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Störmanöver

Kriegsgegner wollen Truppenabzug in der Altmark mit Protesten begleiten. Demonstration gegen Rüstungsproduktion im Wendland

Von Susan Bonath *

Ohrenbetäubender Lärm unterbricht die Stille der Altmark in Sachsen-Anhalt. Ein Kind weint, Blicke richten sich nach oben. Ein Geschwader von sechs Kampfjets donnert im Tiefflug über Colbitz. Sekunden später ist an diesem Nachmittag Mitte Mai 2014 alles vorbei.

Noch tobt der Krieg woanders. Aber er beginnt dort, wo Rüstungsgüter produziert und in die Welt exportiert werden und wo Soldaten für Kampfeinsätze trainieren. In den vergangenen zwei Wochen probten im Norden Deutschlands NATO-Staaten den Krieg. Die Kampfübung »Jawtex« (Joint Air Warfare Tactical Exercise) mit 4500 Soldaten aus der BRD und elf weiteren Staaten endet an diesem Freitag. Kriegsgegner wollen die Truppen beim Abzug behindern. Das »Bündnis gegen Militärmanöver, NATO und Krieg«, ein loser Zusammenschluß von Antimilitaristen, ruft für heute ab »fünf vor zwölf« dazu auf, die Kreisverkehre der Bundesstraße 71 zwischen Celle in Niedersachsen und Magdeburg in Sachsen-Anhalt zu blockieren. Schwerpunkt ist dabei die Altmark zwischen Stendal und Letzlingen. In unmittelbarer Nähe liegen der Truppenübungsplatz Klietz und das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark. Klietz bei Stendal war bei »Jawtex« einer der Hauptanflug- und Übungsplätze.

Bereits in den vergangenen beiden Wochen fanden kleinere dezentrale Aktionen statt. Am Mittwoch protestierten in Lüchow im Wendland rund 40 Menschen gegen Kriegsvorbereitungen und Aufrüstung von Bundeswehr und NATO. Wie ein Sprecher des Bündnisses sagte, versuchten mehrere Neonazis, die Demonstration zu stören. An einer Kundgebung in Salzwedel beteiligten sich etwa 50 Personen. Entlang der B 71 hatten Antimilitaristen außerdem mehrere Transparente aufgehängt. Darauf forderten sie unter anderem den Stopp aller Kriegseinsätze. Militärbetrieb und Manöver seien bisher störungsfrei verlaufen, sagte am Donnerstag ein Sprecher der Bundeswehr auf jW-Nachfrage. Ein Aktivist vom Bündnis ergänzte jedoch, daß die Polizei den Aufruf zu Protesten »sehr ernst genommen« habe. »Mit Kontrollen und Patrouillen entlang der Bundesstraße sorgten Beamte selbst für etwas Chaos.«

Die Kriegsgegner rufen außerdem zu einer ab Samstag vormittag in Thurau/Woltersdorf (nahe Lüchow im Wendland) geplanten Protestaktion unter dem Motto »Kein Kriegsgeschäft im Wendland und anderswo« auf. Die dort ansässige Firma Harder Digital Ingenieur- und Industriegesellschaft stellt auch Militärtechnik her. Wie die Elbe-Jeetzel-Zeitung zu Wochenbeginn berichtete, beliefert das Unternehmen unter anderem Armeen weltweit mit Nachtsichtgeräten. Auf seiner englischsprachigen Homepage hält sich die Firma jedoch bedeckt. Dort gibt sie lediglich an, »neueste Technik« in mehr als 30 Länder zu exportieren. In Thurau, rühmt sich Harder Digital zudem, gebe es elektrische und chemische Labore sowie einen rund 1000 Quadratmeter großen unterirdischen Bereich mit Nachtsichttesttunnel. Vor einem Jahr hatte der Konzern mit Ableger in Serbien laut der Regionalzeitung an der »Night Vision India Conference and Exhibition« in Neu-Delhi teilgenommen. Dort ging es darum, den militärischen Nachtkampf zu verbessern.

* Aus: junge Welt, Freitag, 23. Mai 2014


»Wieder klassischer Krieg geübt«

Heer, Luftwaffe und Marine gemeinsam im Großeinsatz: In Norddeutschland endet heute die Militärübung »Jawtex«. Ein Gespräch mit Jürgen Rose **

Jürgen Rose ist Oberstleutnant a. D. und Mitglied des Arbeitskreises »Darmstädter Signal«, der unter anderem den Stopp jeder Beteiligung von Bundeswehr und NATO an Angriffskriegen fordert.

Die Bundeswehr bezeichnet »Jawtex« als das größte Manöver seit Ende des Kalten Krieges. Mit 4500 Soldaten aus zwölf Nationen hat sie in diesem Jahr nicht, wie bisher, den Schwerpunkt auf elektronische Kampfführung gelegt, sondern auf das Zusammenspiel von Luftabwehr, Boden- und Marinetruppen. Welche Besonderheiten weist die militärische Großübung auf?

Das Besondere ist meiner Ansicht nach, daß im Rahmen dieses Großmanövers nach langer Zeit wieder der klassische Krieg geübt wird. Die Armeen beteiligter Länder operieren so, wie es die NATO während des Kalten Krieges tat, und zwar »joint and combined« – das heißt teilstreitkräfteübergreifend mit Heer, Luftwaffe und Marine. Zudem proben sie im internationalen Verbund unterschiedlicher alliierter Truppenverbände. Auf den Punkt gebracht, könnte das Motto dieser Übung lauten: Back to the roots, also zurück zu den Wurzeln.

Die Bundeswehr weist einen Zusammenhang von »Jawtex« und dem Konflikt in der Ukraine zurück, erklärt aber, es gebe durchaus Ähnlichkeiten zu einem möglichen Einsatz. Welche Verbindungen zum Ukraine-Konflikt, aber auch zu Syrien sind für Sie denkbar?

Sowohl im Falle Syriens als auch der Ukraine würde eine Intervention mit militärischen Gewaltmitteln genau den klassischen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen traditionellen Armeen mit sich bringen, den die NATO im Rahmen des Großmanövers »Jawtex« geübt hat.

Auf welche Bestrebungen von Bundeswehr und NATO deuten das Manöver und jüngste militärische Entwicklungen in Europa und der BRD hin?

Offenbar findet in NATO-Kreisen nach den desaströsen Niederlagen im Irak, in Afghanistan und jüngst in Libyen, wo der Versuch des »Nation Building« mit Militärgewalt gescheitert ist, ein grundlegendes Umdenken statt. Man besinnt sich wohl auf den traditionellen Auftrag der Streitkräfte, nämlich das feindliche Militär zu bekämpfen, damit die Politik einem Gegner den eigenen politischen Willen aufzwingen kann. Das ist etwas anderes, als wir es in den letzten beiden Jahrzehnten unter Vorgabe eines Regimewechsels, der sogenannten humanitären Intervention, beziehungsweise des »Prinzips der Schutzverantwortung«, kannten. Beides hat sich zu Recht als politischer, moralischer und militärischer Irrweg entpuppt.

Für Juli planen die USA ein Manöver namens »Rapid Trident« in der Ukraine. An diesem sollen auch deutsche Soldaten teilnehmen. Die Bundeswehr war bereits 2010 und 2013 dabei und will es diesmal von der aktuellen Lage im Land abhängig machen. Welches Ziel wird mit der Übung verfolgt und welche Ambitionen könnte die Bundeswehr haben, dabei mitzumischen?

Die Manöverplanung zeigt, daß die angeblich bloße wirtschaftliche Assoziation der Ukraine mit der Europäischen Union von Anfang an auch eine militärische Komponente besaß. Wenig überraschend gibt die BRD mit ihrer im transatlantischen Gleichschritt marschierenden Vasallentruppe Bundeswehr den großen Unterstützer bei derartig zweifelhaften Unternehmungen.

Ihr Arbeitskreis setzt sich laut einem Positionspapier für eine Wandlung der NATO in einen »Verbund mit friedensstiftender Qualität« ein. Was soll man sich darunter vorstellen?

Der NATO kann höchstens eine friedenssichernde Funktion im Sinne eines rein defensiv strukturierten Verteidigungsbündnisses zukommen. Eine »friedensstiftende Qualität« würde hingegen ein offensives Vorgehen implizieren, wie es die Welt seit spätestens 1999 erlebt, als die atlantische Allianz einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien begann.

Was steht einem Wandel der NATO in ein reines Verteidigungsbündnis entgegen und wie müßte die Bundeswehr agieren, um dieses Ziel umzusetzen?

Seit Ende des Kalten Krieges wird das Agieren der NATO vor allem durch den Unilateralismus der USA und die Arroganz ihrer militärischen Macht­entfaltung, verbunden mit einer das Völkerrecht verachtenden Präventivkriegsideologie und dem unverhohlenen Anspruch auf globale Hegemonie bestimmt. Unter dem Eindruck dieser imperialen Aggressionspolitik der »Supermacht« wurden bereits Forderungen nach Schaffung einer autonom handlungsfähigen Europäischen Verteidigungsunion laut. Dies würde eine aktivere Rolle der BRD erfordern. Ein erster Schritt wäre ein vorläufiger Austritt Deutschlands aus der militärischen Integration der NATO und eine dezidierte Hinwendung zu Frankreich im Westen und Polen im Osten. Innerhalb der Bundeswehr sowie in Politik, Wirtschaft und anderen zivilen Sektoren erfordert das freilich einen Sinneswandel herrschender Eliten.

Interview: Susan Bonath

* Aus: junge Welt, Freitag, 23. Mai 2014

»Jawtex« und andere Manöver

Als Übung einmaliger Größenordnung auf deutschem Boden deklariert die Bundeswehr das heute zu Ende gehende Manöver »Jawtex« (Joint Air Warfare Tactical Exercise), zu deutsch »Gemeinsame taktische Luftkriegsübung«. Unter anderem mit Luftangriffen, -verteidigung und -transport ist »das gesamte Aufgabenspektrum von Luftwaffe, Heer und Marine« im Norden Deutschlands geprobt worden, meldet die Truppe. Das Übungsgebiet erstreckt sich von Ostfriesland über Schleswig-Holstein bis nach Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Rund 4500 Soldaten beteiligten sich daran, davon mehr als 800 aus »Partnernationen«. Neben der BRD waren die NATO-Staaten USA, Italien, Niederlande, Frankreich, Slowenien, Griechenland, Türkei und Ungarn vertreten. Zudem nahmen die Nicht-NATO-Mitglieder Finnland, Österreich und Schweiz teil. Nach offiziellen Angaben kostet die Übung deutsche Steuerzahler gut drei Millionen Euro, die anderen Staaten tragen eigene Kosten. Geprobt wurde mit Kampfjets, darunter finnische F-18, türkische F-16, italienische und deutsche Eurofighter. »Deutsche C-160-Transall fliegen mit niederländischen C-130-Herkules; als Kampfhubschrauber kommen österreichische Blackhawk, slowenische und Schweizer Cougar sowie deutsche CH-53, NH-90 und TIGER zum Einsatz«, begeisterte sich die Bundeswehr vorab.

Auch woanders probt die NATO Krieg. Seit Montag läuft ein Großmanöver in Lettland mit 2200 Soldaten, das bis Sonntag andauern soll. Es ist ähnlich wie »Jawtex« auf das Zusammenwirken von Luftwaffe, Heer und Marine ausgerichtet. Unklar ist noch, ob sich die Bundeswehr an dem für Juli in der Ukraine geplanten US-Manöver »Rapid Trident« beteiligen wird. Die Bundesregierung werde dies von der aktuellen Entwicklung im Land abhängig machen, schrieb sie Ende April in einer Antwort auf eine Anfrage linker Abgeordneter. (sb)




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