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Immer neue Unruhen in Ägypten

Gewalttätiges Wochenende mit sechs Toten. Wachsende Unzufriedenheit mit der Regierung

Von Karin Leukefeld *

Nach einem gewalttätigen Wochenende mit sechs Toten herrschte am Montag in Kairo angespannte Ruhe. Unruhen waren an der Sankt Markus Kathedrale in dem Stadtviertel Abbassiya ausgebrochen. Dort war es am Sonntag nach einem Gedenkgottesdienst für vier getötete Kopten zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen, bei denen Krankenhausangaben zufolge erneut mindestens eine Person getötet und 89 Personen verletzt wurden. Die Gewalt begann, als die Trauergemeinde die Kirche verließ und aus einer Menschenmenge heraus mit Steinen und Flaschen beworfen wurde. Polizisten einer Sondereingreiftruppe setzte Tränengas ein, viele Menschen flüchteten zurück in die Kirche.

Die vier Männer, die am Sonntag beerdigt wurden, waren am Freitag in Al-Khusus, nördlich von Kairo (Bezirk Khalyubiya), getötet worden, als Demonstranten gegen die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbruderschaft protestierten. Auch ein Muslim wurde getötet, sieben weitere Personen wurden verletzt. Unbekannte eröffneten das Feuer auf die Demonstranten, eine erste Untersuchung ergab, daß die Kugeln, die die Männer töteten, aus automatischen Gewehren und vermutlich von Hausdächern oder aus Fenstern abgegeben wurden. Ein Priester der Gemeinde sagte, die Gewalt sei auf einen alten Streit zwischen einer muslimischen und einer christlichen Familie zurückzuführen. Salafistische Prediger beschimpften die Kopten. Ein Kindergarten und eine Kirche seien angezündet und teilweise zerstört worden.

Präsident Mohammed Mursi bedauerte in einem Anruf beim koptischen Papst Tawadros II. die Gewalt und ordnete eine Untersuchung an. Den Angriff auf die Sankt Markus Kathedrale bezeichnete Mursi als »einen Angriff auf mich«. Es sei die Verantwortung des Staates, »alle Bürger zu schützen, Muslime und Christen«. Die Muslimbruderschaft verurteilte die Gewalt und erklärte, die Unruhen seien »von Leuten geplant worden, die kontinuierlich daran arbeiten, die Gesellschaft zu spalten, damit das Land nicht zur Ruhe kommt«.

Mohamed Shirin, Sprecher der »Partei der Sozialistischen Volksallianz«, verlangte die »unverzügliche Absetzung des Innenministers und die sofortige gesetzliche Belangung all derer, die sich direkt oder indirekt an den Ereignissen« in Al-Khusus und »vor der koptischen Kathedrale in der Hauptstadt Kairo beteiligt haben«. Sicherheitsbeamte hätten sich der »Aufhetzung, Ausführung, Beihilfe und Ausführung (der Gewalt) sowie unterlassener Hilfestellung« schuldig gemacht.

Die anhaltenden Unruhen in Ägypten zeigen einerseits die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung und dem Präsidenten. So kam es am Sonntag auch in Damietta, nördlich von Kairo, zu gewaltsamen Protesten gegen die Muslimbruderschaft, als Dutzende Möbelhersteller gegen steigende Materialkosten protestierten und stundenlang eine Hauptverkehrsstraße am Nil blockierten.

Andererseits kommt es zunehmend zu Gewalt zwischen den verschiedenen Religionsgruppen der Muslime und Christen, die in Ägypten Kopten genannt werden. Papst Tawadros II. äußerte sich am Montag im Gespräch mit dem privaten Fernsehsender Al-Nahar zu einer Entscheidung des Schura-Rates (Parlament) in der vergangenen Woche. Dort war beschlossen worden, daß religiöse Parolen bei den bevorstehenden Parlamentswahlen zugelassen werden sollten. Jede Religion verliere ihre Spiritualität, wenn sie mit der Politik vermischt würde, sagte das Kirchen­oberhaupt der Kopten. »Ägypten war immer ein ziviler Staat, die Religion hat ihre eigenen Wege. Wir weisen jeden Versuch, Ägypten in einen nicht-zivilen Staat zu verändern, mit Entschiedenheit zurück.« Etwa zehn Prozent der 80 Millionen Ägypter sind Christen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 9. April 2013


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