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Montags gegen die Fed

Die "Mahnwache für den Frieden" hat wohl ihren Zenit überschritten, ist aber zu einem Fall für die Forschung geworden – mit durchaus interessanten Ergebnissen

Von Sebastian Carlens *

Immer wieder montags versammeln sich bundesweit Demonstranten. Die »neuen Montagsdemos« gibt es seit vier Monaten; in Berlin, ihrem Ausgangspunkt, nahmen bis zu 1500 Menschen teil (jW berichtete). Der Anmelder Lars Mährholz hat die Veranstaltung »für den Frieden« als Mahnwache angemeldet; zunächst mit dem Feindbild der Federal Re­serve (Fed), der amerikanischen Notenbank, mittlerweile erweitert um andere Geldinstitute und gegen das »verzinste Schuldgeldsystem« im allgemeinen. »Weder rechts noch links« wollen Mährholz und viele Demonstranten sein. Die Redner, die der Veranstalter auf das Podium bat, standen allerdings keineswegs jenseits dieser Kategorien, sondern waren, wie der Publizist Jürgen Elsässer, eindeutig rechts, oder, wie der ATTAC-Aktivist Pedram Shahyar, links zu verorten. Gemeinsam mit der an einzelnen Phänomenen des Finanzsystems geäußerten Kritik trug dies den »Montagsdemos« den Ruf einer Querfrontveranstaltung ein.

Am vergangenen Montag versammelten sich auf dem Potsdamer Platz gerade noch 150 Teilnehmer – das parallel stattfindende deutsche WM-Vorrundenspiel war offenbar attraktiver. Schon in der Woche zuvor, als der Linken-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm eine Gesangseinlage zum besten gab, kamen nur noch 400 Personen zusammen. Ist die rasch gewachsene Bewegung damit wieder am Ende? Für eine solche Prognose ist es zu früh. Doch die neue Protestform hat es bereits geschafft, zum Gegenstand der Forschung zu werden.

In einer am Montag in Berlin vorgestellten Studie werteten die Autoren des Zentrums Technik und Gesellschaft der TU Berlin um Dieter Rucht die Ergebnisse einer Onlinebefragung aus. Von auf der Berliner Mahnwache verteilten 953 Fragebögen wurden 330 ausgefüllt. Damit sei die Studie aussagekräftig, so die Autoren. Sie klassifizieren die »Montagsdemos« als »eine männlich dominierte Bewegung der 25- bis 40jährigen, für die das Internet das Schlüsselmedium ist«. Damit ist das Publikum jünger als bei den – ebenfalls untersuchten – Protesten gegen den Irak-Krieg 2003, Hartz IV oder »Stuttgart 21«. Auch der soziale Zuschnitt ist unterschiedlich: Ein knappes Drittel hat ein Studium abgeschlossen, fast dreimal so viele wie in der Gesamtbevölkerung.

Die zentralen Anliegen der Demonstranten sind laut Studie unscharf: Für knapp 90 Prozent der Befragten ist »Frieden« entscheidend, rund 50 Prozent wollen Kritik an den Massenmedien üben. Konkrete Forderungen, beispielsweise nach dem Stopp von Rüstungsexporten, wurden »sehr selten« formuliert. 38 Prozent der Befragten ordneten sich dem »politisch linken Spektrum« zu, ebenso viele wollten sich nicht in einer Rechts-Links-Skala eingruppieren. Verschwindend wenige Teilnehmer bezeichneten sich als »rechts«. Zwei Drittel stimmten jedoch der Aussage zu, daß die Einteilung in »links« und »rechts« überholt sei. Die Parteipräferenzen entsprechen dem nur bedingt: 42,6 Prozent gaben an, bei der letzten Bundestagswahl Die Linke gewählt zu haben, gut doppelt so viele wie im Berliner Durchschnitt. 12,8 Prozent, und damit knapp dreimal so viele wie im Bevölkerungsmittel, haben ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Viele dürften diese aus Protest, nicht aus breiter Übereinstimmung gewählt haben. Dies gilt allerdings ebenso für viele Linke-Wähler. »Rechts« seien die Demonstranten keineswegs, schlußfolgern die Wissenschaftler: Die »Idee der Demokratie« genießt hohe Wertschätzung, 91,7 Prozent konnten dem zustimmen. 35 Prozent der Befragten unterstützten andererseits die Forderung, daß »wir einen Führer haben sollten, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert«.

Jung, männlich, gut gebildet, eher links, aber auch mit Sympathien für die AfD, ohne dem Rechts-Links-Schema überhaupt noch Gültigkeit zubilligen zu wollen, außerdem unzufrieden mit dem Parlamentarismus: Die »Montagsdemos« sind etwas Neues, Ausdruck einer Hegemoniekrise der herrschenden Klasse und breiten Unbehagens, aber ohne progressive Richtung, ohne politisch greifbare Forderungen. Mit Blick auf die Ergebnisse der Studie können die »Montagsdemos« als erfolgreicher Versuch eingeschätzt werden, eine »Querfront« durch das Zusammenführen rechter und linker Aktivisten im Publikum und auf der Bühne zu bilden. Diese Protestform kann wieder verschwinden – die Ursache ihres Erscheinens wird bleiben, solange »alte« Friedensbewegung und politische Linke keine attraktiven Mobilisierungsangebote machen. Denn die Anlässe zur Unzufriedenheit werden nicht weniger werden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juni 2014


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