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Wut und Mut

Der Friedensaktivistin Ellen Diederich zum 70. Geburtstag

Von Florence Hervé und Melanie Stitz *

Die Hoffnung hat zwei schöne Töchter: Wut und Mut. Wut darüber, wie die Verhältnisse sind, und Mut, sie zu ändern.« Ein Lieblingsspruch von Ellen Diederich, der auch ihren Lebensweg kennzeichnet: Wut – über Kriege, Gewalt und Armut, und Mut zu Aktionen und Veränderung.

Ellen wurde am 26. März 1944 in Dortmund geboren und engagierte sich bereits seit 1961 für Frieden und Gerechtigkeit, Frauen- und Menschenrechte, gegen Herrschaftsstrukturen, Krieg und Gewalt. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke beteiligte sich die Diplompädagogin an Aktionen des Sozialistischen Studentenbunds (SDS), u.a. gegen den Springer-Verlag. Ab Anfang der 1980er Jahre war sie mit ihrer Gefährtin, der afrodeutschen Sängerin Fasia Jansen, für den Frieden unterwegs. Im von Ellen und Fasia initiierten Friedenszelt auf der Weltfrauenkonferenz der Nichtregierungsorganisationen in Nairobi 1985 lernten Frauen aus sogenannten Feindesländern den Dialog – eine Herausforderung vor dem Hintergrund, daß nicht nur die USA das Thema Frieden vom Tisch haben wollten. Frauen sollten sich doch auf ihre Gleichberechtigungsprobleme konzentrieren, lautete damals die Botschaft der etablierten Politik an die Teilnehmerinnen.

Beide Frauen reisten mit ihrem bunten Friedensbus 20000 Kilometer quer durch Europa: in West und Ost, in Nord und Süd, ob im britischen Zentrum des Frauenwiderstands gegen Atomraketen Greenham oder im vom Krieg geplagten Nordirland, in Dänemark oder in Rußland, bei den britischen Bergarbeiterstreiks oder bei den Rheinhausener Frauen im Kampf um Erhalt der Stahlarbeiterplätze. In der Wüste von Nevada beteiligte sich Ellen an Aktionen gegen Atomtests der USA. 1989 untersuchte sie Menschenrechtsverletzungen in El Salvador. Das hieß auch: Öffentlichkeit herstellen, Solidarität üben und Informationen in Deutschland verbreiten.

An ihrem Wohnort Oberhausen baute Ellen geduldig ein Archiv auf, das spätere »Internationale FrauenFriedensArchiv Fasia Jansen«, eine Fundgrube an Büchern und audiovisuellen Quellen zu Frauen und Militär und zum Friedenskampf von Frauen weltweit. Mit Fasia zusammen sammelte sie Kunst- und Kulturgegenstände von Frauen aller Kontinente und führte den Eine-Welt-Laden »Vier Himmelsrichtungen«. Bis heute ist sie im Internationalen Beirat des 1979 gegründeten ökofeministischen Friedensnetzwerks »Women and life on earth« aktiv. »Krieg wird von Menschen gemacht. Frieden auch«, das ist Ellens Credo.

1997 erhielten Fasia und Ellen für ihr Engagement die Ehrennadel der Stadt Oberhausen. Kurz danach starb Fasia Jansen. Ein schwerer Verlust für Ellen. Aber sie gab nicht auf, fühlte sich weiter dem Aufbruch der »68er« verpflichtet. Den »Marsch durch die Institutionen« habe sie nie angetreten, der wendige Weg eines Joseph Fischer oder Daniel Cohn-Bendit sei ihre Sache nie gewesen, meint sie. Auch an Alice Schwarzer, die sich in ihrer Zeitschrift Emma über Soldatinnen freut und ein ganzes Heft dem Thema Mode widmete, ohne ein Wort über deren Produktionsbedingungen zu verlieren, übt Ellen scharfe Kritik. Sie ist eine Internationalistin und zugleich lokal aktiv. Politik beginnt für sie am Küchentisch.

Heute entwickelt sie unter anderem Projekte mit Kindern aus der Nachbarschaft, für die sie auch Mahlzeiten kocht. Mit dem Internationalen Frauen­garten hat sie in Oberhausen einen Ort gegenseitiger Wertschätzung und ökologischen Lernens geschaffen, der auch ein Statement gegen Biopiraterie und das Drängen der Pharmaindustrie ist, den Anbau und Verkauf von Heilpflanzen zu verbieten. Immer wieder prangert sie Hartz-IV-Repressionen an, macht gegen Zwangsumzüge mobil und beschreibt aus eigener Erfahrung, wie Armut Teilhabe verhindert und was dies im Alltag bedeutet: »Die Würde des Menschen steht unter Finanzierungsvorbehalt.« Immer wieder plädiert sie für mehr Genuß und Sinnesfreude auch in der linken Bewegung. Ellens Engagement ist unbequem – und deshalb unverzichtbar.

Aktueller Essay von Ellen Diederich über Ursula von der Leyen und die Bundeswehr online: www.wirfrauen.de [externer Link]

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. März 2013


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