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Atomwaffen und Raketenabwehr

Roland Blach vom Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen" referierte in Kassel

Das folgende Referat hielt Roland Blach auf dem Friedensratschlag in Kassel am 1./2. Dezember 2001

Ich möchte mich für alle, die mich nicht kennen, zunächst kurz vorstellen. Ich bin seit 1995 in der Friedensbewegung aktiv. Seit fünf Jahren koordiniere ich die bundesweite Friedensgruppe Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA). Anfang diesen Jahres begann ich in hauptamtlicher Funktion sowohl die GAAA als auch den Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen" gleichermaßen zu koordinieren. Außerdem bin ich aktiv im Friedensnetz Baden-Württemberg sowie als Vorstand in der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen.

Trägerkreis Atomwaffen abschaffen und die GAAA

Bevor ich auf den Zusammenhang von Atomwaffen und Raketenabwehr etwas näher eingehe sowie die aktuellen Entwicklungen in den beiden Themengebieten kurz anreiße, möchte ich den Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen" und die GAAA vorstellen. Der Trägerkreis ist ein Zusammenschluss nichtstaatlicher Organisationen unterschiedlicher Art, die das Anliegen eint, Atomwaffen weltweit abzuschaffen. Der Trägerkreis popularisiert und unterstützt Initiativen von Mitgliedsorganisationen, organisiert eigenständige öffentlichkeitswirksame Aktionen und beteiligt sich an entsprechenden internationalen Vorhaben.

Ein beachtlicher Erfolg war die Übergabe von knapp 20.000 Unterschriften des Cochemer Appells im Januar diesen Jahres an Staatsminister Ludger Volmer im Auswärtigen Amt in Berlin. Darin forderten wir die Bundesregierung auf,
  • von den Verbündeten zur verlangen, die Lagerung von Atomwaffen auf deutschem Boden zu beenden,
  • die nukleare Teilhabe in Büchel aufzukündigen und
  • sich international für die Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen.
Im Jahr 2002 planen wir u.a. koordinierte lokale Plakataktionen, Aktionen während der Konferenz für Sicherheitspolitik in München, Unterschriftensammlungen, die Herausgabe der Broschüre "Atomwaffen von A - Z" und die 6. Jahrestagung vom 14.-16. Juni in Erfurt. Die 40 Mitgliedsgruppen treffen sich bisher vierteljährlich zu Besprechungen.

Ein aktueller Schwerpunkt des Trägerkreises ist die im März initiierte Kampagne "Raketen abrüsten statt abwehren" in deren Mittelpunkt der gleichnamige Appell steht. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, "jede Beteiligung an einem Raketenabwehrsystem abzulehnen und die Regierungen der USA und Europas zum Verzicht darauf zu bewegen. Statt durch ein kostspieliges Rüstungsprogramm eine neue Rüstungsspirale auf der Erde und im Weltraum auszulösen, fordern wir politische Initiativen, die zur Beseitigung von Raketen und Atomwaffen führen." Dieser Appell wurde mittlerweile von 800o Menschen unterzeichnet und liegt der Tagungsmappe des Friedensratschlags bei.

Als wir zu unserem Strategieseminar am 8./9.9. in Frankfurt zusammenkamen und froh darüber waren, dass wir mit bescheidenen Mitteln die Atomwaffenfrage in den letzten 8 Jahren in die Öffentlichkeit hineingetragen haben, konnten wir nicht ahnen, was zwei Tage später passieren und anschließend die Welt in Atem halten würde, die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen eingeschlossen. Wie gut, müssen wir heute sagen, dass 40 Gruppen die Atomwaffen in dieser Zeit weiter thematisierten.

Die Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA)

Vor drei Tagen erhielt ich einen Strafbefehl über 90 Tagessätze ŕ 40 DM - 3600 DM vom Amtsgericht Ludwigsburg. Vielleicht haben einige von Euch die Pressemitteilung der GAAA oder den Bericht dazu in der Frankfurter Rundschau von gestern gelesen. Darin werde ich angeklagt, " in zwei selbständigen Handlungen öffentlich durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat des Hausfriedensbruchs aufgefordert" zu haben. Grundlage des Strafbefehls ist die per Flugblatt und Internet angekündigte "Inspektion des Atomwaffenlagers Büchel" am 30.9. diesen Jahres, bei der auch "militärisches Gelände betreten werden sollte", um das weltweit gültige und von der Bundesrepublik missachtete Völkerrecht anzumahnen. Am 26. September war das Büro der GAAA von der Polizei durchsucht und der Computer mitsamt Zubehör sichergestellt worden.

Gegen den Strafbefehl habe ich vorgestern Einspruch beim Amtsgericht eingelegt. Dieser Strafbefehl, vor allem die Höhe der Tagessätze, stehen in keinem Verhältnis zu der Tat, die mir vorgeworfen wird. Damit ist ein Verfahren vor dem Amtsgericht angestrengt, das frühestens im Frühjahr 2002 zu erwarten ist.

Paul Russmann, Sprecher des Friedensnetzes Baden-Württemberg und Geschäftsführer der ökumenischen Aktion "Ohne Rüstung Leben", meinte in einer ersten Stellungnahme dazu: "Während diejenigen, die Bomben auf unschuldige Zivilisten in Afghanistan einsetzen, straffrei ausgehen, werden diejenigen, die mit Aktionen zivilen Ungehorsams auf die völkerrechtswidrige Lagerung von Atomwaffen aufmerksam machen, kriminalisiert." In Büchel in der Eifel sind nach Angaben des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS) mindestens 10 US-Atombomben mit einer Sprengkraft von über 100 Hiroshimabomben gelagert. Die Bundeswehr ist mit der Bereitstellung von Flugzeugen und der Ausbildung von Soldaten im Rahmen der nuklearen Teilhabe direkt dafür verantwortlich.

In einem ähnlichen Fall hatte das Amtsgericht München im November 2000 ein Verfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gegen einen 51-Jährigen mit der Begründung einstellte, sein Protest sei "ehrenvoll und nachvollziehbar".

Über 70 Personen und Gruppen weltweit hatten den Aufruf zur "zivilen Inspektion" in Büchel unterzeichnet, gegen die bisher zumindest nicht ermittelt wird.

Die in Kornwestheim ansässige bundesweite Friedensorganisation Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA), existiert seit 1996. Sie gründete sich infolge des historischen Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofes (IGH), der Atomwaffen als völkerrechtswidrige Waffen erklärte. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, das Gedächtnis der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und der über 2000 Atomwaffentests weltweit zu bewahren. Die schrecklichsten je von Menschen hergestellten Waffen, gleichsam Massenvernichtungswaffen, müssen vollständig abgerüstet werden. Erst dann können wir sicher sein, dass die Erde nicht durch einen Atomkrieg ausgelöscht wird. Wir möchten die Menschen daran erinnern, dass weltweit noch immer über 20.000 Atomsprengköpfe gelagert sind, davon 5.000 in ständiger Alarmbereitschaft. Und auch in Deutschland lagern an den beiden Standorten Ramstein und Büchel in Rheinland-Pfalz noch immer mindestens 60 Atomsprengköpfe mit einer Sprengkraft von mehreren Hundert Hiroshimabomben. Die Einsatzzentrale dieser und der über 100 weiteren in Europa gelagerten US-Atomwaffen befindet sich in Stuttgart. Es ist das European Command, kurz EUCOM, das als Befehlszentrale für unterschiedliche Kriegsaktivitäten der USA (u.a. Golfkrieg) traurige Berühmtheit erlang hat.

Deutschland trägt eine besondere Verantwortung durch die Bereitstellung von Tornadoflugzeugen für und der Ausbildung von Soldaten im Umgang mit Atombomben. Diese illegale nukleare Teilhabe wie sie im Eifelort Büchel praktiziert wird, ist der Schwerpunkt unserer Arbeit.

Unser Name ist Programm: die GAAA wählt nur gewaltfreie Methoden in seiner Öffentlichkeitsarbeit. Neben Politikergesprächen, Protestbriefen, Mahnwachen, Demonstrationen und Radtouren haben wir auch häufig Mittel des zivilen Ungehorsams nach dem Vorbild Gandhis oder Martin Luther Kings genutzt. Mit sogenannten zivilen Inspektionen des Atomwaffenlagers Büchel haben wir versucht, das Gutachten des IGH umzusetzen. Der immerwährende Kontakt zum politischen Gegner ist für uns außerordentlich wichtig, zu Politikern, der Polizei, dem Militär. Wir respektieren die Menschen und bemühen uns, keine Gewalt anzuwenden, sowohl psychische als auch körperliche. Damit versuchen wir Feindbilder abzubauen, um so einer weltweiten Gesellschaft ohne Gewalt näher zu kommen. Diese weitreichenden Aktionsformen führten bislang zu nahezu 30 Gerichtsverhandlungen, die ebenso zu weiterer Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden wie die 4 Gefängnisaufenthalte, sogenannte "Mahnwachen hinter Gittern für eine atomwaffenfreie Welt."

Eine Welt ohne Atomwaffen ist noch lange nicht in Sicht, auch wenn die geplante Reduzierung seitens der USA und Russlands ein ermutigendes Zeichen ist. Deswegen wollen wir die Menschen ermuntern, aktiv zu werden und sie ermutigen, sich für die atomare Abrüstung einzusetzen, gerade auch nach den schlimmen Ereignissen vom 11. September. Eine Eskalation der Gewalt an deren Ende ein Einsatz von Atomwaffen stehen könnte, war bis vor einer Woche nicht auszuschließen. Nach den Entwicklungen der letzten Tage ist die Gefahr geringer geworden.

Wir, die Menschen weltweit, sind in der Verpflichtung, uns von der Gewalt zu befreien, an deren Spitze die Atomwaffen stehen. Die GAAA wird sich auch in den kommenden Jahren dafür einsetzen. Ihr seid herzlich eingeladen, mitzuwirken.

Zum Abschluss möchte ich noch kurz anreissen, welcher Zusammenhang zwischen Atomwaffen und dem Aufbau von Raketenabwehrsystemen besteht und zeige anhand aktueller Nachrichtensplitter die lauernden Gefahren der Atomrüstung auf.

Atomwaffen und Raketenabwehr

Wenn es nach dem Willen der US-amerikanischen Regierung geht, soll die geplante Raketenabwehr vor ballistischen Raketen schützen, die von sogenannten "Schurkenstaaten" abgeschossen werden und mit atomaren, biologischen oder chemischen Sprengköpfen bestückt sind.

Raketenabwehr soll aber auch Verbündete und in Übersee stationierte US-Truppen schützen. Noch konzentriert sich die Raketenabwehr-Debatte bei uns sehr stark auf die sogenannte "Nationale Raketenabwehr", NMD. NMD wird frühestens in 8-10 Jahren einsatzbereit sein. In Ansätzen bereits stationiert und in der Entwicklung viel weiter sind aber schon heute Systeme zur taktischen Raketenabwehr, die sich gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen richten.

In Nordostasien weckt der Aufbau eines Raketenabwehrsystems Ängste. China glaubt z.B. dass Taiwan sich unter dem Schutz eines Raketenabwehrschirms der USA offiziell zu einem eigenen Staate erklären könnte und China nichts dagegen unternehmen könnte. Ausserdem befürchtet China, auf einen nuklearen Erstschlag der USA zwar mit seinem winzigen Arsenal antworten zu können - China hat überhaupt nur zwanzig Raketen, die US-Territorium erreichen könnten -, diese aber von den Abfangraketen des NMD-Systems außer Gefecht gesetzt würden. Somit wäre China einem Angriff der USA schutzlos ausgeliefert.

In der militärischen Logik hat China bereits erklärt, dass es auf den Aufbau eines Schutzschirms selbst mit einem Ausbau seines Atomwaffenarsenals antworten müsste. Dann wiederum würde sich Indien vermutlich zur "Nachrüstung" entscheiden - und als nächstes würde Pakistan nachziehen. Inwieweit die "neuen Allianzen" etwas daran ändern, die in Folge der Terroranschläge auf Washington und New York jetzt geschmiedet werden, ist noch nicht abzusehen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die strategische Planung, die hinter solchen Konzepten steckt. Genau aus diesem Grund hatten die USA und die Sowjetunion 1972 den ABM-Vertrag abgeschlossen, den US-Präsident Bush jetzt auf den Müllhaufen der Geschichte befördern will. Die Idee war, zu verhindern, dass sich eine Seite schützen kann, und die andere entsprechend aufrüsten muss, um das unsägliche "Gleichgewicht des Schreckens" aufrecht zu erhalten.

An diesen Prinzip hat sich bis heute nichts geändert. Selbst die Ankündigung der USA, ihr Atomwaffenarsenal im Gegenzug drastisch zu reduzieren, ändert daran nichts. Auch tausend nukleare Sprengköpfe auf Interkontinentalraketen sind wahrlich mehr als genug, um große Teile der Menschheit zu vernichten.

Übrigens: Raketenabwehr hätte auch nichts genutzt, um die Attentate auf das Pentagon und das World Trade Center zu verhindern. Kriege und Terrorakte lassen sich nicht militärisch verhindern, sondern nur politisch!

Aktuelle Nachrichtsplitter zur Atomrüstung Heute soll ein neuer Raketenabwehrtest der USA durchgeführt werden.
  • USA und Russland wollen ihre Atomwaffen um zwei Drittel verschrotten. Das haben die Präsidenten Putin und Bush nach ihren Gipfelgesprächen Mitte November erklärt. Die Form eines unverbindlichen "Gentlemen´s agreement" halte ich in dieser Überlebensfrage der Menschheit für völlig unzureichend. Es fehlt die vertragliche Umsetzung dieser Bemühungen, die die Verifizierbarkeit sowie die Unumkehrbarkeit dieser Maßnahmen garantiert. Ich sehe darin die Gefahr einer Aushöhlung des Völkerrechts und den Bruch internationaler Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung. Der Unilateralismus seitens der USA, wie wir ihn bereits mit der B- und C-Waffenkonvention und jetzt bei der angekündigten Aufgabe des ABM-Vertrags erleben, bringt diese wichtigen Rüstungskontrollvereinbarungen der 70er und 80er Jahre an den Rand des Scheiterns. Die bisherige Ablehnung der Ratifizierung des Atomteststopp-Vertrags verstärkt diesen Eindruck. Selbst ein Einsatz von Atomwaffen im Afghanistankrieg wird bzw. wurde von führenden Personen der Bush-Administration nicht ausgeschlossen. - Ich befürworte daher einen vertraglichen Abschluss der Abrüstungsinitiative.
  • Die NATO-Politik der nuklearen Abschreckung bleibt unverändert erhalten.
  • Die USA ziehen eine Weiterentwicklung ihres Nukleararsenals in Betracht. Von einem Bau von Mini-Nukes sind wir nicht mehr weit entfernt. Diese "kleinen" Atomwaffen mit einer Sprengkraft von bis zu 10 kt (Hiroshima: ca. 15) sollen unterirdische Bunkeranlagen verfeindeter Staatschefs treffen können. Mit dem Argument, diese Atomwaffen würden keinen Schaden für die Umwelt nach sich ziehen, senken sie die Schwelle zu einem Einsatz dieser Waffen.
  • Auch im Afghanistankrieg wurde wieder Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt, wie zuvor schon u.a. im Irak und im Kosovo. Noch ist nicht zu erahnen, welche Gefahren davon wirklich ausgehen. Manche Experten sprechen aber bereits heute von einer atomaren Kriegsführung.
  • Das Scheitern des Nichtverbreitungsregimes zeigt sich mit der zunehmenden Verbreitung von atomwaffenfähigem Material. "Schmutzige" Atombomben in Händen von Terroristen (z.B. Bin Laden) sind durchaus denkbar. Dies zeigt sich auch an den "neuen", durch westliche und russische Technologie aufgebauten Atommächte Pakistan und Indien. Der fünfzigjährige Konflikt um Kashmir und die daraus immer wieder erwachsenden Spannungen zwischen beiden Staaten lassen befürchten, dass es über kurz oder lang zu einem Schlagabtausch mit Atomwaffen führen kann. Mit verheerenden Folgen für die ganze Region Südasiens. Trident Ploughshares bekommen alternativen Friedensnobelpreis

    Zum Schluss möchte ich uns alle ermutigen. Denn in gut einer Woche wird der britischen Friedensorganisation "Trident Ploughshares 2000" der alternative Friedensnobelpreis in Stockholm verliehen. Sie nennt sich nach dem biblischen Zitat, wonach Schwerter in Pflugscharen umzurüsten sind. Und so laufen auch viele ihrer Aktionen ab. Auf spektakuläre Weise rüsteten sie bereits mehrfach in den vergangenen 3 Jahren Teile des britischen Systems der nuklearen Abschreckung, die Trident-U-Boote, ihre Basen und Laborschiffe ab. Die Verleihung dieses Preises zeigt, dass es sich lohnt, sich auch mit außergewöhnlichen Maßnahmen für eine Ende des Atomwaffenzeitalters. Es ist ein wichtiges Signal, die Hände nicht in den Schoß zu legen um darauf zu warten, bis die Regierungen ihre zugesicherten Abrüstungsmaßnahmen umsetzen.

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