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"Besessenheit stiftet nur Unfriedlichkeit"

Von Horst-Eberhard Richter

Zur Eröffnung des IPPNW-Kongresses "Kultur des Friedens" sprach der gerade 80 Jahre alt gewordene Horst-Eberhard Richter, Ehrenvorsitzender der IPPNW, über die Friedensbewegung, den Irakkrieg, die Machtbesessenheit bestimmter Politiker und die Handlungsalternativen der globalisierungskritischen Bewegung. Wir dokumentieren seine mit großem Beifall aufgenommene Rede im vollen Wortlaut. Eine gekürzte Fassung des Vortrags erschien am 2. Mai unter dem Titel "Besessenheit stiftet nur Unfriedlichkeit" in der Frankfurter Rundschau, die in ihrem Online-Angebot eine Zeitlang auch die Langfassung bereithält (www.fr-aktuell.de). Die Zwischenüberschriften stammen von uns.


Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie mich Ihnen zunächst im Namen der Veranstalter herzlich dafür danken, dass Sie gekommen sind. Einige vielleicht erst nach Überwindung einiger Zweifel. Wäre es nicht vielleicht zuträglicher, sich erst einmal von den Schreckensbildern zu erholen, die vielen von uns in den letzten Wochen den Schlaf geraubt haben? Was hilft auch alles Analysieren, Kritisieren und Protestieren, wenn die, die den Krieg von vornherein gewollt haben, ohnehin machen was sie wollen? Müssen wir uns als Friedensbewegung nicht endlich unsere Ohnmacht eingestehen und uns mit ihr abfinden, und bleibt uns nicht bloß der milde Trost, dass wir erneut vor uns selbst und vor der Öffentlichkeit unseren guten Willen präsentiert haben und dies auch weiterhin tun werden?

Eins nach dem anderen: Natürlich ist es vernünftig, sich nach emotionalen Strapazen wie den gerade durchgemachten zu erholen. Aber Verdrängung schafft keine Erholung, sondern immer nur das Aufstauen von Spannung. Und wer kann überhaupt verdrängen, da die USA schon gegenüber Syrien den gleichen Ton angeschlagen haben wie im ganzen letzten Jahr gegen den Irak?

Ohnmacht, Verantwortung und Gewissen

Zu dem Thema Ohnmacht fällt mir wieder die wunderbare Ermahnung von Joseph Weizenbaum ein, dem nächsten Redner am heutigen Abend, die Ermahnung nämlich, dass jedes Individuum so handeln müsse, als ob die Zukunft der Menschheit von ihm abhinge. Weiter wörtlich: "Alles andere ist ein Ausweichen vor der Verantwortung und selbst wieder eine enthumanisierende Kraft und bestärkt den Einzelnen in seiner Vorstellung, lediglich die Figur in einem Drama zu sein, das anonyme Mächte geschrieben haben und sich weniger als eine ganze Person anzusehen, und das ist der Anfang von Passivität und Ziellosigkeit."

Zu meiner Freude habe ich vor kurzem diesen Text auf einer großen Leuchttafel wiederentdeckt, unter der 400 Schülerinnen und Schüler in Kassel eine selbst inszenierte große Friedensveranstaltung abgehalten haben. Weizenbaum lehrt uns, dass Ohnmacht kein Zustand ist, den wir vorfinden. Sondern eine selbst gemachte Passivität und Flucht vor der Verantwortung. Das klingt zunächst heroisch. Was kann ich denn mit dieser Verantwortung anfangen, so, dass etwas dabei herauskommt? Das ist die typische Fragestellung aus der Ökonomie. Was kommt heraus? Herausgekommen ist zum Beispiel aus der Friedensbewegung der 80er Jahre eine wichtige Verbesserung des Klimas für die Ost-West-Verständigung, sagt Gorbatschow. Aber wer wusste das vorher? Und wer konnte das messen?

Verantwortung nehmen wir in der Regel nicht als abstrakte Pflicht wahr, sondern sie kommt in uns, wenn wir uns dagegen nicht sperren, als ein spontanes Empfinden hoch. Wenn wir mitansehen, was im Irak die Bomben und Raketen angerichtet haben, wenn wir in die Gesichter der verletzten Kinder in den Krankenhäusern Bagdads geblickt haben, dann litten wir, weil wir nicht helfen konnten, wozu uns unser Mitfühlen aufrief, eben im Bewusstsein von Mitverantwortung. Das zwingt viele von uns zur Aktivität in der Friedensbewegung und hat Millionen in allen Erdteilen auf die Straßen getrieben, wie wir gerade gesehen haben.

Und was hat es mit der angeblichen moralischen Selbstbefriedigung auf sich, die unser Engagement entwerten soll? Es liegt nun mal in unserer Natur, dass wir uns wohler fühlen, wenn wir mit unserem Gewissen im Reinen sind und wenn wir der Mitverantwortung für das Ganze Ausdruck geben können, von der Joseph Weizenbaum spricht. Hunderttausend psychisch Kranke wären in unserem Land der Ermordung entgangen, hätten die führenden Psychiater nur zur moralischen Selbstbefriedigung "Nein" gesagt, als sie zur Teilnahme an der Vernichtungsaktion aufgefordert waren. Leider waren sie nicht genügend Gutmenschen, um das zu tun.

Wenn die Menschen diesmal in nie dagewesenem Umfang protestieren, wenn Bevölkerungsmehrheiten in den meisten Ländern bei Umfragen ihre Kriegsablehnung bekundet haben, nicht selten sogar gegen die eigene Regierung, dann zu einem guten Teil deshalb, weil sie ein elementares Prinzip der Weltordnung gefährdet sehen, auf das sich die Charta der Vereinten Nationen gründet. Das ist die gleichberechtigte Einordnung aller in eine Weltorganisation, die den Frieden vor Machtmissbrauch Stärkerer gegen Schwächere schützen soll. Das war die Lehre, die man aus der Vergewaltigung vieler Länder durch Hitlers Allmachts- und Größenwahn gezogen hat. Die USA waren 1945 eine treibende Kraft bei der Schaffung dieser internationalen Institution. Nun sind es dieselben Vereinigten Staaten, die ihre gewonnene Überlegenheit an Stärke als Rechtfertigung dafür ansehen, nach Gutdünken den Frieden zu brechen, wo immer sie wollen. Verpflichtungen zum gemeinsamen Schutz des Klimas oder zu Bestrafung von Kriegsverbrechern akzeptieren sie nicht länger. So haben sie sich der Klimaschutz-Konvention von Kyoto verweigert. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag darf die Kriegsverbrecher aller Länder zur Rechenschaft ziehen, nur nicht die amerikanischen. Die Durchsetzung des Irak-Krieges ohne UN-Mandat gegen den Widerstand des Sicherheitsrates war der nächste Schritt zur praktischen Entmachtung der Weltorganisation und zum ungenierten Ausleben egoistischer Willkür. Die neue Hegemonialmacht macht also tatsächlich genau das, wovor die von ihr mitgeschaffene Organisation uns alle bewahren sollte.

Washington sieht in Irak nur einen Brückenkopf

Diese Gefahr haben die Widerständler im Sicherheitsrat ebenso wie die Massen der Protestierenden auf den Straßen und die Friedenskräfte insgesamt vor Augen, wenn sie nun auch nach dem Irak-Krieg keine Ruhe geben. Jetzt bestätigt sich die Ahnung vieler, die von vornherein den Scharfmachern im Pentagon zugetraut hatten, es gehe diesen um weit mehr als um die Ausschaltung eines brutalen Diktators und seiner ihm nachgesagten, aber bis heute nirgends gefundenen Massenvernichtungswaffen. Noch fallen im Irak Schüsse, da blickt Washington bereits über dessen Grenzen. Und es wird das wahre Kriegsziel erkennbar, nämlich vom Irak als Brückenkopf aus den gesamten islamischen Mittleren Osten unter militärische, wirtschaftliche und kulturelle Kontrolle zu bringen. Drei schon geplante Militärstützpunkte sollen die Basis bilden. Es heißt: Wenn uns durch den Sieg über Hitler gelungen ist, Europa zu amerikanisieren, warum sollte uns nach der Niederwerfung Saddam Husseins in der dortigen Region nicht das Gleiche gelingen? Boutros Boutros Ghali, Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen, hatte schon sehr früh gewarnt: Bushs Irak-Invasion sei nichts anderes als ein imperialistischer Eroberungskrieg im Stile des Kolonialzeitalters, also ein Rückfall auf die Primitivität einer überwunden geglaubten Zivilisationsstufe.

Das also ist unsere momentane Lage, die von den Menschen gespürt wird, die jetzt nicht in die Ohnmacht der Passivität zurückfallen und stattdessen weiterhin ihren Widerstandswillen zum Ausdruck bringen wollen. Wir alle stehen vor der Wahl, ob wir weiterhin an der Aufgabe einer gerechteren und demokratischeren Globalisierung mitarbeiten oder ob wir uns einer amerikanischen Allianz von Kapitalmacht und religiöser Selbstheiligung ergeben wollen.

Indessen sollten wir uns nicht einbilden, ganz ohne eigenes Verschulden in dieses Dilemma geraten zu sein. Mit diesem Wir meine ich eine lange gemeinsame Entwicklung hin zu einem System, das den Siegern im neoliberalen Wettstreit tatsächlich eine Art von Freiheit zu versprechen scheint, wie sie der amerikanische Präsident versteht. Nämlich weitgehende Unabhängigkeit auf Kosten der Verlierer in der Konkurrenz. Exakt auf dieser Linie liegt die amerikanische Vision, durch ein Raketenschutzschild und eine überlegene Nuklearmacht bei eigener Unverwundbarkeit alle anderen nach Belieben bedrohen und erpressen zu können. Aber diese Vision trügt. Wir leben in einer Welt der Gegenseitigkeit, aus der sich niemand und keine Nation auf Dauer ohne Schaden für das Ganze und letztlich auch für sich selbst davonstehlen kann. Das hätten die Tragödie in Israel/Palästina und der 11. September längst begreiflich machen können. Die stärksten und modernsten Angriffswaffen und die beste defensive Panzerung schützen nicht vor der Gegenmacht von Selbstmordanschlägen. Der Mächtigste bleibt allezeit mit einem Rest Ohnmacht an einen Rest Macht des Ohnmächtigsten gefesselt. Israel und Palästina müssen zusammenleben und können das nur, wenn sie sich ebenbürtig auf eine gemeinsame Sicherheit verständigen. Jeder Versuch, durch überlegene Militärschläge oder durch Terrorismus die andere Seite niederzuzwingen, vermehrt nur das gemeinsame Leiden. Sollten die USA zusammen mit gefälligen Satelliten die bisherige Gewaltstrategie Israels übernehmen, droht ihnen und uns allen die Wiederholung jener Gewaltkette in Weltmaßstab.

"Wir leben in einem durchgängigen Aufeinander-Angewiesensein"

Das ist eine scheinbar sehr leicht einzusehende Wahrheit. In Israel/Palästina hätte man sie mit den Händen greifen können. Denn nach den Vereinbarungen von Oslo gab es drei Jahre fast keinen Terrorismus. Die Palästinenser lebten in der Aussicht auf einen eigenen Staat und auf Rückgewinnung der besetzten Gebiete, das heißt in der Hoffnung auf eine Zukunft in ebenbürtiger Partnerschaft. Itzak Rabin war entschlossen, dieses Projekt durchzusetzen. Aber dann ging der Versöhnungswille, der auf beiden Seiten aufgelebt war, wieder unter, so als ob mit der Ermordung Rabins auch sein Projekt hinfällig geworden wäre.

Aber seine Idee bleibt gültig, einfach deshalb, weil sie eins ist mit dem Prinzip, das uns allein die gemeinsame Zukunft im Kleinen wie im Weltmaßstab sichert. Wir leben in einem durchgängigen Aufeinander-Angewiesensein. Missachtung dieser Gegenseitigkeit durch einseitige Unterdrückung schlägt irgendwann immer durch den Hass der Unterdrückten zurück. Und am Ende droht eine - von den Akteuren kaum je durchschaute - Komplizenschaft von Machtmissbrauch und Terrorismus. Helfen kann nur, die Gebundenheit aneinander in eine konstruktive Gemeinschaftlichkeit zu verwandeln. Das hätte die Lehre aus dem 11. September so wie aus der Gewaltverstrickung in Israel/Palästina sein müssen, und es ist die Konsequenz, die aus den Gefahren der neuen Konfrontation zwischen der westlichen Kriegsallianz und den islamischen Völkern gezogen werden muss.

Echter Frieden ist immer nur dadurch möglich, dass Völker sich in ihrer Menschlichkeit gegenseitig wiedererkennen. Albert Einstein hat dies 1948 im Beitrag zu einem College-Handbuch in dem einfachen Satz ausgedrückt: "Im Schatten der Atombombe hat es sich mehr und mehr gezeigt, dass alle Menschen Brüder (bzw. Geschwister) sind. Erkennen wir diese einfache Wahrheit und handeln wir danach, so kann die Menschheit zu einem höheren Plateau aufsteigen."

Zur Psychopathologie von Politikern

Als wir Ärztinnen und Ärzte Anfang der 80er Jahre mit unserer Friedensorganisation IPPNW auf den Plan traten, hatten wir zwei Botschaften. Die eine hieß: Ein Atomkrieg tötet ohne jede Chance ärztlicher Hilfe. Die andere lautete: Das atomare Wettrüsten erhöht nur die Gefahr, dass die Abschreckung irgendwann versagt. Also kann der Frieden nur gemeinsam, das heißt durch Verständigung gefunden und gesichert werden. Weil wir nach diesem Prinzip über den Eisernen Vorhang hinweg solche Gemeinsamkeit in bescheidenem Umfang praktizierten, erhielten wir 1985 in Oslo den Friedensnobelpreis als Lob, aber wohl eher noch als Ansporn für die Politik, genau diesen Weg weiter zu verfolgen. Und da war ein Michail Gorbatschow, der ohnehin bereits dieses Konzept vertrat und in den folgenden Jahren beharrlich dafür warb, nicht an die Macht der Waffen, sondern an die Kraft der Humanisierung der internationalen Beziehungen zu glauben. Auch wenn Ex-Kanzler Helmut Schmidt bis heute seine damalige Raketenpolitik verteidigt, gibt es keinen vernünftigen Zweifel daran, dass der Verständigungswille Gorbatschows die Basis für die Entwicklung des gegenseitigen Vertrauens schuf, das beide Seiten aus der Obsession der Verfeindung und der Verfolgungsmentalität erlöste. Ich hatte seit 1987 über Jahre in einem von Gorbatschow begleiteten internationalen Arbeitskreis Gelegenheit, diesen Mann näher zu studieren. Er war tatsächlich zutiefst überzeugt, dass eine Politik mit unmenschlichen Bedrohungen nur von innen durch die Versöhnungskraft der Menschen gesunden könne.

Aber Gesundheit oder Krankheit von Politik oder Politikern, - ist das überhaupt eine zulässige Perspektive? Ich glaube schon. Ist es nicht so, dass der atomare Wettlauf der 80er Jahre und die neue Kriegspolitik Bushs tatsächlich psychopathologische Maßstäbe nahe legen? Seinerzeit nannte sogar der UN-Generalsekretär Perez de Cuelliar das nukleare Wettrüsten einen Wahn. Und jetzt? Ist es normal, wenn ein Präsident öffentlich ausspricht, mit dem Krieg gegen den Irak einen göttlichen Willen vollstreckt zu haben? Ist es normal, wenn er sich mit Amerika dazu ausersehen glaubt, in der Welt das Gute zu repräsentieren und das Böse, von ihm selbst als unbezweifelbar erkannt und verortet, mit Bomben und Raketen zu bekämpfen? Wie man diese Besessenheit auch immer nennen mag, es ist jedenfalls eine gefährliche Einbildung, die nur Unfriedlichkeit stiften kann. Denn Selbstidealisierung benötigt aus innerem Zwang stets das Böse draußen als Verfolger, was im aktuellen Fall heißt, immer wieder siegen zu müssen als vermeintlich Verfolgter. Das im eigenen Innern abgespaltene Negative und Bedrohliche benötigt diese permanente Projektion nach außen.

Die Ansteckungswirkung solcher Besessenheit ist nicht gering. Vielen Amerikanern ist es nur recht, an dieser Selbstidealisierung zu partizipieren, zumal da sie oft genug gesagt bekommen haben, in Gottes eigenem Land zu leben, und da es zur nationalen Tradition gehört, gemeinsame Schuld, wenn irgend möglich, zu verdrängen. Beispiel Hiroshima mit über 200 000 Toten. Dieses Kriegsverbrechen soll als patriotische Ruhmestat in der nationalen Erinnerung bleiben. Das Bombenflugzeug war christlich eingesegnet worden, und General Thomas Farrel sprach als Augenzeuge von einem Signal des Jüngsten Gerichtes und von der Entfesselung von Kräften, die bis dahin dem Allmächtigen vorbehalten gewesen seien. Nie gab es für Hiroshima eine offizielle Entschuldigung. Eine geplante Gedächtnisausstellung zum 50. Jahrestag des Bombenabwurfs in Washington wurde im letzten Augenblick verboten, um keine patriotischen Gefühle zu verletzen.

Solche Verdrängungsfähigkeit kann man beneiden, auch moralisch kritisieren. Aber man sollte sie, so scheint mir, vor allem mit Sorge betrachten, denn was man nicht zu bereuen vermag, bleibt als Versuchung zur Wiederholung wirksam. Entsprechend bedroht die neue amerikanische Nuklearstrategie auch Länder, die selbst keine Atomwaffen haben. Erst kürzlich stellten die USA stolz ihre neueste Superbombe vor, die in der Wirkung einer kleinen Atombombe gleicht und im Umkreis von 1,5 km alles Leben auslöscht. Sie nennen sie fast liebevoll die Mutter aller Bomben. Was das wohl heißen soll? Mutter aller Bombenkinder? Die Arsenale der Zerstörung als eine große Familie? Ist das noch gesund und normal?

Zeichen der Hoffnung

Aber sprechen wir von Anzeichen, die uns Hoffnung geben und uns zu neuem Engagement anfeuern können. Denken wir da an die Blamage, die Washington im Sicherheitsrat erlebte. Beispielhaft die Standfestigkeit von Ländern wie Mexiko und Chile, beide vielfältig von den USA abhängig und von Repressalien bedroht, dennoch auf ihrem Nein zum Krieg fest beharrend. Denken wir an den unstatthaften Beifall, mit dem die versammelten UN-Botschafter im Sicherheitsrat die Friedensrede des französischen Außenministers Villepin am 14. Februar feierten. Denken wir an die weltweiten Demonstrationen des Friedenswillens von Indonesien bis zur Türkei, von Kapstadt bis Seoul.

Im Unterschied zu den Anti-Raketen-Protesten der 80er Jahre ist es, genau besehen, eher eine humanistische Bewegung. Daher weniger aggressiv, aber von fester Entschlossenheit. Wo ich selbst in unserem Land und in zwei Nachbarländern aktiv mitgemacht habe, fand ich um mich herum eine bemerkenswerte Selbstsicherheit und Selbstachtung. Nicht grimmiges Ressentiment und hilflose Verbitterung prägen die Stimmung. Man empfindet sich als weitsichtiger und vernünftiger als die Kriegsprediger im Pentagon, gestärkt durch deren bewiesene Unfähigkeit, den Angriffskrieg zu rechtfertigen: Saddams angebliche atomare Weltbedrohung - ein Märchen! Bei über 500 Inspektionen vermuteter oder von der CIA angeblich ausgekundschafteter Verstecke von Massenvernichtungswaffen - Ergebnis Null. Auch nirgends der vorausgesagte Einsatz solcher Waffen auf irakischer Seite. Gefälschte Dokumente, getürkte Dossiers, nichtssagende angebliche Beweis-Fotos - eine Pleite nach der anderen. Kurze Notiz darüber in den Medien, aber schnell wieder Schwamm drüber. Angst vor dem Skandal. Fragwürdiger Erfolg der Irreführung: Noch immer glauben nach Umfragen 42 Prozent der Amerikaner, Saddam Hussein sei für den 11. September hauptverantwortlich.

Das Verhalten der Medien wird eines der Hauptthemen unseres Kongresses sein. Wenn ab sofort nur noch Amerikaner und nicht mehr unabhängige UN-Inspekteure nach verbotenen Waffen suchen dürfen, so heißt das doch wohl, dass sie etwas finden müssen. Aber wer kann ihnen nach den vielen Täuschungen und Lügen noch Glauben schenken? Viel Mühe war darauf verwendet worden, Saddam Hussein zu einer weltbedrohenden Schreckensfigur zu stempeln, wie es das High-Noon Szenario verlangt, in dem sich Massen von Amerikanern seit je gern widergespiegelt sehen möchten. Ein Kunststück für die Propaganda, weil sich der Feuer speiende Drache als schwach und nur mit dürftigen veralteten Waffen ausgerüstet erwies. Seine Truppe konnte man mit High-Tech-Bomben und Raketen in einer Art erledigen, die mehr einer Exekution als einem regelrechten kriegerischen Kampf glich. Und den Krieg zettelte man, wie Bundespräsident Rau bei Sandra Maischberger anmerkte, ausgerechnet in dem Augenblick an, als der Diktator unter allen schlimmen Diktatoren der Bestkontrollierte der Welt war. Sicher war er einer der Schlimmsten, aber durch die Inspekteure unter einer verlässlichen Bewachung, die man unbefristet hätte ausdehnen können und sollen.

Das idealisierte Selbstbild der Amerikaner verträgt auf Dauer nicht gut die Konfrontation mit eigener inhumaner Grausamkeit. Daher ja immer noch die Angst davor, die Schreckensbilder von Hiroshima noch einmal vorgeführt zu bekommen. Vergessen wir auch nicht, dass sich auch in den USA Millionen in die Front der demonstrierenden Kriegsgegner eingereiht haben. In Boston und New York, in Chicago, Detroit, in Washington und Miami waren sie auf den Straßen. Niemand weiß, wie lange die Amerikaner ihre zunehmende moralische Isolierung in der Welt durchhalten werden. Es irritiert sie, wenn sie nicht mehr als die Verteidiger des Guten dastehen, so wie es ihnen in und nach dem Vietnam-Desaster erging, als sie vorübergehend den friedliebenden Jimmy Carter in der Rolle eines Läuterungshelfers zum Präsidenten machten. Im Augenblick macht ihnen die Undankbarkeit der irakischen Schiiten zu schaffen, die sie im Land nicht mehr sehen wollen, eine Ohrfeige für die Planer im Pentagon, aber gewiss ein Auftrieb für unsere amerikanischen Friedensfreunde, die Ähnliches schon erwartet hatten und sich nun vielleicht wieder mehr Gehör verschaffen können. Es gibt ja eben auch das andere, das faire Amerika, das seine Verantwortung in der Welt nicht mit Machtwillkür verwechselt.

"Geist der Menschlichkeit" muss alle Bereiche durchdringen

Uns deutschen Ärztinnen und Ärzten steht noch vor Augen, dass es amerikanische Kollegen um Bernhard Lown waren, die uns zusammen mit russischen Medizinern bei der Schaffung der ärztlichen Friedensbewegung vorangingen. Auch seither hat das Engagement unserer amerikanischen Freunde viel zur Ausstrahlung unserer Organisation beigetragen. Führende Köpfe der USA, wie gerade der hoch angesehene Philosoph Richard Rorty sind nach wie vor darum bemüht, den amerikanischen Chauvinismus einzudämmen und schuldigen Respekt für die Vereinten Nationen anzumahnen. Wir freuen uns, drei kritische Intellektuelle auf unserem Kongress begrüßen zu können. Es sind dies: John McArthur, Norman Birnbaum, und der schon zitierte Joseph Weizenbaum. Sie werden uns vielleicht in unserer Hoffnung stärken, dass sich in ihrem Land wieder der alte demokratische Freiheitsbegriff durchsetzen möge anstelle derjenigen Freiheit, die sich als Recht zu unbeschränkter Eigenmächtigkeit versteht, solange man nur stark genug ist, die anderen dem eigenen Willen unterwerfen zu können. Noch ein letztes Wort zur Gestaltung unseres Kongresses. Es ist der zweite nach seinem erfolgreichen Vorgänger vom Jahre 2000. Wiederum mit der Überschrift "Kultur des Friedens", womit gemeint ist, dass eine friedlichere und gerechtere Welt mehr von einem Geist der Menschlichkeit braucht, der alle Bereiche durchdringt, von der Kirche bis zum Völkerrecht, von der Ökonomie bis zur Kunst, von der Ökologie bis zur Pädagogik, vom Gesundheitswesen bis zur Naturwissenschaft, von den Medien bis zur Philosophie. Entscheidend ist schließlich der Einbruch dieses Geistes in eine praktische Politik, in der sich gerade wieder der Ungeist eines ego-manischen Machtwillens gegen eine alternative Völkergemeinschaft durchgesetzt hat, wie ich die Mehrheit der Bevölkerungen nenne, die sich bei Umfragen und auf weltweitern Demonstrationen gegen den ihr aufgezwungenen Angriffskrieg ausgesprochen hat.

Wir müssen also auf unserem Kongress darüber nachdenken, wie künftig eine wirksamere demokratischere Einwirkungsmöglichkeit diejenige Entmündigung von großen Mehrheiten verhindern kann, die wie im vorliegenden Fall für besseren Friedensschutz nach der Charta der Vereinten Nationen plädieren. Aber wir müssen auch selber dafür sorgen, dass unser Plädoyer mehr Gehör findet und mehr Gewicht bekommt. "Bloßes Lob des Friedens ist einfach, aber wirkungslos", hat Einstein vor genau 50 Jahren an die Jewish Peace Fellowship in New York geschrieben, und er fuhr fort: "Was wir brauchen, ist aktive Teilnahme am Kampf gegen den Krieg und alles, was zum Kriege führt." Das heißt, wir haben nicht nur zu lernen, das Falsche besser zu verstehen und das Bessere klarer zu erkennen und zu benennen. Zum Kämpfen gehört zum Beispiel, die Ergebnisse unseres Kongresses mit Nachdruck zu verbreiten. Wir müssen unseren Abgeordneten mehr auf die Füße treten. Wir müssen den Medien mehr einheizen, aber auch selber mehr in die Öffentlichkeit gehen, auch wenn wir uns damit unbequem machen und allerlei Ärger einhandeln. Wenn man gegen die eigene Überzeugung zu einer schlechten Sache schweigt und immer wieder schweigt, um dadurch Reibereien und Anfeindungen zu entgehen, dann muss man dafür vielleicht ein Leben lang mit heimlicher Selbstverachtung bezahlen. Das hat in unserem Land der Großteil einer Generation erfahren und diesen Konflikt auch noch an die nachfolgende vererbt. Ein Grund mehr, unserem Kongress den Effekt der Ermutigung zu weiterem entschlossenen und durchhaltefähigen Engagement zu wünschen. Es gab einmal in den 70er Jahren ein Buch, das hieß: "Flüchten oder Standhalten". Diese Frage ist immer wieder neu zu beantworten.


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