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Teurer Rausschmiss

Versammlungsleiter muss nach Saalverweis für NPD-Mann 2000 Euro zahlen

Von Andreas Fritsche *

Eigentlich sollte an jenem Abend in Oranienburg des Hitlerattentäters Georg Elser gedacht werden. Doch ein NPD-Kommunalpolitiker beschimpfte den Widerstandskämpfer. Nach einem Saalverweis soll der Versammlungsleiter nun zahlen.

Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, spricht im Bürgerzentrum Oranienburg (Brandenburg) über den Hitlerattentäter Georg Elser. Nach ihrem Vortrag meldet sich der NPD-Kommunalpolitiker Detlef Appel zu Wort, schwadroniert und provoziert. Schließlich wird es dem Versammlungsleiter Burkhard G. zu bunt. Er verweist den Störenfried des Saals. Doch das hätte er nicht gedurft.

Appel klagte und das Landgericht Neuruppin verdonnerte Burkhard G. vor einigen Wochen, dem Neonazi 399,72 Euro zu geben, außerdem die Kosten des Verfahrens zu tragen. Auch muss Burkhard G. seine Rechtsanwältin bezahlen. Es kommen mehr als 2000 Euro zusammen, erzählt Bernd Findeis. Er ist Vizevorsitzender der Courage-Elser-Initiative, die den Abend mit Limbach am 9. April 2010 organisiert hatte. Die Elser-Initiative möchte der Familie von Burkhard G. unbedingt helfen.

Zur Erinnerung: Georg Elser wollte Adolf Hitler aus dem Weg räumen. Dazu platzierte er eine Bombe im Münchner Bürgerbräukeller, wo der Diktator auftreten wollte. Der Sprengsatz detonierte wie beabsichtigt am 8. November 1939. Es starben 13 Menschen, doch Hitler hatte den Bürgerbräukeller früher als geplant verlassen. Georg Elser wurde am 9. April 1945 im Konzentrationslager ermordet. Die Elser-Initiative kümmert sich seit 2008 um das Andenken an den Attentäter und um Zivilcourage heute. Mehr als 30 Menschen aus Oranienburg und Umgebung haben sich dafür zusammengeschlossen.

Der Ärger am 9. April 2010 begann damit, dass vor dem Bürgerzentrum Leute aufzogen, die Pappschilder mit den Namen der Opfer aus dem Bürgerbräukeller zeigten. Die Polizei habe diesen Spuk aber beendet, erinnert sich Bernd Findeis. Doch dann habe sich nach Limbachs Rede Detlef Appel zu Wort gemeldet - er ist NPD-Kreistagsabgeordneter in Oberhavel und Stadtverordneter in Oranienburg. In »übelster Weise« habe Appel gegen den Widerstandskämpfer Elser und seine mutige Tat gehetzt, teilt Findeis mit. »Die Anwesenden waren zunächst fassungslos, dem Entsetzen folgte ein immer deutlicher werdender Protest.« Dem Versammlungsleiter Burkhard G. sei gar nichts anderes übrig geblieben, »als den rechten Störer in die Schranken zu weisen«.

Der Saalverweis sei aber rechtswidrig gewesen, entschied das Landgericht. Denn Appel schrie nicht herum, seine Äußerungen waren nach Ansicht der Justiz vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, und dass er jemanden bedroht hätte, war ihm auch nicht nachzuweisen. Die Veranstaltung war öffentlich. Dass ein Werbezettel des Forums gegen Rassismus und rechte Gewalt NPD-Mitglieder ausdrücklich ausgeladen hatte, spielte keine Rolle, weil nicht dieses Forum der Veranstalter war, sondern die Elser-Initiative. Die »politische und gesellschaftliche Stellung« des Kreistagsabgeordneten sei »durch den Saalverweis spürbar beeinträchtigt« worden, befand das Landgericht. Dies sei geeignet, »sich abträglich auf Ansehen und Ehre« des politisch Aktiven in der Öffentlichkeit auszuwirken.

Das Gerichtsurteil ärgert Findeis. Er hofft jetzt bloß, dass genug Spenden einlaufen, um der Familie von Burkhard G. unter die Arme greifen zu können.

Courage-Elser-Initiative, GLS-Bank Bochum, BLZ 43 060 967, Kto.: 1 130 729 400, Stichwort: Gerichtsurteil

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Juli 2012


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