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"Frieden durch Krieg?"

Bemerkungen zum bevorstehenden 11. Friedenspolitischen Ratschlag an der Uni Kassel

Von Peter Strutynski*

Die Herrschenden und Machthaber dieser Welt versuchen uns seit Jahren einzureden, dass Frieden und Gewaltlosigkeit solange eine Illusion bleiben müssen, als sie nicht durch Militär, Waffen und Krieg buchstäblich herbeigebombt werden. Die dabei entstehenden Kollateralschäden sind zwar bedauerlich, seien aber im Hinblick auf die Durchsetzung des hohen Ziels kaum zu vermeiden. Und außerdem: Warum müssen sich Terroristen und andere "Schurken" denn auch in von Zivilisten bewohnten Städten und Siedlungen aufhalten?!

Die Regierungspropaganda hat 1999 beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien noch leidlich funktioniert. Eine Mehrheit der Bevölkerung glaubte offenbar den "guten" Absichten der Schröders, Fischers und Scharpings, den verfolgten und bedrängten Kosovaren mittels einer "humanitären Intervention" beizustehen. Dass der Krieg die - im wesentlichen sozialen - Probleme im Kriegsgebiet bis zum heutigen Tag nicht lösen konnte, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Dass der Krieg stattdessen neue Verfolgungen und Vertreibungen mit sich brachte, die auch unter dem "Schirm" von KFOR nicht verhindert werden konnten, gehört zu den besonders beschämenden Resultaten einer militärgestützten "Menschenrechtspolitik".

Der im Gefolge des 11. September 2001 begonnene "Krieg gegen den Terror" machte zunächst in Afghanistan Station. Ein zweifelhaftes UN-Mandat (die Resolutionen 1368 und 1373) wurde benutzt, um einen massiven Bombenkrieg zu rechtfertigen, in dessen Verlauf Tausende von Zivilpersonen - darunter so manche Hochzeitsgesellschaft - ausgelöscht wurden. Mit Hilfe der Vereinten Nationen und unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung wurde bis heute erreicht, dass Afghanistan einen gewählten Präsidenten und ansonsten viele unabhängige Kriegsherrschaften und die höchste Opiumproduktion der Welt hat. Blühende Mohnlandschaften ersetzen einstweilen die Verheißungen auf ein Leben in Freiheit, Demokratie und sozialem Wohlstand.

Die nächste Etappe des US-geführten Antiterrorkriegs galt einem ebenso diktatorischen wie - aus westlicher Sicht - unbotmäßigen Regime im Nahen Osten: Der Irak wurde von einem Krieg heimgesucht, dessen offizielle Rechtfertigungsgründe so gründlich zerstoben wie die Aussicht auf ein baldiges Ende der Gewalt. Massenvernichtungswaffen? Fehlanzeige! Menschenrechte? Siehe Abu Ghraib! Demokratie? Unter Besatzungsvorbehalt! Und ganz nebenbei wurde die Rhetorik von der "humanitären Intervention" beiseite geschoben und durch das ungenierte Konzept des Präventivkriegs ersetzt.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten vom September 2002 wurde dieses Konzept erstmals ausformuliert, in Europa und bei den Vereinten Nationen wurde es heiß diskutiert - und in der EU-Verfassung sowie in der Europäischen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003 findet es plötzlich Nachahmung. Auch die EU soll danach im Kampf gegen den Terrorismus weltweit Militär in Bewegung setzen können - wobei, wie es im Verfassungstext so schön heißt - "die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet" stattfindet (Art. III-309,1). Der Aufbau einer Europäischen Armee, spezielle "Battle Groups" und die Errichtung einer Rüstungsagentur (offiziell: "Verteidigungsagentur") sollen die weltweite Verwendungsfähigkeit der EU-Militärkräfte herstellen.

Die gegenwärtige Welt- und Kriegspolitik lässt sich also beim besten Willen nicht auf die Formel bringen: hier die bösen USA resp. ihre Regierung, dort das zivilmächtige Europa. Vielmehr ziehen die Regierenden hüben und drüben an einem imperialistischen Strick, an dem zuallererst die Dritte Welt und in zweiter Linie die arbeitende und - vor allem - die nicht (mehr) arbeitende Bevölkerung der Ersten Welt baumeln. Wem dieses Bild zu weit geht oder zu abgeschmackt erscheint, nehmes doch bitte die Armutsberichte von Weltbank und UNDP (United Nations Development Program) zur Hand oder sehe sich die sozialpolitischen Ergebnisse der neoliberalen Offensive in den Kernländern des Kapitalismus an. Hartz IV ist nur die nach innen gerichtete Verlängerung einer auf globalen Ressourcenraub abzielenden Hegemonialpolitik. Dass sich längerfristig die daran beteiligten Hauptmächte untereinander auch noch in die Haare kriegen werden, ist deswegen kein Trost, weil uns dann erst recht die Brocken um die Ohren fliegen.

Zu einem Editorial gehört spätestens jetzt der Verweis darauf, dass das vorliegende Heft von all diesen Themen handelt. Noch mehr davon wird zu hören und zu diskutieren sein beim nächsten Friedenspolitischen Ratschlag, den die AG Friedensforschung an der Uni Kassel am 4. und 5. Dezember ausrichtet. Wie immer ist zu diesem Friedensratschlag - es ist bereits der 11. seiner Art - die Friedensbewegung in ihrer ganzen Vielfalt herzlich eingeladen. Die gemeinsame Reflexion dessen, was die Welt bewegt, was Kriege verursacht und den Frieden ermöglicht, ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass einer sich militarisierenden Außenpolitik tragfähige friedenspolitische Alternativen entgegengesetzt werden. Frieden kann eben nicht durch Krieg hergestellt werden, sondern muss im Frieden gedeihen.


* Dieser Beitrag erscheint in: FriedensJournal, Nr. 6/2004

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