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"Die Verlogenheit der EU muß enttarnt werden"

Ostermärsche: Traditionelle Friedensaktivisten und radikale Kriegsgegner sollen reden. Über Menschenrechtsimperialismus. Gespräch mit Robin Cramer *


Robin Cramer ist Sprecher von »See Red – Inter­ventionistische Linke Düsseldorf«.


Die Ostermärsche der Friedensbewegung stehen in wenigen Wochen bevor. Werden Sie am 19. April wieder am traditionell größten Ostermarsch Rhein-Ruhr teilnehmen?

Selbstverständlich. Es ist heute notwendiger denn je, sich gegen die Militarisierung der deutschen Außen-, aber auch der Innenpolitik stark zu machen. Gerade aktuell, wo wir einen Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges erleben, ist eine konsequente linke Positionierung nötig.

Wie soll diese konkret ausfallen?

Linke sollten die Ostermärsche nutzen, um die politische Verlogenheit der EU-Staaten – allen voran der BRD –, der NATO und der USA zu entlarven. Es war eine aus SPD und Bündnis90/Die Grünen bestehende Bundesregierung, die einen Angriffskrieg gegen Serbien führte. Es waren die USA, die gegen das Völkerrecht verstießen, als sie den Irak nahezu in die Steinzeit zurückbombardierten. Den verbrecherischen Krieg gegen Afghanistan nicht zu vergessen. All das geht auf das Konto der selbsternannten westlichen Wertegemeinschaft, nicht auf das Konto von Rußland.

Es ist schon bemerkenswert, wie die EU, die vor einigen Jahren noch aufgrund der Regierungsbeteiligung der rechten FPÖ gegen Österreich mobil machte, mittlerweile offen und ungeniert mit lupenreinen Faschisten in der Ukraine paktiert.

Wie erklären Sie sich das Schweigen vieler antifaschistischer Gruppen?

Ich kann dazu mir das eigentlich nur damit erklären, daß den Themen Krieg, Internationalismus und Antikommunismus in nicht wenigen Antifagruppen zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dabei sollte für Linke aller Couleur vollkommen klar sein, daß der Kampf gegen Krieg und Kapitalismus wie auch ein offensiver und der internationalen Solidarität verpflichteter Antifaschismus Kernelemente linker Politik sind.

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und das Gros der Linkspartei scheinen sich deutlicher zu positionieren – gegen den Pakt der EU mit den an der selbsternannten Regierung beteiligten Neonazis in der Ukraine …

Das ist auch dringend nötig, aber ich bin mir nicht sicher, wie lange die Linkspartei diese Position halten wird. Schließlich wird das von Fraktions- und Parteiführung angepeilte Regierungsbündnis mit SPD und Grünen in Folge der nächsten Bundestagswahl dadurch nicht gerade realistischer werden.

Das Problem ist aber nicht die Ukraine-Position der Linkspartei. Diese wird von nicht wenigen Bundesbürgern durchaus geteilt. Das Problem sind Sozialdemokraten und Grüne, die nicht nur das Tabu gebrochen haben, daß Deutschland nach der Befreiung vom Faschismus wieder Krieg geführt hat, sondern unter dem Deckmantel des angeblichen Einsatzes für das Völkerrecht und den Schutz von Minderheiten offenbar bereit sind, die ganze Welt wieder in Brand zu setzen. Mit dem Menschenrechtsimperialismus der Grünen werden wir uns zukünftig noch oft befassen müssen. Dieses Thema sollte auch in der verbliebenen Friedensbewegung und bei den Ostermärschen deutlicher benannt werden. Außerdem müssen wir schnellstmöglich die Solidarität mit Kommunisten und Antifaschisten in der Ukraine organisieren, die aktuell vom faschistischem Mob mit dem Tod bedroht werden. Einige von ihnen mußten das Land schon verlassen.

Die Friedensbewegung gilt bei jüngeren Linken als nur begrenzt attraktiv. Kann sie überhaupt noch Motor für Proteste sein?

Es wird sicherlich schwer. Man sollte bestehende Strukturen jedoch nicht zu früh aufgeben. Auch wenn ich mir eine gründliche Modernisierung der Friedensbewegung – und vor allem auch linker Kultur – wünschen würde. Mit Bratwurst, Latschdemos und Liedermachern jedenfalls wird es nicht mehr gelingen, junge Menschen für Aktivitäten in der Friedensbewegung zu mobilisieren.

Was schlagen Sie dann vor?

Es würde zum Beispiel Sinn machen, nach dem Vorbild der »Blockupy«-Proteste in Frankfurt am Main oder denen gegen den Neonaziaufmarsch in Dresden, verstärkt über Blockaden von Kriegskonferenzen und Bundeswehrkongressen nachzudenken, anstatt traditionelle Demonstrationen und Kundgebungen alljährlich zu wiederholen. Vor allem wäre es aber schon ein Fortschritt, wenn Alt und Jung, traditionelle Friedensaktivisten und radikale Kriegsgegner und Antimilitaristen wieder miteinander ins Gespräch kämen.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Dienstag, 25. März 2013


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