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"Im Namen der Menschenrechte" - Thesen zur "humanitären Intervention"

Ein Diskussionsbeitrag von Matthias Trenczek*

Dreimal hat Deutschland im 20.Jahrhundert Krieg gegen Jugoslawien geführt. Den ersten unter dem Ruf "Serbien muß sterben", den zweiten unter dem Codenamen "Marita" den dritten als humanitäre Aktion, die auch noch als eine antifaschistische Konsequenz verkauft wurde. Die sog. "deutsche Außenpolitik" des 20. Jahrhunderts hat insoweit die Ankündigung des früheren Außenminister Kinkel von 1993 scheinbar erfüllt, "nach außen zu vollbringen, woran wir zweimal gescheitert sind." (K.K. in FAZ vom 18.03.1993)

Die Friedensbewegung hat nach der bitteren Niederlage durch den Krieg gegen Jugoslawien die Ursachen bezeichnet, internationale Tribunale erfolgreich durchgeführt und steht allgemein vor dem Problem, dass die Massenstimmungen in den zentralen europäischen Staaten zu keinem Zeitpunkt gegen diesen Krieg war, ein Phänomen, dass bereits bei den Einsätzen in Bosnien zu beobachten war. Gleichzeitig organisieren die europäischen Staaten ihre Armeen derart um, dass diese den Anforderungen der in der NATO gemeinsam formulierten weltweiten Einsatztauglichkeiten entsprechen. Am Beginn des 21. Jahrhunderts erscheint ein militärischer Konflikt zwischen den zentralen Industriestaaten ebenso unwahrscheinlich, wie gleichzeitig allgemein die Frage gestellt wird, wo deren Armeen gemeinsam denn das nächste Mal eingesetzt werden.

In was für einer neuen Welt leben wir also?
Eine Entwicklung der führenden Kapitalgruppen vom Entwicklungsstand der supranationalen Konzerne zu global operierenden Konzernkonglomeraten findet statt und formt ihren Ausdruck in der Neuorganisation der weltweiten Konkurrenzbedingungen. Die Vorherrschaft des Konzeptes eines imperialistischen Kern-wirtschaftsraums (G7) und dessen Vereinheitlichung ist gegenwärtig durchgesetzt. Kennzeichen hierfür sind neben der Tendenz zur Vereinheitlichung der Währungsbedingungen, die weitgehende Durchsetzung globaler Wirtschaftsrahmenbedingungen ("Mai-Abkommen, Gestaltungsaufgaben des Internationalen Weltwährungsfonds etc.) und auch die Entwicklung einer ständigen Verfügbarkeit der Kommunikationsmöglichkeiten (Internet als zentrales Beispiel).

Der politische Überbau, der noch vorherrschend in Form nationalstaatlich organisierter Einheiten besteht, ist bereits konsequenten Veränderungen unterworfen. Neben der Verlagerung zentraler Ordnungsmechanismen auf übernationale Organisationsformen (EG sowie insbesondere IWF und Weltbank) wird eine Veränderung der internationalen Arbeitsteilung der G 7 Staaten vorangetrieben.

Die beson-dere Rolle des Wirtschaftsraumes USA wird dabei - nicht nur allein im Hinblick auf die anstehenden Belastungen durch das neue Star-Wars-Programm - dergestalt abgemildert, dass die Wirtschaftsräume Japans und der EG in einer nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr erreichten Art und Weise zur Finanzierung der nächsten Generation der Rüstungstechnologien "gleichberechtigter" herangezogen werden.

Dabei ist jedoch nicht zu unterschätzen, dass die selbstverständlich nach wie vor existierenden nationalorientierten Kapitalgruppen dieser Entwicklung Widerstand dergestalt entgegen brin-gen, dass sie den Abfluss von Geldern sowie die Verlagerung staatlicher Ressourcen und Kompetenzen zu stoppen versuchen. Dieses drückt sich politisch auch in der Stärkung von nationalistischen/protektionistischen Gruppierungen aus. Diese sind jedoch - von den hart faschistischen Gruppen einmal abgesehen - auch für die übernationalen Kapitale von Interesse, da die Politik der jeweiligen "Sicherung" des nationalen Standortes auch deren Interessen dient. Ferner kommt diesen politischen Organisationen auch die Rolle zu, möglichst große Teile der Handwerker und der von der Marginalisierung bedrohten lohnabhängig Beschäftigten einzubinden. Und in den Gebieten des Kernwirtschaftsraumes scheint die Einbindung ebenso zu funktionieren, wie in der übrigen Welt. Diese stehen jedoch nicht nur in einem ökonomischen Über-/Unterordnungsverhältnis, sondern trotz der Kriege im Golf und Jugoslawien durchaus in einem tiefgreifenden ideologischen Widerspruch.

Mindestens seit der Herausbildung des Imperialismus (einschließlich des dazugehörigen modernen Kolonialismus) ist Erzeugung und Verteilung gesellschaftlichen Reichtums monopolitisch strukturiert. Kapitalismus (aber nicht nur der) hat immer mit Gebieten unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus existiert. Mit dem Imperialismus und mit dessen besonderer Form ungleichmäßiger ökonomischer Entwicklung verschärfte sich dies alles auf eine spezifische Art und Weise.

Das, was sich mit dem frühkapitalistischen Kolonialismus bereits angedeutet hatte, wurde durchgängige Erscheinung. Die Ungleichmäßigkeit der Erzeugung und der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums wird bis heute regional und in diesem Regionalen letztendlich ethnisch, "national" fixiert. Dies hat zwei Auswirkungen.

Es bildete sich etwas heraus, was mit "ausgebeutete Nationen" beschrieben worden ist. Damit hat nationaler Widerstand, hat nationale Befreiungsbewegung ihren spezifischen ökonomischen Hintergrund.

Diese (imperialistische) Ungleichmäßigkeit der Erzeugung und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist dabei keinesfalls ein Phänomen, das ausschließlich von der Bourgeoisie ausgenutzt wird. Es schlägt sehr wohl auch auf die Gesamtheit der eigenen Bevölkerung, auf das eigene Proletariat zurück. Es entwickelten sich ausbeutende Nationen mit dem notwendigerweise dazu gehörenden Nationalismus.

Die Friedensbewegung in den Kernräumen hat daher das tatsächliche Problem, das große Teile der Bevölkerung eine Politik, die die Absicherung des eigenen Lebensstandards verspricht auch dann unterstützt, wenn dies militärische Interventionen verlangt. Diese darf jedoch nicht öffentlich schmutzig und brutal wirken und muß nach Möglichkeit keine "eigenen" Opfer haben, so dass der Einsatz von kämpfenden Bodentruppen tatsächlich nach Möglichkeit vermieden wird.

Die Legitimation dieser Kriege wird jedoch gerade in einer Etappe, in der zugleich ein Weltbürgertum beschworen wird, nicht mehr durch die Propaganda vom "Erbfeind" oder der nationalen Herrschaft über alle anderen erreicht, sondern durch die Formulierung einer moralischen Notwendigkeit. Das alte Schema, "wir sind die Guten, die anderen die Bösen" wird nunmehr in den Floskeln über "Schurkenstaaten" einerseits und "humanitäre Ziele" andererseits ausgedrückt, die in Deutschland auch noch um die extrem widerliche Variante von der "Verpflichtung zur Verhinderung eines zweiten Auschwitz" ihre Ergänzung finden.

Die Friedensbewegung muß daher nicht nur an der Blockierung der Anschaffung der neuen Waffensysteme für die militärische Machbarkeit der weltweiten Einsätze arbeiten und das Verbot von Auslandseinsätzen der Armeen propagieren, sondern auch die heutige ideologische Absicherung der Kriegsführungsfähigkeit ständig demaskieren. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass die grausigen Folgen der Militärinterventionen kaum gezeigt werden, da sie direkt das Bild von den "guten Jungs" beschädigen und alle Presse- und Propagandastäbe zumindest dies aus dem Vietnamkrieg gelernt haben. Eine wesentliche Aufgabe der Friedensbewegung ist deshalb heute die Aufklärung über die konkreten Kriegsfolgen, einschließlich der Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in den Kernwirtschaftsräumen und die gleichzeitige harte ideologische Auseinandersetzung mit den Kriegsbefürwortern.

Ein solches Vorgehen hat auch in der Vergangenheit zur Stärke der Friedensbewegung beigetragen, nur dass kaum jemand nach dem Sieg über den Faschismus 1945 befürchtet hat, darüber aufklären zu müssen, dass nach dem dritten Krieg gegen Jugoslawien in Deutschland es scheinbar niemanden interessiert, dass nun im Kosovo die Bevölkerungsteile jüdischen Glaubens ebenso wie die Sinti und Roma sämtlich ermordet oder vertrieben wurden - unter der faktischen Kontrolle des modernen neuen Deutschlands.

* Matthias Trenczek ist Mitglied des SprecherInnenrates des Marxistischen Arbeitskreises in der SPD Berlin

Aus: Friedenspolitische Korrespondenz, 1/2001

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