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Engagiert und beharrlich

Krieg soll nicht in der Altmark beginnen: Friedensinitiative "OFFENe HEIDe" kämpft seit 20 Jahren für den Abzug des Militärs

Von Susan Bonath *

Die Colbitz-Letzlinger Heide ist nicht nur Naturschutz- und Trinkwassergebiet, sondern auch Militärgelände. Auf 232 Quadratkilometern üben Bundeswehr- und NATO-Soldaten für Kriegseinsätze. Der Truppenübungsplatz des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Altmark ist der modernste Europas. Ob bei Festen, Tagen der offenen Tür, Berufsmessen in Schulen oder durch Städtepartnerschaften – das Militär hat seinen Platz in der zivilen Welt erobert. Was Politik und Medien als »Wirtschaftsmotor« bejubeln, nennt die Bürgerinitiative »OFFENe HEIDe« etwa »Werben fürs Sterben«. Seit genau zwei Jahrzehnten demonstriert sie jeden ersten Sonntag im Monat mit einem Friedensweg für eine zivile Nutzung der Heide.

Die 20 Jahre seien kein Grund zum Feiern, konstatierte der BI-Vorsitzende Helmut Adolf am vorgestrigen »Jubiläumssonntag«. Denn längst wollte man durch einen Naturpark laufen. Statt dessen verbieten rings um das GÜZ Schilder mit der Aufschrift »Militärischer Sicherheitsbereich« das Betreten. Im Gelände rattern Panzer und fallen Schüsse; Krieg und Tod werden simuliert. In »Übungsdörfern« proben Soldaten den Häuserkampf. Die moderne Technik stellt seit 2008 der Waffenkonzern Rheinmetall, in den Jahren zuvor war die Serco GmbH dafür zuständig. Beide Konzerne verdienten bisher dreistellige Millionenbeträge am GÜZ, wie die Bundesregierung 2012 auf eine Anfrage der Linken mitteilte. Rheinmetall soll bald auch Schnöggersburg betreiben. Die sechseinhalb Quadratkilometer große Übungsstadt wird derzeit aus dem Boden der Heide gestampft. Die veranschlagten gut 100 Millionen Euro fließen aus dem Steuertopf. Außer Bewohnern soll Schnöggersburg alles beherbergen, was westliche Metropolen »überall auf der Welt« auch haben: Straßen, Häuser, Industrie, Theater, Nobel- und Elendsviertel, Flughafen und eine U-Bahn. Für die Aktivisten ist mit dem lange geheimgehaltenen Projekt eine neue Stufe erreicht. Sie sind überzeugt, daß sich das Militär in Schnöggersburg darauf vorbereiten soll, soziale Unruhen im Inland und europaweit zu zerschlagen.

Als die Initiative sich 1993 auf ihren ersten Friedensweg begab, hatte sie den Naturpark noch direkt vor Augen. In Sachsen-Anhalt wurden hitzige Debatten geführt. Die Bundesregierung wollte zwar das Areal, das bereits Hitlers Wehrmacht zum Übungsgelände umfunktioniert und das später die Sowjetarmee besetzt hatte, der Bundeswehr überlassen. Und die damalige schwarz-gelbe Landesregierung unterstützte den Plan. Doch damals kämpften die Oppositionsparteien PDS, Grüne und SPD noch gemeinsam dagegen. Als 1994 eine von der PDS tolerierte Minderheitsregierung aus SPD und Grünen die CDU-FDP-Koalition ablöste, kam es gar zum Streit mit dem Bund – bis man sich 1997 auf den sogenannten Heidekompromiß einigte. Danach sollte zumindest der südliche Teil des Geländes ab 2006 zivil genutzt werden. Doch dazu kam es nie: Kaum an der Macht, verwarf die 2002 wiedergewählte CDU-FDP-Regierung das Vorhaben.

Seither kämpft die Initiative nicht nur gegen das GÜZ, sondern auch gegen das politische »Totschlagargument« Arbeitsplätze. Sie erträgt es, daß lokale Medien sie mit Adjektiven wie »naiv und blauäugig« (Altmark Zeitung) bedenken. Sie wehrt sich gegen Ausschlüsse von öffentlichen Events. Auseinandersetzen muß sie sich mit Bürgermeistern, die ihre Orte durch Soldaten wirtschaftlich belebt wähnen, und mit Anwohnern, deren Kinder in dem öden Flecken einen Ausbildungsplatz bei der Bundeswehr ergattert haben. Auf ihren Friedenswegen bleiben die Kriegsgegner – mal 20, mal 50, selten über 100 – meist unter sich. Oft schlägt ihnen Unverständnis, manchmal Feindseligkeit entgegen. Dennoch: Mit den Jahren ist ihr ziviler Ungehorsam hartnäckiger geworden. Vor drei Jahren etwa lauschten sie mitten im GÜZ einem klassischen Konzert der Musikgruppe »Lebenslaute«. Vor anderthalb Wochen forderten sie mit Friedensaktivisten aus ganz Europa den Abzug des Militärs. Auch vorgestern spazierte eine Gruppe an den Verbotsschildern vorbei. Helmut Adolf weiß: »Erst, wenn die Heide im Dienst von Mensch und Fauna steht und nicht mehr zum Kriegüben mißbraucht wird, gibt es Grund zum Feiern.« Bis dahin sei noch viel Protest nötig.

www.offeneheide.de

* Aus: junge Welt, Dienstag, 6. August, 2013


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