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Die Kirche und der Frieden

Gedanken zum Kirchentag 2001

Die Kirchentage sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren - jedenfalls stellt sich das aus Sicht der Friedensbewegung so dar. Friedensthemen wie der Kampf gegen Atomraketen oder um die Beseitigung aller Atomwaffen, Kampagnen gegen Rüstungsexporte oder die Landminenkampagne, Solidarität mit der "Dritten Welt" usw. beherrschten so manchen Kirchentag der vergangenen zwei Jahrzehnte. Allerdings mit abnehmender Tendenz. Ein Blick in das Programm des diesjährigen 29. Kirchentags, der vom 13. bis 17. Juni in Frankfurt a.M. stattfindet, belehrt uns darüber, dass solche Themen "out" sind. Das heißt nicht, dass der Kirchentag damit unpolitisch geworden wäre. Politische Themen gibt es weiterhin zuhauf: Die Debatte um die Gentechnologie ist nur ein Beispiel, die Diskussion um eine Agrarwende ein anderes. Nur: Die Evangelische Kirche scheint ihren Frieden mit der herrschenden Außen- und Sicherheitspolitik geschlossen zu haben. Die verhaltene pastorale Unterstützung des NATO-Kriegs 1999 war also kein einsamer Ausrutscher, sondern setzt sich fort in einer stillschweigenden Zustimmung zur Militarisierung deutscher und europäischer Außenpolitik in Form des Umbaus der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee und des Aufbaus europäischer Streitkräfte.

Doch hüten wir uns vor einer pauschalen Kirchenschelte. Die Diskussion in den Kirchen wird weitgehend (vor-)bestimmt durch das politische Klima, das in der ganzen Gesellschaft herrscht. Und hier müssen wir nüchtern feststellen, dass es mit der Besetzung friedenspolitischer Themen zur Zeit nicht gerade gut bestellt ist. Es bleibt die Aufgabe der Friedensbewegung - dies wird in dem nachfolgenden Interview deutlich -, ihre ureigenen Themen in der Öffentlichkeit zu "kommunizieren", um im Jargon der politischen Klasse zu sprechen. Da kommt dem Appell "Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen" eine zentrale Bedeutung zu. Große Verantwortung haben aber die "kirchlichen" Friedensorganisationen wie Aktion Sühnezeichen in der evangelischen oder Pax Christi in der katholischen Kirche, die beide übrigens noch quicklebendig sind, wenngleich auch sie erheblich an Einfluss und Ausstrahlungskraft eingebüßt haben.
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview aus der jungen welt mit Uwe Reinecke, der zu den Initiatoren eines friedenspolitischen Aufrufs gehört, der während des Kirchentags die Runde machen soll; der Aufruf selbst folgt ebenfalls im Wortlaut. Und weiter unten gibt es Auszüge aus einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung, in dem sich der Kommentator so seine Gedanken über das Verhältnis der Kirchen zu Frieden und Krieg macht. Der Kommentar, der uns natürlich überhaupt nicht gefällt, spiegelt aber doch recht genau die bellizistische Wahrnehmung des vermeintlichen Kräfteverhältnisses zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern wider.
Pst


Wie friedliebend sind Kirchen?

junge Welt sprach mit Uwe Reinecke*

* Der Historiker und Rundfunkjornalist Uwe Reinecke ist Mitglied im Göttinger Friedensbündnis und im Bundesausschuß Friedensratschlag

F: Am heutigen Mittwoch beginnt in Frankfurt a. Main der Evangelische Kirchentag. Sie haben eine Anzeige geschaltet, die eine klare Haltung der Kirche zum Krieg einfordert. Warum?

Mit unserer Zeitungsanzeige** in der Frankfurter Rundschau wollen wir das Friedensthema wieder zum Hauptthema der Kirchen machen. Nicht wenige Repräsentanten der Evangelischen Kirchen haben vor zwei Jahren den Krieg gegen Jugoslawien, und damit Kriege überhaupt, gerechtfertigt. Das steht in deutlichem Widerspruch zur Tradition der christlichen Friedensgruppen, die sich z.B. in den Ostermärschen ausdrückt.

F: Welche Forderungen erheben Sie konkret?

Gegenwärtig findet eine Umstrukturierung der Bundeswehr hin zu einer Interventions- und Angriffsarmee statt. An der Weizsäcker-Kommission, die die Pläne für diesen Umbau erarbeitete, waren mehrere Kirchenvertreter beteiligt. Das verletzt eklatant den Friedensauftrag der Kirchen. Wir fordern, daß der Umbau der Bundeswehr und eventuelle Kriegseinsätze von den Kirchen verurteilt werden. Wir fordern ferner, daß der Militärseelsorgevertrag, der die Seelsorger zu Kombattanten macht, gekündigt wird. Seelsorge an Soldaten soll es geben, aber nicht in der bisherigen Form. Die Kirchen sollten sich wieder auf das ökumenische Wort aus Amsterdam von 1948 besinnen: »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.«

F: Wie ist die Beteiligung an Ihrer Aktion?

Die Resonanz war erstaunlich groß. Uns erreichten in kurzer Zeit mehr als 130 Unterstützungsunterschriften und Ankündigungen, sich an der Finanzierung der Anzeige zu beteiligen.

F: Gibt es schon irgendwelche Reaktionen der Kirchenführung?

Bisher nicht. Die Anzeige wird zur Zeit an der »Basis« diskutiert. Vielleicht erhalten wir noch eine offizielle Reaktion von den Angesprochenen.

F: Wo ist Ihrer Ansicht nach die Schere zwischen moralischen Grundsätzen, die auf dem Papier stehen, und dem praktischen Verhalten der Kirchenleitung besonders groß?

Wenn es nur das Schweigen wäre. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, daß sich die Kirchen sogar aktiv an der Umstrukturierung der Bundeswehr beteiligen. Mir scheint Martin Niemöller in den Evangelischen Kirchen fast vergessen. Er hatte sich 1950 und später eindeutig gegen eine Remilitarisierung Deutschlands ausgesprochen.

F: Planen sie weitere Aktionen?

Wir hoffen, daß es uns gelingt, auf dem Kirchentag mindestens 3000 Unterschriften unter den Anzeigentext zu bekommen und sich unser Anliegen in einer offiziellen Resolution der Veranstaltung widerspiegelt. Am Sonntag, dem Abschlußtag, werden wir uns an einer Aktionskonferenz der Friedensbewegung beteiligen. Dort soll eine bundesweite Unterschriftenkampagne mit der Losung »Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen!« vorbereitet werden.

Interview: Thomas Klein

Aktionskonferenz am 17.6. , 12 Uhr, »Haus der Jugend«, Deutschherrnunfer 12 in Frankfurt a.M.

Aus: junge welt, 13.06.2001

** Der Text der Anzeige lautet folgendermaßen:

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein

ökumenisches Wort aus Amsterdam (1948)

Was ist aus diesem Wort bei uns geworden?

VOR zwei Jahren haben die meisten RepräsentantInnen der ev. Kirche den Einsatz der Bundeswehr im völkerrechtswidrigen Angriff gegen Jugoslawien legitimiert. Wir erwarten, dass sich die RepräsentantInnen der ev. Kirche vor den versammelten Menschen des Kirchentages dafür entschuldigen.

WÄHREND des Krieges wurde in der "neuen NATO-Strategie" die atomare Ersteinsatzsoption, auch gegen Staaten ohne Atomwaffen, bekräftigt. Wir erwarten, dass die RepräsentantInnen der ev. Kirche diese NATO-Strategie verurteilen.

NACH dem Krieg wird an dem Umbau der Bundeswehr zu einer "Interventionsarmee" gearbeitet. Vorschläge dafür legte die "Weizsäcker-Kommission" vor, in der auch die ev. Kirche durch ihren Synodal-Präses mitarbeitete. Wir erwarten, dass die ev. Kirche den Umbau der Bundeswehr in eine Angriffsarmee und mögliche weltweite Interventionen ablehnt. "Schwerter zu Pflugscharen"



Späte Einsicht - Die Kirche und der Frieden

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... Der Frieden spielt auf dem Frankfurter Kirchentag kaum noch eine Rolle. Da gibt es noch ein Forum mit den üblichen Verdächtigen wie Konrad Raiser vom Ökumenischen Rat der Kirchen oder ein „Friedensgebet im Mundart-Zentrum“. Aber das war es fast schon – als ob nicht Tausende Soldaten auf dem Balkan stationiert wären, es den Krieg im Kosovo nicht gegeben hätte und den in Mazedonien nicht noch gäbe. Lange her, zu Zeiten der Nachrüstung, da war das Treffen der Protestanten eines der gescheitesten Foren der Friedensbewegung. Aber die Zeiten änderten sich, nur die moralische Selbstgewissheit in Sachen Krieg und Frieden blieb. Als die Berge in Bosnien brannten, versetzte sie der Glaube an die Friedfertigkeit nicht, und die Gewissheit geriet zur Überheblichkeit. Erst der Einsatz des Militärs, den die Kirchentage bis 1995 stets verdammt hatten, beendete den Völkermord.

Seither hat der Kirchentag seinen Frieden mit dem Krieg gemacht. Es ist freilich ein Frieden aus Ratlosigkeit. 1999, nach dem Kosovokrieg, erhielt in Stuttgart der verdutzte Rudolf Scharping sogar Beifall von den Protestanten. Vielleicht war es, nach Srebrenica und den Killing Fields im Kosovo, so etwas wie Einsicht.

Joachim Käppner

Aus: Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 2001



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