Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Welt nach Bush - Eine Welt ohne NATO?

Berichte und Interviews über den "Friedenspolitischen Ratschlag", der im Dezember 2008 in Kassel stattfand

Im Nachklang zum Friedenspolitischen Ratschlag am 6./7. Dezember dokumentieren wir im Folgenden vier Beiträge:



Zwischen "Change" und Demokratieverlust

Auf dem "15. Friedensratschlag" in Kassel diskutierte man über Barack Obama und die Finanzkrise

Von Christian Klemm, Kassel *

Am Wochenende traf sich die Friedensbewegung im nordhessischen Kassel zum Meinungsaustausch. Im Mittelpunkt standen dabei die Finanzkrise und die zukünftige Präsidentschaft Barack Obamas.

Die internationale Politik streitet gegenwärtig intensiv über zwei Fragen: Wie ist der schwersten Finanzkrise seit rund siebzig Jahren beizukommen? Und welche Politik wird die USA unter dem künftigen Präsidenten Barack Obama verfolgen? Der »15. Friedensratschlag« bildete da keine Ausnahme. Unter dem Motto: »Die Welt nach Bush. Friedlicher? Gerechter? Ökologischer?«, diskutierten rund 400 Interessierte in der Kasseler Universität. Dabei kamen besonders unterschiedliche Ansichten über die künftige US-Außenpolitik zum Ausdruck.

Ekkehart Krippendorff, emeritierter Professor für Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin, äußerte sich geradezu euphorisch über den zukünftigen US-Präsidenten. Er unterstrich in seinem Plenarvortrag die »kulturelle Erfahrung« Obamas, die er durch die kenianische Herkunft seines Vaters und das Aufwachsen in Indonesien gesammelt hätte. Der Bezug Obamas zu der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung während des Wahlkampfes zeige Parallelen zu dem schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King und verdeutliche, dass sich in den USA etwas einmalig Neues ereignet habe, so Krippendorff.

Diesen Optimismus konnte viele Friedensaktivisten nicht teilen: Sie störten das Referat Krippendorffs mit Zwischenrufen und zum Teil abfälligen Kommentaren. Norman Paech, Mitglied der Linksfraktion im Bundestag und schon im vergangenen Jahr Gast auf dem Kasseler Friedensratschlag, widersprach dem Berliner Politikwissenschaftler. Paech prognostizierte eine Kontinuität von der Bush-Administration zu Barack Obama. Diese zeige sich unter anderem in dem Umgang mit Iran, dem die aktuelle und voraussichtlich auch die künftige US-Regierung »mit Zuckerbrot und Peitsche« – sprich Sanktionen und Verhandlungen – begegne bzw. begegnen werde. Doch Paech streifte das Thema Obama in seinem Vortrag nur am Rande. Er kritisierte die NATO und deren »Drang nach Osten«. Paech warf der internationalen Politik vor, sie lasse angesichts gigantischer Rüstungsausgaben die Forderung nach Abrüstung zu einer »leeren Worthülse« verkommen und bezeichnete die Beziehungen zwischen USA und Europäischer Union als »Vasallenverhältnis«. Dafür gab es deutlich mehr Applaus vom Publikum. Der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe führte die Gedanken von Paech am frühen Sonntagmorgen indirekt weiter. Er konstatierte eine Machtverschiebung zuungunsten der Vereinigten Staaten sowie ein Ende der US-amerikanischen Hegemonialpolitik. Denn mit China, Indien, Russland und den progressiven Staaten in Lateinamerika hätten sich in der internationalen Politik neue Pole entwickelt, die auf eine Rückkehr zum Multilateralismus hindeuten, so Deppe. Gleichzeitig aber steige das Risiko einer zwischenimperialistischen Konkurrenz. Der zurückliegende Krieg in Georgien zeige erste Tendenzen einer Konkurrenz zwischen dem wiedererstarkten Russland und den Vereinigten Staaten. Das gut vorgetragene Referat Deppes war sicherlich ein Highlight des diesjährigen Ratschlags.

Die Finanzkrise leicht verständlich zu erklären, war auch in Kassel eine Herausforderung, die aber von Rudolf Hickel und Leo Meyer am ersten Kongresstag gemeistert wurde. Hickel, Wirtschaftswissenschaftler aus Bremen und Gründungsmitglied der Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik, benannte die aus seiner Sicht relevanten Gründe der Krise: Die Entkopplung der Finanzmärkte von der realen Produktion, die Kapitalmachtkonzentration auf den Finanzmärkten sowie die Umverteilung von Kapital zu Lasten der lohnabhängig Beschäftigten. Meyer, Mitarbeiter des Instituts sozial-ökologischer Wirtschaftsforschung (isw), konstatierte nicht nur das Fehlen jeglicher Manager-ethik, sondern kritisierte auch die Reaktion der Bundesregierung auf die Krise. Sie zeige nach seiner Auffassung einen »Verlust von Demokratie«. Da wurde monatelang über eine karge Rentenerhöhung von zehn Euro debattiert, während man das milliardenschwere Rettungspaket für die Banken quasi »übers Wochenende« abnickte.

Wie die vergangenen Jahre lebte der Friedenspolitische Ratschlag in Kassel von den Diskussionen in den etwa 30 Arbeitsgruppen und Workshops. Und man darf bereits auf den 16. Ratschlag im nächsten Jahr gespannt sein. Dann wird wohl auch die Frage geklärt sein, ob Obama wirklich das erhoffte »Change« der US-amerikanischen Außenpolitik anstrebt. Am Wochenende zeigte sich die überwältigende Mehrheit der Aktivisten noch skeptisch.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2008


Dieser Artikel veranlasste einen der Organisatoren des "Friedensratschlags" zu einem Leserbrief, der u.W. allerdings nicht veröffentlicht wurde:

Enttäuschend

Wenn man selbst an der Organisation eines größeren Kongresses beteiligt ist, ist man selten mit der Presseresonanz ganz zufrieden. Im Fall der Berichterstattung über den "Friedenspolitischen Ratschlag" an der Uni Kassel hätte ich mir vom ND aber doch etwas mehr erwartet als dieses enttäuschende Zufallsprodukt. Die vielfältigen Diskussionen in vier Plenarveranstaltungen und 27 Workshops auf die Frage nach der künftigen Außenpolitik Obamas und auf die Finanzkrise zu reduzieren und dabei ein paar vereinzelte Unmutsäußerungen von Teilnehmer/innen im Falle eines einzigen von insgesamt 30 Vorträgen zu einem Eklat hochzustilisieren, wird der Tagung in keiner Weise gerecht. "Die Welt nach Bush" - so das Motto des Kongresses - besteht aus bedeutend mehr Problemen und Fragestellungen. Ein Blick ins Programm hätte gereicht, um zu sehen, dass z.B. die großen Kriegsschauplätze Irak und Afghanistan sowie die Kriegsdrohungen gegen Iran einen ebenso breiten Raum einnahmen wie die Aufklärung über Geschichte, Funktion und Perspektive der NATO, die im nächsten Jahr unverdient ihren 60. Geburtstag feiert. Es ist schade, dass in dem Artikel kein Hauch von der Komplexität des wissenschaftlichen Nachdenkens über die Probleme der Menschheit zu spüren ist und sich auch kein Hinweis auf die Herausforderungen findet, vor denen die Friedensbewegung steht. In der Pressekonferenz der Veranstalter war von all dem die Rede - aber niemand ist verpflichtet, einen solchen Termin wahrzunehmen.
Dr. Peter Strutynski
Kassel




"Barack Obama bindet die Bündnispartner besser ein"

Welche Erwartungen hat die deutsche Friedensbewegung an den neuen US-Präsidenten? Ein Gespräch mit Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag **

Der Bundesausschuß Friedensratschlag hat vergangenes Wochenende unter dem Motto »Die Welt nach Bush« getagt. Rund 400 Leute diskutierten in Kassel, ob die Welt nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Barack Obama friedlicher wird. Wird sie das?

Ein Teil der Teilnehmer hat eine eher ernüchternde Einschätzung. Die Besetzung seiner Regierung mit Hillary Clinton als Außenministerin und Robert Gates als Verteidigungsminister deutet auf Kontinuität hin –nicht auf den versprochenen Politikwechsel. Ein anderer Teil gab Obama einen größeren Vertrauensvorschuß: Als Schwarzer repräsentiere er einen neuen Politikstil und zeige, daß die USA nicht nur aus Weißen und Rassisten bestehen.

Was bedeutet Obamas Wahlsieg hierzulande?

Der bisherige Präsident George Bush war in der deutschen Öffentlichkeit diskreditiert – seinem von der Durchsetzung der US-Interessen geprägten Politikstil wollte niemand mehr folgen. Obama hingegen geht kooperativer mit den Bündnispartnern um und kann sie besser einbinden. Die Bundesregierung kann also sagen: Sogar Obama verlangt größeres Engagement in Afghanistan – dem können wir uns nicht entziehen. Der Opposition wird es schwerer fallen, den Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan zu fordern.

Anfang April will die NATO in Strasbourg und Baden-Baden ihr 60jähriges Bestehen feiern. In Baden-Württemberg sollen zuvor Gesetze durchgesetzt werden, die die Versammlungsfreiheit einschränken ...

Die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit kam nicht erst wegen des NATO-Gipfels auf die Tagesordnung. Absehbar ist jedoch ein riesiges Polizeiaufgebot gegen Aktionen des zivilen Ungehorsams, gegen Demonstrationen und Friedenscamps. Dabei gilt: Je martialischer die Staatsmacht auftritt, desto eher provoziert sie Ereignisse, die sie zum Eingreifen bringt. In einem überfüllten Workshop ging es um die Militarisierung der Inneren Sicherheit. Pläne Bayerns, Baden-Württembergs und des Innenministeriums in Berlin, Antiterrorgesetze zu verschärfen, Überwachungsmechanismen zu verstärken und Demonstrationsfreiheit einzuschränken, sehen wir mit Sorge: Militär wird zunehmend nach außen eingesetzt – zugleich geht man im Inneren mit Repressionen gegen Protestbewegungen vor.

Wie wirkt die weltweite Finanzkrise auf die friedenspolitische Situation?

Professor Rudolf Hickel aus Bremen zeigte in einem Vortrag auf: Die Finanzkrise ist Vorbote einer tiefen Rezession, die die Realwirtschaft erfaßt. Die Dritte Welt wird leiden, weil Lebensmittelpreise erhöht und Angebote verknappt werden. Staatshaushalte treiben dem Ruin entgegen, weil sie ihre Kredit­institute und bestimmte Branchen stützen müssen. Auch bei uns wird es am härtesten die Ärmsten treffen, mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zu rechnen. Vermutlich wird es zu verstärkter Ausgrenzung und mehr Gewaltausübung kommen – friedenspolitisch ist das verheerend.

Der Friedensratschlag fürchtet, daß die Bundesregierung stärker ins Fahrwasser des US-geführten Antiterrorkriegs gerät ...

Militär kennt im Krieg nur eine Antwort: noch mehr Militär. Die Bundesregierung hat ihre Lektion nicht gelernt, sondern Marine-Einsätze abgenickt und geht mit einem EU-Mandat vor Somalias Küsten auf Piratenjagd. Friedensforscher bestreiten, daß Terrorismus militärisch zu bekämpfen ist – sie empfehlen ausschließlich zivile Mittel des Rechtsstaats.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, 12. Dezember 2008


Kein Frieden mit der Nato!

Zum Kasseler Friedensratschlag 2008

Ein Bericht von Irene Eckert


"Es gibt für die Menschen nur dann eine Zukunft, wenn die Nato keine Zukunft hat" mit dieser eindringlichen Mahnung eröffnete Peter Strutynski den 15. Friedenspolitischen Ratschlag an der Universität Kassel. Fast 400 KriegsgegnerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet und aus dem benachbarten Ausland drängten sich am 2. Adventswochenende dicht in der Universitätsmensa und verfolgten die Vorträge des Eröffnungsplenums am Samstagnachmittag. Von der Friedensforschung erwartet Strutynski substantielle Beiträge zur "Delegitimierung" des Militärpaktes, der sich durch einen erweiterten "Sicherheitsbegriff" eine Zauberformel zugelegt habe. Mit deren Hilfe lasse sich jedes, aber auch jedes Rüstungsprogramm rechtfertigen. Die im NATO-Neusprech definierten neuen "Sicherheitsrisiken" seien stilbildend für deren "Strategiepapiere". Diese bilden den "Rechtfertigungsrahmen" für einen weltweiten Aktionsradius des Paktes und gipfelten in den "humanitären Interventionen" seit 1999.

Dass sich die Welt ohne NAT0 endlich ihren eigentlichen Herausforderungen widmen könne, wurde sehr präzise und engagiert belegt von Hans von Sponeck, dem ehemaligen UN-Koordinator des so genannten Lebensmittelhilfsprogramms "Food for Oil" im Irak. Wie sein Vorgänger, so war auch er schon vor dem " das Völkerrecht entwürdigenden Krieg" gegen den Irak zurückgetreten, weil er die schrecklichen Folgen des UN-Embargos für die irakische Zivilbevölkerung nicht verantworten konnte. Im "großen Spiel um Macht und Gier" käme der NATO eine Schlüsselrolle zu. So würden von den weltweiten 1,2 Billionen Dollar Rüstungsausgaben pro Jahr nach konservativen Schätzungen von der NATO 70% aufgebracht. 15 Millarden Dollar im Monat verschlingen allein die Kriege in Irak und Afghanistan. Demgegenüber betrage das gesamte UN-Budget, an dem 192 Staaten der Erde mitragen, nur 2,1 Mrd Dollar. Das Mandat der UNO aber sei es, dem Frieden zu dienen und gemäß der "Milleniumsziele" den Hunger auszurotten, menschwürdige Behausungen zur Verfügung zu stellen, sich um Umweltschutz und Gender-Gerechtigkeit zu kümmern und dergleichen wichtige Dinge mehr. Im Gegensatz dazu sei das Mandat der größten Militärmacht der Erde, der NATO - ursprünglich zwar verbal auf den territorialen Schutz seiner Mitglieder beschränkt und an der UN-Charta orientiert - spätestens ab 1999 nicht mehr von internationalem Recht gedeckt. Besonders aufs Korn nahm von Sponeck das streng geheime Abkommen zwischen UNO und NATO, an dessen Zustandekommen nicht einmal der Sicherheitsrat der UN beteiligt gewesen sei. Da dessen NATO-Mitglieder bestrebt seien, ihre Energie- und Rohstoffinteressen gegen andere UN-Mitgliedstaaten sicher zustellen und auf eine nukleare Erstschlagsfähigkeit optierten, sei dieser Zusammenschluss grundsätzlich als UN-Partner ungeeignet. Hoffnungsvolle Neuansätze für eine notwendig multipolare Welt, in der die NATO geschwächt und neutralisiert werden müsse, sah er dagegen in neuen Allianzen wie dem BRIC (Brasilien, Russland, Indien und China) oder dem SCO (Shanghai-Kooperations-Organisation). Vor allem aber, so betonte er und viele andere Referenten taten es ihm gleich, müsse die Schere zwischen Arm und Reich geschlossen werden, das sei der Weg zu "menschlicher Sicherheit".

Von den insgesamt unterrepräsentierten weiblichen Referentinnen, war der Beitrag von Dr. Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung über "Frauenopfermythen als Mittel der Kriegspropaganda" besonders wichtig Sie verdeutlichte auf journalistisch geschulte und didaktisch gekonnte Weise, wie raffiniert und oft schwer durchschaubar mediale Steuerung funktioniert. Sie zeigte anhand von Beispielen sehr verschiedener Mediensorten, wie ein gewollter Sinn in Richtung Feindbildkonstruktion "induziert" wird, wie insbesondere die von Frauen erbrachten, unfreiwilligen Opfer und ihre weltweit fortdauernde Unterdrückung für geschickte Kriegspropaganda missbraucht werden. Sie griff weit zurück auf den Ende der achtziger Jahre die Feindbildhetze gegen den Islam eröffnenden Beitrag von Betty Mahmoody "Nicht ohne meine Tochter" und endete mit dem vom Tierschützer Ulfkotte geprägten, bösen Begriff von der "Stoffkäfighaltung" afghanischer Frauen.

Sekundiert wurde ihr Workshopbeitrag im Abschlussplenum durch Frau Dr. Elaheh Rostami Povey von der Londoner School of Oriental and African Studies, die sinngemäß forderte, "schützt die Frauen Afghanistans - zieht die Besatzungstruppen ab". Das sei der Weg, wolle man etwa den 55 000 Witwen helfen, die heute allein in Kabul gezwungen seien, sich zu prostituieren, um mit ihren Kindern zu überleben. Der Friedensbewegung legten beide Referntinnen nahe, die Islamphobie als neue Form des Rassismus zu erkennen und anzuprangern. Gemeinsam sollten wir mit Menschen muslimischen Glaubens daran arbeiten, so fuhr sie fort, den Nato-Krieg in Afghanistan zu beenden, bevor er uns zuhause einhole. Wir dürften es nicht zulassen, meinte die britische Hochschullehrerin, dass der Feminismus von Frauen wie Madame Albright "gekapert" werde. Es sei an der Zeit wieder Frauen gegen den Krieg"[1] zu organisieren und uns damit auch gegen den vorhandenen "imperialistischen Feminismus" zu wehren.

In diesem Sinne herrschten auf der Tagung auch kaum Illusionen über "die Welt nach Bush" (Konferenzmotto). Das vermeintliche "dream team" des neuen US-Präsidenten Obama mit Hillary Clinton als nächster Außenministerin der NATO-Führungsmacht umfasst praktisch nur Falken, wie zu hören war. Auch Dr. Wolfgang Strengmann, Bundestagsabgeordneter der Grünen, der gegen die Ausweitung des bundesdeutschen Afghanistaneinsatzes votiert hat, kennzeichnete als "hinderlich", was Obama vorhabe, nämlich den "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan gewinnen zu wollen. Ein Strategiewechsel sei bisher nicht erkennbar. Dr. Matin Baraki von der Marburger Universität mahnte, dass man mit 10,5 Milliarden Euro ziviler Hilfe sein völlig vom Krieg ruiniertes Land innerhalb von 10 Jahren komplett wieder aufbauen könne.

Mehrfach wurde auch während des Abschlussplenums gefordert, nicht nur die ausländischen Militärbasen zu schließen, sondern auch die "Drehscheiben" des Krieges in Deutschland ins Bewusstsein zu rufen, so etwa die Flughäfen Halle-Leipzig und Frankfurt am Main. Holzkreuze vor dem Kassler Universitätsgebäude mahnten an die Opfer der ortsansässigen Rüstungsindustrie. Weltweit werde dieser Industriezweig bisher bezeichnenderweise von der Krise völlig verschont. Bezug nehmend auf die Tiefe der Krise hatte der Wirtschafts-Professor Rudolf Hickel in einem der wichtigen Eingangstatements vor allem auf Band III des Marxschen "Kapital" verwiesen und vom "Terror der Finanzmärkte" und ihrer "toxischen Produkte" gesprochen. Der Handel mit dergleichen "Derivaten" und "Zertifikaten" gehöre schlichtweg verboten, ein "Investitionsprogramm in die Zukunft" sei erforderlich, vor allem gehöre aber die Mehrwertsteuererhöhung rückgängig gemacht.

Resümierend forderte Peter Strutynski am Ende der erfolgreichen Tagung: "Seien wir angesichts der Ernüchterung über Obamas Regierungsmannschaft Realisten und bauen wir auf die sozialen Akteure in aller Welt, die - ganz besonders in den USA - mit der Wahl des neuen US-Präsidenten andere Ziele verbunden haben. Bereiten wir die anstehenden Jubiläen im Jahr 2009 friedenspolitisch angemessen vor".

[1] Mitten im ersten Weltkrieg war in Den Haag ein solcher Impuls von den Sufragettinen um Lida Gustav Heyman, Anita Augspurg, Jane Addams und vielen anderen Frauen aus den Krieg führenden Staaten ausgegangen. Die Pionierinnen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit wurden freilich, obgleich selbst aus den besten bürgerlichen Kreisen stammend, heftig diffamiert und viele der deutschen Antikriegsaktivistinnen fielen später dem Nazifaschismus zum Opfer.


Ich möchte nicht, dass die Nato siebzig wird

Interview mit Peter Strutynski, AG Friedensforschung und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag ***

UZ: Zum fünfzehntenmal fand in diesem Jahr der "Friedensratschlag" statt. Wie zufrieden warst Du als Mitglied der AG Friedensforschung, die diesen Kongress veranstaltet, mit Beteiligung, Verlauf und Diskussion?

Peter Strutynski: Ich fange mit den Teilnehmerzahlen an. Es waren zwischen 350 und 400 Teilnehmern an den beiden Tagen hier. Das bewegt sich in dem üblichen Rahmen, der sich seit etwa 2003 eingespielt hat. Erfreulich, dass neben den vielen älteren und "mittelalterlichen" Besuchern auch zahlreiche Studierende dabei waren. Das Publikum ist wie immer sehr gemischt. Naturgemäß wirken wir mit der Veranstaltung vor allem in die Friedensbewegung hinein.
Unter den Referenten sind sehr viele Friedenswissenschaftler, Sozialwissenschaftler. Und es sind auch vereinzelt Politiker hier, als Referenten, Podiumsteilnehmer oder einfach nur Gäste. Das entspricht unserem Anspruch, Friedensbewegung, Friedenswissenschaft und Politik im Dialog zusammenzubringen.
Wir sind mit der Resonanz auch in diesem Jahr sehr zufrieden. Durch die Plenen, durch die verschiedenen Arbeitsgruppen zog sich als Leitthema die Frage, wie wird sich die Welt nach Bush entwickeln. Darüber gab es durchaus unterschiedliche Einschätzungen.

UZ: Gab es während des Kongresses eine Annäherung der Positionen?

Peter Strutynski: Es bildeten sich zwei Gewissheiten. Offensichtlich spielt die Kontinuität der US-Außenpolitik eine große Rolle. Das wurde etwa in den Referaten von Prof. Dr. Norman Paech und Prof. Dr. Frank Deppe noch einmal unterstrichen. Das sieht man auch in Obamas Nominierungen für sein Kabinett. Insbesondere bei den Personalien Clinton als Außenministerin und dem Republikaner Gates als bleibender Verteidigungsminister.

Die andere Gewissheit ist der Druck, unter dem Obama von Seiten seiner Wähler und Unterstützer steht. Darauf setzte z.B. Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff in seinem sehr anregenden Referat. Bezüglich der Kriege im Irak und Afghanistan steht m.E. die Erwartung eher auf Change. Obama hat versprochen aus dem Irak abzuziehen, er hat versprochen Guantánamo zu schließen. Daran wird er jetzt gemessen. Und er wäre sicher gut beraten, seine klaren Versprechen zu halten. Aber auch hier gibt es bei uns Einschätzungen: er wird es möglicherweise nur halb tun. Es wird Truppen im Irak lassen und die anderen nach Afghanistan schicken. Was er im Übrigen auch versprochen hat.

UZ: Wie steht die US-Friedensbewegung zu diesen Vorhaben?

Peter Strutynski: Die wendet sich dagegen; aber wir werden sehen, ob es ihr gelingt, hier einen ähnlichen Druck aufzubauen wie bezüglich des Irakkrieges. Die Konturen der US-Weltpolitik werden sich durch diese Wahl möglicherweise nicht wesentlich ändern. Außer vielleicht, dass er eine größere Übernahme von Kriegslasten durch die Verbündeten der Nato erwarten wird. Auch Bush hat das gefordert; aber ihm wurde nicht gefolgt, weil er seine Ziele mit Brachialgewalt durchsetzen wollte.
Dagegen hat Obama in europäischen Augen den Bonus des Neugewählten und des Demokraten, der zudem Charisma besitzt und andere Ideale verkörpert als Bush. Ich fürchte, dass genau dies es unserer Regierung leichter machen wird, einigen Forderungen der US-Administration nach mehr Kriegsbeteiligung nachzukommen - etwa bezüglich einer Truppenaufstockung in Afghanistan.

UZ: Das hieße mehr Krieg statt weniger. Welchen Einfluss hat die Finanzkrise auf die Weltlage?

Peter Strutynski: Die Weltlage wird sich so schnell nicht grundlegend ändern. Aber die vorhandenen Widersprüche werden sich zuspitzen. Zunächst werden die USA ihre absolute Vormachtstellung einbüßen; in mittlerer Sicht werden mit China und Indien zwei Großmächte entstehen. Und Russland wird an die Großmachtrolle der Sowjetunion anknüpfen wollen.

Das geschieht allerdings nicht mehr unter dem Vorzeichen der Systemauseinandersetzung, sondern im Zeichen der "imperialistischen Konkurrenz", wie Deppe sagte. Daraus entstehen zunehmende sicherheitspolitische Risiken. Etwas überspitzt gesagt stehen wir vielleicht wieder am Anfang eines Zyklus, der vergleichbar ist mit der Ausgangslage zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Akteure sind einerseits die alten, andererseits sind neue hinzugekommen.

Die früheren Hauptmächte in Europa - Großbritannien, Frankreich, Deutschland - werden unter dem Dach der EU versuchen, so weit es geht eine gemeinsame weltpolitische Rolle zu spielen. Wir haben also die USA, die EU, Russland, China und Indien. Als Hoffnung haben sich in unseren Diskussionen einige kleinere Volkswirtschaften Lateinamerikas dargestellt, die dazu vielleicht eine Alternative bilden könnten. Insgesamt bedeutet dies alles aber eine Zunahme von Konfliktkonstellationen in der Welt.

UZ: Wie ist dem zu begegnen?

Peter Strutynski: Ich setze auf gesellschaftliche Akteure, die die Innen- und Außenpolitik tatsächlich verändern können. Wenn das nicht möglich ist, wären wir am Ende der Politik, am Ende der Demokratie angekommen. Obama etwa müsste sich anlegen mit den Bankenkreisen der Wallstreet, den konservativen Think Tanks; er müsste sich deutlich von der neokonservativen Strömung in den USA abgrenzen. Wenn er das schafft und sich sozusagen von den Millionen - vor allem jungen - Menschen, die ihn im Wahlkampf unterstützt haben, "tragen" und vorwärts treiben lässt, wäre das eine große historische Leistung.

UZ: Was können wir in dieser Situation tun?

Peter Strutynski: Unsere Möglichkeiten sind zur Zeit begrenzt. Wir rufen zur Wachsamkeit auf; auch deswegen machen wir diese Friedensratschläge. Vor allem bleibt die Afghanistanfrage die wichtigste friedenspolitische Frage in unserem Land. Hinzu kommt: Im nächsten Jahr wird die Nato 60 und ich möchte nicht, dass sie 70 wird. Auf einer geplanten Gegenkonferenz der friedensbewegung im nächsten April in Straßburg wird zu diskutieren sein, wie wir das erreichen. Wie können wir diese monströse Militärmaschine Nato, die einmalig ist in der Geschichte der Menschheit, aufbrechen. Mein Standpunkt ist: Es darf eigentlich keine Militärbündnisse geben. Sie widersprechen dem Charakter des Völkerrechts - vor allem dem absoluten Gewaltverbot der UN-Charta.

UZ: Über die Krise haben Sie schon gesprochen. Die Krise wurde in den Diskussionen als vielschichtig und auch als Systemkrise verortet. Wäre es nicht an der Zeit, die verschiedenen Bewegungen, Umweltbewegung, Gewerkschaften, die Friedens- und Demokratiebewegung zusammenzuführen?

Peter Strutynski: Das ist in meinen Augen nicht Aufgabe der Friedensbewegung. Auch wenn der "Bundesausschuss Friedensratschlag", mit dem wir bei diesem Kongress seit jeher kooperieren, sicherlich die Strömungen in der Friedensbewegung repräsentiert, die auch an der Systemfrage nicht halt macht. Der "Friedensratschlag" ist gewissermaßen der linke Teil der Friedensbewegung, der genauso wenig Berührungsängste mit sozialistischen und kommunistischen Kräften hat wie mit christlichen oder fundamentalpazifistischen Kräften. Wichtig für die Friedensbewegung also Ganzes scheint mir zu sein, dass sie gegen den Krieg und für den Frieden kämpft, auch ohne dass damit die Systemfrage verbunden wird. Nur nebenbei: Christliche Antimilitaristen oder Friedensbewegte aus dem "bürgerlichen Lager" können in ihrem täglichen Friedensengagement radikaler agieren als jemand, der meint, der Frieden sei ohnehin erst jenseits des Kapitalismus zu erreichen.

UZ: Es gab eine gemeinsame Erklärung von Uno und Nato. Heben wir es hier mit einer neuen Qualität der Vereinnahmung der Uno durch die Nato zu tun?

Peter Strutynski: Das neue ist, dass der UN-Generalsekretär damit der Nato einen ähnlichen völkerrechtlichen Status beimisst wie der Uno selber. Wenn sich Ban Ki-moon etwa dafür bedankt (ich zitiere sinngemäß), dass die Nato die Uno unterstützt bei der Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit. "Das ist ein Skandal", um mit Hans von Sponeck zu sprechen, der sich dem Thema in seinem Vortrag widmete. In der UN-Generalversammlung hätte diese Verletzung der UN-Neutralität überhaupt keine Chance.

Die Fragen stellte Adi Reiher.

*** Aus: unsere zeit, 12. Dezember 2008


Zurück zur Seite "Friedensratschlag 2008"

Alles über den "Friedensratschlag"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Seite "Friedenswissenschaft"

Zur Seite "AG Friedensforschung"

Zur Presse-Seite

Zurück zur Homepage