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Zeichen setzen

Ukraine-Konflikt, Syrien-Krieg, US-Atomwaffen in der BRD: Friedensbewegung mobilisiert zu über 80 Ostermarschaktivitäten im gesamten Bundesgebiet

Von Markus Bernhardt *

Mit einer Demonstration am Sonnabend in Potsdam hat die Friedensbewegung die diesjährige Ostermarschsaison eingeläutet. Knapp 130 Menschen waren dem Aufruf des örtlichen Friedensbündnisses gefolgt und hatten ein Zeichen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gesetzt. Die Manifestation, bei der Uwe Hiksch von den Naturfreunden und Tobias Pflüger von der Linkspartei als Redner auftraten, stand unter dem Motto »Für eine Welt ohne Krieg und Militarismus«.

Rund um das Osterwochenende sind mehr als 80 Kundgebungen und Demonstrationen geplant. Zwar unterscheiden sich die politischen Schwerpunkte der traditionellen Märsche je nach Region, einigendes Moment dürfte jedoch allerorts die Ablehnung der in den hiesigen Medien betriebenen Stimmungsmache gegen Rußland und die Solidarität mit verfolgten Kommunisten und Antifaschisten in der Ukraine darstellen.

Das Netzwerk Friedenskooperative zeigt sich in einer Erklärung »besorgt über die eklatante Zunahme nationalistischer Gesinnung und gegenseitiger Feindschaft zwischen den bisherigen ›Brudervölkern‹ in der Ukraine wie in Rußland«. Netzwerk-Geschäftsführer Manfred Stenner konstatiert: »Seit der sukzessiven Erweiterung der EU und besonders der NATO auf den vormaligen Einflußbereich Rußlands wurde mutwillig versäumt, diese massiven Machtverschiebungen halbwegs fair mit russischen Interessen abzugleichen.« Bei den Verhandlungen mit dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch über das EU-Assoziierungsabkommen sei dies fortgesetzt worden. Außerdem kritisiert Stenner, daß »NATO und EU mit Sanktionen, G8-Ausschluß, Verstärkung militärischer Präsenz in Polen und dem Baltikum sowie der Vorbereitung von Ostsee-Manövern an einer Eskalationsspirale arbeiten«.

Rußland sehe »massive Gefahren für sich, aber auch für die mehrheitlich russische Bevölkerung auf der Krim«, stellt auch das Münchner Friedensbündnis klar. »In dieser Situation wäre Deeskalation das Gebot der Stunde. EU und NATO dagegen setzen auf Sanktionen. Ein schlimmes Signal – schließlich bereiteten die NATO-Staaten in den letzten Jahrzehnten ihre Kriegsdrohungen und tatsächlichen Kriege regelmäßig mit Sanktionen vor«, warnt das Bündnis.

Neben dem Ukraine-Konflikt will die Friedensbewegung zwischen Gründonnerstag und Ostermontag vor allem auch der Rüstungs- und Interventionspolitik der großen Koalition entgegentreten. Unter dem Motto »Krieg wird gemacht – Wir stellen uns dagegen!« ruft die Berliner Friedenskoordination für Karsamstag zum Ostermarsch auf – Start ist 12 Uhr an der Weidendammer Brücke am Bahnhof Friedrichstraße. Unterstützt wird der Aufruf von mehr als 30 Initiativen. Zu ihren Forderungen zählt unter anderem der Rückzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen, das Verbot von Rüstungsexporten und die Schließung von US-Basen in Deutschland.

Im südbadischen Müllheim wollen Friedensgruppen am Ostermontag auf den in ihrer Stadt beheimateten Stab der Deutsch-Französischen Brigade aufmerksam machen. Der militärische Großverband ist Interventionstruppe für EU und NATO und ausgebildet und ausgerüstet zur Führung von Kriegen auf der ganzen Welt, informieren der dortige DGB und der Friedensrat Markgräfler Land.

Der Ostermarsch im Rheinland und im Ruhrgebiet soll die Öffentlichkeit über die Rolle der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn informieren. Dort werden vom »Zentralen Führungskommando der Streitkräftebasis« Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie der NATO organisiert und gesteuert. Gleiches gilt für die Kommandozentrale in Kalkar/Uedem. Die Organisatoren des Ostermarsches in Bremen machen mobil gegen die Rüstungsproduktion in der Hansestadt und die Verschiffung von Kriegsmaterialien über die dortigen Häfen.Weitere Themen werden die Abschaffung der Nuklearwaffen, der Abzug der noch in der Eifel stationierten US-Atombomben sowie die Stillegung aller Atomanlagen sein. Am Karfreitag wollen Kriegs- und Atomkraftgegner gemeinsam vor der Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau demonstrieren. Dort steht die Eröffnung eines neuen Uranmüll-Langzeitlagers für insgesamt 60000 Tonnen Uranoxid mit zeitlich unbefristeter Lagergenehmigung bevor. Anti-Atomkraft-Initiativen befürchten deshalb die Entstehung einer oberirdischen Endlagerstätte in Gronau.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 15. April 2014


»Als Friedenskraft Schaden genommen«

Zustimmung von Teilen der Linkspartei zu Auslandseinsatz der Bundeswehr im Mittelmeer stößt auf Ablehnung. Ein Gespräch mit Felix Oekentorp **

Felix Oekentorp ist Landessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und einer der Organisatoren des Ostermarsches Ruhr.

Die diesjährigen Ostermärsche stehen vor der Tür. Was sind bei der bundesweit größten Demonstration im Ruhrgebiet die dominierenden Themen?

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen wird in jedem Fall die Situation in der Ukraine und die in deutschen Medien und der etablierten Politik stark zunehmende Hetze gegen Rußland eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus fordern wir den Abzug US-amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland und selbstverständlich ein sofortiges Ende von sogenannten Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Die Linkspartei unterstützt die Ostermärsche. Fürchten Sie, daß sich das nach der Zustimmung linker Bundestagsabgeordneter zum Kampfeinsatz der Bundeswehr im Mittelmeer im Rahmen der Vernichtung syrischer Chemiewaffen ändern wird?

Die Zustimmung zu diesem Einsatz war ein politischer Frevel. Zwar gehört zur Wahrheit, daß die Mehrheit der Linksfraktion gegen den Einsatz der deutschen Armee gestimmt hat, darunter ausnahmslos alle Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen. Es ist jedoch klar, daß das Alleinstellungsmerkmal der Partei als konsequente Friedenskraft erheblichen Schaden genommen hat. Übrigens ging es bei der Abstimmung für die Befürworter des Einsatzes ja auch darum, ein Zeichen in Richtung SPD und Grüne auszusenden.

Welches?

Daß man koalitionsfähig ist. SPD und Grüne haben in der Vergangenheit ja mehrfach konstatiert, daß die Linkspartei von ihnen nur als Koalitionspartner in Betracht gezogen würde, wenn sie ihre Positionen in der Außenpolitik aufgeben würde. Dazu haben die Befürworter des Bundeswehrauslandseinsatzes nun ihren Beitrag geleistet. Die Partei muß aufpassen, nicht schnellen Schrittes den gleichen Weg einzuschlagen wie die Grünen zuvor. Noch im Programm zur Bundestagswahl 2013 hieß es: »Die Linke ist die Friedenspartei. Wir haben als einzige Fraktion und Partei im Bundestag den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zugestimmt und werden es auch in Zukunft nicht tun.« Auch aufgrund dieser eindeutigen Positionierung haben Friedensbewegte der Partei ihre Stimme gegeben. Daß dies bei der anstehenden Europawahl wieder so ein Selbstläufer werden wird, bezweifele ich deutlich.

Vor welchen Herausforderungen sehen Sie die Friedens- und Ostermarschbewegung ansonsten in den kommenden Jahren?

Die größte Herausforderung ist sicherlich, daß wir wieder schlagkräftiger werden müssen. Es ist kein Geheimnis, daß wir mit der Überalterung unserer Aktivisten zu kämpfen und es zu lange versäumt haben, einen Modernisierungsprozeß einzuleiten. Die bestehenden Probleme zu leugnen, wie das einige Wortführer unserer Bewegung tun, wird uns nicht weiterbringen. Wir müssen uns für neue Protestformen öffnen und attraktiver für jüngere Kriegsgegner werden. Das alles ist natürlich kein leichter Prozeß, der mal eben über Nacht vollzogen werden kann. Da haben wir eine gehörige Portion Arbeit vor uns.

Ich bin aber optimistisch, da die Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik Krieg ablehnt. Und dies trotz des medialen und politischen Kriegsgetrommels. Die Menschen glauben die Märchen von Kriegen, die angeblich der Stärkung der Menschenrechte dienen, nicht. Die Doppelzüngigkeit der westlichen Welt stößt zunehmend auf Mißfallen. Das sind Gegebenheiten, an die wir als Friedensbewegung anknüpfen müssen.

Interview: Markus Bernhardt

** Aus: junge Welt, Dienstag, 15. April 2014


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