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Wer beteiligt sich am Protest?

Monty Schädel über die Zusammenarbeit der Anti-NATO-Bewegung

Monty Schädel ist Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Das folgende Interview wurde im "Neuen Deutschland" (ND) veröffentlicht.



ND: 2009 wird die NATO 60 Jahre alt und sieht sich selbst als Bündnis für Friedenbewahrung und Demokratieförderung. Warum ist Protest gegen die NATO dennoch wichtig?

Schädel: Die aktuellen Ereignisse, wie auch ein Blick in die Geschichte, widersprechen eindeutig dieser Selbstdarstellung der NATO. Sie ist kein Friedensbündnis, das Demokratie schafft, sondern ein Bündnis, das Krieg weltweit exportiert und für Tod und Zerstörung verantwortlich ist.

Am vergangenen Wochenende fand ein Arbeitstreffen der Protestbewegung statt, zu der auch die DFG-VK eingeladen hatte. Wer beteiligte sich daran?

Wir haben versucht, Vertreter der verschiedensten Spektren der Friedens- und Antikriegsbewegung einzuladen und an einen Tisch zu bringen. Dass etwa 130 Personen unserer Einladung folgten und aktiv an dem Arbeitstreffen teilnahmen, sehen wir als Erfolg an. Teilgenommen haben nicht nur Vertreter der traditionellen Friedensbewegung, eingebracht haben sich beispielsweise auch die interventionistische Linke und das Bye-bye-NATO-Bündnis. Durch die intensive Vorarbeit ist es gelungen, einen großen Bereich der gesellschaftlichen Kritik an der NATO zu vereinigen. Die Friedens- und Antikriegsbewegung ist damit über ihre traditionellen Grenzen hinausgewachsen.

Womit sicherlich auch die Heterogenität innerhalb der Bewegung zugenommen hat. Gibt es dennoch ein verbindendes Moment für die Proteste?

Das alle Gruppen verbindende Moment ist die Bereitschaft, diesen Protest wirklich gemeinsam vorzubereiten. Dafür haben wir uns am Wochenende auf verschiedene Schwerpunkte geeinigt, die wir gemeinsam und spektrenübergreifend bearbeiten möchten. Dazu gehört die Vorbereitung sowohl von Demonstrationen als auch eines Kongresses und eines Camps. Unterschiedliche Protestformen sollen nicht in Konkurrenz zueinander stattfinden

Und worin bestehen die inhaltlichen Gemeinsamkeiten?

Die wurzeln in der Aussage, dass die NATO kein Friedensbündnis ist, dahinter stehen alle. Die Details der einzelnen Aussagen werden wir in einem gemeinsamen Aufruf zusammenfassen. Dazu wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertretern verschiedener Spektren gebildet, so dass man im Moment noch nicht sagen kann, dieses, jenes, welches ist »das Richtige«. In den Einführungsreferaten wurde die Ablehnung der Kriegspolitik der NATO aber von allen Seiten auf die gleiche Weise betont.

Welche Trennungslinien gibt es noch?

Trennungslinien ist hier vielleicht das falsche Wort. Es gibt zwar Unterschiede zwischen den Gruppen, was konkrete Vorstellungen über die Protestformen betrifft, oder aus welchem Grund genau man gegen die NATO ist. Aber das sind, glaube ich, überbrückbare Differenzen.

Welche Rolle haben die Erfahrungen der Anti-G8-Proteste im vergangenen Jahr bei der Debatte gespielt?

Die haben eine sehr große Rolle gespielt, weil man gesehen hat, dass Proteste gemeinsam vorbereitet und organisiert werden können; dass man einen gemeinsamen Nenner für die Proteste gegen gesellschaftliche Entwicklungen finden kann, die wir alle gleichermaßen ablehnen. Viele haben sich auf die erfolgreichen Proteste gegen den G8-Gipfel bezogen, der Tenor war allenthalben: Wir haben es schon einmal geschafft und deshalb können wir es auch wieder tun!

Fragen: Patrick Widera

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2008


"Wir planen Proteste wie in Heiligendamm"

Friedensbewegung läuft sich warm: Im Frühjahr feiert die NATO ihren 60. Geburtstag. Ein Gespräch mit Reiner Braun **

Die Friedensbewegung läuft sich warm für die zum Frühjahr in Strasbourg und Kehl geplanten Jubelfeiern aus Anlaß des 60. Gründungstages der NATO. Am Wochenende gab es in Fankfurt/Main ein erstes Vorbereitungstreffen – was ist geplant?

Nicht nur für die Friedensbewegung, sondern auch für diverse soziale Bewegungen wird der 60. Geburtstag ein großes Ereignis. Die NATO steht für Kriegspolitik, Aufrüstung und eine immense Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen. Am Sonntag haben wir uns mit 130 Vertretern aus Friedens- und anderen Bewegungen getroffen. Und wir waren uns einig, daß wir dieses Ereignis würdig begehen wollen.

Und wie?

Wir haben uns auf mehrere Elemente verständigt. Erstens wird es ein großes Camp geben. Zweitens ist eine Demonstration mit internationaler Beteiligung geplant. Drittens bereiten wir einen »Alternativgipfel« mit Vertretern aus vielen Ländern vor, auf dem besonders auch Gegenstrategien diskutiert werden sollen. Es wird Aktionen des zivilen Ungehorsams geben – Blockaden, Umzingelungen etc. Diese und andere Details werden noch gemeinsam entwickelt und auf einer weiteren Konferenz im Januar beraten.

Also Aktionen wie beim Gipfeltreffen der G-8-Staaten im vergangenen Jahr?

Uns schwebt schon ein wenig der Geist von Heiligendamm vor.

Daß die NATO jetzt seit 60 Jahren existiert, ist das eine. Das Hauptproblem ist aber die Zukunft des Bündnisses, nämlich dessen Erweiterungspläne. Der Hauptfeind steht ja offenbar nach wie vor im Osten.

Er hat zwei Sitze: Moskau und Peking. Wenn man die Bukarester Dokumente von diesem Jahr studiert, kommt man zu dem Schluß, daß die NATO-Erweiterung wahrscheinlich in zwei sich überlappenden Etappen abläuft. Die erste ist die Umzingelung Rußlands. Das heißt: das Schließen des kaukasischen Loches. Deswegen sollen Georgien und die Ukraine möglichst bald aufgenommen werden. Um Georgien hat es kürzlich schon einen Krieg gegeben – eine Gefahr, die– Stichwort »Krim« – auch im Fall der Ukraine droht. Die zweite Etappe erstreckt sich bis zum Pazifik. Als neue NATO-Partner sind Japan, Australien, Südkorea, Singapur und Neuseeland im Gespräch.

Die NATO ist kein exklusiv deutsches Thema. Welche Vernetzungen gibt es mit Friedensgruppen aus anderen Ländern?

In der kommenden Woche werden beim Europäischen Sozialforum in Malmö weitere Absprachen getroffen. Und am 4./5. Oktober findet in Stuttgart ein internationales Vorbereitungstreffen statt, zu dem besonders Friedensorganisationen einladen. Wir haben eine enorme Resonanz, Zusagen aus 15 Ländern– die internationale Vernetzung ist also auf dem besten Wege. Aus Osteuropa sind die Tschechische Republik, Ukraine und Georgien schon an Bord.

Gibt es einen Überblick darüber, was in anderen europäischen Ländern geplant ist?

Es hat erste Vorbereitungstreffen in Belgien, Großbritannien und Frankreich gegeben. Die Niederländer treffen sich am 1. November. Die Karawane setzt sich also langsam in Bewegung.

Und wie sieht es mit NATO-Gegnern aus den USA aus?

Zu denen haben wir gute Kontakte, die am 20. September bei der großen Afghanistan-Demonstration in Berlin, bei der auch eine Rednerin aus den USA auftritt, vertieft werden.

Verstehe ich Sie richtig, daß Sie die Auflösung der NATO fordern?

Dazu gibt es verschiedene Überlegungen: Auflösung, Austritt, auslaufen lassen – wie auch immer. Unsere gemeinsame Position ist jedenfalls, daß an Stelle des NATO-Bündnisses zivile Friedensstrukturen treten müssen.

Heißt das konkret für die BRD: Raus aus der NATO?

Mit dieser Forderung sind ja die Grünen früher einmal groß und stark geworden. Ich denke, daß wir sie in die Diskussion einbeziehen sollten. Es wird noch diskutiert, was konkret im Aufruf zu den Protesten stehen wird – das Papier soll im Oktober vorgestellt werden.

Interview: Peter Wolter

** Reiner Braun ist einer der Sprecher der »Kooperation für den Frieden«

Aus: junge Welt, 11. September 2008



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