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Kontroverses über Krise und Krieg

Friedensbewegung traf sich zur dritten Sommerakademie in Fuldatal bei Kassel

Von Christian Klemm, Fuldatal *

Die dritte Sommerakademie der Friedensbewegung am Wochenende war thematisch vielfältig: Neben der deutschen Rüstungsindustrie standen der Krieg in Afghanistan sowie die aktuellen Entwicklungen in Venezuela auf der Tagesordnung. Stoff genug für lebhafte Debatten.

Seit einigen Jahren treffen sich Aktivisten sozialer Bewegungen und linker Organisationen im Sommer, um Schwerpunktthemen ihrer Arbeit zu diskutieren. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac veranstaltet seit 2002 eine Sommerakademie, die Rosa-Luxemburg-Stiftung schon seit 2000.

Rüstungs-Hoch

An diesem Wochenende hatte der Bundesausschuss Friedensratschlag – zum dritten Mal in Folge – zu seiner Sommerakademie geladen, um wesentliche Themen und Probleme zu besprechen, »mit denen sich die Friedensbewegung in naher Zukunft beschäftigen wird«, wie Peter Strutynski, Sprecher des Ratschlags, vorab mitteilte.

Rund 60 Friedensaktivisten fanden sich in Fuldatal bei Kassel ein und hörten am Samstag den Vortrag des Politikwissenschaftlers Erhard Crome. Der Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung war sichtlich bemüht, Entwicklung und Konturen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise zu erläutern. Wie Crome ausführte, existiere kein notwendiger Zusammenhang zwischen Krise und Krieg. Es sei durchaus möglich, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung infolge einer Krise durch Investitionen in Militär und Rüstung angeregt werde. Die gegenwärtige Krise, so Crome, führe aber weder zwingend zu einer Konfrontation der Supermächte USA und China untereinander, noch zu Kriegen der imperialistischen Staaten an der kapitalistischen Peripherie. Eine These, die nicht nur im Publikum auf Widerspruch stieß und durch den Vortrag von Lühr Henken vom Hamburger Forum für Frieden und Völkerverständigung, der über die Rüstungsindustrie in Kassel und Bremen referierte, zumindest in Frage gestellt wurde: Nach dessen Darstellung stieg der Aktienkurs des Rüstungskonzerns Rheinmetall im ersten Quartal 2009 deutlich an. Ein Zufall?

Beispiel Venezuela

Der Widerstand gegen den Krieg in Afghanistan hat seit einigen Jahren in der deutschen Friedensbewegung Priorität. Matin Baraki, gebürtiger Afghane und Politikwissenschaftler aus Marburg, unterstrich die Notwendigkeit, die deutsche Öffentlichkeit von der Sinnlosigkeit dieses Krieges, der sich explizit gegen die dortige Bevölkerung richte, zu überzeugen. Die Versprechen der Interventionsmächte, die zu Beginn des Krieges vollmundig gemacht wurden – wie die Befreiung der Frauen, bessere Bildung des afghanischen Volkes, der Wiederaufbau des Landes usw. –, seien alle nicht realisiert worden. »Blühende Landschaften wurden den Afghanen versprochen. Nach acht Jahren Krieg aber blüht in Afghanistan nichts außer den Mohnfeldern, deren Pflanzen nach der Ernte zu Heroin verarbeitet werden«, war Barakis Fazit.

Prominenteste Rednerin auf der Akademie war sicherlich die Botschafterin der Bolivarischen Republik Venezuela, Blancanieve Portocarrero. Die promovierte Juristin informierte nicht nur über die Entwicklung ihres Landes seit dem Regierungsantritt von Hugo Chavez. Sie stellte auch das solidarische Bündnis lateinamerikanischer Staaten ALBA vor, dessen Schwerpunkte die Lebensmittelversorgung der Völker und die staatliche Zusammenarbeit im Gesundheits- und Bildungswesen seien. Und die Botschafterin erläuterte die Besonderheit der venezolanischen Demokratie, in der kommunale Räte den Menschen die direkte Beteiligung an der Politik des Landes ermöglichten.

Sicherlich kam auf der diesjährigen Sommerakademie die aktuelle Wirtschaftskrise zu kurz. Ein einziger Vortrag – der eingangs erwähnte von Erhard Crome – bot nur eine schmale Diskussionsgrundlage, um die Zusammenhänge von Finanzwirtschaft, Industriekapital und Krieg aufzuzeigen. Dass es dennoch zu lebhaften Diskussionen im Plenum kam, lag vor allem an den guten Referenten.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2009


Widerstand der Pazifisten

Sommerakademie des Friedensratschlags thematisierte Afghanistan, Venezuela und die deutsche Rüstungsindustrie

Von Michael Schulze von Glaßer **

Für Peter Strutynski ist klar: »Wir müssen Afghanistan zum Thema machen«. Dies forderte der Sprecher vom Bundesausschuß Friedensratschlag in seiner Eröffnungsrede vor etwa 100 Vertretern der Friedensbewegung. Die hatten sich am vergangenen Wochenende in Fuldatal bei Kassel getroffen, um die künftige Entwicklung der Friedensbewegung zu diskutieren.

Einer der Schwerpunkte war die Situation am Hindukusch. So referierte Matin Baraki, Lehrbeauftragter der Universität Marburg, über den Kriegsschauplatz Afghanistan. »Den Afghanen wurden 2001 blühende Landschaften versprochen - das waren aber nur Mohnfelder«, sagte Baraki, der afghanische Wurzeln besitzt und der sich erst kürzlich selbst vor Ort informiert hatte. Die Lage im Land sei nach wie vor katastrophal, berichtete er. Sicherheit für die Menschen gebe es nicht, die Politik werde von westlichen Staaten bestimmt, und die Polizei sei korrupt. »Es gibt mittlerweile sogar eine Zusammenarbeit zwischen afghanischen Sicherheitskräften, der Armee und den Widerständlern«, so Baraki. Es könne keine militärische Lösung für Afghanistan geben, sagte er während der anschließenden Diskussion.

Ein Höhepunkt der Sommerakademie war die Diskussion mit der Botschafterin Venezuelas, Blancanieve Portocarrero. Sie berichtete über den politischen Aufbruch Südamerikas und den Umbau des venezolanischen Staates von einer rein repräsentativen Demokratie hin zu einem direkt demokratischen System. Doch auch nach ihrem Vortrag blieben einige Fragen offen. Ob das neue System der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« sei, von dem oft gesprochen werde, wollte beispielsweise eine Teilnehmerin wissen. »Das werden wir sehen«, antwortete Portocarrero eher diplomatisch. Kritik gab es an der militärischen Aufrüstung Venezuelas. Portocarreros Argument, die Armee diene nur friedlichen Zwecken, konnte nicht alle Besucher der Sommerakademie überzeugen.

Doch auch vor der eigenen Haustür existieren genügend Anknüpfungspunkte für die Friedensbewegung. So informierte Lühr Henken vom Hamburger Friedensforum über die einträglichen Geschäfte der deutschen Rüstungsindustrie. »Deutschland liegt bei Waffenexporten auf dem ersten Platz in Europa«, kritisierte er.

Die Podiumsdiskussion am Sonntag drehte sich vor allem darum, wie die Menschen zu politischen Veranstaltungen mobilisiert werden können. Dabei stand die Militanzfrage im Mittelpunkt. »Wir müssen Mehrheiten gewinnen, und dabei ist Gewalt der falsche Weg«, so Angelika Claußen von der Ärzteorganisation IPPNW. Christine Hoffmann von Pax Christi sah das ähnlich. Allerdings, so Claußen, sei das Blockieren von Zufahrtsstraßen wie es beispielsweise beim G-8-Gipfel in Heiligendamm praktiziert wurde, keine Gewalt, sondern »legitimer Protest«.

Mit Blick auf die Bundestagswahl wurde beschlossen, mit »Wahlprüfsteinen« die Positionen der einzelnen Parteien zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu präsentieren. Zudem soll zeitgleich zur Bundestagsabstimmung über die Mandatsverlängerung der ISAF-Truppen ein Referendum durchgeführt werden. Die Mehrheit der Bevölkerung, da waren sich alle Teilnehmer sicher, sind gegen den Krieg am Hindukusch.

** Aus: junge Welt, 21. Juli 2009


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