Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gerechter Friede und Gewaltfreiheit -

Das Ringen um ein neues Paradigma christlicher Friedensarbeit

Von Reinhard J. Voß*

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde über die Milieugrenzen innerhalb der Friedensbewegung hinweg! Ich rede hier als ein Vertreter des christlich-kirchlichen, des ökumenischen "Milieus".

1. Aktueller Einstieg: Widerstand ist Bürger- und Christenpflicht

Ich beginne mit einem aktuellen friedenspolitischen "Bekenntnis".
In wenigen Tagen wird an der US-Air Base in Frankfurt wieder demonstriert. Ich habe folgende Botschaft hingeschickt, weil ich aus Termingründen die Einladung zu einer Rede ablehnen musste:
Ich hätte bis 1998 nicht gedacht, dass eine sozialdemokratisch geführte Regierung, sekundiert von Vertretern der ehemaligen Bürgerbewegungen in Ost- und Westdeutschland in Gestalt der Grünen-Partei, jemals einen möglichen - in Deutschland von der Verfassung verbotenen - Angriffskrieg der USA und ausgewählter Verbündeter unterstützen würde.
Natürlich gebührt der Regierung Schröder/Fischer ein Lob und alle unsere Unterstützung für die angekündigte Nicht-Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak, der - das zeigen immer mehr Insider-Äußerungen - nur der Anfang einer in Afghanistan begonnenen US-dominierten Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten ("Greater Middle East") sein wird.
Aber die nun gemachten Zusagen für Überflugrechte und Schutz militärischer Einrichtungen kriegführender Parteien in Deutschland (Schutz vor wem? vor uns Demonstranten?) und das Verbleiben der deutschen Spürpanzer im Irak auch im Kriegsfall - diese Zusagen sind unabhängig davon gemacht worden, ob die Bush-Regierung aufgrund eines Vorwandes ohne weitere UNO-Resolution einen Krieg beginnt oder ob die UNO sich damit neu befassen wird und muss.
  • Damit ist Widerstand Bürgerpflicht und Ausdruck von Verfassungstreue.
  • Verfassungs-Patrioten, Pazifisten und VertreterInnen des "Gerechten Friedens" können und müssen gemeinsam demonstrieren gegen den wieder belebten Ungeist des Militarismus und der Kriegstreiberei, gegen den neuen politischen Missionarismus der "Guten gegen die Bösen" und für ein ziviles, weltweite Gerechtigkeit förderndes Europa!!
  • Wir dürfen nicht in die von Terroristen und ihren Netzwerken gestellte Falle von Bürgerrechtsabbau, Aufrüstung und hegemonialer Machtpolitik laufen!

2. Das Paradigma des Gerechten Friedens löst das des Gerechten Krieges ab

Ich möchte Ihnen und Euch ein wenig mehr Einblick geben in die internen Kirchendiskussionen und Milieuveränderungen, die ich wahrnehme, wenn es um Krieg und Frieden geht. Entscheidendes Datum eines Perspektiven- und vielleicht sogar Paradigmenwechsels war die Veröffentlichung der Schrift "Gerechter Friede" durch die katholische Deutsche Bischofskonferenz im September 2000 - ein Dokument, das zwar in einigen kurzen Kapiteln noch an der Notwendigkeit militärischer Gewaltanwendung als "ultima ratio" festhält, diese aber auch dann als "Übel" bezeichnet. Im gesamten Duktus und Inhalt ist das Dokument aber einer neuen Sicht christlicher Gewaltfreiheit verpflichtet!

Wenn es denn ein Paradigmen- und nicht nur ein Perspektiven-Wechsel ist, so gilt fortan: es geht nicht mehr darum, Krieg als politisches Mittel zur Durchsetzung von Moral und Friedensethik zu rechtfertigen, sondern den Weg zu bahnen für den Aufbau von Gerechtigkeit und Entwicklung als Basis für dauerhaften Frieden. Vergleicht man allerdings die beiden Konzepte, so gehen beide von Kriterien aus, die Gewaltanwendung aus humanitären Gründen weiterhin erlauben. Es geht dabei auch noch um die überkommenen Prinzipien des Gerechten Krieges von Augustinus, Jahrhunderte später sozusagen kodifiziert von Thomas v. Aquin und heute noch einleuchtend klingend, nämlich: Erhaltung des Gemeinwohls, Selbstverteidigung, rechtmäßige Autorität, gerechter Grund, die rechte Absicht, Gutes zu befördern und Übles zu verhüten - und dies alles nur als "ultima ratio". Gerade diese letzte Formel hat in den letzten 10 Jahren einen Siegeszug angetreten in der aktuellen Politik - nicht zuletzt gefördert durch die EKD-Friedensdenkschrift von 1993. Sie ist - so scheint mir - von einer jahrhundertealten Kriegsbegrenzungs-Formel zur neuen Begründung von modernen Kriegen (man sagt jetzt lieber "Humanitäre Interventionen") im Namen von Demokratie und Menschenrechten avanciert. Aber angesichts moderner Waffentechniken und Massenvernichtungsmittel einerseits, sowie geostrategischer, polit-ökonomischer Interessen der Staaten auf globaler Ebene andererseits reichen diese Kriterien in keiner Weise mehr aus. Ich sage sogar: sie lassen sich für keinerlei Krieg mehr heranziehen unter den Bedingungen von heute. Krieg als Mittel der Außenpolitik gehört ins Archiv der Geschichte und nicht auf die Planungstische der Politiker.

Die Crux ist nur, dass zu wenig an Alternativen gearbeitet wurde und wird. Genau dieser Wechsel sollte mit "Gerechter Friede" unterstützt werden. Das Dokument reflektiert seinerseits schon die Erfahrungen der gewaltfreien Revolution in der DDR - in Friedensgebeten seit 1981 mit vorbereitet und von ihnen ausgegangen - und es dokumentiert den Aufbau von neuen Strukturen Ziviler Konfliktbearbeitung und Zivilen Friedensdienstes in Deutschland in den 90er Jahren.
Der Ansatz "Gerechter Friede" ist durchwirkt vom Prinzip der Gewaltfreiheit und weist dieses in der jüdisch-christlichen Geschichte sowohl theologisch wie auch historisch als roten Faden nach, der im Kreuzestod Jesu und seinem schwer errungenem ultimativen Gewaltverzicht kulminiert und zur Nachfolge aufruft.

Natürlich gibt es in den Kirchen weiterhin die "Gerechte-Kriegs"-Fraktion. Gerade auch in den Leserbriefen von Kirchenzeitungen springt sie einen an, ich zitiere Reaktionen aus der Berliner "Kirchenzeitung" (Nr. 46. 17.11.02), die auch in den Bistümern Hamburg, Osnabrück und Hildesheim erscheint, auf einen kriegskritischen Leserbrief (Nr. 44, 3.11. 02):
  • "Ich kann nur sagen: frommes Wunschdenken in Sachen Politik. Solch ein Denken sehe ich als Abklatsch willkommener Modewelle, eines heillos irrigen Demokratie-verständnisses oder als Reste einer Appeasement-Einstellung: nur keinen Einsatz wagen, Hauptsache meine Sicherheit." (Gerhard Zwerschke)
  • "Bedeutet die Lösung des Leserbriefautors "Nie wieder Krieg, nie wieder Zerstörung, nie wieder solche Geldverschwendung", dass der eigene Wohlstand wichtiger ist, als die notfalls auch kriegerische Abwehr von Gewalt?" (Dann kommen die üblichen Verweise auf Ex-Jugoslawien, Ruanda, Sudan, und die Anti-Hitler-Kriegskoalition.) (Paul Karn)
  • "Von Bundeskanzler Schröder, der den Amtseid auf Gott zum zweitenmal abgelehnt hat und offensichtlich den Segen Gottes nicht braucht, wird die jahrzehntelange deutsch-amerikanische Freundschaft mit Füßen getreten. Amerika hat uns vom Nationalsozialismus befreit, 50 Jahre unsere Sicherheit garantiert und war stets Fürsprecher deutscher Interessen in der Welt." (Kurt Bottenhorn)
Diese Mentalität hat in Kirchenkreisen wohl noch eine knappe Mehrheit, aber sie bröckelt! Als ich vor einem Jahr hier redete, begann ich mit einem äußerst US-kritischen Leitartikel aus der Eichstätter Kirchenzeitung, kurz nach Beginn des Afghanistankrieges. Und ich muss sagen, diese kritische Fraktion hat in dem Masse an Boden gewonnen, wie sich die offen kriegstreiberische Politik der Bush-Administration enthüllt hat. Es gab bis in die Kreise der Gerechten-Kriegs-Befürworter - darauf komme ich gleich zurück - einen breiten Aufstand, gerade auch in den Kirchen, gegen alle Präventiv-Optionen der US-Amerikanischen Regierung und damit explizit auch gegen die neue Sicherheitsphilosophie durch Präventivkriege, nämlich die neue "Bush-Doktrin" der "Nationalen Sicherheits-Strategie". ("The National Security Strategy of the United States of America, Washington, D.C., Sept. 2002)

Die katholischen Bischöfe in den USA haben in ihrer Mehrheit Bush im Afghanistankrieg noch mit dem Argument der Selbstverteidigung und der gerechten Sache unterstützt - zwei klassische Kriterien des Gerechten Krieges. Am 13.11.2002 beschloss die Katholische Bischofskonferenz in den USA mit 228 gegen 14 Stimmen bei 3 Enthaltungen einen Resolution gegen die Irakpolitik von Präsident Bush. Es sei "schwierig, einen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen", denn er könne "unvorhersehbare Konsequenzen für den Frieden und die 2Stabilität im Nahen Osten" haben. Und - deshalb zitiere ich dies - man nahm Bezug auf die Doktrin vom gerechten Krieg: man sei "tief besorgt" und warne davor, die traditionellen Grenzen dieser eigentlich kriegs-begrenzenden Doktrin "drastisch zu erweitern und den präventiven Einsatz militärischer Mittel zuzulassen, um bedrohliche Regime zu stürzen". Es folgte dann noch ein Verweis auf die alleinige Legitimität des UN-Sicherheitsrates. (KNA vom 15.11.02)

Die US-Bischöfe sagten schon 1993 - noch im Paradigma des Gerechten Krieges: "Angesichts der Vernachlässigung friedensfördernder Tugenden und der Zerstörungskraft heutiger Waffen bleiben ernsthafte Fragen, ob moderner Krieg in all seiner Grausamkeit dem harten Test der Gerechten-Kriegs-Tradition standhält." (The Harvest of Justice Is Sown in Peace, US-Kath.Bischofskonferenz, Nov. 1993). Gleichwohl rechtfertigten sie den Afghanistankrieg noch. Aber auch die letzten Befürworter einer ultima ratio bei Pax Christi USA haben unter dem Eindruck des Afghanistan-Bombardements ihre Haltung geändert. Vorstandsmitglied Tom Cordaro, der sich nicht als Radikalpazifist versteht, schrieb seinen "dear just war-brothers and sisters": die Kriege in Jugoslawien und in Afghanistan zeigten, dass aus Angst vor dem Verlust der Zustimmung in den Demokratien bei den Bombardements aus großer Höhe eher der Verlust "gegnerischer" Zivilisten als der Tod eigener Soldaten in Kauf genommen wurde. Das sei niemals mehr vereinbar mit einem "Gerechten Krieg"!

Ich möchte dem noch eine aktuelle kritische Stellungnahme aus der katholischen Perspektive einer "Kriegsächtungsethik" anfügen, die - fußend auf den Kriterien des "gerechten Krieges" - im Oktober 2002 Gerhard Beestermöller vom Institut für Theologie und Frieden in Barsbüttel b. Hamburg vorgelegt hat. Mit seinem Buch fragt er: "Krieg gegen den Irak - Rückkehr in die Anarchie der Staatenwelt? Ein kritischer Kommentar aus der Perspektive einer Kriegs-ächtungsethik" (Stuttgart, Kohlhammer, Oktober 2002; Beiträge zur Friedensethik, Bd. 35) Dieses Institut ist eine wissenschaftliche Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft, die durch das Katholische Militärbischofsamt wahrgenommen wird und Orientierung für Militärseelsorge und Soldaten geben soll. Sein stellvertretender Direktor Beestermöller analysiert darin aus der Perspektive des Gerechten Friedens, die gegenwärtigen "drei politischen Optionen" im Irakkonflikt, nämlich
  • Regimesturz durch Krieg
  • Gestufte Eskalationsdynamik, die letztlich Krieg durch dessen Androhung verhindern will
  • Politik des Containment, die ganz oder weitgehend auf militärische Gewalt verzichtet.
Zu den beiden ersten Positionen kommt er danach zu dem Schluss, "das ethische Unbedenklichkeitszertifikat entschieden zu verweigern (S. 82), indem er die klassischen Kriterien des "Gerechten Kriegs" anwendet, denn (ich fasse verkürzend zusammen):
  • Die legitime Autorität ist nach der US-Ankündigung, auch ohne UN-Mandat zu handeln, nicht mehr klar.
  • Der gerechte Grund ist nicht einsichtig, da der Irak nicht ein singulärer Fall ist, sondern aus machtpolitischen Gründen ausgewählt erscheint.
  • Die ultima-ratio-Forderung ist nicht aktuell, da es andere Druck- und Politikmittel gibt. Ali>Die Erfolgswahrscheinlichkeit muss bezweifelt werden; die Folgen sind nicht übersehbar.
  • Die minus-malum-Forderung, also die Gesamtbilanz, fällt gegen die Option Krieg aus.
Die Politik des Containment, also die dritte Option, sei also das "geringere Übel", wenn auch ihrerseits ethisch solange fragwürdig, wie sie das Leiden der Bevölkerung des Irak nicht verringern oder beenden hilft und wie keine neue Weltrechtsordnung etabliert und von allen Staaten akzeptiert wird - gerade auch von den starken und dem stärksten der Staaten. Ich zitiere Gerhard Beestermöller abschließend (S. 102):
"Alle diese Überlegungen wecken doch erheblichen Zweifel an der Legitimität eines möglichen Krieges gegen Saddam. Aus ethischer Perspektive wäre es eine schlimme Vorstellung, dass es den USA und ihren Verbündeten nur darum ginge, ihre Welthegemonie gegenüber Hussein zu behaupten, der gegen diese Dominanz aus Motiven aufbegehrt, die mindestens ebenso wenig tolerabel sind. Diese Vorstellung wäre nicht erträglicher, wenn die klassischen Kriterien eines gerechten Krieges erfüllt wären: dass dieser Krieg mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats geführt würde, gegen einen Staat, der offensichtlich das Recht bedroht, nachdem sich alle anderen Mittel als untauglich erwiesen haben, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, erfolgreich zu sein, die Gesamtbilanz der Kosten und Nutzen positiv ausfällt, und die klassischen Kriterien des ius in bello-Diskriminations- und Proportionalitätsprinzip befolgt würden. Auch ein derartiger Krieg wäre Unrecht, weil er nur dazu dienen würde, eine illegitime Weltordnung durchzusetzen."

3. Biblische Herausforderungen - mitgeteilt von Bush´s methodistischer Bischöfin

In der Kirche, der US-Präsident George W. Bush angehört, wird noch grundsätzlicher diskutiert. Dort geht es nicht um die Lehre vom Gerechten Krieg - in sich schon ein Kompromiss-Produkt von Ethik und Staatsdoktrin - , sondern um die eigentlich biblischen Herausforderungen zur Überwindung von Gewalt.

Es gibt einen Brief der Präsidentin des Bischofsrates der "United Methodist Church", Sharon A. Brown Christopher, vom 4. 10. 2002, an alle Kirchenmitglieder und damit auch an George W.Bush, den diese aber nicht direkt an Präsident Bush, Mitglied ihrer Kirche, übergeben durfte. Er reflektiert so viele unserer Bedenken als Pazifisten und Christen, dass ich ausführlich zitiere (entnommen und übersetzt von der website der Kirche).
"Liebe evangelisch-methodistische Schwestern und Brüder im Glauben,
ich schreibe Euch als Präsidentin des Bischofsrates in großer drängender Sorge angesichts der gefährlichen Lage, in der sich unsere Welt gegenwärtig befindet. Ich tue das, weil
  1. das Evangelium des Friedens zu Gehör gebracht werden muss;
  2. die sozialen Grundsätze unserer Kirche uns entsprechende Wegweisung geben;
  3. unsere Generalkonferenz vom Bischofsrat erwartet, dass er "zur Kirche und als Kirche zur Welt spricht".
Es ist völlig klar, dass das Evangelium Christi ein Evangelium des Friedens ist. Jesus verwirft die gewaltsame Reaktion auf das Böse." Wer das Schwert nimmt, der wird durch´s Schwert umkommen."

Wenn Jesus zu uns redet und von einer neuen Lebensweise spricht, dann verkündigt er, dass Friedensstifter gesegnet werden und dass sie "Gottes Kinder heißen" werden. Er setzt den Maßstab sogar noch höher an, wenn er uns nachdrücklich auffordert, unsere Feinde zu lieben und "für die zu bitten, die euch verfolgen". Paulus sagt uns, dass wir nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern "Böses mit Gutem überwinden" sollen.

Unsere Generalkonferenz nimmt dazu auf der Grundlage dieser Lehren so Stellung: "Einige Staaten besitzen mehr militärische und wirtschaftliche Macht als andere. Die Machthaber sind dafür verantwortlich, dass ihr Reichtum und ihr Einfluss mit Zurückhaltung eingesetzt werden. ... Wir glauben, dass Krieg mit der Lehre und dem Beispiel Christi unvereinbar ist. Wir verwerfen deshalb den Krieg als Instrument der Politik. Wir bestehen darauf, dass es die wichtigste moralische Pflicht aller Staaten ist, alle zwischen ihnen aufkommenden Konflikte mit friedlichen Mitteln zu regeln."

Der Brief geht dann auf den irakischen Diktator Saddam Hussein und seine grausame Herrschaft sowie dessen Missachtung zahlreicher Resolutionen der Vereinten Nationen ein, betont aber :
"Ein Präventivkrieg gegen einen Staat wie den Irak widerspricht aber in jeder Hinsicht dem, was wir als Wesen des Evangeliums verstehen, den Lehren unserer Kirche und unserem Gewissen. Ein präventiver Angriff gibt vielmehr jede Zurückhaltung auf und verhindert die angemessene Anwendung friedlicher Mittel zur Konfliktlösung. Angesichts dieser Sachlage ist es für Menschen in der Nachfolge Christi nicht möglich zu schweigen."
Wenn Saddams Politik auch "tiefes Erschrecken" auslöse, so sei die methodistische Kirche "jedoch schon immer (aus historischen Gründen) eine Kirche gewesen, die nach Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung trachtet."

Dann allerdings kommt noch die "Ultima ratio" in einem Satz vor, aber sehr einschränkend:
"Auch wenn wir anerkennen, dass die Anwendung militärischer Mittel unter außergewöhnlichen Umständen zur Selbstverteidigung nötig werden kann, steht unser Gehorsam gegenüber dem, was nach unserem Verständnis das Wesen des Evangeliums von uns fordert, an erster Stelle: Gnade, Barmherzigkeit, Friede, Gerechtigkeit und Liebe."

Der Brief schließt mit den Worten:
"Deshalb rufe ich uns alle zum Gebet auf. Betet für die führenden Politiker der Nationen, von denen viele sich als Christen verstehen: dass sie sich bei allen entscheidenden Beschlüssen wirklich vom Geist Christi leiten lassen. Schreibt ihnen, ruft sie an, teilt ihnen Eure tiefe Sorge mit. In besonderer Weise nehmt die Methodisten, Präsident Bush und Vizepräsident Cheney, in Eure Gebete auf, dass sie aufrichtig den Willen Gottes suchen, wenn sie ihre außerordentlich bedeutsamen Entscheidungen über Leben und Tod, Krieg und Frieden treffen.
In: Christus - Sharon A Brown Christopher"

(Kopien an Präsident George W. Bush und Vizepräsident Richard Cheney)

4. Zum Dilemma zwischen einer vorrangigen Option für Gewaltfreiheit und einer solchen für die Opfer von Gewalt: für den "Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen in Situationen bewaffneter Gewalt"

In allem Nachdenken und Ringen in den Kirchen um eine angemessene aktuelle Friedensethik gibt es einen Grundkonflikt zweier Optionen, nämlich dem Dilemma zwischen einer vorrangigen Option für Gewaltfreiheit und einer solchen für die Opfer von Gewalt.

Die zugespitzteste Form dieser aktuellen Spannung zwischen staatlicher Politik und menschenrechtlicher Diskussion ist die Frage, ob "Krieg für Menschenrechte" geführt werden darf - oder pragmatischer mit den Worten des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) ausgedrückt: welche staatlichen Zwangs-Mittel sollen angewendet werden "zum Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen in Situationen bewaffneter Gewalt". So heißt das Kompromisspapier, das der ÖRK bei seiner Zentralausschuss-Sitzung im Februar 2001 in Potsdam zur Diskussion freigab, weil er es nicht zu entscheiden vermochte. Es war zugleich die Eröffnung der Dekade zur Überwindung von Gewalt - parallel zur gleichgerichteten UN-Dekade für eine "Kultur des Friedens".

Die allzu schnelle einfache Antwort jedenfalls, die Außenminister Joschka Fischer im Jugoslawienkrieg 1999 mit dem Hinweis "Nie wieder Auschwitz" gab, ist irreführend und gefährlich. Horst Eberhard Richter empörte sich unter Berufung auf seinen befreundeten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Gießen, Prof. Jakob Altaras: "Nun dieses Versagen (der 68er Politiker-Generation), verschleiert durch mehr oder weniger glänzende Rhetorik, die begründen will, warum das Zerstörungswerk der Hitler-Generation in Serbien ausgerechnet von ihren Nachfahren, noch dazu unter Verweis auf Auschwitz, fortgesetzt werden soll. Aber da melden sich nun alte Holocaust-Überlebende mit einer ganzseitigen Anzeige in der FR zu Wort. Sie protestieren energisch gegen "die neue Auschwitzlüge". Recht haben sie." (Richter, Wanderer zwischen den Fronten, 2000, S. 332)

Der Generalsekretär des ÖRK, Konrad Raiser, hat im "Jahrbuch Menschenrechte 2002" (suhrkamp) Stellung bezogen zur Frage "Gewalt überwinden durch Verteidigung der Menschenrechte?" Darin stellt er sich auch der Frage nach dem Einsatz militärischer Gewalt als "letztem Mittel" und meint, trotz eines gewissen Verständnisses für antikoloniale Bewegungen, die in den 60er und 70er Jahren auch vor dieser Frage standen, habe die ökumenische Bewegung stets "eine ausdrückliche Legitimierung und Rechtfertigung von Gegengewalt als ´letztem Mittel´ bewusst vermieden". Nun sei nach Ausrufung der Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt für 2001 - 2010 und den unglaublich perfiden Terror-Anschlägen des 11.September 2001 die Frage in neuer Form aktuell. Aber sie war auch schon gestellt in den Konflikten in Somalia, Bosnien, Ruanda und Kosovo. Die UNO steht vor einem Dilemma: ihre Charta erlaubt kein Eingreifen in die Souveränität eines Staates zum Schutz der Bevölkerung, deren eigene Regierung sie nicht mehr schützt; die Charta verpflichtet sie aber gleichzeitig zur allgemeinen Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte bei allen Mitgliedern. Sie hat in Artikel VI und VII unterschiedliche Wege internationalen Eingreifens vorgeschlagen, die mit einem Mandat des Sicherheitsrates ein Eingreifen unter bestimmten Bedingungen und im Rahmen eines festgelegten Mandates erlauben - schlichtend, kontrollierend, robust eingreifend, usw.

Aber auch in der kirchlichen und ökumenischen Diskussion ist das Dilemma bislang nicht eindeutig gelöst worden. Ich zitiere Raiser (ebd. S. 140f.): "Für die einen, in der pazifistischen Tradition, hat das Gebot des Gewaltverzichts unbedingte Gültigkeit. Für die anderen steht der Schutz bedrohten menschlichen Lebens im Vordergrund und berechtigt im extremen Fall auch zum Einsatz von Waffengewalt. (... Dieser) bleibt gefangen im moralischen Dilemma, das der Logik der Gewalt inhärent ist."

Das rechtliche und moralische Dilemma wird insbesondere weiter diskutiert werden in Bezug auf die Unterscheidung militärischer oder "weltpolizeilicher" Maßnahmen (Präsident Spital, Pax Christi); in Bezug auf die Unterscheidung von Menschenrechtsverletzungen allgemeiner, auch schwerwiegender Art und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"; in Bezug auf die Unterscheidung zwischen ( auch militärischen?) Maßnahmen zum Schutz von bedrohten Menschen/ Bevölkerungen und militärischen Aktionen im Kriegsfall. Wie schwer gerade dies zu unterscheiden ist und wie schnell und propagandistisch erfolgreich es vermischt wird, hat der Afghanistankrieg - nicht nur mit Brot und Bomben - gezeigt. Das erklärte Kriegsziel war nicht der Regierungssturz; er wurde geführt zur Ergreifung Bin Ladens und seiner Helfershelfer; faktisch vertrieb er unter hohen Verlusten in der Zivilbevölkerung - die Talibanregierung und errichtete - dann mithilfe der UNO - eine neue Regierung, deren Schicksal und Machteinfluss weiterhin durchaus ungewiss ist.

Ich selbst bin skeptisch und warne öffentlich vor einer Ausdehnung der Menschenrechtsbegründungen für neue Kriege, denn ich sehe, wie viele andere Rechte dabei verletzt, welche "Dämonen" dabei freigesetzt und welche versteckten Macht- und Wirtschaftsinteressen dabei verfolgt werden. Ich plädiere für eine Reform und Ausweitung der Kompetenz der UNO, für die breite Unterzeichung der vielen UN-Abkommen des letzten Jahrzehnts, besonders den Ausbau des Internationalen Strafgerichtshofes, der parallel zur Kriegsverbrecherverfolgung in Den Haag auch zivile Terrorakte im Weltmaßstab ahnden kann. Ich plädiere für eine Diskussion über die Schaffung von internationalen Polizeistrukturen und eine Weiterentwicklung des Blauhelmkonzeptes.

5. Eine Konsequenz des neue Paradigmas vom gerechten Frieden heißt: Aufgabe jeder religiösen Rechtfertigung kriegerischer Gewalt in der "Dekade zur Überwindung von Gewalt"

Wenn auch die Dekade zur Überwindung von Gewalt organisatorisch eher eine protestantische Sache bleibt, so ist doch deutlich, dass auch die katholische Kirche jeglicher Rechtfertigung von Gewalt mit religiösen Begründungen abschwört:
Ich zitiere aus dem Wort der deutschen Bischöfe "Gerechter Friede" (Sept. 2000 - Passus 192):
"‚Schließlich sind die Religionen seit je her zutiefst mit dem Phänomen menschlicher Gewaltanwendung verbunden: Gewalt und Krieg wurden religiös gedeutet, allzu häufig religiös legitimiert oder gar gefordert. Doch ebenso findet die grundlegende Kritik an der Gewalt und die Klage über ihre leidvollen Konsequenzen für die Opfer ihren beredtesten Ausdruck in religiös-ethnischen Zusammenhängen. Gerade das Alte Testament bezeugt eindringlich die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Religion und Gewalt. Bis heute hält sich bei vielen Menschen die feste Überzeugung oder zumindest der Verdacht, vor allem die monotheistischen Religionen - unter ihnen besonders das Christentum und der Islam - seien ihrem Wesen nach intolerant und friedensunfähig. Dies muss als Anfrage theologisch ernstgenommen und praktisch beantwortet werden.' Ergänzend hierzu halten wir den thematisch-inhaltlichen Zusammenhang mit den modernen Sozialwissenschaften, die im Konfliktforschungsbereich arbeiten, für dringend geboten."

pax christi Deutschland hat unter Berufung auf diesen Text die Bischofskonferenz im Sommer 2002 aufgefordert, ein wissenschaftliches Programm aufzulegen, das der "Erforschung von Fanatismus und Gewalt in den Religionen und ihren institutionellen Strukturen" dient.

6. Ökumenische Basisgruppen fordern einen "Nachhaltigen Frieden", d.h. Zivile Konfliktbearbeitung, Kultur des Friedens und Stärkung des Völkerrechts.

Um die mit Recht immer wieder gestellte Frage nach den Alternativen wenigstens exemlarisch anzureißen, schließe ich mit einigen konkreten Vorschlägen zu diesen drei Kernbereichen, die aus dem Netzwerk ökumenischer Basisgruppen und Initiativen kommen.

Die "zivile Konfliktbearbeitung" ist in Deutschland seit 1998 deutlich vorangekommen, steht aber jetzt in der Gefahr, im Zeichen der Wiedereinführung von Krieg als Mittel der Außenpolitik politisch diskreditiert und vereinnahmt zu werden. Die Regierung hat einiges angestoßen. Die Einsetzung eines Menschenrechtsausschusses und -beauftragten, die Förderung des Zivilen Friedensdienstes - politisch eingehegt allerdings -in der Entwicklungshilfe, die Fach-Kurse des AA für zivile Begleiter von UNO- und OSZE-Missionen, die neuen Abteilungen wie "frient" (FriedensEntwicklung) im BMZ und "zif" (Zentrum für internationale Friedenseinsätze) im AA, das bis zu 3000 zivile Fachkräfte für internationale Missionen (UN, OSZE, EU) zur Friedenssicherung bereit stellen soll sowie auch die Zusage von Material und Fachpersonal für UN-Einsätze durch das "Verteidigungs"- Ministerium sind Ansätze, die als erste Erfolge gesellschaftlichen Basisdrucks zu sehen sind.
Es geht jetzt um den konsequenten Ausbau und die finanzielle Absicherung von zivilen Friedensfachdiensten, um den Ausbau von Frühwarnsystemen gerade auch mit Hilfe kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen, um Prävention und gewaltfreie Konfliktbewältigung in Krisengebieten, um breiten Ausbau entsprechender Qualifizierungs- und Einsatzmöglichkeiten - und dies möglichst nach dem Prinzip der Subsidiarität.

Dem Leitbild einer "Kultur des Friedens" hat die UNO neue Bedeutung geschenkt ("Manifest 2000"). Die Träger der politischen Bildungsarbeit und die Kirchen sind hervorragend dazu geeignet, die Idee eines übernational verstandenen Gemeinwohls zu fördern sowie Partnerschaften mit Gemeinden der eigenen und anderer Konfessionen und Religionen in Krisengebieten auf- und auszubauen, im Religions- und Ethikunterricht an den Schulen die Vermittlung friedensethischer Normen zu verstärken und die ethische Fragwürdigkeit von Waffenproduktion, -handel und -gebrauch verstärkt öffentlich bewusst zu machen (wie schon bei den Kampagnen gegen Landminen und Kleinwaffen). Auch sollten sie sich endlich beim Gesetzgeber für die Möglichkeit einsetzen, Steueranteile, die der Finanzierung militärischer Aufgaben dienen, aus Gewissensgründen für Friedensdienste und Entwicklungshilfe umzuwidmen. Dies fordern "Friedenssteuer-Initiativen" seit Jahren. Originär christlich-pazifistische Aufgaben sind hier die Intensivierung der Versöhnungs-, Begegnungs- und Verständigungs-Arbeit (pax christi versucht dies mit seinem Projekt "Erinnern für die Zukunft") und die Entwicklung einer Alltagspraxis des "versöhnten Lebens", in der Konfliktfähigkeit und Versöhnungsbereitschaft zusammen gehören.

Und schließlich gewinnt das Völkerrecht eine immer wichtigere Bedeutung für den Weltfrieden. Ein ermutigendes Zeichen ist der am 1.7.2002 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Ein "juristischer Pazifismus" sollte nicht aufgeben, gerade auch die USA als mächtigste Nation von ihrer zunehmenden Missachtung solcher Regelungen (Kyotoprotokoll, Biowaffenkonvention, Abrüstungsvereinbarungen, Internationaler Strafgererichtshof, etc.) zurück zu holen.

7. Zum Schluss noch zwei Thesen der Ermutigung:
  1. Wir halten fest an der Gewaltfreiheit als aktivem Gegenentwurf zu militärischen Strategien - konkrete Beispiele finden wir bei befreundeten Basis-Initiativen in Israel/Palästina und in der breiten NGO-Welt Kolumbiens, in der gewaltlosen Revolution der DDR 1989, im relativ friedlichen Regime-Übergang zur Überwindung der Apartheid in Süd-Afrika oder in der Jahrzehnte langen gewaltfreien Opposition des Dalai Lama in Tibet.
  2. Die Gemeinsame Aufgabe der verschiedenen Milieus der Friedensbewegung ist die politische und ethische De-Legitimierung des Krieges als Mittel der Politik - unter Hinweis auf dessen enorme Zerstörungskraft und Ressourcenverschwendung, die Verrohung der internationalen Sitten, die neuen Kriegsökonomien und die Privatisierung von Gewalt - sowie die Forderungen nach Durchsetzung von Menschenrechten, Gerechtigkeit und Konfliktbearbeitung mit konsequent zivilen Mitteln.


* Dr. Reinhard J. Voß ist Generalsekretär von pax christi Deutschland. Der Vortrag wurde im Eröfnungsplenum am Samstag, den 7. Dezember, gehalten.


Weitere Beiträge zum Friedensratschlag 2002

Zur Seite "Friedensbewegung und Kirchen"

Zurück zur Homepage