Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedensratschlag vor kleinem Jubiläum

10. Friedenspolitischer Ratschlag am 6./7. Dezember 2003 in Kassel - Worum es geht*

Von Peter Strutynski

Die Friedenspolitischen Ratschläge, die seit 1994 alljährlich am ersten Dezemberwochenende in Kassel stattfinden, waren immer schon etwas besonderes. Trafen sich dort jeweils mehrere Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Regionen Deutschlands sowie aus dem Ausland, um mit Friedenswissenschaftlern und anderen Experten aktuelle Fragen der internationalen Politik zu erörtern, außen- und sicherheitspolitische Strategien der führenden Industriestaaten kennen zu lernen und die Hintergründe und Ursachen inner- und zwischenstaatlicher Konflikte und bewaffneter Auseinandersetzungen zu analysieren. Darüber hinaus wurden die "Ratschläge" ausgiebig dazu genutzt, landesweite und internationale Kontakte herzustellen oder zu vertiefen und der Friedensbewegung Anregungen für ihre weitere Arbeit mit auf den Weg zu geben. Neun Mal hat das bisher eigentlich ganz gut geklappt.

Nun steht der zehnte "Ratschlag" ins Haus. Am 6. und 7. Dezember wird dieses kleine Jubiläum gewiss wieder mit der gewohnten Routine (ohne die geht es nicht) begangen. Ein wenig feiern sollten die Teilnehmer/innen aber auch. Denn wenn vor neun Jahren jemand gesagt hätte, dass sich die damals zum ersten Mal in der Kasseler Universität (sie hieß damals noch bescheidener "Gesamthochschule") treffende Konferenz zum dereinst wichtigsten "Weiterbildungs-" und Strategietreffen der Friedensbewegung entwickeln würde, wäre er sicher als hoffnungsloser Illusionist belächelt worden. Heute lächelt darüber niemand mehr. Im Gegenteil: Es gibt Kräfte, z.B. im Kölner Verfassungsschutzamt, denen das Lächeln spätestens seit der Ablösung der Kohl-Regierung 1998 vergangen ist. Seit dieser Zeit wird der "Bundesausschuss Friedensratschlag" von der rot-grünen Bundesregierung nicht nur observiert, sondern auch in den jährlichen Verfassungsschutzberichten als "linksextremistisch" beeinflusst mit einem eigenen Abschnitt gewürdigt. Im letzten Bericht heißt es durchaus zutreffend, wenn auch unvollständig: "Auf dem `9. Friedenspolitischen Ratschlag´ des `Bundesausschusses´ am 7./8. Dezember in Kassel kündigten die Veranstalter für den Fall einer militärischen Intervention im Irak vielfältige Aktionen an. In einem Aufruf wurde den USA unterstellt, sie beabsichtigten weder einen `Antiterror-Kampf´ noch die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen oder die Herstellung von Demokratie und Menschenrechten. Es gehe ihnen vielmehr um die Durchsetzung geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen in einer der energiereichsten (Öl-) Regionen der Welt."

Es mag andere politische Kräfte geben, denen der Friedensratschlag ein Dorn im Auge ist. In der "Friedensszene", d.h. innerhalb der doch sehr bunten und vielgestaltigen Friedensbewegung und Friedensforschung als den beiden tragenden Elementen der "Ratschläge", hat sich der Dezembertermin in Kassel indessen zu einem absoluten Muss entwickelt. Der Jubiläums-Ratschlag 2003 dürfte hierin keine Ausnahme machen. Es besteht großer Bedarf, sowohl über die weltpolitischen (manche sagen sogar: welthistorischen) Implikationen des Irakkrieges als auch über die Perspektiven der "Internationale des Friedens", jener "zweiten Supermacht" Friedensbewegung zu diskutieren und Schlussfolgerungen für deren weitere Arbeit zu ziehen. Wie können "Perspektiven einer friedlichen Welt" aussehen (so das Motto des 10. Ratschlags) angesichts des schier schrankenlos agierenden US-Imperiums? Welche Möglichkeiten bieten sich der Welt und der Weltfriedensbewegung, über den verzweifelt anmutenden, gleichwohl unabdingbaren Kampf gegen die militärische Globalisierung, gegen das Alltäglichwerden von Gewalt, Krieg und Intervention hinaus zu gehen und die Vision einer friedlicheren Welt zu propagieren, positive Politikansätze zu entwerfen, wie dieser Wahnsinn zu stoppen ist?

Der 10. Friedensratschlag wird sich diesen Fragen auf eine dreifache Weise stellen. Erstens wird es darum gehen, sozusagen im Anschluss an den von der globalisierungskritischen Bewegung angezettelten Diskurs zu bestimmen, wie "Globale Gerechtigkeit statt neoimperialer Vorherrschaft" aussehen und funktionieren könnte (Themenkreis 1). Dass hier die "Erste" und die "Dritte Welt" sich als Antipoden gegenüberstellen, ist die wichtigste, aber nicht die einzige Facette des Themas. Der Kampf um die "neoimperiale Vorherrschaft" wird auch innerhalb der "Ersten Welt" geführt und manche europäische Spitze gegen die USA entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Rangeln um die Pole Position im globalen Konkurrenzkampf um Profitraten, Ressourcen und geostrategische Vorteile.


Vorankündigung:

10. Friedenspolitischer Ratschlag am 6./7. Dezember 2003 in Kassel

Perspektiven einer friedlichen Welt

Globale Gerechtigkeit statt neoimperialer Vorherrschaft
Zivile Prävention statt Präventivkriege
Abrüstung statt Sozialabbau



Themenkreis 2 ("Zivile Prävention statt Präventivkriege") konkretisiert insbesondere die europäische Diskussion um grundlegende Alternativen zu einem ausschließlich auf militärische Schlagkraft gegründete Weltaußenpolitik, wie sie in der Nationalen Sicherheitsdoktrin des US-Präsidenten vom 20. September 2002 unverblümt festgeschrieben wurde. Diese Alternativen sind auf zwei Ebenen zu suchen: Einmal geht es auf der "Makroebene" darum, die fortschreitende Militarisierung der EU zu stoppen (Solanas Entwurf zu einer europäischen Militärdoktrin atmet geradezu den Geist des Weißen Hauses) und Europa als "Zivilmacht" einzurichten; zum anderen sollen auf der "Mikroebene" Beispiele erfolgreicher ziviler Präventionsmaßnahmen und die politischen Voraussetzungen ihres Funktionierens dargestellt werden.

Im dritten Themenkreis ("Abrüstung statt Sozialabbau") wird der altbekannte, aber aus der öffentlichen Diskussion erfolgreich verdrängte Zusammenhang zwischen den zunehmenden Kosten der Hochrüstung und den abnehmenden finanziellen Ressourcen des Staates für die gesellschaftliche Reproduktion wieder hergestellt. Während sich die Regierungskoalition unter Assistenz von Opposition und Unternehmerverbänden daran macht, zum "größten sozialen Kahlschlag" in der Geschichte der Bundesrepublik auszuholen (so die Kritik der Wohlfahrts- und Sozialverbände an der "Agenda 2010") auszuholen, werden im Gegenzug dem Verteidigungsministerium wieder steigende Militärausgaben zugesagt - eine sozialpolitische Schieflage, unter der nicht mehr nur die Ärmsten der Armen (Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose), sondern auch die Masse des von abhängiger Arbeit lebende Teils der Gesellschaft zu leiden haben werden. Es wird zu prüfen sein, ob ein entsprechender Unterschriften-Appell, der gemeinsam vom Bundesausschuss Friedensratschlag und vom Gewerkschaftlichen Netzwerk gegen den Krieg auf den Weg gebracht wurde, den Nerv der Friedensbewegung zu treffen vermag.

Bleibt zu hoffen, dass das Stelldichein, das sich Friedensbewegung, Friedensforschung und Politik am 6. und 7. Dezember an der Kasseler Uni geben werden, wieder zu einem informationsreichen, anregenden, streitbaren und erlebnisreichen Treffen im Kriegs- und Friedensjahr 2003 wird. Die Veranstalter werden sich im Übrigen etwas einfallen lassen, um dem runden Geburtstag einen festlichen Ausdruck zu verleihen.


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 6, September 2003

Das FriedensJournal wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben und erscheint sechs Mal im Jahr. Redaktionsadresse (auch für Bestellungen und Abos):
Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V.
c/o Gewerkschaftshaus Frankfurt
Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77
60329 Frankfurt a.M.
(Tel.: 069/24249950); e-mail: Frieden-und-Zukunft@t-online.de )




Weitere Beiträge zum Friedensratschlag 2003

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage