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Neue Kriege in Sicht

Band 13 der "Kasseler Schriften zur Friedenspolitik" erschienen. Vorwort und Inhaltsverzeichnis

Neuerscheinung:
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Neue Kriege in Sicht. Menschenrechte • Konfliktherde • Interessen. Jenior-Verlag: Kassel 2006, Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 13, 316 Seiten, 15,- EUR; ISBN 3-934377-95-5

Vorwort

Der letzte „Friedenspolitische Ratschlag“, der Ende 2005 an der Universität Kassel stattfand, stand unter dem Motto: „Neue Kriege in Sicht?“ Das vorliegende Buch verwendet denselben Titel, verzichtet aber auf das Fragezeichen. Zu viele Gewaltkonflikte haben sich seither weiter zugespitzt, im Nahen Osten ist ein neuer Krieg entstanden – genauer: zwei Kriege, einer gegen die Palästinenser im Gazastreifen und der andere gegen den Libanon. Schließlich wird vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein weiterer Krieg regelrecht herbei geredet, wenn nicht gar, wie manche investigative Journalisten behaupten, geplant und vorbereitet: der Krieg gegen den Iran.

Fünf Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat sich ein gründlicher Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen vollzogen. Krieg ist wieder zu einem fast selbstverständlichen Mittel der Politik geworden. Krieg wird heute geführt gegen den internationalen Terrorismus, zur Vermeidung humanitärer Katastrophen, für die Ausbreitung von Demokratie und Menschenrechten, zur Bestrafung bzw. zum Auswechseln unbotmäßiger Regime – und was für Begründungen oder Vorwände sonst noch gefunden werden mögen. Die Sicherheitsdoktrinen der USA und der Europäischen Union haben den Präventivkrieg wieder aus der Mottenkiste des 20. Jahrhunderts hervor gekramt und, wenn man es recht besieht, auch die Vereinten Nationen zu einer verhängnisvollen Umdeutung des strikten Gewaltverbots der UN-Charta gedrängt. Die traditionellen Blauhelmeinsätze werden im UN-Sicherheitsrat mittlerweile nicht nur wie am Fließband produziert, sondern immer häufiger auch mit einem sog. „robusten Mandat“ ausgestattet. Neutrale UN-Truppen geraten so in Gefahr Kriegspartei zu werden: Haiti und Kongo sind Beispiele hierfür, der Libanon-Einsatz nach UN-Resolution 1701 (2006) und die Ausweitung des Mandats im Sudan (Übergang von der AUVerantwortung in UN-Verantwortung, Ausdehnung auf Darfur) durch Resolution 1706 (2006) könnten ebenfalls zu Kampfeinsätzen mutieren.

Auch in die deutsche Außenpolitik hat sich ein ebenso bequemer wie gefährlicher Mechanismus eingeschlichen: Immer wenn die Politik mit ihrem Latein am Ende ist, delegiert sie das Denken an das Militär. Da sollen plötzlich Soldaten, die zuallererst zum Kämpfen ausgebildet wurden, in Afghanistan Aufbauhilfe leisten, im Kongo Wahlbeobachtung betreiben oder in Moldawien Schmuggel und Korruption bekämpfen. Noch während der UN-Sicherheitsrat im August 2006 über einer Resolution zur Beendigung der Kämpfe im israelischen Krieg brütete, war sich die Große Koalition schon darin einig, die Bundeswehr in den Nahen Osten zu schicken – erst danach begann man in Berlin zu überlegen, was sie denn dort überhaupt tun solle.

Dahinter verbirgt sich ein Prinzip, das dem 19. und 20. Jahrhundert entstammt, als die Großmächte ihre wirtschaftlichen Interessen vornehmlich militärisch durchzusetzen versuchten – mit verheerenden Folgen für die gesamte Menschheit. Heute kann als gesichertes Wissen gelten, dass die globalen Probleme der Menschheit wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen oder ressourcialen Ursprungs sind. Also können sie – so wird im Friedenslager argumentiert – auch nur mit zivilen Mitteln gelöst werden.

Ausschließlich mit zivilen Mitteln kann auch der zunehmenden Erosion von Menschenrechten in aller Welt begegnet werden. Der vorliegende Band enthält neben den Referaten des „Friedensratschlags“ auch eine Reihe von Vorträgen, die im Rahmen der „Friedensvorlesungen“ an der Uni Kassel im Wintersemester 2005/06 gehalten wurden. Die Reihe stand unter dem Motto: „Recht des Stärkeren oder Stärke des Rechts?“ Die Universalität der Menschenrechte, d.h. ihre globale Gültigkeit, gehört zu den allgemein anerkannten Prinzipien des modernen Völkerrechts. Weithin unbestritten ist heute auch, dass deren Schutz nicht mehr ausschließlich zu den "inneren Angelegenheiten" der Staaten gehört, sondern zunehmend auch zu einer Aufgabe des internationalen Staatensystems geworden ist.

Höchst umstritten ist dagegen, wie weit dieser internationale Schutz reicht, welche Implikationen sich daraus für die Gestaltung der internationalen Beziehungen ergeben und welche Rolle dabei den Vereinten Nationen als „kollektivem Ausdruck des Weltgewissens“ zukommt. Jedenfalls hat sich in den westlichen Diskurs über die Menschenrechte eine eigentümliche Doppelbödigkeit gemischt: Während immer wieder gern auf die Menschenrechte als oberste Richtlinie politischen Handelns verwiesen wird, werden in der „Realpolitik“ eben diese Prinzipien ständig verletzt. Die Rüstungsexportpolitik oder die menschenverachtende Asylpolitik sind nur zwei Beispiele hierfür.

Wie immer darf an dieser Stelle der Dank an die Autoren nicht fehlen, die ihre Manuskripte für die Publikation aufbereitet haben. Der Dank geht außerdem an Mirjam Wolfstein-Lätsch von der AG Friedensforschung, für die technische Umsetzung der Texte in das gegebene Layout. Die verspätete Drucklegung sowie alle noch vorhandenen Fehler haben allein die Herausgeber zu verantworten. Als Entschuldigung mag der erheblich angewachsene Umfang des Bandes herhalten.

Wenn der Preis trotzdem stabil gehalten wird, so hat das mit dem gesellschaftspolitischen Anliegen der Herausgeber zu tun: Das Buch soll auch für Studierende und geringer Verdienende erschwinglich sein. Schließlich lohnt es, den diesem Buch zugrundeliegenden Gedanken zu verbreiten, dass nur eine rein zivile Außenpolitik eine gute Außenpolitik ist.

Kassel, den 11. September 2006
Ralph-M. Luedtke und Peter Strutynski

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort (siehe oben!)

Peter Strutynski:
Das Völkerrecht, die UNO und die neue deutsche Außenpolitik

Mohssen Massarrat:
Der Iran-Atomkonflikt

Andreas Zumach:
Um des Friedens Willen: Hände weg vom Öl!

Johannes M. Becker:
Frankreichs Vorstädte brennen wieder. Kommt die Bewegung nach Deutschland?

Wolfram Wette:
Mentalitätswandel in Deutschland – Vom Militarismus zur zivilen Gesellschaft

Erhard Crome:
Das Schicksal des US-Imperiums entscheidet sich in Ostasien

Werner Ruf:
Zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) aus friedenspolitischer Sicht

Ernst Woit:
Was wird aus der UNO?

Liljana Verner und Angelika Voß:
Die langen Schatten der „Neuen Kriege“: Das Beispiel Jugoslawien

Thomas Roithner:
Die EU im Konflikt zwischen Zivilmacht und Imperialmacht

Eckart Mehls:
Das schwierige Verhältnis Polen – Russland

Helmut Peters:
Der Aufstieg der VR China und der Weltfrieden

Kai Ehlers:
Der Fall Chodorkowski oder: Russlands Rolle im aktualisierten „Great Game“

Detlef Bimboes:
Ostseepipeline: Das Erdgas aus dem Osten und der neue Kalte Krieg

Karin Leukefeld:
Die Würde des Menschen ist unantastbar? Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und der alltägliche Ausnahmezustand im Irak

Salima Mellah:
Algerien: Straflosigkeit im Namen der Versöhnung

Ingrid El Masry:
Europäische Menschenrechtspolitik gegenüber dem Vorderen Orient. Normativer Anspruch und realpolitische Praxis

Ruth Stanley:
Sexuelle und Gendergewalt als Völkerrechtsverbrechen. Von der „Verletzung der Familienehre“ zum Kriegs- und Menschheitsverbrechen

Cilja Harders:
Geschlecht und Gewalt in der Neuen Weltordnung

Eva-Maria Hobiger:
Was vermögen humanitäre Hilfsprojekte in einem konfliktbeladenen Land?

Lühr Henken:
Die Bundeswehr der Zukunft: Mit neuen Waffen in neue Kriege?

Andrea Kolling:
Sieben Jahre rot-grüne Rüstungsexportpolitik – eine bittere Bilanz

Ulrich Sander:
Das Grundgesetz einhalten! Von der Reform der Bundeswehr zur Transformation des Staates

Anne Rieger:
Abrüstung statt Sozialabbau – Eine Losung weiter denken

Nele Hirsch:
Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Studierende für eine kritische und friedensorientierte Wissenschaft

Alois Reisenbichler:
Gerechtigkeit und Frieden küssen sich

Tadaaki Kawata:
Der Kampf um Artikel 9 der japanischen Verfassung


Bezugsadressen:

Verlag Winfried Jenior, Lassallestr. 15, D-34119 Kassel; Tel.: 0561-7391621, Fax 0561-774148;
E-Mail: Jenior@aol.com
oder
Universität Kassel, FB 5, Tel. 0561/804-2314; e.mail: strutype@uni-kassel.de




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