Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Auslaufmodell Frieden?

Von Lühr Henken, Bundesausschuss Friedensratschlag

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste,

vor uns liegen viele Aufgaben. Einige Schwerpunkte möchte ich kurz ansprechen.

Ukraine

Nicht nur die Menschen in der Ukraine sind in tiefer Sorge um ihre Zukunft, wir sind es auch. Das noch mehr nach der Parlamentswahl und wegen der neuen Regierung in Kiew. Die wird wieder vom nationalistischen Scharfmacher Jazenjuk geführt. Jazenjuks Partei „Volksfront“ hat eine Reihe von Rechtsradikalen und Neofaschisten in ihre Reihen aufgenommen. Sämtliche prowestlichen Parteien des Euro-Maidan bilden die neue Regierung in Kiew, die über eine Zweidrittelmehrheit verfügt und somit die Verfassung ändern kann. Ihr Bestreben ist es, den Neutralitätspassus aus der ukrainischen Verfassung zu streichen und die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, ebenso wie die Mitgliedschaft in der EU. Dies verschärft den Gegensatz zu Russland weiter. Das muss beunruhigen, zumal der ukrainische Präsident Poroschenko noch den Satz prägte: "Ich habe keine Angst vor einem Krieg mit russischen Truppen und wir sind auf das Szenario für diesen totalen Krieg vorbereitet."[1] Die Beschlüsse des NATO-Gipfels vom September 2014, unter anderem die Verstärkung der Manövertätigkeit, Mehrausgaben für Rüstung, den Aufbau von Einsatzhauptquartieren in Osteuropa und einer superschnellen „NATO-Speerspitze“, zu allem Überfluss auch noch unter deutscher Führung, sowie die Fortsetzung der Sanktionspolitik sind geeignet den Konflikt zu eskalieren.

Es ist Zeit für eine Umkehr, weg von der Konfrontation hin zur Kooperation. Manchmal tut es gut, Ideengeber zu finden, die nicht aus den uns vertrauten Kreisen kommen, des Pazifismus unverdächtig sind, und trotzdem Überlegungen formulieren, die sich mit den unseren decken. John Mearsheimer ist so ein Vertreter. Er ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Chicago und weit über seine Landesgrenzen hinaus bekannt. Er schreibt unter der Überschrift „Putin reagiert“[2]: „Die Hauptschuld an der Krise tragen die USA und ihre europäischen Verbündeten. An der Wurzel des Konflikts liegt die NATO-Osterweiterung, Kernpunkt einer umfassenden Strategie, die Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu holen und in den Westen einzubinden. Dazu kam die EU-Osterweiterung und die Unterstützung der Demokratiebewegung in der Ukraine durch den Westen, beginnend mit der Orangenen Revolution 2004. [...] Das Fass zum Überlaufen brachte der unrechtmäßige Sturz des demokratisch gewählten pro-russischen Präsidenten der Ukraine; Putin sprach zu Recht von einem ‚Staatstreich‘. Als Reaktion darauf annektierte er die Halbinsel Krim, auf der, wie er befürchtete, die Einrichtung einer NATO-Marinebasis geplant war, und betrieb die Destabilisierung der Ukraine, um sie von einer Annäherung an den Westen abzubringen. Putins Gegenwehr kam eigentlich alles andere als überraschend“, schreibt Mearsheimer. „Immerhin war der Westen, wie Putin nicht müde wurde zu betonen, in den Hinterhof Russlands vorgedrungen und hatte dessen Kerninteressen bedroht. […] Putin kämpft mit harten Bandagen“. Und: „Putins Verhalten ist nicht schwer zu verstehen. Die Ukraine ist für Russland ein Pufferstaat mit enormer strategischer Bedeutung. Kein russischer Staatschef würde es hinnehmen, dass eine Militärallianz, die noch bis vor kurzem Moskaus Erzfeind war, in die Ukraine vorstößt […] Washington mag von der Position Moskaus nicht angetan sein, müsste aber die Logik dahinter begreifen. Das ist Geopolitik für Anfänger: Auf eine mögliche Bedrohung vor ihrer Haustür reagiert jede Großmacht empfindlich. Die Vereinigten Saaten würden es ja auch nicht hinnehmen, wenn ferne Großmächte ihre Streitkräfte in der westlichen Hemisphäre stationierten, geschweige denn an ihrer Grenze. Man stelle sich die Empörung in Washington vor, wenn China ein mächtiges Militärbündnis schmiedete und versuchte, Kanada und Mexiko dafür zu gewinnen.“ Mearsheimer macht einen Vorschlag: „Eine Lösung – für die der Westen allerdings seine Denkweise grundlegend revidieren müsste“, sagt er. „Die USA und ihre Verbündeten müssten ihren Plan einer Verwestlichung der Ukraine aufgeben und stattdessen darauf hinarbeiten, dass das Land zu einem neutralen Pufferstaat zwischen der NATO und Russland wird, ähnlich wie Österreich im Kalten Krieg.“ Das hat doch was!

Zudem wäre es sinnvoll, an die erfolgreichen Verhandlungen der KSZE anzuschließen und den Abrüstungsvertrag über konventionelle Abrüstung in Europa an die neuen Gegebenheiten nach Ende des Kalten Krieges auf niedrigerem Niveau anzupassen. In die Verhandlungen müssten auch die Atomwaffen und das Raketenabwehrsystem bei gegenseitiger effektiver Kontrolle miteinbezogen werden. Abrüstung ist das Gebot der Stunde und nicht Säbelrasseln, Sanktionen und Krieg!

Eine nächste Gelegenheit, für diese friedlichen Ziele zu werben, bieten in der kommenden Woche die regionalen Demonstrationen und die Demonstration anlässlich der NATO-Sicherheitskonferenz in München am 7. Februar, dann die Ostermärsche und der 8. Mai.

Nicht nur wie haben Sorge um den Frieden in Europa, sondern 60 Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien haben sie auch. Sie haben einen Appell [3] unter dem Titel veröffentlicht: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen.“ Sie fordern den Dialog mit Russland und eine neue Entspannungspolitik. Unterzeichnet ist er unter anderem von Roman Herzog, Antje Volmer, Wim Wenders, Gerhard Schröder, Friedrich Küppersbusch und Georg Schramm. Der Bundesausschuss begrüßt diesen Appell und hofft, dass er gehört und vor allem beherzigt wird.

Syrien/Irak

Ein zweites Konfliktgebiet, in dem die Gegensätze länger schon mit unerbittlicher Härte und Gewalt ausgetragen werden, ist der Irak und Syrien. Hervorgehoben werden muss, dass die USA die Hauptverantwortung für die Zerstörung der irakischen Gesellschaft tragen. Sie waren es, die zum Sturz der Regierung Saddam Husseins ein Embargo (1991 bis 2003) und zwei Angriffskriege führten, wobei der letzte 2003, der völkerrechtswidrig war, zum Ausschluss der Baath-Partei von der Macht und aus der Armee führte und maßgeblich zur Zerstörung der Gesellschaft beitrug. Der Krieg forderte bis heute über eine Million Tote. Diese Kriegführung ist ursächlich für das Erstarken sunnitischer Milizen, die nunmehr einen „Islamischen Staat“ (IS) ausgerufen haben, der sich militärisch auszudehnen droht. Darin haben sich im Wesentlichen drei Gruppen zu einem Bündnis zusammengefunden: Säkulare Militärs der Baath-Partei, sunnitische Salafisten des IS und sunnitische Stämme. Sie haben sich zu einem sunnitischen Aufstand formiert. Die USA, andere NATO-Staaten, Golfmonarchien, irakische Kurden und die Zentralregierung setzten sogleich auf Krieg. Anstatt den Versuch zu machen, Baathisten und Stämme zur Machtteilung nach Bagdad einzuladen, um so den IS zu isolieren. Die teilweise Aufnahme von Sunniten in die neue irakische Regierung reicht da nicht. Deutsche Waffenlieferungen, erstmals direkt in einen Krieg, zeugen eben nicht von Verantwortung, sondern befeuern mit 24.000 Sturmgewehren und Pistolen, mit 8 Millionen Schuss Munition und 4.000 Panzerabwehrraketen den Waffenbasar in Nahost. Niemand weiß, wo die Waffen eines Tages landen werden.

In Syrien wurde der IS von den Regionalmächten jeweils für ihre Zwecke instrumentalisiert. Erstens: Die Türkei unterstützt den IS im Kampf gegen Assad und die syrischen Kurden. Zweitens: Assad ließ den IS unbehelligt, solange er die Anti-Assad-Kräfte bekriegte. Drittens: Golfmonarchien rüsteten anfängliche Bündnispartner der IS auf. Viertens: Der verselbständigte IS gibt den USA und sunnitischen Golfmonarchien nun Anlass, aktiv – unter Bruch des Völkerrechts – in Syrien einzugreifen. Und Fünftens: Der Türkei liefert der IS heute den Vorwand, alte Pläne über Flug- und Pufferzonen in Syrien zu reaktivieren, um sein Ziel, den Sturz Assads und die Zerschlagung der Kurdenautonomie, umzusetzen.

Die Waffen der sunnitischen Kämpfer in Syrien stammen vor allem aus den Arsenalen der Golfmonarchien, die diese wiederum aus dem Westen, auch aus Deutschland, bezogen haben. So wird der Krieg fortgesetzt. Die Parteinahme des Westens für die sunnitische Konfliktseite in Syrien fördert die Spaltung der islamischen Welt weiter, wo doch der Interessensausgleich zwischen dem sunnitischen Golf-Kooperationsrat und dem schiitischen Iran notwendig wäre.

Was ist zu tun? Ein Waffenembargo gegen sämtliche Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und der Türkei muss verhängt werden. Deutsche Waffen dürfen weder in den Irak noch in die Türkei geliefert werden. Der Abzug der deutschen Patriot-Raketenbatterien aus der Türkei hätte schon längst vollzogen werden müssen, denn der vorgebliche Stationierungsgrund ist mit der Vernichtung syrischer Chemiewaffen entfallen. Dem türkischen Expansionsanspruch muss diese Unterstützung entzogen werden. Die PKK gehört von der Terrorliste gestrichen. Dringend notwendig sind Verhandlungen über eine Feuerpause in Syrien und Irak. Diese schafft die Grundlage für eine umfassende Verhandlungslösung, die die Kurdenfrage, die Palästinafrage, das Verhältnis zwischen dem Iran und dem Golfkooperationsrat und die Machtteilung in Syrien und im Irak einschließt.

Afghanistan

Gibt es endlich auch mal gute Nachrichten, könnte man fragen oder ist Frieden tatsächlich ein Auslaufmodell? Schenkt man der Bundesregierung Glauben, könnte Afghanistan so eine Erfolgsstory werden. 13 Jahre ISAF-Einsatz, der größte der NATO in ihrer Geschichte, geht zu Ende. Die Regierung zieht Bilanz: Ihr Sonderbeauftragter Koch stellt fest „Wir haben vielerreicht, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.“ Außenminister Steinmeier sagt, „Afghanistan sei ein sichereres Land, seine Bevölkerung habe heute mehr Chancen als vor einem Jahrzehnt.“[4] Und von der Leyen stellt lapidar fest: „Der Einsatz in Afghanistan hat Licht und Schatten.“[5] Aber bitteschön, wo ist das Licht?

Afghanistan ist mehr und mehr von der Drogenökonomie geprägt. Mohn und Korruption sind das einzige, was blüht. Afghanistan gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. Es gibt keine sich selbst tragende Wirtschaft, sondern 95 Prozent der Wirtschaftsleitung kommt über Hilfsgelder ins Land. Die Taliban sind nicht besiegt, verüben soeben in Kabul die stärkste Anschlagsserie seit ihrem Sturz, und drohen mit verstärktem Kampf, wenn die USA ihre Militärbasen zukünftig nicht schließen und ihre Truppen nicht restlos abziehen. Das führte beim ehemaligen UN-Chef in Afghanistan, Tom Koenigs, von Beginn an einer, der vehement für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gestritten hat, zu einer Haltungsumkehr.

Er sagt: „Wenn sie davon ausgehen, dass mit Militär Afghanistan stabiler würde – das haben wir jetzt 13 Jahre versucht und nicht erreicht. Wieso sollen wir das in den nächsten zwei Jahren mit einem Bruchteil der Truppen erreichen? Wir sollten Ende dieses Jahres gehen und zwar ganz“.[6] Herr Koenigs, ich stimme ihnen darin ausdrücklich zu! Aber, warum sind sie nicht früher darauf gekommen, so wie wir auch?

Was hinterlässt dieser Krieg außerdem und kommt in den Regierungsbilanzen überhaupt nicht vor? Die Zahl der Toten in Afghanistan. Eine von der IPPNW herausgegebene Studie [7] kommt in der brandneuen dritten Auflage zu dem Schluss, dass bis Ende 2013 die Zahl der Getöteten Kombattanten und Zivilpersonen in Afghanistan schätzungsweise zwischen 180.000 und 250.000 Menschen liegt. Die Auswirkungen des Krieges im Nachbarland Pakistan, der unmittelbare Folge des NATO-Angriffs auf Afghanistan ist, finden keine Erwähnung. Die IPPNW-Studie kommt auf eine Zahl von 80.000 direkt Getöteter bis Ende 2013 in Pakistan. Darin sind auch die Drohnentoten mit etwa 3.500 enthalten. Der Drohnenkrieg von USA und Großbritannien in Afghanistan kommt in den Regierungsbilanzen überhaupt nicht vor. Zugegeben, das Datenmaterial ist ausgesprochen dürftig. Geheimhaltung ist Tagesgeschäft. Aber immerhin gaben die USA für die Zeit von 2009 bis Ende 2012 an, 1.336 Kampfdrohneneinsätze in Afghanistan geflogen zu haben und die Briten 332. Addiert sind das 1.668. Als Durchschnittswert ergeben sich pro Drohnenangriff in Pakistan und Jemen minimal sechs Tote. Daraus errechnen sich 10.000 Drohnentote nur in Afghanistan in diesen vier Jahren. Diese scheußlichen Wahrheiten interessiert keine NATO-Regierung und Drohnen finden in keinem der Fortschrittsberichte Erwähnung.

Auf ISAF folgt ab Januar „Resolute Support.“ 12.500 Soldaten, davon 9.800 aus den USA und bis zu 850 deutsche, sollen ausbilden. Es sei kein Kampfeinsatz wird uns seit langem erzählt. Vor wenigen Tagen kommt nun heraus, dass US-Präsident Obama seinen Kommandeuren auch in Zukunft Kampferlaubnis bis hin zu Kampfflugzeug- und Kampfdrohneneinsatz erteilte. Es bleibt also alles beim Alten. Der Krieg geht weiter.

Auch der Bundeswehr nahestehende Wissenschaftler fühlen sich berufen, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu bilanzieren. Beispielhaft sei der an der Bundeswehr-Uni in München Lehrende Carlo Masala zitiert.

Für Professor Masala war der Bundeswehreinsatz in Afghanistan, man höre und staune, ein Erfolg, „obwohl,“ wie er realistisch resümiert, „die Mission an sich als gescheitert gelten kann, das Land alles andere als stabil ist, die Gefahr eines langanhaltenden Bürgerkriegs fortbesteht und man mit einer erneuten Machtübernahme durch die Taliban rechnen muss.“[8] Denn die Bundeswehr habe viel gelernt, so Masala, und sich von einer „Armee der Territorialverteidigung und des robusten Peacekeeping zu einer Einsatzarmee weiterentwickelt, die heute das gesamte Spektrum militärischer Aufgaben einschließlich des Gefechts abdecken und ausüben kann.“[9] Der Einsatz habe eine „gewaltige Transformation“ ausgelöst, „die dazu führte, dass die Bundeswehr heute eine für alle Einsatzspektren einsetzbare, gut ausgerüstete und hochprofessionelle Armee geworden ist,“ sagt Masala. Die Bundeswehr sei nun in der Lage, „mit Alliierten und Verbündeten auf Augenhöhe in Einsätze zu gehen.“[10] Das ist überhaupt in Bundeswehrkreisen der Tenor: Die Bundeswehr war gut in Afghanistan, aber wir müssen noch stärker werden. Vor allem bei der Infanterie, im Haus- und im Stadtkampf.

Bundeswehr

Verschwiegen wird immer, dass die Auslandseinsätze im wirtschaftlichen Interesse stattfinden. Ich möchte noch einmal an die Debatte um den Rücktritt von Bundespräsident Köhler 2010 erinnern. Er versuchte seine Popularität dafür zu nutzen, der Bevölkerung deutsche Kriegseinsätze für „sichere Handelswege“ und gegen „ganze regionale Instabilitäten“ [11] schmackhaft zu machen. Er musste gehen, weil ihn bei diesem Vorstoß kaum jemand öffentlich unterstützte. Aber Köhler sagte eigentlich genau das, was erstmals 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien auftauchte und, was in der derzeit gültigen Fassung von 2011 so steht: „Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehört, […] einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“[12] Klartext: Bundeswehreinsätze sollen Handelswege sichern und Zugänge zu Rohstoffen ermöglichen.

Der heutige Bundespräsident hat dazugelernt. Er formuliert vorsichtiger, aber deutlich. Aussagen, die einen Zusammenhang von Bundeswehr, Krieg und Wirtschaft herstellen, meidet er. Zwar ist genau das gemeint, aber es wird mit dem schönen tugendhaften Wort Verantwortung bemäntelt. Sekundiert von Außenminister und Verteidigungsministerin tut er das vor dem Hintergrund, dass für diesen Militärinterventionismus seit zwei Jahrzehnten nicht nur geplant, sondern konkret die materielle Basis geschaffen wird. Seit Beginn vor 20 Jahren sind in ein ausgeklügeltes Material-und Ausrüstungskonzept über 100 Milliarden Euro geflossen. Ihr Herzstück ist die strategische Verlegefähigkeit per Luft. Neue A400 M-Kampfzonentransporter werden passgenau angefertigt: Für nagelneue Kampf- und Transporthelikopter, für Schützenpanzer und Mannschaftstransportfahrzeuge – und Hightech-Infanteristen, die aus der Ladeluke abspringen können. Das Heer wird für die Aufstandsbekämpfung insbesondere in der Stadt optimiert (Stichwort: Übungsstadt „Schnöggersburg“). Die Marine wird mit Korvetten und Fregatten ausgerüstet, mit denen weit in fremdes Land geschossen werden kann. Sämtliche Soldaten der Teilstreitkräfte werden über Drohnendaten digital vernetzt, um den Zeitaufwand bei Entscheidungsfindungen so sehr zu reduzieren, dass der Sieg im Krieg möglich wird. Dieses Kriegsgerät wird trotz technischer Verzögerungen noch in dieser Legislaturperiode zur Verfügung stehen. Der gescheiterte Kriegseinsatz von NATO und Bundeswehr in Afghanistan führt nicht etwa zur grundsätzlichen Umkehr im Denken, also zu einer Infragestellung des Militärinterventionismus, sondern im Gegenteil, zum Versuch, diesen über ein Mehr an Technik zu perfektionieren. Ich befürchte, dass die Rufe nach noch mehr kriegerischen Bundeswehreinsätzen dann zunehmen werden, sobald die in der Herstellung befindlichen Waffen und Ausrüstungen einsatzbereit sind. Das wird spürbar ab 2016 der Fall sein. Das heißt, wir werden unsere Anstrengungen gegen die Militarisierung, gegen Kriege, für Frieden und Abrüstung auf vielfältige Weise noch verstärken müssen.

Kampfdrohnen

Diese Kriegführung soll vervollkommnet werden durch die Einführung neuer Technologien für die Luftwaffe. Die Bundesregierung steht vor radikalen Entscheidungen zur Einführung von Drohnentechnologie A für elektronische Spionage – statt mit Eurohawk will man es mit der Großdrohne Triton versuchen -, B zur Zielerfassung (NATO-AGS) und C Kampfdrohnen. Man will 16 Kampfdrohnen bis 2025, kann sich jedoch noch nicht entscheiden zwischen den erprobten US-amerikanischen REAPER oder den noch größeren israelischen HERON TP. Danach will man dann in Europa produzierte Kampfdrohnen verwenden. Künftige Standorte für die Führung von Bundeswehr-Kampfdrohnen könnte die Operationszentrale der Luftwaffe im Nordrhein-westfälischen Kalkar/Uedem werden.

Die Praxis der Drohnenangriffe der USA ist durch Geheimhaltungsversuche und so genanntes „gezieltes Töten“ gekennzeichnet. „Gezieltes Töten“, also Menschenjagd per Fernbedienung, gilt gemeinhin als präzise. Angeblich werden unnötige Schäden vermieden. Nun hat vor wenigen Tagen ein Report der internationalen Menschenrechtsorganisation Reprieve [13], die sich schwerpunktmäßig gegen die Todesstrafe engagiert, das Gegenteil erwiesen. Ihre Analyse von US-Drohnenangriffen in Pakistan und Jemen seit November 2002 ergab, dass bei der Jagd auf 41 namentlich bekannte Kommandeure, also so genannte Hochwertziele, nicht weniger als 1.147 Unbekannte ermordet wurden, darunter Hunderte Kinder. Um nur eine Person zu töten, durchschnittlich 28 Menschen umzubringen, kann nur als unpräzise bezeichnet werden und erfüllt den Straftatbestand des Mordes, des Todschlags oder der fahrlässigen Tötung.

Sämtliche US-Kampfdrohnenangriffe werden über die US-Relaisstation im rheinland-pfälzischen Ramstein geleitet. Dabei werden anscheinend Völkerrechtsbrüche begangen. Dies zum einen durch Tötungen in Pakistan, wofür keine Regierungserlaubnis vorliegt und es kein anderweitiges Mandat gibt, und zum anderen durch den unverhältnismäßigen Einsatz gegen Unbeteiligte. Mehr noch als in Pakistan und Jemen könnte das in Afghanistan der Fall sein, denn dort verüben die USA über 80 Prozent ihrer bewaffneten Drohnenangriffe. Durch Beihilfe würde sich die Bundesregierung strafbar machen.

Wir fordern, dass die Bundesregierung auf die Nutzung von Kampf-, Spionage- und Zielerfassungsdrohnen verzichtet und sich aktiv für die internationale Ächtung von Kampfdrohnen einsetzt. Wir fordern die Schließung der US-Relaisstation in Ramstein, von AFRICOM in Stuttgart und von Kalkar. Wir treten für eine Stärkung der deutschen (Anti-)Drohnenkampagne ein, indem wir zum vermehrten Sammeln von Unterschriften unter den Appell „Keine Kampfdrohnen“ aufrufen und die internationale Vernetzung der Kampagne unterstützen. Deshalb haben wir noch einmal Unterschriftenlisten in die Mappen gelegt und zum Mitnehmen gibt’s auch noch welche.

Ich habe nur wenige der zahlreichen Konflikte und Kriege angesprochen und vieles bleibt ungesagt. Nicht deshalb, weil sie unbedeutender wären, sondern, weil wir über einige noch ausführliche Plenarbeiträge hören werden. Zu diesen und zu anderen, die hier überhaupt keine Erwähnung finden konnten, hat der Bundesausschuss Forderungen formuliert, die Impulse geben sollen für friedenspolitische Aktivitäten im nächsten Jahr. Sie liegen in euren Mappen.

Anmerkungen
  1. Bild.de 17.11.2014, http://www.bild.de/politik/ausland/petro-poroschenko/petro-poroschenko-im-interview-38593920.bild.html
  2. John J. Mearsheimer, Putin reagiert – Warum der Westen an der Ukraine-Krise schuld ist, 1.9.2014, Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) IPG-Journal, http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/putin-reagiert-560/
  3. Appell vom 5.12.14, http://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog
  4. FAZ 14.2.14, Steinmeier: Viele der hehren Ziel für Afghanistan nicht erreicht
  5. Stuttgarter Zeitung, 19.11.14, http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.afghanistan-bundeswehr-bleibt-noch-mindestens-ein-jahr.82b9e567-9f29-4b99-af43-1438d41a0cb7.html
  6. Die Welt 19.11.14, http://www.welt.de/politik/deutschland/article134483628/Wir-sollten-Afghanistan-verlassen-und-zwar-ganz.html
  7. IPPNW (Hrsg.), Body Count, 10 Jahre „Krieg gegen den Terror“, 3. Aktualisierte und erweiterte Auflage, Oktober 2014, 101 Seiten. http://www.ippnw.de/startseite/artikel/7b36cd7e25258e31e8bbe0eaab416d89/3-auflage-des-ippnw-reports-body-c.html
  8. Carlo Masala, Partner auf Augenhöhe, Internationale Politik (IP), November/Dezember 2013, Seiten 90 bis 95, S. 90, im Weiteren: Masala
  9. Masala, S. 90
  10. Masala, S. 95
  11. https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_K%C3%B6hler
  12. Verteidigungspolitische Richtlinien, erlassen am 18.5.2011, 20 Seiten, S. 5, http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Bundeswehr/vpr2011.pdf
  13. Reprieve, You Never Die Twice, 25.11.14, 16 Seiten, http://www.reprieve.org/uploads/2/6/3/3/26338131/2014_11_24_pub_you_never_die_twice_-_multiple_kills_in_the_us_drone_program.pdf
    Referat auf dem 21. Friedenspolitischen Ratschlag - 6. Dezember 2014.




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