht die Rede.

General Schwarzkopf gab am Ende des Krieges zu, daß die Medien bei Beginn der Bodenoffensive einem »gigantischen Täuschungsmanöver« gegen den Irak gedient hätten. Getäuscht wurde die Weltöffentlichkeit.

Das Ende des Krieges war noch nicht das Ende der Zensur. Von der Bodenoffensive wurde auch nachher kaum Bildmaterial verbreitet. Die US-amerikanischen Besatzungstruppen im Südirak ließen Journalisten nicht dorthin, wo die irakischen Truppen beim Rückzug in einer Falle vernichtet worden waren. Bilder von dort wären mit der Vorstellung vom sauberen, ordentlichen, humanen Krieg schwer zu vereinbaren gewesen.

Über die militärische Stärke des Irak verbreiteten die Medien, solange es zweckdienlich war, maßlose Übertreibungen (viertstärkste Armee der Welt, beste Artillerie, Supergeschütze mit einzigartiger Reichweite, fanatische Kampfbereitschaft, gigantische Giftgaslager im besetzten Kuwait). Dann wurde, als es opportun erschien, die perfekte Präzision der US-Waffen gerühmt, z.B. der »Patriot«-Raketen, was sich im nachhinein ebenfalls als weit übertrieben erwies.

Trotz aller Gleichschaltung meldeten sich auch in den USA kritische Stimmen. Ich will eine zitieren: »Die kriegerische Aktion des Präsidenten Bush im Golf bedeutet eine klare Verletzung der amerikanischen Verfassung, der Charta der Vereinten Nationen und anderer nationaler und internationaler Gesetze! Der Präsident hat die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates bestochen, eingeschüchtert und bedroht, um deren Unterstützung für die kriegerischen Akte gegen den Irak zu erhalten (...) Diese Abstimmung ist gekauft worden, und bezahlt wird dafür mit den Leben von Armen oder den Minoriäten angehörigen amerikanischen Soldaten werden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die von Amerika eingesetzten Massenvernichtungswaffen tausende von Opfern unter der unschuldigen Zivilbevölkerung fordern werden. Es wären somit jene Prinzipien anzuwenden, die seinerzeit im Nürnberger Prozeß festgelegt worden sind. Der Tod dieser Menschen ist nicht nur ein moralisches Verbrechen, sondern bedeutet auch eine Verletzung des internationalen Rechts. Vom August 1990 an hat Präsident Bush einen Kurs eingeschlagen, der systematisch jede Option für eine friedliche Lösung des Konflikts am Persischen Golf unmöglich gemacht hat.« So äußerte sich ein Mitglied des US-Kongresses, der texanische Abgeordnete Henry B. Gonzales, der die Amtsenthebung und Strafverfolgung des Präsidenten forderte. Ich las das in keiner deutschen Zeitung, sondern in einer österreichischen. Österreich gehörte nicht zur Kriegsallianz.

Als am 28. Februar 1991 der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak endete, jubelten die Sieger. In Deutschland war manchen Presse- und Rundfunkkommentatoren ebenfalls nach Jubel zumute, denn sie hatten mitgesiegt. In einer typischen Regionalzeitung las ich (nachdem US-amerikanische und französische Kommandeure die Zahl der getöteten Irakis schon mit 100000 oder 150000 resümiert hatten): »Bush ist dem natürlichen Impuls der Friedenssehnsucht erst gefolgt, als die Aufgabe erfüllt war (...) Das Pentagon hat bewiesen, daß die teuren Anschaffungen der vergangenen zehn Jahre keine Vergeudung von Steuergeldern waren, sondern eine Investition in Hochtechnologie mit durchschlagender Wirkung (...) Der Präsident hat Initiative, Führungsstärke und Stehvermögen gezeigt. Er hat sich den Respekt verdient, den er zu Recht genießt.« (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1.3.91)

Die PR-Agentur, die den damaligen Krieg mit Greuelpropaganda vorbereitet hatte, blieb in US-Regierungsdiensten. Nach dem 11. September 2001 wurde der Propagandaapparat weiter ausgebaut, z.B. durch die Gründung eines »Office of Strategic Influence«. Der Vorbereitung des nächsten Kriegs gegen den Irak dienen ein CIA-Programm »Winning of Hearts and Minds«, ein in Prag angesiedelter US-Sender »Radio Free Iraq«, ein Fernsehsender in London und auch ein Schulungsprogramm des US-Außenministeriums für irakische Oppositionelle, um sie zu »effektiveren Sprechern des irakischen Volkes« zu machen.

Mit wenigen Ausnahmen zeigen sich die deutschen Medien immer wieder bereit, an der »Enttabuisierung des Militärischen« – die Bundeskanzler Gerhard Schröder als Erfolg seiner Regierungstätigkeit rühmt, die aber lange vorher begonnen hat – mitzuwirken. Ähnlich wie die US-amerikanischen haben sie im Krieg gegen den Irak, im Krieg gegen Jugoslawien und im derzeitigen »Krieg gegen den Terror« die Öffentlichkeit dermaßen gründlich irregeführt, daß die Wahrheit auch nachher schwerlich durchsickern kann.

Nach solchen Erfahrungen empfiehlt es sich, der US-Regierung, die jetzt den neuen Krieg gegen den Irak vorbereitet, kein Wort zu glauben. Wir sollten überhaupt offiziellen Angaben grundsätzlich nicht trauen, vor allem nicht den Angaben der eigenen bzw. befreundeten Seite – im Zweifelsfall eher der Darstellung der anderen Seite, die zumindest den Wert hat, daß sie uns kritikfähig gegenüber den Angaben der eigenen Seite machen kann. Die Gefahr, daß wir aus Leichtgläubigkeit mitschuldig werden, besteht in der Regel nur auf der eigenen Seite.


Zu weiteren Referaten auf dem Friedenskongress in Hannover

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Seite "Medien und Krieg"

Zurück zur Homepage