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Ostermarsch 2000 in Kassel

Rede von Anne Rieger (IG Metall Waiblingen) über "Frauen an die Waffen"?

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
78 Tage und Nächte bombardierte die NATO im vergangenen Jahr Städte und Dörfer in Jugoslawien. Mit ihrer gewaltigen Luftarmada erschlug und verstümmelte sie Tausende von Frauen, Männern und Kindern. Eine halbe Millionen Menschen ist in Folge dieses Krieges aus ihrer Heimat vertrieben worden. Umwelt und Wirtschaft der gesamten Region sind nachhaltig geschädigt.

Bundeskanzler Schröder begründete den Krieg damit, dass "weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbunden und eine humanitäre Katastrophe verhindert" werden solle.

Krieg für Menschenrechte - mit dieser perversen Formel begann die größte humanitäre Katastrophe in Europa nach dem zweiten Weltkrieg.

Wir haben diesen Krieg vom ersten Tag an verurteilt, ihn bekämpft, wo und wann wir konnten. Wir haben gegen ihn demonstriert, aufgeklärt, Mahnwochen organisiert. Denn dieser Krieg war nie ein Krieg für Menschenrechte! Er war und bleibt ein Angriffskrieg in dem es um nichts anderes als wirtschaftliche und geostrategische Interessen ging. Erst vor wenigen Tagen ist bekannt geworden, dass es den Hufeisenplan, den angeblichen Vertreibungsplan der Serben nie gab.

Für uns war immer klar: Menschenrechte und Demokratie haben eine zivile und keine militärische Logik. Menschenrechte brauchen politische und keine militärischen Lösungen. Wir wissen, die Wurzeln des Krieges liegen in der ungerechten Verteilung des Reichtums und der Ausbeutung des Lebens. Wir unterstützen die Aussage im Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Dort heißt es: "Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden."

Viele aber, die mit uns gemeinsam in Menschenketten und Demonstrationen gegen die Pershings und für eine atomwaffenfreie Zone gestanden haben, ließen sich verwirren, glaubten, dass deutsche Soldaten Friedensbringer seien, verfingen sich in der von der Regierung und Teilen der Medien aufgestellten Menschenrechtsfalle.

Denn als die NATO-Bomben im vergangenen Frühling und Sommer auf Jugoslawien abgeworfen wurden, verursachten die 19 Regierungschefs der NATO -Staaten damit mehr als Tod und Verderben in Jugoslawien. Die Bomben trafen auch den Kern des Völkerrechts, hoben das Rahmenwerk der globalen Sicherheit aus den Angeln, das uns alle seit dem Ende des zweiten Weltkrieges vor den Schrecken eines Atomkrieges geschützt hat.

Seit dem ist die Militarisierung in der Innen- und Außenpolitik Tag für Tag weiter vorangeschritten. Rüstungskonzerne beeinflussen mit Geld politische Entscheidungen, unterlaufen mit Geld unsere Demokratie. Der BND gibt im Tschetschenienkonflikt dem russischen Geheimdienst Amtshilfe. Deutsche Unternehmen und zivile Krankenhäuser schließen Kooperationsverträge mit der Bundeswehr.

Kriegsführung soll als Mittel der Politik, Kriegsvorbereitung als der Normalzustand dargestellt werden. Unsere antimilitaristischen Positionen sollen so geschleift, die Friedensbewegung geschwächt, demoralisiert und gespalten und letztendlich zur Resignation gebracht werden.

Heute, nur ein knappes Jahr nach dem Jugoslawienkrieg, soll eine weitere antimilitaristische Position geschleift werden: Frauen sollen mit dem Argument der Gleichberechtigung zum "Dienst mit der Waffe" gelockt werden. Das Argument ist heimtückisch: Denn ich frage: Kann frau die gleichberechtigte »Lizenz zum Töten« wirklich als höchste Stufe weiblicher Emanzipation verstehen? Es kann doch kein Fortschritt für die Frauen aus den USA gewesen sein, in den Kriegen in Korea, Vietnam, am Golf und anderswo zu töten und getötet zu werden.

Deutsche Soldaten haben im zwanzigsten Jahrhundert niemandem Frieden gebracht. Und Deutsche Soldatinnen werden es in diesem Jahrhundert genauso wenig tun. Wie werden uns in diese neue Falle - die Gleichberechtigungsfalle nicht locken lassen. Denn wir übersehen nicht. Damit soll die Frauenfriedensbewegung gespalten werden.

Seit 1956, seit die Bundeswehr nur gegen den Widerstand der Bevölkerung errichtet wurde, konnten wir verhindern, das auch Frauen mit der Waffe auf den Krieg vorbereitet wurden. Die zehntausende sogenannten Nachrichtenhelferinnen des zweiten Weltkrieges, auch "Blitzmädels" genannt, waren allen noch in Erinnerung. Bis heute es gibt immer noch die Schutzbestimmung im Grundgesetz, dass Frauen nicht zum Dienst mit der Waffe herangezogen werden konnten. Mehrere Generationen von Frauenbewegungen haben das verhindert.

Nun wurde ein neuer Anlauf genommen: Der Europäische Gerichtshof verkündete im Januar, dass das Grundgesetz, das Frauen vor dem Dienst mit der Waffe schützt, geändert werden müsse. Es widerspreche der Gleichbehandlungsrichtlinie des Europäischen Rates bezüglich des - ich zitiere wörtlich "Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg."

Dieses Urteil ist infam. - Warum? Es unterstellt, dass Soldatin sein ein Beruf wie jeder andere sei und - das zu diesem angeblichen "Beruf" jeder und jede die gleichen Zugangsmöglichkeiten haben müsse. Das aber ist eine Lüge: Soldatin sein - abgerichtet werden zum Töten auf Kommando - ist kein Beruf wie jeder andere. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Einziges Ziel der Ausbildung eines Soldaten ist es, seine Waffen perfekt zu benutzen. Perfekt genutzte Waffen töten Menschen, vergiften die Umwelt, zerstören Infrastruktur und industrielle Basis und bomben die betroffenen Länder und Regionen um Jahrzehnte in ihrer Entwicklung zurück - der Krieg gegen Jugoslawien hat das bewiesen.

Krieg führen, Waffenbenutzung ist also das genaue Gegenteil eines normalen Berufes. Nichts wird entwickelt, nichts wird aufgebaut, keine Güter des täglichen Bedarfs oder gar Luxusgüter werden erstellt. Niemand bekommt dadurch mehr oder besseres zu essen, niemand ein Dach über den Kopf, eine warme Wohnung. Nein, das Gegenteil geschieht - alles was Menschen in ihren normalen Berufen aufgebaut haben, wird durch Waffenbenutzung zerstört. Nicht nur von Einzelnen, sondern von einer perfekt organisierten Armee.

Zu dieser Zerstörungsmaschinerie wollen wir keinen gleichen Zugang - darauf verzichten wir - diesen Zugang lehnen wir ab - für uns, aber auch für unsere Männer, Väter und Söhne. Wirkliche Gleichberechtigung wäre das Recht die Zerstörungsmaschinerie Bundeswehr abzulehnen. Wir wollen kein gleiches Recht auf Unrecht. Frauen ans Gewehr - wir sagen nein!

Wir bestehen auf gleiche Rechte beim Aufbau einer zivilen Welt des Friedens.

Da aber sind wir von Gleichberechtigung noch weit entfernt: Noch immer sind die Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofes zur Lohngleichheit und gegen mittelbare Diskriminierung von Frauen in der Bezahlung in der Bundesrepublik nicht umgesetzt, Frauen erhalten nur 77 % des Durchschnittsverdienstes von Männern. Noch immer kann von Chancengleichheit im zivilen Bereich, in Familie, Beruf und Gesellschaft keine Rede sein. Der Anti-Diskriminierungsausschuss der UN rügte kürzlich die Tatsache, dass Frauen in Deutschland nach wie vor in vielen Bereichen diskriminiert werden. An dieser Situation hat sich seit zehn Jahren kaum etwas geändert. Hier wollen wir Gleichberechtigung.

Aber hier wird gemauert. So lehnte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt - einer der mächtigsten Männer der Bundesrepublik - nur wenige Tage nach dem internationalen Frauentag das von uns seit Jahren geforderten Gleichstellungsgesetz mit den Worten ab "Frauen brauchen keine Förderung."

Doch wenn es um die Bundeswehr geht, werden »einflussreiche« Männer plötzlich schwach und entdecken ihre Sorge um die Gleichberechtigung. So unterstützte der Deutsche Bundeswehrverband mit seinem Rechtsanwalt die Klage von Tanja Kreil und ließ bereits im August 1996 verlauten: "Wir klagen durch alle Instanzen um die Gleichberechtigung durchzusetzen".

Nachdem der Bundeswehrverband die Klage für Tanja nun in diesem Jahres gewonnen hatte jubelte der Vorsitzende, Oberst Bernhard Gertz, ich zitiere: "Hier ging es um die Beseitigung eines Berufsverbotes.", und in der Zeitschrift "Bundeswehr aktuell" schrieb Peter Dreist - nomen est omen wieder Zitat: "Eine historische Entscheidung zugunsten der Frauen in Europa, insbesondere aber in Deutschland." Der Minister für Kriegsfragen, Rudolf Scharping, begrüßte das Urteil und kündigte einen Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause an, sein Staatssekretär veranlasste bereits am Tag des Urteils eine Steuergruppe "Frauen und Bundeswehr."

So viel männliche - ritterliche - Unterstützung in der Gleichberechtigungsfrage im militärischen Bereich. Frau wundert sich und fragt nach den Hintergründen - warum gerade in der Bundeswehr?

Antworten gibt es viele - Nur - keine hat etwas mit Gleichberechtigung zu tun. Vielmehr legt sich den Schluss nahe, dass der Wunsch und das Recht von Frauen auf technisch anspruchsvolle Arbeitsplätze zur Legitimation der Bundeswehr, zur Auffüllung von Personalproblemen, zur weiteren Militarisierung der Gesellschaft und zur Spaltung der Friedensbewegung missbraucht werden sollen.

Der Wortlaut des Urteils enthüllt um was es wirklich geht: um den "Dienst mit der Waffe". Gleiche Dienste aber sind und waren noch nie gleiche Rechte. Dienst mit der Waffe - wem dienen? Dem der befiehlt. Dienst mit der Waffe in dem Instrument Bundeswehr, sie dient allein der Durchsetzung der Wirtschaftsinteressen von Großkonzernen und Banken, dem Macherhalt und der Machteroberung.

Oder hat jemand vergessen, dass diese Bundeswehr nicht der Verteidigung dient, sondern - Zitat: "der Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt," wie es in den verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung von 1993 wörtlich heißt? Nur für diesen Zweck wird die Bundeswehr zur Zeit auf- und umgerüstet. Während alle anderen Haushaltsressort 7 % sparen sollen, während massiver Sozialabbau wegen angeblichen Geldmangels angesagt ist, ist für modernes Kriegsgerät der Bundeswehr offensichtlich keine Mark zu viel. Für Rüstungsinvestitionen wie z.B. die neue Kampfdrohne Taifun und deren Nutzung sollen mit 550 Mrd. DM aus der bisherigen Verteidigungsarmee eine Interventionsarmee gemacht werden, die der neuen Militärmacht Europa dienen soll.

Eine Interventionsarmee aber ist eine Armee, die in einem anderen, fremden Land interveniert, eine Angriffsarmee also. Offensichtlich wird das immer mehr jungen Männern bewußt. Ihre Reaktion zeigt Zweifel. Seit dem Kriegseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien wollen sich immer weniger Zeitsoldaten für zusätzliche Jahre verpflichten. 1000 Unteroffiziere und 2000 Offiziere fehlen; die Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat das historisches Hoch von 174 348 erreicht. Nun soll offensichtlich frau als Lückenbüßerin für Personaldefizite der Bundeswehr dienen - der Begriff Reservearmee bekommt da einen neuen - makabren Klang.

Mit Gleichberechtigung oder Emanzipation hat das nichts - aber auch gar nichts zu tun. Emanzipation heißt Selbstbestimmung. Diesem Interesse aber diente kein deutsches Militär, auch nicht die Bundeswehr. Nach innen ist Militär undemokratisch, nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert, nach außen ist es ein Instrument der Unterdrückung, der Zerstörung von Mensch und Natur. Es dient der Aufrechterhaltung von Macht - auch der Aufrechterhaltung der Macht der Männer über Frauen. Die US-Armee liefert hierfür die offensichtlichsten Beweise. Sie hat mit 14 % den höchsten Frauenanteil in der NATO. Untersuchungen belegen, das zwei Drittel der Frauen Unterdrückung durch sexuelle Belästigung, Nötigung bis zu Vergewaltigungen ausgesetzt sind.

So weit brauchen wir nicht zu schauen. Claire Marienfeld, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages berichtete jüngst über schikanöse Behandlung, verbale Erniedrigung sowie verschiedene Formen sexueller Belästigung weiblicher Soldaten.

Nichts macht deutlicher, dass die Bundeswehr weit davon entfernt ist, ein Hort der Emanzipation zu sein. Und dass Frauen in Ostdeutschland sich zur Bundeswehr melden, hat weniger mit dem Berufswunsch junger ostdeutscher Frauen zu tun als vielmehr mit der Perspektivlosigkeit auf dem zivilen Arbeitsmarkt.

Bomben für die Menschenrechte - die Lizenz zum Töten als höchste Form der Gleichberechtigung? Unsere uralten Forderungen der Bürgerrechts- und ArbeiterInnenbewegung sind im zivilen Bereich nur unzureichend durchgesetzt. Jetzt sollen sie - mit unserer Zustimmung - die Militarisierung der Gesellschaft, die Auf- und Umrüstung der Bundeswehr, die neue Nato-Strategie legitimieren und Personalprobleme lösen. Von der Menschenrechtsfalle zur Gleichberechtigungsfalle - auf dem Weg zu weiteren Kriegen?

Wir werden uns nicht spalten lassen:
Und angesichts der schrecklichen Rolle, die der deutsche Militarismus in zwei Weltkriegen gespielt hat wenden wir uns gemeinsam gegen eine Änderung des Grundgesetzes und des Soldatengesetzes, das Frauen, wenn auch freiwillig, zum Dienst mit der Waffe drängen soll. Stattdessen fordern wir.
  • die tatsächliche Gleichstellung in Familie, Beruf und ziviler Gesellschaft
  • kontrollierte Abrüstung
  • die Umwandlung von Rüstungsproduktion in zivile Produktion
  • Friedenserziehung an Schulen und Universitäten
  • Friedens- und Konversionsforschung an Hochschulen mit paritätisch besetzten Lehrstühlen
  • Keinen Dienst an der Waffe weder für Frauen noch für Männer.
Unsere Unterschriftensammlung muss weite Verbreitung finden - ich fordere Euch auf: unterstützt sie mit Unterschrift, Sammlung und Weiterverbreitung.

Ich bin fest überzeugt:
Unser Einsatz für wirkliche Gleichberechtigung in zivilen Berufen und Gesellschaft, für den Frieden - gegen weitere Militarisierung, wird letztendlich in eine Zukunft führen, die wir gestaltet haben, die wir wollen. Die Bedingungen dafür heißen:
Wir handeln gemeinsam und entschlossen.
Resignation und Stillstand können wir uns nicht leisten.
Wir haben Visionen von einer neuen friedlichen Wirklichkeit mit gleichen Rechten.
Davon träumen wir nicht nur, dafür handeln wir!

Anne Rieger (2. Bevollmächtigte IG Metall Waiblingen; Landessprecherin der VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg)

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