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Falsche Friedensfreunde

Auf den neuen "Montagsdemos" sollen die Kategorien links und rechts überholt sein. Wer das behauptet, ist ein Betrüger – oder ein Idiot

Von Daniel Bratanovic und Sebastian Carlens *

Wer sollte angesichts einer wachsenden Kriegsgefahr etwas dagegen haben, daß zahlreiche Menschen für den Frieden eintreten? Am vergangenen Wochenende haben bundesweit wieder Tausende gegen die rasante Militarisierung der deutschen Außenpolitik demonstriert. Auch in Berlin: Am vergangenen Samstag beteiligten sich knapp 1000 Demonstranten am traditionellen Ostermarsch in der Hauptstadt. Deutlich zahlreicher und jünger war das Publikum bei einer »Friedens«-Kundgebung zwei Tage später. Die »Montagsdemonstration« am Potsdamer Platz zog nach Angaben der Einsatzleitung der Polizei etwa 1500 Teilnehmer an.

Von Frieden war hier oft und viel die Rede. Lars Mährholz, der als Einzelperson die Berliner Kundgebung angemeldet hat, gebrauchte das Wort ständig. Die Veranstaltung stand unter dem Titel »Aufruf zum friedlichen Widerstand! Für Frieden! … Gegen die tödliche Politik der Federal Reserve«. Letztere zieht nach seiner Auffassung »seit über hundert Jahren die Fäden«. Die US-amerikanische Zentralbank soll auch für alle Kriege verantwortlich sein: »Die Privatbank Federal Reserve ist sozusagen das Krebsgeschwür des Planeten«, verkündete Mährholz Anfang April gegenüber Russia Today.

Eine Premiere war die Veranstaltung vom Montag nicht, und sie blieb auch nicht auf Berlin beschränkt. Seit sechs Wochen finden zeitgleich in mehreren deutschen Städten »Montagsdemos« statt. Was sich als spontaner Protest aus Wut über »die da oben« ausgibt, ist auffällig gut koordiniert und technisch ausgestattet. Die wöchentliche Kundgebung besetzt gleich mehrere Label. Sie knüpft an die alte Friedensbewegung an, macht sich das Motto »Wir sind die 99 Prozent« der Occupy-Bewegung zu eigen und verweist auch auf die Proteste gegen die Staatsmacht der DDR. Von letzteren dürfte vor allem noch der Ruf »Wir sind das Volk« in Erinnerung sein. In diesem Sinne möchten auch die Organisatoren der Montagsdemonstrationen sich sehen: Ein einheitliches Volk wendet sich gegen »gleichgeschaltete Medien« und Politiker, die nichts weiter seien als Marionetten an den Strippen verborgen wirkender Mächte. Die Widrigkeiten einer komplexen Welt werden mit einem schlichten Feindbild erklärt, die Unterschiede zwischen links und rechts haben ihre Gültigkeit längst eingebüßt. Das ist das Mantra der Organisatoren, dem die meisten Teilnehmer Glauben schenken.

Jürgen Elsässer durfte am Montag in seinem Redebeitrag erklären, daß rechts und links Kategorien seien, die im 19. und 20. Jahrhundert noch ihre Berechtigung besessen hätten, nunmehr aber überholt seien. Bereits 2009 rief der Publizist zu einer »Volksinitiative gegen das Finanzkapital« auf. Zwischenzeitlich sorgte die Band »Die Bandbreite«, die sich nie gescheut hat, bei Verschwörungstheoretikern und Rechtsesoterikern aufzutreten, am Montag für musikalische Begleitung.

Elsässer hat darum kämpfen müssen, auf der »Montagsdemo« reden zu dürfen, denn zunächst mußte er eine Ausladung hinnehmen, wie er in seinem Weblog beklagte: »auf Druck der Antifa«. Sein langer Marsch durch die Politik findet nun ihren vorläufigen Höhepunkt. Begonnen hatte er beim »Kommunistischen Bund« (KB), später war er Autor und Redakteur bei konkret, Jungle World und junger Welt – nach der endgültigen Trennung von dieser Zeitung ging er zum Neuen Deutschland, um kurze Zeit später sein eigenes Compact-Magazin aufzumachen. Sein aktueller Slogan, »weder links noch rechts, sondern vorne« zu sein, vernebelt die Realität: Elsässers Gang hat ihn zu hemmungslosem Nationalismus geführt. »Hilfe, die Roma kommen! Die wilde Einwanderungsflut bedroht die deutschen Städte«, heißt es heute auf seinem Blog.

Der Antiimperialismus, wie er von Elsässer und Gesinnungsgenossen vertreten wird, ist ein reiner Anti-US-Imperialismus. Deutschland wird als »besetztes Land« dargestellt, das vom amerikanischen Kapital befreit werden muß, nicht vom Kapitalismus an sich. Nicht umsonst nennt sich Elsässers publizistisches Projekt »Magazin für Souveränität«. Im Ringen um die »Unabhängigkeit« von den USA müssen nach dieser Lesart alle Klasseninteressen zurückstehen: der deutsche Unternehmer und der deutsche Arbeiter gemeinsam gegen die amerikanische Weltverschwörung.

Auch wenn sie zur Zeit auffällig laut auf dieser Flöte spielen – Frieden ist mit diesen Leuten nicht zu machen. Im »Verlag Kai Homilius«, der auch Elsässers Magazin Compact verlegt, finden sich kaum zufällig Buchtitel wie »Unser Tausendjähriges Reich« oder »Kriegertaten. Große Feldherren der Weltgeschichte – von Alexander bis Rommel«.

Aufgabe der Friedensbewegung ist es, klar Stellung gegen die Kriegshetze der eigenen Bourgeoisie und ihrer Verbündeten, aber auch gegen die Hasardeure von rechts zu beziehen. Aufrufe wie solche zum Kampf gegen die amerikanische Zentralbank enden in politischer Ohnmacht und praktischer Hilflosigkeit. Zu Recht fragt der bekannte Musiker und Friedensaktivist Konstantin Wecker, »ob das alles nicht vielleicht ein gesteuerter Vorgang gewisser Kreise sein könnte; ein erneuter Versuch, uns zu spalten?«

* Aus: junge welt, Mittwoch 23. April 2014


Zu den neurechten Friedensdemos

Der Liedermacher Konstantin Wecker stellte Ende vergangener Woche folgendes Statement auf seine Facebook-Seite: **

Was wir zur Zeit in Teilen der Medien erleben, macht mir angst. Das ist Kriegspropaganda – während die Entwicklungen rund um die Ukraine bedrohliche Schritte zur Eskalation sind. Jetzt verstärkt die NATO ihre Präsenz in Osteuropa. Die Bundesregierung macht natürlich wieder mit und schickt Kampfjets: Wenn wir irgendwann eine machtvolle Friedensbewegung gebraucht haben, dann genau jetzt!

Leider scheint die taz aber Recht zu haben, daß sich in der Friedensbewegung mitunter Menschen mit Gesinnungen breitmachen, gegen die ich mich mein Leben lang ausgesprochen habe. Das gilt selbstverständlich nicht für alle, die jetzt auf die Straße gehen. Im Gegenteil: Es ist völlig richtig, wir müssen jetzt raus auf die Straße und den Militaristen klarmachen, daß wir keinen neuen Krieg wollen! Aber anscheinend muß ich auch immer wieder klarstellen: Ich will mit Nationalisten (»an allem ist Amerika schuld, Deutschland ist das Opfer…«) und Antisemiten (»an allem sind die Rothschilds schuld, die neuerdings Federal Reserve Bank heißen…«) keine, auch keine einzige Sache gemeinsam haben und machen.

Was Verschwörungstheorien angeht, sage ich: Seit Edward Snowden muß jeder wissen, daß die Geheimdienste komplett aus dem Ruder gelaufen sind. Und die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die Morde der NSU sind offensichtlich. Ich bin da also keineswegs naiv, und es sollte meines Erachtens auch erlaubt sein, zum 11. September kritische Fragen zu stellen. Aber dieses Geschichtsbild, wonach eine winzige Geheimgesellschaft seit Jahrhunderten alles plant und lenkt, wo es keine Widersprüche mehr gibt, sondern nur noch einen großen, geheimen Masterplan, bei dem am Ende auch noch die Schuld am Hitlerfaschismus plötzlich nicht mehr bei Deutschen, sondern bei amerikanischen und vor allem: jüdischen Illuminaten zu liegen kommt – das ist mir alles zu abgedreht und zuwider, und das ist Geschichtsklitterung von rechts, egal wie angeblich antikapitalistisch das daherkommt.

Und ja – ich hab’s von vielen schon gehört und bin gewarnt worden: Die Montagsdemos werden unterwandert. Damit sage ich nicht, daß alle, die sich dort engagieren, Nazis seien, Rechtspopulisten oder Verschwörungstheoretiker. Aber man muß aufpassen. Und ich habe hier auf meiner FB-Seite kürzlich erlebt, wie ein Shitstorm aus dieser Ecke aussieht. Da dringen dann 50, 60 Profile in eine Diskussion ein wie eine Horde Naziskinheads, beschimpfen und diffamieren alle, die ihnen widersprechen, liken sich gegenseitig und spielen sich die Bälle zu – und das sind erkennbar organisierte Manöver! Und kurz kam ich auf den schrecklichen Gedanken, ob das alles nicht vielleicht ein gesteuerter Vorgang gewisser Kreise sein könnte, denen schon immer Pazifismus und die Friedensbewegung ein Dorn im Auge waren? Ist das ein erneuter Versuch, uns zu spalten – wie seinerzeit Joschka Fischers infamer Schachzug: »Nie wieder Ausschwitz« beim Jugoslawien-Krieg, der die Friedensbewegung regelrecht zerfetzt hat? (…) Es ist klar: wir müssen auf die Straße, für den Frieden! Aber laßt uns besser genau hinschauen, wer da alles mit welchen Parolen mitrennt. Für eine machtvolle Friedensbewegung ohne Antisemitismus!

** Dieses Statement von Konstantin Wecker haben wir der "jungen welt" vom Mittwoch, 23. April 2014 entnommen.




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