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Mubaraks Methoden leben weiter

Amnesty-Jahresbericht begutachtet Menschenrechtslage in 155 Ländern

Von Thomas Mell *

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International moniert in ihrem neu erschienenen Jahresbericht die gewaltsamen Reaktionen der Regierenden auf die weltweite Proteste.

Mit Schlagstock in der Hand tritt ein behelmter Bereitschaftspolizist eine sich duckende Demonstrantin. Es ist eines der wenigen Fotos im sonst bildkargen Jahresbericht, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Mittwoch zum fünfzigsten Mal vorstellte. Die Szene vom Athener Syntagma-Platz steht stellvertretend für die zentrale Botschaft des diesjährigen Reports: In vielen Ländern hat die Staatsmacht auf die im letzten Jahr aufkommenden Proteste brutal reagiert.

Spricht man im Falle Europas und Nordamerikas von Verletzungen des Rechts auf Versammlungsfreiheit und teils exzessiver Polizeigewalt, so haben Demonstranten in Nordafrika und im Nahen Osten nicht selten mit Folter und Tod bezahlen müssen, stellt AI im gut 570 Seiten dicken Bericht fest.

Die Dokumentation führt nochmals die geschichtsträchtigen Ereignisse vor Augen, die vor rund anderthalb Jahren mit der Selbstverbrennung eines jungen Tunesiers begannen. »2011 war von Wandel, Mut und Konflikten geprägt «, schreibt Salil Shetty, Generalsekretär von AI, im Vorwort zum Bericht. »Es war ein Jahr, in dem sich so viele Menschen an Protesten gegen Regierungen und andere mächtige Institutionen beteiligten wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.« Doch dies habe nicht zu einer Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage geführt, sagte Wolfgang Grenz, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, bei der Vorstellung des Berichts in Berlin.

Der diesjährige Report beleuchtet die Situation in 155 Ländern. In 101 Staaten wurden Menschen gefoltert oder misshandelt, in 91 Staaten wurde das Recht auf Meinungsfreiheit eingeschränkt, lautet die düstere Bilanz von AI.

In den Ländern des Arabischen Frühlings habe die Menschenrechtslage – mit der erfreulichen Ausnahme Tunesiens – sich trotz des Wandels kaum verbessert. So wende der nun in Ägypten herrschende Militärrat »Methoden der Mubarak-Regierung« an, auch der Golfstaat Bahrain habe 2011 eine »dramatische Menschenrechtskrise « erlebt. In China sei »eine der schlimmsten Repressionswellen« der letzten Jahrzehnte angekurbelt worden.

Doch die Proteste hätten auch die »Schwächen der demokratischen Regierungen« aufgedeckt. »Ob auf dem Kairoer Tahrir-Platz, im New Yorker Zuccotti-Park oder auf dem Moskauer Manege-Platz – die Kundgebungen machten deutlich, wie schnell die Regierungen tätig wurden, wenn es darum ging, friedliche Proteste zu unterbinden und die Rechte auf Meinung- und Versammlungsfreiheit zu beschneiden «, so der Inder Salil Shetty, der das Amt des Generalsekretärs seit 2010 ausübt.

Auch die »internationale Gemeinschaft « bekommt ihr Fett weg. So kritisiert AI sowohl die lähmende Vetopolitik der fünf Mächtigen im UN-Sicherheitsrat als auch deren Rüstungsexporte je nach Interessenlage an eben jene arabische Regierungen, die für die gewaltsame Unterdrückung der Proteste verantwortlich sind. »Da verwundert es nicht, dass Russland, der größte Waffenlieferant der Assad-Regierung, ein Waffenembargo für Syrien verhindert«, sagt Grenz.

Deutschland, wo AI mehr als 100 000 Mitglieder und Unterstützer hat, macht sich laut des Berichts Menschenrechtsverletzungen ebenfalls schuldig. Bemängelt wird, dass es keine unabhängige Beschwerdestellen für Fälle polizeilichen Fehlverhaltens gebe und Roma nach Kosovo abgeschoben wurden, obwohl ihnen dort Verfolgung und Diskriminierung drohten. In der Kritik stehen ebenso deutsche Rüstungsexporte wie die geplante Lieferung von Panzern an Saudi Arabien.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Mai 2012


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