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Wieder Krieg von deutschem Boden

Antifaschismus und Friedensbewegung

Im Folgenden versuchen Willi Hoffmeister und Ulrich Sander, beide sowohl in der VVN-BdA als auch in der Friedensbewegung tätig (Willi Hoffmeister z.B. im Ostermarsch-Ruhr-Komitee und im Bundesausschuss Friedensratschlag) das Verhältnis zwischen antifaschistischem Engagement und Friedensbewegung zu beschreiben. In der Antikriegsbewegung gegen den NATO-Krieg 1999 und bei den Aktionen zur Halbzeit der Bundesregierung im September 2000 in Berlin wurden Gemeinsamkeiten genauso deutlich wie im Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums, in dem der Bundesausschuss Friedensratschlag und die VVN-BdA einträchtig nebeneinander unter der Rubrik "linksextremistische Bestrebungen" aufgeführt sind.

Die VVN-BdA musste erstmals in einer Situation wirken, da ein Krieg der NATO unter Beteiligung Deutschlands gegen ein europäisches Land geführt wurde, das schwer unter Hitlerdeutschland gelitten und Großes zur Befreiung Europas vom Faschismus geleistet hat. Jeden Respekt vor der Geschichte Jugoslawiens verweigernd und gegen deutsche Verfassung, NATO-Vertrag, KSZE-Vertrag, 2plus4-Vertrag und UNO-Charta verstoßend, beteiligte sich Deutschland an einem Aggressionskrieg gegen ein Gründungsmitglied der UNO. Opfer des NS-Regimes und Antifaschisten verschiedener europäischer Länder protestieren gegen den Angriffskrieg der NATO und ganz besonders gegen die deutsche Beteiligung daran. Besonders empört waren sie, dass dieser Krieg mit der den Faschismus verharmlosenden Begründung, es gehe gegen einen neuen Hitler und gegen ein neues Auschwitz, gerechtfertigt wurde. Das Internationale Rombergparkkomitee, in dem die VVN-BdA mitwirkt, erklärte: "Die schweren ethnischen Differenzen zwischen serbischen und albanischen Bevölkerungsteilen müssen und können durch Verhandlungen gelöst werden, wie auch andere ethnische Streitigkeiten in anderen europäischen Ländern gelöst wurden und werden. Das Eingreifen zugunsten einer nationalistischen Partei hat noch nie zum Frieden geführt. Die Leiden der albanischen wie serbischen Bevölkerung in Kosovo und ganz Jugoslawien wird durch den Bombenkrieg Deutschlands und der NATO nur verschlimmert."

Zunächst erforderte die Lage seit der letzten Landesdelegiertenkonferenz einen anderen Schwerpunkt. Es galt zunächst gegen das Anwachsen des Militarismus vorzugehen, besonders in seiner rechtsextremistischen Form. Wir prangerten die neonazistischen Tendenzen in der Truppe an. Zahlreiche Veranstaltungen und mehrere Publikationen galten diesem Thema. Das Ende der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses des Bundestages zum Rechtsextremismus in der Truppe (Sommer 1998) fiel in die Übergangszeit hin zur Kriegsvorbereitung gegen Jugoslawien. (Vorsorgebeschluss zum Bombenkrieg im Oktober 1998.) Die Regierung war noch nicht vereidigt, da brach sie alle Wahlversprechungen - auch auf diesem Sektor.

"Das Ringen um Frieden und Abrüstung war besonders geprägt durch die Auseinandersetzung um den völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Die Beteiligung Deutschlands an diesem nach 1945 ersten auch von deutschem Boden geführten, grundgesetzbrechenden Krieg forderte alle Kriegsgegner in besonderem Maße heraus. Mahnwachen, Unterschriftensammlungen und Petitionen, Kundgebungen und Demonstrationen bis hin zu Anzeigen gegen die Bundesregierung erforderten unsere Kraft. Von den Medien oft nicht beachtet, findet ein großer Teil der Arbeit von Friedensgruppen statt. Die Ostermärsche 1999 standen ganz im Zeichen des Protestes gegen den NATO-Krieg. Die Teilnahme an den Aktionen stieg oft um ein vielfaches, so zu verzeichnen auch bei den Märschen an Rhein und Ruhr. Mitglieder der VVN-BdA waren oft gefragte Rednerinnen und Redner. So fand unser Kamerad Jupp Angenfort bei der Demonstration aus Anlass des 50. Jahrestages des Grundgesetzes in Dortmund große Zustimmung.

Aber das kann und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Friedensbewegung nur punktuell größere Menschenmengen bewegen konnte. Nach wie vor ist sie eine ´Aktivenbewegung´, und es bleibt im Grunde ein ´harter Kern´, der sich vor Ort nicht entmutigen lässt. Wie wichtig bestehende Strukturen dennoch sind, zeigte sich bei Kriegsbeginn, bei der Auseinandersetzung um die Rüstungsexporte, besonders die Panzerlieferungen an die Türkei, und bei der Mitwirkung am Tribunal gegen die NATO. So war es der oft hartnäckig verteidigten bestehenden Struktur des Ostermarsches Ruhr zu verdanken, dass über Nacht der Protest organisiert werden konnte, und zwar Ostern 1999, zum Jahrestag des Kriegsbeginns 24. März 2000, zur Ausdehnung des Krieges um Tschetschenien und auch zum Ostermarsch 2000.

Festzuhalten bleibt auch, dass eine Vernetzung zwischen der Friedensarbeit Rheinland und Ruhrgebiet in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat, auch Dank der VVN-BdA. So wird u. a. der Aufruf zu den Ostermärschen in gemeinsamen Sitzungen beraten und verabschiedet. Die Friedensaktivisten an der Ruhr schätzen ein, dass über eine möglichst bundesweit von der Friedensbewegung getragene gemeinsame Aktionslosung, etwa zu den Osteraktionen, mehr Menschen zu erreichen sind und bewegt werden können. Der Kasseler Friedensratschlag, der sich um die Vernetzung national wie auch international schon sehr verdient gemacht hat, ist hier gefordert. Denn es reicht nicht, unseren nicht ausreichenden Erfolg nur bei den Medien begründet zu sehen und ansonsten die Hände in den Schoß zu legen. Das, was wir selber zur Kräftigung der Friedensbewegung beitragen können, sollte unbedingt angepackt werden. Deshalb wurde auf letzten Tagung des Ostermarsches Ruhr der Vorschlag gemacht, mit einem gemeinsamen Aufruf zu arbeiten und zu einer gemeinsamen NRW-weiten Abschlusskundgebung nach zahlreichen örtlichen und regionalen Tagesaktionen zu gelangen. Gefordert wurde von den Antifaschisten insbesondere: Der Grundsatz "Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus" und "Nie wieder Krieg von deutschem Boden" muss wieder hergestellt werden. Ebenso die UNO-Charta, eines der grundlegenden völkerrechtlich verbindlichen Dokumente der Antihitler-Koalition und des antifaschistischen Kampfes der Völker.
Willi Hoffmeister, Ulrich Sander
Aus: UZ, 8. September 2000

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