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Die Neuvermessung der Welt

Band 15 der "Kasseler Schriften zur Friedenspolitik" erschienen. Vorwort und Inhaltsverzeichnis

Neuerscheinung:
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Die Neuvermessung der Welt. Herrschafts- und Machtverhältnisse im globalisierten Kapitalismus. Kassel: Jenior Verlag 2008, Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 15, 234 Seiten, EUR 15,- (ISBN 978-3-934377-09-7)


Vorwort

Tagungsprotokolle und Sammelbände haben häufig den Nachteil, dass sie in unserer schnelllebigen Zeit an Aktualität einbüßen, wenn zwischen den Vorträgen bzw. dem „Call for Papers“ und dem endgültigen Drucktermin Monate liegen. Diesem Mangel wird dann häufig dadurch begegnet, dass in einer längeren editorischen Vorbemerkung ein mehr oder weniger eleganter Bogen von den älteren Manuskripten zur neuen Situation geschlagen wird.

Obwohl im vorliegenden Fall die Dinge nicht grundsätzlich anders liegen, bedarf es dennoch keines längeren Vorworts, um die Brücke zur Aktualität zu schlagen. Das Thema, um das es beim letzten „Friedenspolitischen Ratschlag“ im Dezember 2007 ging, hieß „Die Neuvermessung der Welt“. Dieser Vorgang hat keinen datierbaren Anfang – es sei denn, man nimmt die weltpolitische Zäsur 1989/90 als Bezugspunkt, in keinem Fall dürfte 9/11, also die Attentate von New York und Washington 2001, ein solcher Beginn sein –, vor allem aber ist er noch lange nicht zu einem, wenn auch nur vorläufigen, Abschluss gekommen. Was wir beim letztjährigen Kongress „Neuvermessung“ der Welt nannten, stellt sich als ein offener Prozess dar, dessen Verlauf und Ausgang vollkommen ungewiss sind.

Dies belegen gerade die jüngsten kriegerischen Ereignisse in Georgien, in denen es mitnichten um das Schicksal von 70.000 Bewohnern in Südossetien ging, sondern mittels derer die georgische Regierung - möglicherweise mit Wissen Washingtons - austesten wollte, wo die Grenzen des Zumutbaren für den Kontrahenten Russland verlaufen und wie weit sich NATO und Europäische Union in eine antirussische Politik einbinden lassen. Dieses Konzept scheint aufgegangen zu sein: Nicht nur wird die NATO ihr Beitrittsangebot an Georgien (und die Ukraine) konkretisieren und den Beitritt selbst zu beschleunigen versuchen, was zu erheblichen Dissonanzen mit Russland im Schwarzen Meer und im Kaukasus führen dürfte, die EU hat ihrerseits einseitig Partei ergriffen für Georgien und belohnt dessen völkerrechtswidrige Aggression mit einer millionenschweren Vorzugsbehandlung. Dagegen wurde der ebenfalls völkerrechtswidrige Akt der Anerkennung der abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien durch Moskau von der EU mit scharfen diplomatischen Verwarnungen geahndet.

Dabei bediente sich der Westen einer inkonsequenten Politik des zweifachen Maßes: Im Fall der zu Beginn des Jahres 2008 vollzogenen einseitigen Lostrennung des Kosovo vom serbischen Staat, ein Akt, der dem Völkerrecht (Art. 2,2 UN-Charta) im allgemeinen und der Resolution 1244 (1999) des UNSicherheitsrats im besonderen widerspricht, hatten die USA und die meisten EUStaaten nichts Eiligeres zu tun, als dieses illegitime Gebilde diplomatisch anzuerkennen.

Kosovo und die beiden georgischen Gebiete sind vermutlich nur die Vorboten weiterer territorialer Aus- und Umgliederungen von Staaten, die entweder selbst Schwierigkeiten haben, ihre Staatlichkeit (ein Staatsvolk in klar definierten Grenzen und einem anerkannten Gewaltmonopol) unterBeweis zu stellen, oder deren staatliche Souveränität von externen Akteuren in Frage gestellt wird. Die Langzeitbeispiele hierfür sind Irak und Afghanistan. Gerade die Konsequenz, mit der die USA in der Zeit der sowjetischen Besatzung Afghanistans alle Aufständischen mit Waffen und Logistik unterstützt haben und die Unerbittlichkeit, mit der die heutigen Besatzer um die Kontrolle des Landes kämpfen, weisen darauf hin, dass der Westen die Empfehlung des großen Strategen Zbigniew Brzezinski aus den 90er Jahren beherzigt: Für die „globale Vormachtstellung und das historische Vermächtnis Amerikas“ werde es „von entscheidender Bedeutung sein“, so schrieb er in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ (1997), „wie die Macht auf dem eurasischen Kontinent verteilt wird“. Der „eurasische Kontinent“ – also vor allem die Region vom Schwarzen Meer, dem Kaukasus und dem Kaspischen Meer bis nach Zentralasien – ist also das „Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird“.

Es ist verschiedentlich wieder in Mode gekommen, von einem neuen „Kalten Krieg“ zu sprechen. Damit wird die vom Westen konstruierte und unter dem Slogan vom „Antiterrorkrieg“ betriebene Konfrontation mit der fundamentalistischislamischen Welt verstanden. Die jüngsten Ereignisse auf dem eurasischen „Schachbrett“ rufen Erinnerungen an den für erledigt gehaltenen alten Kalten Krieg wach. Die seiner Zeit von George F. Kennan erfundene Eindämmungspolitik (Containment) gegenüber der Sowjetunion wird nur von einer möglicherweise härteren Variante abgelöst, für die Bezeichnungen wie Constriction (Einschnürung) oder gar Strangulation zutreffender sein dürften. Sollte dies gelingen, könnte sich der Westen voll auf den Kontrahenten China konzentrieren. Denn Peking, das hat auch die Inszenierung der Olympischen Spiele gezeigt, möchte in der neuen Weltordnung eine eigenständige Rolle spielen. Auch darüber handelt das vorliegende Buch.

Wie immer darf an dieser Stelle der Dank an die Autoren nicht fehlen, die ihre Manuskripte für die Publikation aufbereitet haben. Der Dank geht außerdem an Mirjam Wolfstein-Lätsch von der AG Friedensforschung, für die technische Umsetzung der Texte in das gegebene Layout. Die verspätete Drucklegung sowie alle noch vorhandenen Fehler haben allein die Herausgeber zu verantworten. Wenn der Preis auch in diesem Jahr stabil gehalten werden konnte, so hat das mit dem gesellschaftspolitischen Anliegen der Herausgeber zu tun: Das Buch soll auch für Studierende und geringer Verdienende erschwinglich sein. Die Themen, die in dem Band bearbeitet werden, sind es wert, größere Verbreitung nicht nur im akademischen Raum zu finden.

Kassel, den 11. September 2008
Ralph-M. Luedtke und Peter Strutynski



Ein Blick auf Titelblatt und Buchrücken (pdf-Datei)!



Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Peter Strutynski: Der „Antiterrorkrieg“ – die Grundtorheit des 21. Jahrhunderts
  • Erhard Crome: Von alten und neuen Kriegen. Imperiale Politik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts
  • David Salomon: Der neue Imperialismus. Die Renaissance eines Begriffs und seine wiedergefundene Erklärungskraft
  • Joachim H. Spangenberg: Globalisierung, Klima, Konflikte
  • Jürgen Wagner: Neoliberaler Kolonialismus. Die USA und die militärische Ausweitung und Absicherung der Globalisierung
  • Johannes M. Becker: Die Europäische Union militarisiert sich – Thesen
  • Stefan Schmalz: Die politischen Veränderungen in Lateinamerika. Ein Subkontinent zwischen Reform und Revolution?
  • John P. Neelsen: Weltmacht Indien? Die Rolle Indiens in einer multipolaren Weltordnung
  • Kai Ehlers: Russland – Weltmacht im Wartestand. Eine Bestandsaufnahme jenseits von Putin
  • Renate Kreile: Krieg, Bürgerkrieg und Gender im Irak
  • Susanne Fischer: Annapolis als Zwei-Ebenen-Spiel: Welche Rolle spielt Hamas in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen?
  • Andreas Buro: Die Waffen nieder! Zur Eskalation des türkisch-kurdischen Konflikts
  • Lühr Henken: Sudan und Tschad im Visier der Großmächte
  • Norman Paech: Afghanistan – ein deutsches Vietnam
  • Hannes Hofbauer: Krisenherd Kosovo: Protektorat der EU, Militärbasis der USA
  • Paul Schäfer: US-Streitkräfte in Deutschland
  • Ulrich Sander: Aggressiv nach außen – repressiv nach innen: Die neue Rolle der Bundeswehr in der Demokratie
  • Peter Strutynski: Militärinterventionen auf dem Prüfstand. Empirische Befunde gegen den Mainstream der Politik


Bezugsadressen:

Verlag Winfried Jenior, Lassallestr. 15, D-34119 Kassel; Tel.: 0561-7391621, Fax 0561-774148;
E-Mail: Jenior@aol.com
oder
Universität Kassel, FB 5, Tel. 0561/804-2314; e.mail: strutype@uni-kassel.de




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