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Attac verliert Status der Gemeinnützigkeit

Kritik an "offenbar politisch motivierter Entscheidung" / Keine Rückforderungen an Spender

Von Robert D. Meyer und Hans-Gerd Öfinger *

Aufregung bei Sympathisanten am Freitag: Der Trägerverein des globalisierungskritischen Netzwerks »Attac« hat den Status der Gemeinnützigkeit verloren. Der will das nicht hinnehmen.

Das Finanzamt Frankfurt am Main hat dem globalisierungskritischen Verein Attac den Status der Gemeinnützigkeit aberkannt. Einen entsprechenden Bericht der »Frankfurter Rundschau« bestätigte am Freitag eine Sprecherin der etwa 28 500 Mitglieder zählenden Organisation. Die bereits im Frühjahr zugestellte Entscheidung gilt rückwirkend ab 2010. Spender müssen allerdings nicht fürchten, Post vom Fiskus zu erhalten. »Das Finanzamt fordert für die vergangenen Jahre keine entgangenen Steuern zurück«, hieß es in einer Erklärung der Attac-Zentrale. Auf nd-Anfrage bestätigte ein Sprecher des hessischen Finanzministeriums: »Es besteht ein Vertrauensschutz für die Spender, somit hat für sie die rückwirkende Aberkennung keine Auswirkung.«

Die Behörde begründete den Entzug der Gemeinnützigkeit damit, dass Attac allgemeinpolitische Ziele verfolge und dies nicht förderungswürdig sei. Als Beispiele wurden die Forderungen der Organisation nach einer Finanztransaktionssteuer und einer Vermögensabgabe genannt. Das Netzwerk hatte die Förderung von Bildung als Hauptzweck des Vereins angegeben. Ein weiteres Ziel sei die Förderung des demokratischen Staatswesens.

»Attac ist nicht in seiner Existenz bedroht«, erklärte Stefanie Handtmann vom Attac-Bundesbüro auf nd-Anfrage. »Die Entscheidung des Finanzamts wird keinen Bestand haben und vor Gericht nicht durchzuhalten sein.« Erste Reaktionen aus den Reihen von Mitgliedern, Unterstützern und Spendern seien ermutigend und deuteten auf einen »Jetzt erst recht«-Effekt hin. »Die Leute halten uns die Stange.« Die Frage der steuerlichen Absetzbarkeit spiele angesichts der Struktur der Spender ohnehin keine große Rolle. »Wir leben von vielen kleinen Zuwendungen«, so Handtmann.

Offensichtlich werde versucht, Attac mit einer Art Gesinnungssteuerrecht Steine in den Weg zu legen, so Willi van Ooyen, Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag. »Aus der Abgabenordnung ist jedenfalls nicht erkennbar, warum Attac nicht gemeinnützig sein sollte, wenn selbst neoliberale Lobbygruppen wie die Bertelsmann-Stiftung als gemeinnützig gelten.« Der Europapolitiker Sven Giegold (Grüne) sprach von einer »skandalösen Fehlscheidung«, da ein kritisches Engagement, etwa gegen das Freihandelsabkommen TTIP, unabdingbar sei. Attac habe bereits Einspruch gegen den Bescheid eingelegt und wollte notfalls klagen, wurde die Geschäftsführerin Stephanie Handtmann zitiert. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit treffe den Verein empfindlich in einer Zeit, in der der Protest gegen das geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP alle Energie benötige. Attac wird zu mehr als 90 Prozent über Spenden finanziert.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 18. Oktober 2014


»Gesinnungssteuerrecht«

ATTAC: Finanzamt Frankfurt am Main streicht Gemeinnützigkeit

Von Claudia Wrobel **


Das Finanzamt Frankfurt am Main hat dem Trägerverein von ATTAC rückwirkend die Gemeinnützigkeit ab dem Jahr 2010 entzogen. Wie die Nichtregierungsorganisation am Freitag mitteilte, sei die Behörde der Auffassung, »dass ATTAC in der tatsächlichen Arbeit mehr auf politische Einmischungen und engagiertes Mitgestalten der Bürgerinnen und Bürger setzt, als es die gesetzliche Grundlage, die Abgabenordnung, erlaubt«.

Der Status der Gemeinnützigkeit befreit Vereine zum einen von Ertrags- und Vermögenssteuern. Zum anderen können sie Zuwendungsbescheinigungen ausstellen, die ein Spender steuerlich geltend machen kann. Laut Abgabenordnung Paragraph 52 liegt die Voraussetzung vor, wenn die »Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern«.

Die Nichtregierungsorganisation hat Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt, da es die Aufgabe von zivilgesellschaftlichen Institutionen sei, Personen zu befähigen, sich in politische Entscheidungsprozesse einzubringen. »Demokratie kann nicht wie eine Trockenübung jenseits der gesellschaftlichen Realität simuliert werden«, heißt es in einer Erklärung des Vereins.

Auch die Linksfraktion im hessischen Landtag unterstützt die Globalisierungskritiker. Willi van Ooyen, deren Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher, nannte den Vorgang »Gesinnungssteuerrecht« und machte die Landesregierung aus Grünen und CDU für das Vorgehen verantwortlich: »Während der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) sich in der Öffentlichkeit gerade darum bemüht, den Anschein zu erwecken, er wolle Steuerschlupflöcher schließen, sorgen seine Beamten dafür, dass denjenigen, die seit Jahren dafür kämpfen, Konzerne angemessen zu besteuern, die Gemeinnützigkeit aberkannt werde.« Nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa wies das Finanzministerium den Vorwurf der politischen Einflussnahme zurück.

Zuvor wurde seit dem Jahr 2000 stets zu Gunsten des Vereins entschieden. Insofern scheint die Entscheidung zumindest willkürlich zu sein. Auch van Ooyen bemerkte, dass sich der Entzug wohl kaum mit der Abgabenordnung begründen lasse, »wenn selbst neoliberale Lobbygruppen wie die Bertelsmann-Stiftung als gemeinnützig gelten«.

** Aus: junge Welt, Samstag, 18. Oktober 2014


Systemrelevant

Tom Strohschneider über einen Versuch des Finanzamtes Frankfurt, das Netzwerk Attac mundtot zu machen – und so die Demokratie zu beschädigen ***

Die Methode, zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich kritisch in öffentliche Diskussionen einmischen und dabei auch einmal eine für die gerade Herrschenden unangenehme Forderung stellen, mit den Mitteln des Steuerrechts in Existenznot und damit zum politischen Schweigen zu bringen, kennt man von Ländern, an deren demokratischer Substanz Zweifel bestehen.

Nun hat das Finanzamt – ausgerechnet das der Bankenmetropole Frankfurt am Main – dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit abgesprochen und damit jenen Verein, der die Forderung nach einer längst überfälligen Finanztransaktionssteuer hierzulande popularisierte, vor ernste Probleme gestellt. Über 90 Prozent der Finanzierung von Attac erfolgt über Spenden. Sind diese nicht mehr abzugsfähig, gehen die so eingeworbenen Mittel nach der Erfahrung ähnlicher Fälle deutlich zurück. Aber auch kapitalismuskritische Arbeit kostet im Kapitalismus Geld.

Der Fall ruft nicht nur deshalb Empörung hervor, weil der Gedanke nahe liegt, hier werde im Hintergrund politisch agiert. So hat es unter anderem ein SPD-Politiker vermutet – ein sozialdemokratischer Finanzfachmann aus Hessen übrigens. Und die steuerrechtliche Attacke auf Attac erfolgt ja auch ausgerechnet in jener Zeit, da das Netzwerk, um das es etwas stiller geworden war zuletzt, in den Protesten gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen wieder etwas aufblüht. Im November will Attac auf einem Ratschlag »eine Debatte darüber führen, was wir der völlig verfehlten Krisenbewältigungspolitik der EU und unserer Regierung entgegensetzen können«, will nach Wegen »zu einer sozial-ökologischen Transformation« suchen und beantworten, was »unsere Möglichkeiten der politischen Intervention« sind.

Das und noch mehr gerät mit der Entscheidung des Finanzamtes mindestens unter Druck. Der Fall wirft zudem auch ein Schlaglicht auf eine zentrale Frage einer demokratischen Gesellschaft: Was hält diese für gemeinnützig? Hier geht es nicht nur um eine Auslegung der Abgabenordnung, deren Paragrafen in langen Aufzählungen etwa die Förderung des Tierschutzes, die Rettung von Leben oder den Schutz der Ehe als Aktivitäten anerkennt, die der Allgemeinheit dienen sollen. Im Fall Attac geht es um die Frage, welche Form des politischen Engagements und der Einmischung in öffentliche Belange im Wortsinne gemeinnützig sind. Anders gesprochen: Was braucht eine res publica um mehr zu sein als bloße Verwaltung von Staatsbürgern?

Wenn hier nun eine Finanzbehörde in den Aktivitäten von Attac – das Netzwerk macht Bildungsarbeit, organisiert öffentliche Interventionen, mischt sich in politische Entscheidungen ein, befähigt Menschen, dies auch selbstbestimmt zu tun – nicht einmal eine (anerkannt gemeinnützige) Förderung des demokratischen Staatswesens erkennen möchte, lässt das eine grundlegende Missachtung zivilgesellschaftlicher Aktivität erkennen – also ein steuerrechtlich verbrämtes Unverständnis darüber, was eine Demokratie dazu braucht, um eine zu sein.

Der nun laut Attac erhobene Vorwurf des Finanzamtes, das Netzwerk könne nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werden, weil es allgemeinpolitische Ziele verfolgt, ist nicht nur logisch absurd. Er steht in einer fragwürdigen Tradition: Man kennt Versuche, politischen Widergeist und kritisches Engagement mit der Keule formaler Grenzziehungen einzuschüchtern etwa von den Versuchen, die ASten an den Universitäten zu reinen Verwaltungsgremien angeblich »neutraler« studentischer Belange zu machen.

Bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung des Finanzamts keinen Bestand hat. Denn Attac ist systemrelevant, weil es mit seiner Kritik hier und da bis an die Grenzen des Systems vorstößt – und damit den Gedanken wachhält, dass noch grundlegende Änderungen in der Gesellschaft nötig sind, damit deren selbst gesteckte Maßstäbe von Gerechtigkeit, gutem Leben, Freiheit und so fort Realität werden können.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 18. Oktober 2014 (Kommentar)


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